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Russland/Osteuropa

Maintainer: Olaf Boerger, Version 1, 27.01.2004
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Hurra I

(1) Ähnlich wie in Hinsicht auf die ehemaligen Tigerstaaten in Südostasien (mittlerweile firmieren nur noch Japan und China unter diesem Begriff – so ändern sich die Zeiten) wurde lange Zeit auch von den “riesigen neuen Märkten“ in Osteuropa bzw. Russland schwadroniert. Doch je näher die Osterweiterung der EU rückt, desto schräger wird der einstige Lobgesang der neoliberalen Auguren und Gesundbeter des Markt-Staat-Systems. Plötzlich tauchen an allen Ecken und Kanten Risse im Konstrukt auf, und es dämmert den Marktwirtschaftsheroen, dass dieses Ereignis ihre eigene Beerdigung sein wird. Wie auch schon in den Projekten `China` und `USA` wird hier kein affirmativer Bezug auf Dorian-Gray-Staaten genommen, sondern die sich rapide beschleunigende finale globale “Krise“ eben jenes Markt-Staats-Systems auch empirisch belegt. Und wie in den anderen Projekten, wurden auch hier die verwendeten Daten aus der allgemeinen Tagespresse bzw. frei zugänglichen Quellen aus dem Internet entnommen, wobei es (genau wie in Bezug auf `China`) sehr schwierig war, etwas über einzelne Unternehmen zu erfahren. Was aber zu erfahren war, ist die Tatsache, dass die allseits bejubelten “Wachstumsraten“ ebenso wie in China nichts als eine “Deficit-Spending-Luftnummer“ sind bzw. auf “Kapitalexport“ (doch nicht mehr im “marktexpansiven“ Sinn, sondern als reine Produktionsverlagerung aus “Kostengründen“) beruhen. Und gleich den vorhergehenden Projekten, lassen sich diese Daten nur mit der exakten Metapolation der Marx`schen Krisentheorie `Die Himmelfahrt des Geldes` (Robert Kurz; in: `Krisis – Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft`; (Zeitschrift) Ausg. 16/17; Horlemann-Verlag; 1995; www.krisis.org ) in Kohärenz bringen bzw. dechiffrieren (ergänzend dazu empfiehlt sich noch: Robert Kurz; `Der Kollaps der Modernisierung`; Reclam-Leipzig; 1993; (Taschenbuchausgabe) sowie Robert Kurz; `Schwarzbuch Kapitalismus`; Abschnitt: `Die Geschichte der DRITTEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION`; Taschenbuchausgabe 2001).

Hurra II

(2) Als Zombie Nummer eins ist dabei natürlich Russland zu nennen, wo mittlerweile zwei Drittel der ca. 145 Mio. Einwohner auf einem Lebensstandard am oder gar unter dem “Existenzminimum“ leben (welches nach offiziellen Kriterien schon de facto auf Slum-Niveau angesiedelt ist), inklusive Zerfall sämtlicher Sozialleistungen wie kostenlose Bildung und Medizin (Spiegel, 29/2003). Dementsprechend ist auch die Lebenserwartung mittlerweile auf 59 Jahre gesunken. Und dennoch wird wie im Fieberwahn unablässig vom “schlafenden Riesen“ geredet. Wie abgrundtief absurd diese Bezeichnung ist, zeigt sich schon bei Betrachtung der Rahmendaten (entnommen aus: Spiegel-Jahrbuch 2003): Nach offiziellen Angaben betrug das Bruttoinlandsprodukt 2001 ganze 241 Mrd. US-Dollar bzw. 1660 Dollar pro Kopf (wovon jedoch schätzungsweise 36 Prozent (bis zu 110 Mrd. US$) die "Schattenwirtschaft“ produziert, die bekanntlich meist keine Steuern zahlt). Im Vergleich dazu betrug allein das BIP Nordrhein-Westfalens (ca. 17 Millionen Einwohner) 2002, obwohl um 0,3% geschrumpft, immer noch 459 Milliarden Euro (das macht ca. 33 400 Euro pro Einwohner, bezogen auf die real Erwerbstätigen dann sogar 55.000 Euro) (SZ, 06.02.2003), d.h. das BIP Russlands ist gerade mal halb so groß wie das von NRW. Erst recht nur noch blankes Kopfschütteln in Hinsicht auf die Hurra-Apostel bleibt, wenn mensch sich die Eckdaten der Wirtschaft in den USA, Japan, der Eurozone und Deutschland ansieht: So betrug das BIP der USA 2002 11047,5 Mrd. Euro (288 Millionen Einwohner (EW)), das Japans 4241,5 Mrd. Euro (127,4 Millionen EW), in der gesamten Eurozone 7050 Mrd. Euro (307,8 Millionen EW) und in der BRD 2108,2 Mrd. Euro (82,5 Millionen EW) (Entnommen aus FTD `Kompass`, Rubrik: Politik und Wirtschaft – Quellen: Bundesbank, Eurostat, OECD, IWF, WTO). Zusammengenommen (USA, Japan und Eurozone – was auch heißt, dass Länder wie Schweden und die Schweiz noch gar nicht enthalten sind) erwirtschafteten also 723,2 Millionen Menschen ein BIP von 22339 Mrd. Euro, was berechnet auf die Einwohnerzahl Russlands ein BIP von 4467,8 Mrd. Euro ergibt, und somit das 18-fache oder 1800 Prozent des russischen BIP. Pro Kopf macht das in etwa 32.000 Euro, d.h. grob gerechnet das 20-fache oder 2000 Prozent. (zu der Tatsache, dass das so genannte BIP ohnehin ein nur relativ aussagekräftiges, da begriffsloses VWL-Konstrukt, ist, siehe auch Projekt `USA`) Und so kann mensch denn auch dem Spiegel-Jahrbuch 2003 entnehmen: „Trotz der institutionellen Reformen (“Reformen“ à la `China`) ist die russische Wirtschaftsstruktur nicht so stark, wie die konjunkturellen Daten vermuten lassen. Ein Vergleich belegt den Unterschied: Der geplante US-Verteidigungshaushalt für 2002/03 ist mit 393 Mrd. US- Dollar rund sechsmal so groß wie die zentralen Staatsausgaben Russlands 2002 (natürlich sind auch die USA ein “Toter auf Abruf“ – siehe unten bzw. Projekt `USA`). Zwar entstehen schon 70 Prozent des BIP im privaten Sektor, doch tragen die flexiblen und innovativen Klein- und Mittelbetriebe (also brutale Ausbeuterklitschen) gerade mal 10 Prozent dazu bei (zum Vergleich Polen: etwa 50 % (zur “Luftnummer“ “Polen“ weiter unten), EU 63 %). Der Bankensektor bleibt fragil, die Bankenreform (immer noch 1200 Geschäftsbanken) ist auch nach der Ablösung des Zentralbankchefs Geraschtschenko im März 2002 nicht vorangekommen. Ein Indiz für das mangelhafte Banken- und Finanzsystem ist die anhaltende Kapitalflucht von 17 Mrd. Dollar, die im Jahr 2001 über den 10 Mrd. Dollar Auslandsinvestitionen lag. Eine Amnestie für Kapitalflüchtlinge soll das Geld nach Russland zurückbringen. Etwa 10 Prozent aller umlaufenden Dollarscheine sind gefälscht (überhaupt ist der Rubel nur noch eine “Armen-Währung“ – ein untrügliches Zeichen des sozialökonomischen Zerfalls). Heimische Finanzressourcen (private Ersparnisse) bleiben für die Investitionsfinanzierung großenteils ungenutzt, die Kreditvergabe ist rückläufig. Eine Folge: Die Kapitalinvestitionen sind zu niedrig. Beispielsweise arbeiten mehr als die Hälfte der Maschinen zur Elektrizitätserzeugung über ihre veranschlagte Produktionsdauer hinaus. Russland steht deshalb in jedem Winter vor Stromengpässen. Der Energiemangel wird zu einem Wachstumshindernis (typisch bürgerliche Denke: in der DRITTEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION wird weiterhin von “Wachstum“ fabuliert). Obwohl mit dem gigantischen Gasfeld "Sapoljarnoje" im arktischen Russland (geschätzte Reserven 3,3 Billionen Kubikmeter) das erste Feld dieser Art seit dem Fall der Sowjetunion im Oktober 2001 in Betrieb ging (dreimal darf mensch raten, wer das finanziert hat), sind die Investitionen im Erdgas- und Erdölbereich im mittelfristigen Durchschnitt niedriger als vor 1990.“

Hurra III

(3) Und für alle diejenigen, die mal wieder MEINEN, dass Russland ja weit weg sei, dazu noch einen passenden Beitrag aus dem Handelsblatt vom 21.05. 2003: “Die sichere Energieversorgung Europas steht auf dem Spiel“ – “Russland benötigt Hunderte Milliarden Dollar Investitionen in seine Energiewirtschaft“. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur und des russischen Energieministeriums sind dafür 660 bis 810 Mrd. Dollar erforderlich (siehe auch Projekt `USA`) – „“zumindest“, wenn der Sektor nicht zusammenbrechen soll“ (so sind z.B. von den 212 800 km Pipelines, trotz teilweiser Erneuerung, große Teile überholungsbedürftig). „Das nämlich hätte verheerende Folgen auch für die Energieversorgung Europas. Denn Russland liefert ein Fünftel des in Europa verbrauchten Erdöls und 47 Prozent des europäischen Erdgasbedarfs (laut Spiegel-Jahrbuch 2003 liefert Russland 53 Prozent seines Erdöls und 63 Prozent seines Erdgases in die EU (in Bezug auf die BRD ist die Lage noch prekärer: die BRD bezieht 29 Prozent des Erdöls und 36 Prozent des Erdgases aus Russland) – was das angesichts der auch hier zusammenbrechenden Verwertungsmaschine für verheerende Auswirkungen auf Russland haben wird, bedarf wohl keiner näheren Analyse). ... Um einen Zusammenbruch zu verhindern, sind aber allein in der Gasindustrie zum Erschließen neuer Vorkommen und zur Unterhaltung und Modernisierung der Infrastruktur 170 bis 200 Mrd. Dollar nötig, in der Ölindustrie sogar 230 bis 240 Mrd. Dollar; für die Stromwirtschaft hat das Ministerium 120 bis 170 Mrd. Dollar errechnet.“ Angesichts der in 2000 kollabierten Wachstumssimulation alias Börsencrash (das jähe Ende der “Kapitalisierung der Zukunft“) und der gigantischen globalen Verschuldung (“Verpfändung der Zukunft“ - allein die USA weisen eine Gesamtverschuldung von 32 000 000 000 000 (Billionen) Dollar (siehe Projekt `USA`) auf, aber auch die BRD hat nur an Staatsschulden ca. 4 500 000 000 000 (Billionen) Euro aufgetürmt) wird deutlich, dass diese Herkulesaufgabe in der Geldform nie zu schultern sein wird, weder in “konzertierter Aktion“ - und schon gar nicht von Russland allein. Denn nimmt mensch das BIP Russlands zur Grundlage, so müssten die Einwohner drei bis vier Jahre das Essen, Trinken etc. einstellen, um, wie schon erwähnt, “zumindest“ den Zusammenbruch der Energieversorgung zu verhindern. Klar, dass angesichts solch gewaltiger Summen der russische Gaskonzern Gazprom vor den in einer Studie der Energieexperten (ja, ja – die “Experten“) von Boston Consulting Group (BCG) binnen fünf Jahren geforderten Investitionen in die Erschließung von Gasfeldern im Eismeer, auf der Jamal-Halbinsel und in Ostsibirien zurückschreckt. Stattdessen hat sich Russland bzw. Gazprom (aber das ist nicht nur in Russland nicht so genau zu unterscheiden) die Gasvorkommen Turkmenistans gesichert. Um, wie es ein Moskauer Gasexperte sagt, in Hinsicht auf die Investitionen “Zeit zu gewinnen“, habe der Konzern deshalb einen Langfristvertrag über den Bezug von 3 Bill. Kubikmetern turkmenischen Erdgases in den nächsten 25 Jahren vereinbart (dafür verlangt Turkmenistans Diktator Sapamurad Nijasow, dass alle 100 000 Russen “sein“ Land verlassen – ein echt feiner “Deportations-Deal“). Mit dem Iran und Kasachstan führt Gazprom ebenfalls Kaufverhandlungen. Damit, so Stephan Deering von BCG in Moskau, werde Gazprom immer mehr vom Förderer „zum Gashändler“ – also der de facto-Abschied aus der Produktion (d.h. aus “Zeit gewinnen“ wird der gute alte “Sanktnimmerleinstag“). Und in der Geldform ist das auch logisch: Müsste der Konzern die Investitionen nämlich streng kapitalistisch “seriös“ aus den erzielten “Profiten“ “finanzieren“ (2002 erwirtschaftete Gazprom einen “Reingewinn“ von 1,76 Mrd. Dollar, 2001 2,37 Mrd.) so wären (bezogen nur auf die Investitionen in die Gasindustrie) die Gewinne der kommenden 100 Jahre dafür aufzuwenden. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass auch Gazprom Schulden in Höhe von 13,2 Mrd. Dollar aufgetürmt hat, und allein dafür schon gut sieben Jahre “Gewinn“ abgezogen werden müssen. Alles klar ?!? Ganz nebenbei hat besagter Deal auch noch eine fatale “Nebenwirkung“: Dadurch fehlt nämlich das turkmenische Erdgas für die geplante Pipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Indien und Pakistan. Dieser Transit wiederum sollte Geld in die leeren Kassen des zerstörten Afghanistans spülen – ein Plan, der nun selbstverständlich nicht mehr aufgeht (HB, s.o.). Nicht weniger katastrophal wird sich die von Ruhrgas-Chef Burckhard Bergmann (Ruhrgas gehört mittlerweile zum Eon-Konzern) geforderte “Neue Preispolitik“ auswirken (Eon bzw. Ruhrgas ist mit 6,5 Prozent der größte ausländische Anteilseigner – insgesamt liegt der offiziell bekannte Auslandsbesitz am Gazprom-Kapital derzeit bei 11,5 Prozent. Größter Aktionär ist mit 39,3 Prozent nach wie vor der russische Staat, weitere 6,6 Prozent hält Gazprom als eigene Aktien. Russische Privatpersonen (also die Mafia) sind mit 15,5 Prozent beteiligt – merkwürdig: zählt mensch alle Prozentzahlen zusammen, ergibt das gerade mal 70 Prozent.) . Der ebenfalls im Aufsichtsrat von Gazprom sitzende Sparten-Chef “rügte“ Ende Juni 2003 Gazproms “flauen Ertrag" (FTD, 30.06.2003). Er monierte vor allem die niedrigen Inlandspreise, die nur ein Fünftel so hoch wie die im Export erzielten lägen (Laut Aussage von Vize-Wirtschaftminister Andrej Schadoren (Handelsblatt, 21.05. 2003) beträgt der Inlandspreis derzeit 23,1 Dollar pro 1000 Kubikmeter, der Exportpreis nach Spiegeljahrbuch 2003 110 Dollar). Welch dramatische Auswirkungen eine drastische Erhöhung dieser “politischen Preise“ auf die sozialökonomische Lage Russlands hätte kann mensch ebenfalls dem Artikel des Handelsblattes entnehmen (diese Passage zeigt auch sehr schön die irrwitzige “Rationalität“ der Betriebswirtschaft): „Während Gazprom für turkmenisches Erdgas 50 Dollar pro 1000 Kubikmeter bezahlen muss, benötigte der Konzern bei der Entwicklung der teuren neuen eigenen Felder einen Binnenmarkt-Gaspreis von 59 bis 61 Dollar (netto ohne Mehrwertsteuer und Transportkosten) im Jahr 2010. Diese Forderung weist Vize-Wirtschaftsminister Andrej Schadoren zurück: „45 bis 50 Dollar sind das Maximum:“ “ – Bereits zu Anfang 2002 hatte eine neugebildete “Preisagentur“ die Preise für Strom und Gas um 20 Prozent erhöht und schon diese Anhebung hatte erhebliche Auswirkungen sowohl auf die “Konkurrenzfähigkeit“ der (natürlich oftmals maroden und massiv subventionierten) russischen Industrie (natürlich auch bedingt durch die vergleichsweise niedrigen Auslandsinvestitionen) als auch auf die gesamtgesellschaftliche Lage (Reduzierung der ohnehin nur minimalen Kaufkraft, noch mehr Verelendung).

Hurra IV

(4) Natürlich sind neben der Energiewirtschaft auch weitere Bereiche der russischen Infrastruktur marode wie z.B. großenteils die 159 000 Kilometer Schienennetz bzw. die veraltete Ausrüstung der Bahn (90 Prozent der Züge), die dazu noch unter permanenter Finanznot leidet, obwohl sie mit jährlich 10 Mrd. Euro subventioniert wird. Nicht besser steht es um die 584 000 km Straßennetz. Autobahnen nach westlichem Standard gibt es nicht (aber natürlich verfallen auch die westlichen zusehends). Der schlechte Straßenzustand erhöht die Transportkosten, die oft die Hälfte der Herstellungskosten betragen. Auch die Luftflotte hat mehr oder weniger Ikarus-Format: 70 Prozent aller Flugzeuge entsprechen nicht mehr den westlichen Standards (was aber auch die westlichen Airlines, die eben diesem Standard entsprechen, nicht daran hindert zu bankrottieren - siehe die diversen Projekte wie z.B. `USA`). Quasi abgewrackt ist auch die Handelsflotte die 2001 über 1644 Schiffe verfügte - weltweit durchschnittlich die ältesten der Branche. Halt der gute alte “Seelenverkäufer“.

Hurra V

(5) Absurd ist der Abschnitt über die Landwirtschaft in der laut Spiegel-Jahrbuch 2003 12,6 Prozent aller Beschäftigten tätig sind. So heißt es da, „dass 80 Prozent der 84,7 Mio. ha Ackerfläche von Großbetrieben bewirtschaftet werden, 7 Prozent von Familienbetrieben und 6 Prozent sind Privatgärten. Die Großbetriebe produzierten nur 43 Prozent des Wertes aller Agrarerzeugnisse, die Privatgärten dagegen liefern wie zu Sowjetzeiten (was definitiv nicht stimmt) 93 Prozent aller Kartoffeln und 80 Prozent des Gemüses, besitzen 64 Prozent aller Ziegen und Schafe und 41 Prozent des sonstigen Viehbestands“. – Eigentlich wird damit aber nur festgestellt, dass ein Großteil der Nahrungsmittel in schierer Subsistenz produziert werden, während die Großbetriebe aufgrund der maroden Infrastruktur und Maschinen sukzessive verfallen. Dieser Abschnitt dokumentiert nichts anderes als den Untergang der sozialökonomischen Diversifizierung – also den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Arbeitsteilung.

Hurra VI

(6) Ein weiteres massives Problem Russlands sind seine 150 Mrd. Dollar Auslandsschulden. Zwar wurde aufgrund eines positiven Außenhandelsüberschusses von 49,4 Mrd. Dollar in 2001 (der natürlich mit den bisherigen Auslandsinvestitionen in die Erschließung von Erdöl-/Erdgasfeldern zusammenhängt) erstmals seit 1991 der Schuldendienst ans Ausland mit 13,75 Mrd. pünktlich erfüllt (2002 waren 13,77 Mrd. Dollar fällig, 2003 dann 18,36 Mrd.), doch macht der Schuldendienst 2001 gut 4,9 Prozent vom BIP aus – und das angesichts der verheerenden sozialökonomischen Lage. Vor allem im Gesundheitswesen sind die Zustände katastrophal und gerade mal 4,6 Prozent des BIP (und diese Zahl stammt noch aus dem Jahr 1997 !!!) gehen in die öffentlichen Gesundheitsausgaben. Aids und Syphilis breiten sich weiter aus (Tuberkulose 2001 erstmals um 0,7 % gesunken: 133 000 Neuerkrankungen und 30 000 Tote). Die Zahl der registrierten HIV-Infizierten hat sich 2001 auf über 180 000 mehr als verdoppelt. Nur jedes dritte Kind wird gesund geboren, die Säuglingssterblichkeit liegt nach “offiziellen Angaben“ bei 14,7/1000 – Wie wenig aussagekräftig in diesem Zusammenhang z.B. die Zahl der Ärzte von 4,7/ 1000 Einwohner ist konnte mensch in einem Beitrag des ARD-Weltspiegels im August 2003 erfahren, in dem über den Exodus von 50.000 sibirischen Dörfern berichtet wurde, in die weder Güter noch medizinische Hilfe mehr gelangen. Einzig ein alter pensionierter Arzt machte hin und wieder seine Runde. Als “Sahnehäubchen“ wurden ab 1. Januar 2002 Medikamente mit Mehrwertsteuer (10 % ) belegt – und das bei ohnehin schon himmelschreiender Armut. Das staatlich festgelegte Existenzminimum betrug im März 2002 monatlich 1719 Rubel (63 Euro nach Wechselkurs, die interne Kaufkraft liegt (angeblich) höher) und wird von 47,7 Mio. Einwohnern nicht erreicht (also einem guten Drittel – und auch hier wieder sind es nur die offiziellen Angaben). Die meisten der rund 38 Mio. Rentner erhalten seit 1. Januar 2002 Minimalrenten (702 Rubel = 26 Euro) oder Durchschnittsrenten (1320 Rubel = 49 Euro), wenige die Maximalrente von 1600 Rubel. Das Existenzminimum für Pensionäre Ende 2001 betrug 1197 Rubel. Nur noch an das MINISTRY OF TRUTH kann mensch denken, wenn von einer Arbeitslosenquote von nur 9 Prozent die Rede ist, bei einer angeblichen “Beschäftigtenzahl“ von 65 Mio. Ebenso wird von einer “Reallohn“- bzw. “Realrentensteigerung“ von 19,8 bzw. 22,6 Prozent gefaselt, jedoch gleichzeitig eine 18,6-prozentige Inflation angeführt, was aus den “Steigerungen“ de facto Kürzungen werden lässt (alle Daten aus Spiegel-Jahrbuch 2003). Und naiv unbedarft heißt es dann auch: „Trotzdem ist die Kaufkraft beispielsweise bei Fleisch und Milch niedriger als 1913. Bekam man damals für ein Monatsgehalt noch 49 kg Fleisch, so waren es 2002 nur noch 20 kg.“ Keine Frage: Alles wird gut. (Dieser Abschnitt verdeutlicht nebenbei wie begriffslos die Anbeter des Geldes sind. Denn wie heißt es so schön in einem Artikel des Handelsblattes vom 18.09.2003: “Russland öffnet Versicherungsmarkt“ – „Russlands Versicherungsmarkt, der im vorigen Jahr umgerechnet 9,5 Mrd. Euro Prämienaufkommen ausmachte, boomt: „Es ist ein riesiger Wachstumsmarkt mit deutlich zweistelligen Wachstumsraten über mindestens zehn Jahre“, sagte Klaus Junker, Bereichsleiter für Mittel- und Osteuropa der Allianz AG. „Vor allem mit der beginnenden “Pensionsreform“ (die de facto der Zusammenbruch des staatlichen Rentensystems ist – siehe auch die diversen anderen Projekte, wie z.B. `Großbritannien`) kommt ein Schub. Denn noch ist der Markt gar nicht entwickelt." Wie groß die Chancen noch sind, zeigt ein Vergleich: Deutsche geben jährlich im Schnitt 1 550 Euro für Versicherungen aus, Russen aber nur 60 Euro pro Kopf und Jahr.“ – Ohne Worte, zumal ja derzeit auch die Versicherungen selbst kollabieren (das jähe Ende des Schneeballsystems des „sich aus sich selbst vermehrenden Geldes“).)

Hurra VII

(7) Angesichts solcher Verelendung verwundert es kaum, dass ein “Wirtschaftszweig“ Furore macht – mit allen daraus nachfolgenden “Begleiterscheinungen“: „Insgesamt wurden 2001 rund 13,1 Mio. Hektoliter Wodka und sonstige Spirituosen produziert, ein Plus von 8,4 Prozent, der Bierausstoß stieg um 21 Prozent auf 4,4 Mio. Hektoliter. Durch Gewalt, Unfälle, Alkoholmissbrauch und Selbstmorde sterben mehr Menschen als an Krebs.“ Nicht weniger verwundert es, dass in einem solchen Zustand der Verwesung Korruption und Kriminalität gedeihen: „Mehr als die Hälfte der Russen traut ihrer Polizei nicht (wer hätte das gedacht). Die Kriminalität wächst: Experten schätzen, dass es etwa 12 000 Verbrecherorganisationen gibt, meist mit Verbindung zu Politikern und Spitzenbeamten. 400 Banden operieren international. Einige haben innerhalb der EU ein funktionierendes Geldwäschesystem aufgezogen. 70 Tonnen Drogen wurden 2001 sichergestellt, 46 Prozent mehr als im Jahr zuvor.“ Und weiter: „Korruption ist weit verbreitet: Umgerechnet fast 37 Milliarden Dollar wurden 2000 und 2001 als Schmiergeld gezahlt, der Hauptteil (33,5 Milliarden Dollar) im Bereich der Wirtschaft ging an Kommunalbeamte. Ärzte (600 Millionen Dollar), Universitätsbeamte (449 Millionen Dollar) und Gerichte (274 Millionen Dollar) griffen auch kräftig zu. Der neue Eisenbahnminister entließ Anfang 2002 mehrere hundert Mitarbeiter, doch die weit verzweigten Imperien des Atom- und des Verteidigungsministeriums wurden bisher nicht angetastet.“ – Natürlich sind auch diese asozialen Figuren mit ihrem Latein am Ende, wenn demnächst Dollar, Euro und Yen genauso wertlos sind wie der Rubel, der schon lange nicht mehr rollt.

Hurra VIII

(8) Wie vollkommen verkommen und doch unsäglich begriffslos die Neo-Nomenklatura ist, geht aus einem Statement über den russischen Präsidenten Putin hervor: „Präsident Putin lässt keinen Zweifel daran, dass er Russland mit westlicher Hilfe (tja, Vladimir – Pech gehabt - der Westen braucht selber dringend Hilfe), "gelenkter Demokratie" und einer zentralen Führung in Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft und (Rüstungs-)Technologie innerhalb der nächsten 15 Jahre modernisieren will. In seinem dritten Bericht zur Lage der Nation am 18. April 2002 forderte er seine Regierung auf, mehr für das Wirtschaftswachstum zu tun, denn "den Platz unter der Wirtschaftssonne (die geht aber gerade global unter und wird zur “Nacht ohne Morgen“) müssen wir uns selbst erkämpfen". – wobei er sich gerade innenpolitisch in Bezug auf Kritiker natürlich weiterhin auf seine Ex-Kollegen vom Geheimdienst verlässt. - Allen Ernstes hatte Putin Mitte August 2003 dann auch noch verkündet, das BIP bis 2010 verdoppeln zu wollen (kleine Anmerkung: Um dies zu erreichen müsste das jährliche Wachstum 10 Prozent betragen !!!). Wie grotesk dieser “Ukas“ ist, verdeutlicht auch ein Artikel der FTD vom 21.08.2003: “Weltbank bezweifelt Putins Wachstumsziel“ – In diesem Artikel ist zwar von einem 7,2-prozentigem Anstieg allein in der ersten Jahreshälfte 2003 die Rede, wovon jedoch für fast die Hälfte dieses “Wachstums“ der so genannte “Kohlenwasserstofffaktor“ verantwortlich war, d.h. dass die russische Wirtschaft von der Irak-Krise profitierte, in deren Verlauf der Preis für russisches Öl um 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr anstieg. Und allein dieser Ölpreisanstieg konnte Russland vor erneuten Verhandlungen mit dem “Pariser Club“ retten – dem internationalen Forum für überschuldete Staaten (die so genannte “Leichen-Liga“). Fünf Jahre nach der verheerenden Finanzkrise von 1998 befindet sich die russische Wirtschaft de facto sogar in einer noch prekäreren Lage als damals: Denn dadurch, dass infolge dieses Zusammenbruchs auch die Importe drastisch einbrachen (mensch erinnere sich: Russland war zahlungsunfähig), resultierte daraus ein weiterer riesiger “Investitionsstau“ (siehe russische Energieversorgung & Co.). Dass lässt sich, wie ein Banker einer “Geberbank“ in besagten Artikel feststellt nun nicht länger aufschieben – er umschreibt es nur ein wenig heuchlerisch: nach seiner Ansicht „sei ein wachstumsintensiver Prozess nach dem Zusammenbruch von 1998 mittlerweile beendet: der Ersatz von Importen durch heimische Produktion (wo er diese ausgemacht haben will, bleibt sein Geheimnis – denn wie heißt es so schön im Weltbankbericht: „Um das angestrebte Wachstum zu erreichen, muss sich die Produktivität der russischen Unternehmen deutlich erhöhen.“ – wofür diese aber zuerst moderne Maschinen bräuchten, die aber halt auch erst mal “bezahlt“ werden müssen (such die “Devisen“)), der durch die massive Abwertung des Rubels in Gang gesetzt worden war (das war keine “Abwertung“, sondern “Freier Fall“).“ Und passend dazu titelte die FTD vom 30.09.2003: “Russlands Vorbehalt gegen WTO wächst – Parlamentsabgeordnete und Unternehmer sprechen sich gegen raschen Beitritt aus“ – Kein Wunder: Würden die Zombie-Industrien der weltweiten Konkurrenz ausgesetzt, wären diese binnen kürzester Zeit plattgewalzt (siehe auch: `Die Himmelfahrt des Geldes`; Kapitel 5: `Globalisierung und Phantomindustrien` - sowie in Bezug auf die Folgen eben jener “Weltmarktöffnung“ das Projekt `China` (China ist mittlerweile Mitglied der WTO)). Zitat FTD: „Vertreter der russischen Maschinenbauindustrie (was immer das für ein Vodoo-Club sein mag) hatten in den vergangenen Tagen deutliche Bedenken gegen eine WTO-Integration geäußert (d.h., den Paten geht der Arsch auf Grundeis). Nach Ansicht von Branchenmitgliedern sind die Unternehmen für den uneingeschränkten Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen noch nicht gerüstet.“ (Tja, dumm nur, dass aber mittlerweile auch hochgerüstete Maschinen- und Anlagebaugiganten bzw. –spezialisten wie ABB, Babcock, Alstom bzw. Fürth, Jagenberg u.a. bankrottieren oder tief in den roten Zahlen versinken (was natürlich dann auch im Bankrott mündet)). Eine nicht weniger deutliche Sprache spricht auch die Tatsache, dass der russische Außenhandel überwiegend vom Rohstoffexport lebt (der aber auch schon weitestgehend fremdfinanziert ist – s.o.), was ja auch nichts anderes heißt, als dass eine industrielle Produktion de facto nicht mehr stattfindet (mit Ausnahme von Waffen). Und zu guter Letzt verdeutlicht ein Statement der UNO, wie es wirklich um Russland bestellt ist: Die UNO geht nämlich davon aus, dass die russische Bevölkerung wegen Aids und Geburtenmangels bis 2010 „deutlich schrumpft“. – was natürlich nur Symptome des finalen “Großen Sterbens“ sind (siehe auch einen Spiegel-Artikel aus 2003 über Athopien - `Unter Geiern`). Nicht minder deprimierend schließt auch der Kommentar des Spiegel-Jahrbuches 2003 über die Perspektiven: „Derzeit zeigt die Politik noch keine Rezepte gegen die Folgen der demographischen Katastrophe (also das “Große Sterben“) und zur Sicherung sozialer Mindeststandards“ (wie auch ohne “Regulationsinstrument“ – nämlich “Geld“ (siehe auch Robert Kurz; `Die Unselbständigkeit des Staates und die Grenzen der Politik`; www.krisis.org ; Rubrik: `Weitere Texte von Krisis-Autoren`)) – Mensch sollte sich also von den Gesundbetern des Markt-Staat-Systems und Beschwörern dieses “Ost-El-Dorados“ nicht länger einen russischen Potemkin-Bären aufbinden lassen. Deutlicht verschnupfter hören sich neuerdings auch die Jubel-Chorknaben der anstehenden EU-Osterweiterung an – “plötzlich“ entdecken sie, was seit Jahren schon bekannt ist: die eklatanten Doppeldefizite der Beitrittskandidaten (Haushalts- bzw. Außenhandelsdefizite – siehe auch Projekt `USA` sowie `Die Himmelfahrt des Geldes`; Kapitel 8). “Osteuropabank beklagt Defizite der Beitrittsstaaten“ titelt fett die FTD vom 12.06.2003. Darin schwafelt der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Jean Lemierre, dass die Beitrittsländer „einen Wachstumspfad erreichen müssten, der von Investitionen und nicht von öffentlichen Ausgaben gestützt wird“ (merkwürdig: er scheint nicht zu bemerken, dass dieser “Keynesianismus“ global gang und gäbe ist – auch in der EU wird nicht darüber verhandelt, ob überhaupt Schulden für öffentliche Ausgaben gemacht werden, sondern einzig und allein wie hoch diese sein “dürfen“ (dieses “Dürfen“ ist in Wirklichkeit ein “Müssen“ aufgrund mangelnder Einnahmen - siehe auch Robert Kurz; `Die Unselbständigkeit des Staates und die Grenzen der Politik`; `Der kurze Sommer des Keynesianismus`; `Das Ende der Wirtschaftspolitik`; `Der Mythos der Produktivität` sowie `Die neue Krise des Geldes` - alle unter: www.krisis.org ; Rubrik: `Weitere Texte von Krisis-Autoren`)). „Zwar wachse die Wirtschaft in den Beitrittsländern derzeit mit durchschnittlich 3,5 Prozent stärker als in der Union, doch diese Wachstumsraten würden nur durch eine starke private und öffentliche Binnennachfrage erreicht“ (also “auf Pump“ finanziert). „Die Konsequenz ist ein hohes Defizit, das lässt sich nicht lange durchhalten“, so Lemierre. Vollkommen jenseits von allem, ja sogar abgrundtief zynisch, zeigt sich Lemierre, wenn er fordert, dass sich die Länder „stärker um den Aufbau eines “Mittelstandes“ sowie um Investitionen in die Ausbildung, zwecks “Anlocken“ von weiteren Auslandsinvestitionen“ “bemühen“ sollten (anscheinend hat er noch nicht mitbekommen, dass dieser “Mittelstand“ gerade auch in der Rest-EU zusammenbricht – so erzielt inzwischen laut Dietrich Hoppenstedt, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, jedes dritte mittelständische Unternehmen in der BRD keinen Gewinn mehr bzw. macht sogar Verluste (natürlich befinden sich deswegen auch die Banken und Sparkassen selbst in einer prekären Lage, da diese Unternehmen somit natürlich auch nicht mehr ihre Kredite zurückzahlen können), darüber hinaus verfügen 38 Prozent des Mittelstandes über keinerlei Eigenkapital mehr (WAZ, 21.02.2003)), und auch in Sachen “Investitionen in Ausbildung“ leidet er offensichtlich unter Wahrnehmungs-BSE: denn wenn schon nur für die Sanierung allein der Schulen in der BRD 30 Mrd. Euro fällig sind, und selbst die “reiche“ BRD das nicht mehr “finanzieren“ kann – wie sollen denn dann bitte die Beitrittsländer diese Summen aufbringen?????). Und so reiht sich in den letzten Monaten Schlagzeile an Schlagzeile: “Ungarns Krise dämpft Osteuropa-Euphorie“ (FTD, 24.06.2003), “In Osteuropa drohen Währungskrisen“ (FTD, 18.07.2003), “Bundesbank warnt Osteuropäer vor Euro-Eifer“ (FTD, 22.07.2003), “Ostländer nicht EWS-reif“ (FTD, 05.09.2003) usw. usw. Vor allem rückt dabei die so genannte “Euro-Tauglichkeit“ hin Hinblick auf die Doppeldefizite zunehmend ins Rampenlicht. Besondere Beachtung verdient dabei der Artikel vom 18.07.2003 “In Osteuropa drohen Währungskrisen“ – Zu diesem Ergebnis kommt selbst das ultra-hardcore-marktwirtschaftsgläubige Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) in ihrem aktuellen Konjunkturbericht für Osteuropa, wonach „alle denkbaren Strategien auf dem Weg in die Währungsunion gefährlich sind“. Um den zehn mittel- und osteuropäischen Ländern, die ab Mai 2004 der EU angehören sollen, die Einführung des Euro zu “erleichtern“, „müssten die Beitrittsbedingungen nachgebessert oder der Stabilitätspakt flexibler interpretiert werden“ (dieser “Stabilitätspakt“ ist de facto schon jetzt schon eine Ruine – und die wirklich krassen Folgen der kollabierten Wachstumssimulation bzw. der derzeit kollabierenden Immobilienblase kommen erst noch (selbst die neoliberalen Auguren prophezeien schon, dass „die Weltwirtschaftskrise dagegen aussehen wird wie ein “Kaffeekränzchen“ “)). „Solange die Regeln zum Beitritt zur Währungsunion nicht geändert werden, würde die Euro-Einführung ein weiteres wirtschaftliches “Aufholen“ der Neumitglieder unmöglich machen“, so der Bericht des WIIW (tatsächlich steht kein “Aufholen“, sondern der diesmal streng marktwirtschaftliche Untergang auf dem Programm – siehe auch : Robert Kurz; `Kollaps der Modernisierung`; Reclam-Leipzig; 1992). Damit bekommt die Debatte um die Einführung des Euro in den EU-Beitrittsländern eine neue Richtung. Bislang ging die Diskussion vor allem darum, ob ihr schneller oder späterer Beitritt zur Euro-Zone sinnvoll ist – aufgrund der durch sowohl einen schnellen als auch einen späteren Beitritt ergebenden “Wechselkursrisiken“, stellt sich nun mehr wohl eher die Frage des “ob überhaupt“. – so kann`s gehen: Das Gejohle wird zum Gejammer. Wie schwachsinnig dieses Hurra der letzten Jahre war, verdeutlichen allein nur schon mal wieder die ökonomischen Rahmendaten der tollen “Neo-Wirtschaftswunder“:

Hurra IX

(9) Deutlicht verschnupfter hören sich neuerdings auch die Jubel-Chorknaben der anstehenden EU-Osterweiterung an – “plötzlich“ entdecken sie, was seit Jahren schon bekannt ist: die eklatanten Doppeldefizite der Beitrittskandidaten (Haushalts- bzw. Außenhandelsdefizite – siehe auch Projekt `USA` sowie `Die Himmelfahrt des Geldes`; Kapitel 8). “Osteuropabank beklagt Defizite der Beitrittsstaaten“ titelt fett die FTD vom 12.06.2003. Darin schwafelt der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Jean Lemierre, dass die Beitrittsländer „einen Wachstumspfad erreichen müssten, der von Investitionen und nicht von öffentlichen Ausgaben gestützt wird“ (merkwürdig: er scheint nicht zu bemerken, dass dieser “Keynesianismus“ global gang und gäbe ist – auch in der EU wird nicht darüber verhandelt, ob überhaupt Schulden für öffentliche Ausgaben gemacht werden, sondern einzig und allein wie hoch diese sein “dürfen“ (dieses “Dürfen“ ist in Wirklichkeit ein “Müssen“ aufgrund mangelnder Einnahmen - siehe auch Robert Kurz; `Die Unselbständigkeit des Staates und die Grenzen der Politik`; `Der kurze Sommer des Keynesianismus`; `Das Ende der Wirtschaftspolitik`; `Der Mythos der Produktivität` sowie `Die neue Krise des Geldes` - alle unter: www.krisis.org ; Rubrik: `Weitere Texte von Krisis-Autoren`)). „Zwar wachse die Wirtschaft in den Beitrittsländern derzeit mit durchschnittlich 3,5 Prozent stärker als in der Union, doch diese Wachstumsraten würden nur durch eine starke private und öffentliche Binnennachfrage erreicht“ (also “auf Pump“ finanziert). „Die Konsequenz ist ein hohes Defizit, das lässt sich nicht lange durchhalten“, so Lemierre. Vollkommen jenseits von allem, ja sogar abgrundtief zynisch, zeigt sich Lemierre, wenn er fordert, dass sich die Länder „stärker um den Aufbau eines “Mittelstandes“ sowie um Investitionen in die Ausbildung, zwecks “Anlocken“ von weiteren Auslandsinvestitionen“ “bemühen“ sollten (anscheinend hat er noch nicht mitbekommen, dass dieser “Mittelstand“ gerade auch in der Rest-EU zusammenbricht – so erzielt inzwischen laut Dietrich Hoppenstedt, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, jedes dritte mittelständische Unternehmen in der BRD keinen Gewinn mehr bzw. macht sogar Verluste (natürlich befinden sich deswegen auch die Banken und Sparkassen selbst in einer prekären Lage, da diese Unternehmen somit natürlich auch nicht mehr ihre Kredite zurückzahlen können), darüber hinaus verfügen 38 Prozent des Mittelstandes über keinerlei Eigenkapital mehr (WAZ, 21.02.2003)), und auch in Sachen “Investitionen in Ausbildung“ leidet er offensichtlich unter Wahrnehmungs-BSE: denn wenn schon nur für die Sanierung allein der Schulen in der BRD 30 Mrd. Euro fällig sind, und selbst die “reiche“ BRD das nicht mehr “finanzieren“ kann – wie sollen denn dann bitte die Beitrittsländer diese Summen aufbringen?????). Und so reiht sich in den letzten Monaten Schlagzeile an Schlagzeile: “Ungarns Krise dämpft Osteuropa-Euphorie“ (FTD, 24.06.2003), “In Osteuropa drohen Währungskrisen“ (FTD, 18.07.2003), “Bundesbank warnt Osteuropäer vor Euro-Eifer“ (FTD, 22.07.2003), “Ostländer nicht EWS-reif“ (FTD, 05.09.2003) usw. usw. Vor allem rückt dabei die so genannte “Euro-Tauglichkeit“ hin Hinblick auf die Doppeldefizite zunehmend ins Rampenlicht. Besondere Beachtung verdient dabei der Artikel vom 18.07.2003 “In Osteuropa drohen Währungskrisen“ – Zu diesem Ergebnis kommt selbst das ultra-hardcore-marktwirtschaftsgläubige Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) in ihrem aktuellen Konjunkturbericht für Osteuropa, wonach „alle denkbaren Strategien auf dem Weg in die Währungsunion gefährlich sind“. Um den zehn mittel- und osteuropäischen Ländern, die ab Mai 2004 der EU angehören sollen, die Einführung des Euro zu “erleichtern“, „müssten die Beitrittsbedingungen nachgebessert oder der Stabilitätspakt flexibler interpretiert werden“ (dieser “Stabilitätspakt“ ist de facto schon jetzt schon eine Ruine – und die wirklich krassen Folgen der kollabierten Wachstumssimulation bzw. der derzeit kollabierenden Immobilienblase kommen erst noch (selbst die neoliberalen Auguren prophezeien schon, dass „die Weltwirtschaftskrise dagegen aussehen wird wie ein “Kaffeekränzchen“ “)). „Solange die Regeln zum Beitritt zur Währungsunion nicht geändert werden, würde die Euro-Einführung ein weiteres wirtschaftliches “Aufholen“ der Neumitglieder unmöglich machen“, so der Bericht des WIIW (tatsächlich steht kein “Aufholen“, sondern der diesmal streng marktwirtschaftliche Untergang auf dem Programm – siehe auch : Robert Kurz; `Kollaps der Modernisierung`; Reclam-Leipzig; 1992). Damit bekommt die Debatte um die Einführung des Euro in den EU-Beitrittsländern eine neue Richtung. Bislang ging die Diskussion vor allem darum, ob ihr schneller oder späterer Beitritt zur Euro-Zone sinnvoll ist – aufgrund der durch sowohl einen schnellen als auch einen späteren Beitritt ergebenden “Wechselkursrisiken“, stellt sich nun mehr wohl eher die Frage des “ob überhaupt“. – so kann`s gehen: Das Gejohle wird zum Gejammer. Wie schwachsinnig dieses Hurra der letzten Jahre war, verdeutlichen allein nur schon mal wieder die ökonomischen Rahmendaten der tollen “Neo-Wirtschaftswunder“:

(9.1) Re: Hurra IX, 28.01.2004, 22:52, Réka Hosszu: Hast durchaus recht. Wieso Erweiterung dann? Wenn auch schon in der deutschen Presse die Mahnungen zu lesen sind, wundert es mich wirklich warum nicht lauter protestiert wird. Die Erweiterung wird den Zerfall nur beschleunigen. Wer will das? Aus der naehe(lebe in Ungarn) schaut die ganze Situation noch schlimmer aus: Um die 80% des BIPs wird von Multinationalen Unternehmen hergestellt-kein Mittelstand, schlecht (und immer schlechter) ausgebildete Arbeitskraft, null Ersparnisse- total verschuldete Gesellschaft(Kredite fuer Wohnugserwerb, Konsumentenkredite), Korruption wie ihr euch gar nicht vorstellen könnt,unfaehige Regierung die nur noch zuletzt(?) abcashen will und eine gigadumme Bevölkerung die sich seit den Wahlen nur über "rechte(bürgerliche)" und "linke" Werte streitet ohne zu bemerken, das es in der ungarischen Politik keine Werte mehr gibt. Die ungarische Gesellschaft hat -genauso wie die EU-Bürger- auch keine Ahnung davon, was die Erweiterung für sie bringen wird .Viel gutes nicht. Weder hier noch dort.Wieder kommt die selbe Frage : für wen ist die Erweiterung dann von Nutzen? Wahrscheinlich nur für die Unternehmen, die den unvermeidlichen Bankrott mit Hilfe der "neuen Möglichkeiten"im Osten herauszögern wollen.Kann dies das Ziel der Union sein????

(9.1.1) Re: Hurra IX, 29.01.2004, 18:00, Olaf Boerger: Warum Erweiterung ??? - ist doch ganz klar!!! Durch das "Austrocknen" bzw. Zusammenbrechen der Binnenmärkte müssen wie im Fieberwahn "neue Absatzmärkte" "erschlossen" werden, auch wenn es diese eben auch nur noch als Fata Morgana gibt.

(9.1.1.1) Re: Hurra IX, 29.01.2004, 21:56, Ano Nym: Neue Absatzmaerkte sind auch schon ohne Erweiterung gesichert. Das Assoziationsabkommen (Ungarn 1994)sicherte die Öffnung der Ostmaerkte Schritt für Schritt, aber ab 2003 bestehen nahezu keine Handelshindernisse gegenüber der EU mehr.Die ungarische Industrie stellt fast nichts mehr her, statt dessen kommt von Yoghurt bis zu den Streichhölzern alles aus der EU. Deswegen die Frage wieder:wieso will die EU, dass Massen an arme Menschen die Arbeitsmaerkte der Mitgliedstaaten überfluten ???.Besser noch: eventuell die Kriminalitaetsraten weiter steigen lassen??? Mein Tip ist:1. Man glaubt in Brüssel wirklich in der wiedervereinigten Europa. 2. In diesem Europa muss der Arbeitsmarkt dynamischer funktionieren (also Mobilitiaet, Arbeit auf Vertragsbasis und selbststaendig versichern und vorsorgen ,aehnlich wie in der USA)3. Was das bedueten wird kann man sich denken. Den Wohlstand können viele vergessen.. Und doch glaube ich, dass die in Brüssel wirklich glauben, dass sie ihr Ziel(Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt) naeher kommen werden .(--)Regionalpolitik). Ich kann mir nicht vorstellen das das ganze Projekt Erweiterung nur den Selbstmord(Zerfall) beschleunigen will.

(9.1.1.1.1) Re: Hurra IX, 29.01.2004, 21:57, Réka Hosszu: Tschuldigung habe mich vorher vergessen einzuloggen..

(9.2) Herrare umanum Test, 03.02.2004, 04:43, Uvvell H:W:Berger: Der Microcosmos kann noch so klein sein er entgeht uns nicht. Der Macrocodilismus noch so groß, er kann uns nicht verschlingen. Aber dazwischen ein Produkt aus nicht empfundenen kleinigkeiten und nicht gelebten verschlingungsängsten wird so groß, daß es niemanden mehr mitteilbar geworden ist. Da ist der ProDucent All-Ein-Prodozierender Eins-am-keitel, wie der Tischler mit dem Beitel und zieht überproduziert den Scheitel, am besten läutselig eitel.

(9.3) Re: Hurra IX, 25.03.2005, 09:34, Ano Nym: So wichtig all diese Dinge auch sein mögen, dürfen wir überdies nicht die Kinder in Lateinamerika aus den Augen verlieren.


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