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Eigentum und Produktion am Beispiel der Freien Software -- Was tun?

Maintainer: Stefan Merten, Version 1, 23.02.2003
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

3. Was tun?

(1) Nachdem nun einiges zu den Bedingungen einer emanzipatorischen Gesellschaftsformation gesagt wurde, die sich auf der Höhe der Produktivkraftentwicklung befindet und die in ihr enthaltenen emanzipatorischen Aspekte aufgreift und weiterführt, stellt sich die Frage, welches konkrete Handeln, welche Politik hier und heute eine solche Vision befördern könnte. Einige Anstöße dazu sollten zum Schluss dieses Textes gegeben werden.

3.1. Studien weiterführen

(2) Wie zu Beginn bemerkt kann dieser Text an vielen Stellen umfangreiche Themenkomplexe nur anreißen. Eine Vertiefung der Erkenntnisse wäre zum genaueren und tieferen Verständnis der theoretischen und praktischen Zusammenhänge von großem Nutzen für jedes politische Handeln.

3.1.1. Grundlagen

(3) Entfremdungsphänomene müssen als solche erkannt werden. Erst wenn klar ist, wo im menschlichen Leben von Entfremdung gesprochen werden kann, wird die Richtung klar, in der politisches Handeln im Interesse einer emanzipatorischen Vision weitergeführt werden sollte.

3.1.2. Keimformen

(4) Die in diesem Text angerissenen Untersuchungen, die sich vor allem auf das Phänomen Freie Software als konkretes Beispiel beziehen, müssen weitergeführt und auf andere Bereiche ausgedehnt werden. In Bezug auf Freie Software wäre es wünschenswert empirische Untersuchungen anzustellen, die noch deutlichere Aussagen über den Charakter dieses Phänomens machen.

(5) Wenn es tatsächlich so ist, dass heute - wie von Marx schon vorausgesagt - die Produktivkraftentwicklung die Produktionsverhältnisse zu sprengen beginnt und wenn tatsächlich - wie in diesem Text analysiert - Freie Software als eine Keimform einer solchen, über den Kapitalismus hinausweisenden Gesellschaftsformation gelten kann, dann ist zu vermuten, dass auch in anderen Bereichen moderner Vergesellschaftungsformen vergleichbare Entwicklungen stattfinden. Diese müssten entdeckt und analysiert werden. Eine eingehende Untersuchung verschiedenster Phänomene ist mit dem in diesem Text ausgebreiteten erkenntnisleitenden Interesse zu untersuchen und einzuschätzen. Gleichzeitig könnte eine solche Analyse helfen, Denkbegrenzungen zu überwinden, die in dem Inhalt der Keimform - Freie Software - begründet liegen könnten.

(6) Entscheidende Voraussetzung jeder solchen Keimform ist dabei, dass die tendenzielle Abschaffung von (entfremdeter) Arbeit, Geld und Tausch, ohne die eine emanzipatorische Vision heute schlechterdings nicht mehr denkbar ist, tief in der Keimform verankert ist. Auch andere strukturelle oder direkte Zwangsmittel sollten in jeder Keimform nur von marginaler Bedeutung sein. Im Vordergrund müsste vielmehr, die Freiwilligkeit, die Selbstentfaltung der Beteiligten stehen, die wie beschrieben die Voraussetzung der Selbstentfaltung aller ist genauso wie die Selbstentfaltung aller die Grundlage der Selbstentfaltung der Einzelnen bildet.

3.2. Freie Projekte fördern

(7) Einige Ideen, wie politisches Eingreifen ganz konkret die erkannten Tendenzen begünstigen und verstärken kann, sollen hier angedeutet werden.

3.2.1. Eigenes Handeln beFreien

(8) Es muss versucht werden, das Handeln politisch Organisationen nach den Prinzipien der Entwicklung Freier Software umzugestalten. Dies sollte nicht allzu schwierig sein, da politische Organisationen im Kern ebenfalls Informationsgüter erstellen. Dazu gehört Transparenz auf allen Ebenen, die eine Beteiligung von Mitgliedern aber auch Außenstehenden möglichst breit zulässt. Eine emanzipatorische Konfliktlösungskultur auf allen Ebenen einer politischen Organisation sollte selbstverständlich praktiziert werden.

(9) Ganz individuell kann jedeR ProduzentIn von Informationsgütern ihre Ergebnisse unter Copyleft-Lizenzen stellen. Sowohl für Texte (s. http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) als auch für andere Inhalte (s. http://opencontent.org/) bieten sich speziell hierfür vorbereitete Lizenzen an.

3.2.2. Förderung bestehender Projekte

(10) Um ihre Verbreitung zu steigern und damit gleichzeitig ihren Geist zu verbreiten, sollten Freie Projekte aller Art eingesetzt werden. Dies fällt insbesondere dort nicht schwer, wo diese Projekte Qualitäten liefern, die sich von der kommerziellen Alternative abhebt - allen voran GNU/Linux. Ein weiterer Vorteil sind natürlich beispielsweise im Bereich Freier Software entfallende Lizenzkosten.

(11) Ist eine sofortige Verwendung Freier Projekte aus dem einen oder anderen Grund noch nicht möglich, so sollte wenigstens proprietäre Standards vermieden werden, so dass Freie Menschen nicht ausgegrenzt werden.

(12) Da Freie Projekte nicht im luftleeren Raum schweben, sondern bis auf weiteres in die Geldgesellschaft eingebettet sind, kann Freien Projekten geholfen werden, indem Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird. Neben Technik kann dies beispielsweise auch darin bestehen, real-weltliche Treffen wie Konferenzen zu fördern.

(13) Nicht zuletzt können politische Organisationen zur Tätigkeit in Freien Projekten auffordern.

3.2.3. Aufbau neuer Freier Projekte

(14) In weiteren Ausbaustufen einer Strategie zur Unterstützung Freier Projekte könnte versucht werden, die Infrastruktur verfügbar zu machen, die für die Verwirklichung insbesondere solcher Projekte notwendig ist, die auf materielle Produktion zielen. Denkbar wäre es, modernste Produktionsmaschinen wie Fabber oder Industrieroboter wohnortbezogen verfügbar zu machen, so dass Menschen sich die Gegenstände ihres Bedarfs lokal herstellen können. Dazu müsste sich jeweils eine Gruppe bilden, die einerseits die Pflege einer solchen Produktionsstätte, andererseits die Unterstützung der Nachbarschaft als ihre Selbstentfaltung begreifen. Die Informationsgüter, die zur Herstellung notwendig sind, wären dann Produkte Freier Projekte im Internet.

(15) Es wäre zu prüfen inwieweit aufgegebene Produktionsmittel aus der Konkursmasse der Geldgesellschaft für Freie Projekte nutzbar zu machen sind. Ein zentrales Problem dürfte regelmäßig deren Orientierung auf Verwertung sein. Vielleicht sind aber vereinzelt kreative Lösungen möglich.

3.3. Politische Handlungsmöglichkeiten

(16) Neben der direkten Förderung Freier Projekte kann politisches Handeln darin bestehen, die Rahmenbedingungen für Freie Projekte zu verbessern.

3.3.1. Eigentum an Informationsgütern abschaffen

(17) Das Eigentum an Informationsgütern, das in den letzten Jahren einen ungeheuren Aufschwung erlebt, muss bekämpft werden. Patente, Copyright und ähnliches dienen mehr oder weniger ausschließlich entfremdeten Zwecken und stellen auf jeden Fall eine Enteignung der Öffentlichkeit dar. Ganz konkret stellen Software-Patente eine erhebliche Gefahr für Freie Software allgemein dar. Sie müssen in Europa unbedingt verhindert werden.

(18) Eine mögliche Forderung wäre, dass alle mit öffentlichen Mitteln geförderten Informationsgüter grundsätzlich allen Frei zur Verfügung stehen müssen.

3.3.2. Output-neutrale Entlohnung für Informationsgüterproduktion

(19) Für die momentanen Entlohnungssysteme, die nicht unerheblich auf den Verwertungsrechten an geistigem Eigentum beruhen, müssten Alternativen gefunden werden, die die ProduzentInnen von Informationsgütern von dem Verwertungszwang befreien. Damit wäre gleichzeitig sichergestellt, dass die ProduzentInnen sich ganz auf die Inhalte ihrer Tätigkeit konzentrieren könnten und sich nicht mit dem entfremdetem Gelderwerb befassen müssten.

(20) Dies würde insbesondere im Wissenschaftsbetrieb, bei dem der allgemeine Zwang zur Verwertung immer stärkere Schäden in den wissenschaftlichen Projekten nach sich zieht, eine erhebliche Veränderung der gesamten Landschaft zur Folge haben und es wäre damit zu rechnen, dass die wissenschaftlichen Leistungen sich verbessern. Eine verbesserte Technologie, die im obigen Sinne weitere emanzipatorische Potentiale beinhaltet, könnte eine Folge solcher Entwicklung sein.

3.3.3. Grundsicherung für alle, die es wollen

(21) Jenseits einer bezahlten Arbeit könnte eine Grundsicherung für alle Freiräume schaffen, in denen Freie Tätigkeit wächst und zur selbstverständlichen gesellschaftlichen Größe wird. Weitere Freie Informationsprodukte könnten dadurch Realität werden und selbst Freie materielle Produkte würden eher in den Bereich des Möglichen rücken, wenn Menschen in Selbstentfaltung ihren Bedürfnissen nach nützlichem Tun nachgehen könnten.

(22) In unserer heutigen Gesellschaftsform müsste allerdings dafür gesorgt werden, dass ein Leben auf Grundsicherungsbasis und die darin vorkommende Freie Tätigkeit allgemeine Wertschätzung genießen. Die damit einhergehende völlige oder teilweise Erwerbsarbeitslosigkeit dürfte von den Menschen nicht mehr als Verlust sondern als ein Gewinn an Lebensqualität gewertet werden.

(23) Dazu ist es notwendig, dass sich Menschen in Grundsicherung zu Gruppen zusammenschließen und offensiv in die Öffentlichkeit gehen. Ein Verweis auf die u.U. sogar gesellschaftlich nützliche Freie Tätigkeit könnte dabei auch solche überzeugen, die ansonsten eher von Schmarotzertum sprechen würden. Solche Bewegungen sind zu unterstützen.

3.3.4. Ideologisches Umsteuern

(24) Soll eine positive Gesellschaftsformation jenseits des Geldes überhaupt möglich sein, so müssen neben den konkret-praktischen Problemen die ideologischen Barrieren in den Köpfen der Menschen beseitigt werden. Plakative Forderungen der Arbeitsgesellschaft wie "Arbeit! Arbeit! Arbeit!" müssen menschenfreundlichen Losungen wie "Leben! Leben! Leben!" weichen. Die positiven Potentiale von steigendem Automatisierungsgrad müssen hervorgehoben werden: "Nieder mit der Plackerei!".

(25) Mit den hier vorgestellten Ansätzen zu einer emanzipatorischen Vision sollte es dabei möglich sein, in eine Offensive zu gehen. Immerhin umfasst der Begriff der Selbstentfaltung per Definition die Realisierung der Interessen der Individuen, so dass ihnen nichts aufgezwungen werden muss, sondern eine umfassende BeFreiung in Aussicht gestellt werden kann. Die bereits existierenden Freien Projekte können als täglich sichtbare und vielen nützliche Beispiele dazu dienen, das Vertrauen in ein solches Umdenken zu erhöhen.

(26) Nicht zuletzt ist ein solches ideologisches Umsteuern unabdingbar für eine langfristig angelegte emanzipatorische Entwicklungsstrategie: Eine emanzipatorische Vision kann nur Wirklichkeit werden, wenn die Menschen diese aus ihrer konkreten Bedürfnisstruktur heraus wünschen. Eine BeFreiung des Denkens ist dafür unabdingbar.


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