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Eigentum und Produktion am Beispiel der Freien Software

Maintainer: Stefan Merten, Version 2, 27.07.2002
Projekt-Typ:
Status: Archiv

Eigentum und Produktion am Beispiel der Freien Software

(1) Vorbemerkung: Der vorliegende Text versteht sich als Teil eines Work in Progress. Er versucht bestimmte Gedankengänge, die im Projekt Oekonux gewachsen sind, auf das in der Überschrift genannte Thema zu fokussieren und einige neue Gesichtspunkte herauszuarbeiten. Er kann einige Aspekte nur anreißen und er versteht sich keinesfalls als abgeschlossen. Ziel wäre vielmehr die Anregung einer Diskussion.

(1.1) Re: Eigentum und Produktion am Beispiel der Freien Software, 27.07.2002, 13:40, Stefan Merten: Ich übernehme mal ein paar Sachen, auf die ich gerne antworten möchte, der Version 1. Ich übernehme immer den Originalkommentar - in der Hoffnung, daß es nicht zu verwirrend wird.

(1.2) Wie weiter mit dem Text, 27.07.2002, 14:30, Stefan Merten: 26.07.2002, 14:55, Stefan Meretz : Ich kann mir zwei weitere Vorgehensweisen vorstellen: (1) du nutzt unsere Kommentare und verbesserst den Text in neuen Releases; (2) du nimmst Ko-AutorInnen auf und stellst mit diesen einen gemeinsamen Text her. Variante (1) ist einfacher: Du entscheidest, du formulierst, du nimmst die Ideen auf. Variante (2) ist anstrengender, aber möglicherweise ertragreicher: die Ko-Autoris machen deinen Text zu ihrem Text. Hier geht es um Formulierungen, Argumentationen etc. über die man sich einigen muss. Ich kann dir von mir aus beides anbieten.

(1.2.1) Re: Wie weiter mit dem Text, 27.07.2002, 14:35, Stefan Merten: Angesichts der nahenden Deadline - und auch meiner Kapazitäten - geht es bis dahin wohl nicht anders als nach Methode (1). Danach können wir aber gerne über die Variante (2) nachdenken.
Anyway habe ich in den Text einfach vieles mal reingeschrieben, was in der letzten Zeit so über die Liste gegangen ist bzw. noch aussteht (z.B. Herrschaft). Von daher könnte der Text auch intern als wichtiger Grundlagentext dienen. Die Methode (2) wäre gerade in diesem Zusammenhang sehr wünschenswert.

(1.2.2) Re: Wie weiter mit dem Text, 27.07.2002, 14:43, Stefan Merten: Daß der Text zumindest teilweise auf die Freie Art entstanden ist, über die er spricht, müßte eigentlich auch noch irgendwo hin. Aber wo?

(1.3) Aktuelle Änderungen, 28.07.2002, 15:32, Stefan Merten: So ich war mal fleißig, und habe verschiedene Änderungen im Abschnitt "Individuelles Eigentum" vorgenommen. Außerdem habe ich die Überschrift "Freie Software" aus den "Bedingungen" geholt und zur letzten Begriffsklärung gemacht. Weiterhin habe ich "Vorkommen, Begrenztheit, Knappheit" hinter "Eigentum als formales Konstrukt" eingefügt. Ist aber alles nicht so schrecklich wichtig. Ich schicke bei der nächsten Version auch wieder per Mail einen Unidiff mit, so daß ihr das leicht verfolgen könnt.
Was aber wichtig ist: Ich habe eine Begriffsklärung für "Entfremdung" genaut. Da diese zentral sein dürfte, klebe ich sie hier gleich mal ein. Diese soll als allererste kommen - was natürlich beim Schreiben des Texts nicht vorgesehen war. Wer den Text das erste Mal liest, kann ja vielleicht besonders darauf achten.

(2) ToDo: Bemerkungen zu Durchkapitalisierung und Machtlosigkeit

Begriffsklärungen

(3) Vor einer direkten Befassung mit dem Thema dieses Textes möchte ich gerne die Begriffe klären, die verwendet werden. Neben der Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses scheint mir dies auch die Möglichkeit zu geben, diese teils sehr alten Begriffe in einem neuen Licht zu betrachten, das in einer emanzipatorischen Vision auf eine neue Vergesellschaftungsform jenseits alter Konfliktlinien hindeutet.

(3.1) Zu den Begriffen, 27.07.2002, 14:17, Stefan Merten: 26.07.2002, 14:48, Stefan Meretz : Ich halte es für sehr wichtig, mit den Begriffen sauber umzugehen. Dort, wo eigene benutzt werden, sie abzuleiten oder zu definieren, dort wo Bedeutungen z.B. aus dem RLS-Text verändert werden, dies zu explizieren. Dies betrifft z.B. die Begriffe "emanzipatorische Vision", "Interesse", "Vergesellschaftung", "vergesellschaftete Produktion", "Entfremdung", "Produktivkraft(entwicklung)" und noch andere.

(3.1.1) Re: Zu den Begriffen, 27.07.2002, 14:18, Stefan Merten: Ich halte einen sauberen Umgang mit Begriffen auch für absolut notwendig. Aber ich denke halt nicht immer gleich so, sondern erstmal ins Unreine. Aber das Schärfen kriegen wir ja hier auch gemeinsam hin :-) .

(3.1.2) Re: Zu den Begriffen, 27.07.2002, 14:20, Stefan Merten: "Entfremdung" will ich auf jeden Fall noch einführen. Wohl eher weit vorne, weil er zentral für den Text ist.

(3.1.3) Re: Zu den Begriffen, 27.07.2002, 14:23, Stefan Merten: "Vergesellschaftete Produktion" siehe dort.

(3.1.4) Re: Zu den Begriffen, 27.07.2002, 14:24, Stefan Merten: "Emanzipatorische Vision" möchte ich nicht definieren. Irgendwo muß ja auch ein bißchen Raum für Nebel bleiben ;-) .

(3.1.4.1) Re: Zu den Begriffen, 28.07.2002, 12:01, Stefan Meretz: Steht ja auch schon so nebulös in der Ausschreibung, deswegen ist es wohl egal. "Vision" hört sich für mich immer so nach einem "Bild" an, das man an- oder dem man zustreben müsse. Demgegenüber finde ich es wichtig, das Prozesshafte des Bewegens in den Widersprüchen hervorzuheben.

(3.1.5) Re: Zu den Begriffen, 27.07.2002, 14:26, Stefan Merten: Bei den anderen Begriffen, die du nennst, sehe ich nicht unbedingt eine Notwendigkeit, sie extra zu definieren, da ich denke, daß ich sie wie in den üblichen Sprachspiele verwende. Daß "Produktivkraft" nicht auf Technik reduzierbar ist, baue ich irgendwo mit ein. Welche anderen Begriffe würdest du noch definieren?

(3.6) Re: Begriffsklärungen, 28.07.2002, 15:29, Stefan Merten: .

(3.7) Entfremdung, 28.07.2002, 15:35, Stefan Merten: ToDo: Überdenken

(3.7.1) 28.07.2002, 15:39, Stefan Merten: Da der Begriff der Entfremdung für diesen Text von zentraler Bedeutung ist, soll er gleich als erstes eingeführt werden. Dies scheint gerade bei diesem Begriff besonders notwendig, da er mit verschiedenen Bedeutungen verwendet wird.

(3.7.1.1) Alternativer Vorschlag, 29.07.2002, 12:15, Stefan Meretz: Nach meiner Kritik und Bennis zutreffender Anmerkung, dass es mit einem Marxschen Begriff der Entfremdung nicht so einfach ist (eine sehr allgemeine Fassung steht im Gegenbilder-Buch), will ich eine Idee für eine alternative Fassung vorschlagen.

(3.7.1.1.1) Re: Alternativer Vorschlag, 07.08.2002, 20:15, Stefan Merten: Ich hol's mal hier her: "Gesellschaftliche Situation, in der die Beziehungen zwischen Menschen als Verhältnisse zwischen Sachen erscheinen und in der die durch die Menschen hervorgebrachten Produkte, gesellschaftlichen Verhältnisse, Institutionen etc. den Menschen als fremde, sie beherrschende Mächte gegenübertreten (vgl. auch Fetischismus)."

(3.7.1.1.2) Re: Alternativer Vorschlag, 07.08.2002, 20:18, Stefan Merten: An dieser Definition gefällt mir vor allem nicht, daß sie gleich wertend daher kommt: "das fremde, sie beherrschende Mächte". Das Böse ist die Entfremdung und im Zweifelsfall die Juden - äh, die Aliens (um mal mit gleicher Zuschreibungsmünze zu argumentieren). Das mag sich zwar gut als politische Parole eignen, mir ginge es aber um einen zunächst abstrakten Begriff von Entfremdung, von dem dann gezeigt wird, daß er im Rahmen einer emanzipatorischen Vision keinen Platz haben kann will mensch die emanzipatorische Vision nicht aufgeben. Dazu eignet sich eine moralbasierte Definition aber leider nicht, weil sie notwendig zirkulär ist.

(3.7.1.2) Alternativer Vorschlag, 29.07.2002, 21:28, Stefan Meretz: Entfremdung liegt vor, wenn dritte Zwecke das individuelle Handeln bestimmen. Solche "dritten Zwecke" können religiöse Vorschriften, gruppenbezogene Regeln oder gesellschaftliche Pinzipien sein. "Dritten Zwecken" kann nicht ohne erhebliche Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten entgegen gehandelt werden. So kann im Kapitalismus nicht ohne den Erwerb von Geld die individuelle Reproduktion sichergestellt werden. - Na ja, mal ins Blaue, so in die Richtung.

(3.7.1.2.1) Re: Alternativer Vorschlag, 07.08.2002, 20:13, Stefan Merten: Hmm... Wenn ich mir das so überlege, dann läuft diese Definition darauf hinaus, daß Entfremdung genau das Gegenteil von Selbstentfaltung ist. Das würde natürlich vieles vereinfachen, aber eine positive Definition wäre mir ehrlich gesagt lieber.

(3.7.2) Entfremdung und immanente Qualitäten, 28.07.2002, 15:40, Stefan Merten: .

(3.7.3) Entfremdung und immanente Qualitäten, 28.07.2002, 15:41, Stefan Merten: Als Kurzdefinition für den Begriff der Entfremdung wie er in diesem Text verwendet wird, mag der Satz gelten: Entfremdung liegt dann vor, wenn das Verhältnis zu einer Sache nicht von ihren immanenten Qualitäten geprägt ist.

(3.7.3.1) Re: Entfremdung und immanente Qualitäten, 28.07.2002, 17:11, Stefan Meretz: Das ist eine sehr informatische Definition, die ich nicht teilen kann. Es gibt IMHO so etwas wie "immanente Qualitäten einer Sache" nicht. Das hört sich so an, als ob es quasi menschenunabhängig bestimmte Dingeigenschaften sind wie etwa die Masse etc. Es berücksichtigt nicht, dass es sich in aller Regel um herstellte Dinge mit intendierten Gebrauchseigenschaften handelt. Damit sind die Qualitäten dem Ding nicht "an sich" immanent, sondern sie wurden durch den Akt der Herstellung in diesen vergegenständlicht. Kürzer: Wir geben den (hergestellten) Dinge ihre Qualitäten, sie haben sie nicht "als solche" (solche "Natur-Eigenschaften" haben sie auch, aber auch diese existieren nicht nur "an sich").

(3.7.3.1.1) Re: Entfremdung und immanente Qualitäten, 07.08.2002, 20:20, Stefan Merten: Nun, deine Interpretationen sind mindestens genauso informatisch wie meine Definitionen. Lassen wir diese wenig sachdienlichen, dafür um so ärgerlicheren Zuschreibungen doch vielleicht einfach sein. Ok?

(3.7.3.1.2) Re: Entfremdung und immanente Qualitäten, 07.08.2002, 20:24, Stefan Merten: Das mag sich für dich so anhören, gemeint war es von mir jedenfalls nicht. Wahrscheinlich ist die Wortwahl "immanent" nicht sehr glücklich gewählt.
Ich kann mir unter "immanenten Qualitäten" jedenfalls durchaus variable Qualitäten vorstellen. Um beim Erdöl zu bleiben: Die immanenten Qualitäten dieses Rohstoffes sind durch die Menschheit im Laufe der Zeit sehr unterschiedlich betrachtet worden.
Die von dir und Benni behauptete Festgelegtheit immanenter Qualitäten halte ich also für Humbug. Allerdings wird es hier schwammig, weil der Grenzbereich zwischen den Dingen "stofflich" zu eigen seienden Qualitäten und gesellschaftlichen Zuschreibungen verschwimmt. Da gibt es in der Tat ein Problem. Aber hier geht es wohl letzlich um das, was ich mit den Schwierigkeiten mit den Symbolen angedeutet habe.

(3.7.3.1.3) Re: Entfremdung und immanente Qualitäten, 07.08.2002, 20:31, Stefan Merten: Die Rede davon, was alles nicht gesagt wurde, ist oft irreführend. Der ganze Text redet z.B. nicht von den politischen Gefangenen, was für einige Leute schon ein Kill-Kriterium ist.
Warum ist die bei der Herstellung eines Dings intendierte Verwendung dieses Dings, die im übrigen in den seltensten Fällen so wahnsinnig eindeutig sein dürfte, entscheidend wichtig für den Begriff der Entfremdung? Das ist doch trivial, daß es bei der Herstellung einen oder mehrere intendierte Verwendungszwecke eines Dings gibt - aber inwiefern beeinflußt das eine konkret existierende Situation mit diesem real-existierenden Ding bzgl. Entfremdung? Es hat dann einfach bestimmte Eigenschaften - woher sie kommen ist eine ganz andere Frage, auf die der Text ansonsten des öfteren eingeht.

(3.7.3.4) Re: Entfremdung und immanente Qualitäten, 07.08.2002, 21:15, Stefan Merten: Was mir noch wichtig wäre anzumerken: Bei Entfremdung handelt es sich um einen Verhältnisbegriff. Darüber sind wir uns aber wohl einig. Er bezeichnet eine bestimmte Klasse von Verhältnissen, die Menschen gegenüber Etwas (Dingen, anderen Menschen, sich selbst, der Gesellschaft(?) etc.) haben können.
Letzlich verschiebt diese Definition aber den Begriff nur auf die Definition der "immanenten Qualitäten". Wahrscheinlich gibt es auch genau darum Streit um diesen Begriff...

(3.7.4) 28.07.2002, 15:42, Stefan Merten: Die Sache ist hier weit gefaßt zu verstehen und umfaßt neben materiellen Dingen auch immaterielle Dinge wie Ideen oder Bedürfnisse. Da auch Menschen immanente Qualitäten haben, können sie ebenfalls Sachen im Sinne dieser Definition sein und also Entfremdung unterliegen.

(3.7.5) 28.07.2002, 15:43, Stefan Merten: I.d.R. können einer Sache mehrere immanente Qualitäten zugeordnet werden. Ein Holztisch hat aufgrund seiner stofflichen Eigenschaften eine immanente Qualität als Tisch, kann aber auch aufgrund seiner stofflicher Eigenschaften als Brennholz verwendet werden. Selbst eine Münze hat beim Münzwurf stoffliche Qualitäten als Zufallsgenerator oder einfach als kleine, harte Metallscheibe, die als behelfsmäßiges Werkzeug eingesetzt werden kann. Die Qualität als Zahlungsmittel ist der Münze dagegen nicht immanent.

(3.7.5.1) 28.07.2002, 17:15, Stefan Meretz: Beim Tisch wird das deutlich, was ich meine: Ein Tisch hat mitnichten aufgrund seiner stofflichen Eigenschaften eine immanente Qualität als Tisch, sondern aufgrund seiner gesellschaftlich verallgemeinerten Herstellung als "Tisch", als Ding für eben diesen intendierten Gebrauch, den alle TischnutzerInnen kennen(lernen können, z.B. Kinder). Eine Qualität "Tisch" ist nur aus seiner "Stofflichkeit" heraus ohne Bezug auf gesellschaftliche Bedeutungen nicht definierbar. Es gibt keine "immanente Qualität Tisch".

(3.7.5.1.1) 07.08.2002, 20:37, Stefan Merten: Nun, wenn du den Stumpf eines abgesägten Baumes schon mal als Tisch verwendet hast, wird dir wahrscheinlich klar, daß es durchaus stoffliche Qualitäten gibt, die ein Ding als Tisch qualifizieren.
Der Baumstumpf hat also genau die gleich immanente Qualität - um mal in dieser Sprechweise zu bleiben - wie der Schreibtisch, auf dem ich das hier gerade tippe.
Vielleicht wird jetzt klarer, was ich meinte.

(3.7.5.2) 28.07.2002, 17:21, Stefan Meretz: Bei der Münze auch: Klarerdings hat die Münze eine Qualität (Bedeutung) als Zahlungsmittel, denn dafür wurde sie ja hergestellt. Sie wurde (wie der Tisch als Brennholz) jedoch nicht für den "Zufalls-Münzwurf" hergestellt, gleichwohl kann man sie dafür auch nutzen. Jedes hergestellte Ding hat zwei Aspekte: Einen "Hergestelltheitsaspekt" und einen "Brauchbarkeitsaspekt". Die "Hergestelltheit" legt gesellschaftlich fest, wozu es "gemacht ist", die Brauchbarkeit, wozu man es ggf. hergestellheitswidrig nutzen kann. Z.B. den Fotoapparat eben auch zum Nägeleinschlagen.

(3.7.5.2.1) 07.08.2002, 20:45, Stefan Merten: Nun, der Hergestelltheitsaspekt ist damit nur eine Untermenge des Brauchbarkeitsaspekts - wenn der Herstellungszweck einigermaßen erreicht wurde zumindest. Das hilft aber nicht zwischen entfremdeten und nicht-entfremdeten Zwecken zu unterscheiden, den die bei der Herstellung intendierten Zwecke sind neutral gegenüber Entfremdung - natürlich nicht bei Warenproduktion, aber von der reden wir hier gerade nicht.

(3.7.5.2.2) 07.08.2002, 20:51, Stefan Merten: Vielleicht führt uns das aber dennoch irgendwie weiter. Worum es mir ging ist, daß die Qualität als Zahlungsmittel der Münze nicht als "stoffliche" Qualität zu eigen ist, sondern es sich um eine gesellschaftliche Vereinbarung handelt. Die "stofflichen" Eigenschaften kann ich auch ohne gesellschaftliche Vereinbarung nutzen bzw. erkennen. Ein Stück Freie Software kann ich auch ohne Gesellschaft nutzen - um es mal ganz holzschnittig und extrem verkürzt zu sagen.
Mit Geld geht das aber genausowenig wie mit Waren. Hier liegt wohl das, was ich meine. Wahrscheinlich suche ich so etwas wie einen überhistorischen Nutzen oder so. Ich bin nicht davon überzeugt, daß das kompletter Unsinn ist. Wenn, dann nur ein bißchen.

(3.7.6) 28.07.2002, 15:44, Stefan Merten: Eine immanente Qualität einer Sache spannt gewisse Gesetzmäßigkeiten auf, die der innereren Logik der Qualität entsprechen. So hat der Holztisch sowohl eine bestimmte Höhe als auch einen bestimmten Brennwert. Auch die stoffliche Seite der Münze verfügt über solche Größen, die einen eigenen, unhintergehbaren Raum von Gesetzmäßigkeiten aufspannen. Die zugeordnete Qualität als Zahlungsmittel ist dagegen nicht durch immanente Qualitäten fixiert, sondern wird ihr durch einen formalen, letztlich gesellschaftlichen Akt zugeordnet. Da diese Gesetzmäßigkeit gesellschaftlich gesetzt und keine immanente Eigenschaft ist, unterliegt sie den je geltenden gesellschaftlichen Bedingungen und kann sich mit ihnen verändern. Bei Münzen kennen wir diesen Vorgang als Veränderung ihrer Kaufkraft.

(3.7.6.1) 28.07.2002, 17:28, Stefan Meretz: Die Münze erhielt ihre Bedeutung als Zahlungsmittel nicht durch einen formalen gesellschaftlichen Akt, sondern durch die Praxis, die schliesslich auch Rechtsform erhielt (z.B. welche Münzen als Zahlungsmittel zu gelten haben). Eine Münze hat zwar bestimmte unhintergehbare Eigenschaften (physikalische z.B.) - diese machen aus ihr jedoch keine "Münze". Die Kaufkraft hat mit der vergegenständlichten Bedeutung des "Münze-seins" (sprich: Zahlungsmittel-seins) nichts zu tun: Erst im Grenzfall der Hyper-Inflation verliert die Münze ihre intendierte Bedeutung als Zahlungsmittel - sonst ist sie das völlig unabhängig von der Kaufkraft.

(3.7.7) Entfremdung und Nutzung, 28.07.2002, 15:44, Stefan Merten: Von besonderer Bedeutung in diesem Text ist das Verhältnis zu einer Sache, das wir mit Nutzung der Sache bezeichnen. Dieser Schwerpunkt ergibt sich daraus, daß Eigentum eine Menge mit Nutzung von Sachen zu tun hat. Unter entfremdeter Nutzung einer Sache können wir also solche Nutzungen verstehen, die nicht oder nicht in erster Linie an die der Sache immanenten Qualitäten gebunden sind. Die Grenze zum Mißbrauch wird hier in vielen Fällen fließend sein. Sie unterliegt letztlich den je gültigen gesellschaftlichen Vorstellungen.

(3.7.7.1) Re: Entfremdung und Nutzung, 28.07.2002, 17:53, Stefan Meretz: Das liest sich wie "guter Gebrauchswert" vs. "schlechter Tauschwert". Es gibt aber nicht die unbefleckte "reine immanente Qualität" (Gebrauchswert), sondern im Kapitalismus werden die Dinge eben als Waren zum Verkauf hergestellt. Das geht nur, indem die Waren auch Nützlichkeiten darstellen, aber diese sind nur Zweck, um den Tauschwert zu realisieren. Beides, GW und TW, sind also (nicht Ding-immanente, sondern hergestellte Waren-immanente) Qualitäten.

(3.7.7.1.1) Re: Entfremdung und Nutzung, 07.08.2002, 20:54, Stefan Merten: Ich würde es ausgesprochen begrüßeh, wenn du dich zuweilen von deinen kapitalistischen Scheuklappen beFreien könntest. "Im Kapitalismus werden" ist eine Formulierung, die für eine Analyse des Kapitalismus richtig ist. Für die Formulierung einer emanzipatorischen Vision ist sie ein Kill-Kriterium.

(3.7.8) 28.07.2002, 15:45, Stefan Merten: Aufgrund der unterschiedlichen immanenten Qualitäten, die eine Sache haben kann, können sich verschiedene Nutzungsarten ergeben, die für unterschiedliche Menschen von unterschiedlichem Interesse sind. Hier ist aber streng zwischen entfremdeten und solchen Nutzungsarten zu unterscheiden, die sich auf immanente Qualitäten einer Sache beziehen.

(3.7.8.1) 28.07.2002, 17:56, Stefan Meretz: Streng wäre also das (ggf. nur einmalige) Einschlagen eines Nagels mit einem Fotoapparat eine "entfremdete Tat"? Denn diese Tat hat mit den "immanenten Qualitäten" deiner Def. ja nix zu tun. Es sei denn, du definierst "immanent" wieder so weit, dass nahezu alles reinpasst: Der Fotoapparat hat wenigstens eine "gewisse Härte", so dass man wenigstens einmal mit einem Apparat einen Nagel wenigstens einen Zentimeter in die Wand bekommt usw. - IMHO ist das nicht haltbar. Ich hoffe, es ist deutlich geworden, ich mach hier mal einen Punkt. Warum nicht den Marxschen Entfremdungsbegriff nehmen (bzw. (d)eine Lesart davon)?

(3.7.8.1.1) 28.07.2002, 23:19, Benni Bärmann: Also zunächst mal finde ich, das Stefan recht hat. Äh.... Stefan Mz, meine ich. Dein Entfremdungsbegriff taugt nicht viel, sorry für das harte Urteil, aber irgendwie wirkt das auf mich wie eine etwas unausgegorene Mischung aus Platonismus (Die wahren Eigenschaften der Dinge!) und einer auf mich sehr konservativ anmutenden Weltsicht, in der alles und jeder seinen Platz hat aufgrund der "immanenten Eigenschaften". Die Menschen macht es doch aber gerade aus, dass sie beliebigen Dingen beliebige Bedeutungen geben können. Was dabei symbolisch ist und was real lässt sich gerade heute weniger denn je unterscheiden. Das nur als sozusagen globale Ergänzung zu Stefans Detailkritik.

Aber - um auch mal was positives zu sagen - ich find es super, dass Du Deine Sicht von "Entfremdung" mal aufgeschrieben hast, einmal weil das mir, der da gar keine besondere spezifische Sicht drauf hat, weswegen ich den Begriff zur Zeit großräumig meide, ziemlich hilft und zum anderen auch, weil Du den Begriff in letzter Zeit oft verwendet hast und ich mir immer schon dachte, dass da irgendwas "lauert" ohne es aber auf den Punkt zu bringen. An einer ausführlicheren Diskussion des Themas bin ich also sehr interessiert, aber der Text hier ist vielleicht nicht der richtige Rahmen ...

Jetzt zu Stefan Mz. Vorschlag, doch "einfach den Marxschen Begriff zu nehmen": Ich bin da nicht wirklich auf dem laufenden, habe aber läuten hören, dass es da grosse Auseinandersetzungen drum gibt, mit "einfach" ist also schonmal Essig. Was ich aus Tertiärquellen darüber weiss, ist das Marx Entfremdung sehr eng mit Ausbeutung verzahnt und das erscheint mir glaube ich bei unseren Fragen nicht so besonders weiterführend, oder? Aber ich bin da totaler Laie, wie gesagt.

(3.7.8.1.1.1) 07.08.2002, 21:01, Stefan Merten: Zur Klarstellung: Es handelt sich nicht um meinen Entfremdungsbegriff - den gibt es nämlich noch nicht. Wenn es den gäbe, dann wäre er sicher unumstrittener ;-) . Daß "die wahren Eigenschaften der Dinge" menschliche Festlegungen sind, habe ich oben schon angedeutet - mit den ebenfalls angedeuteten resultierenden Schwierigkeiten.

(3.7.8.1.1.2) 07.08.2002, 21:05, Stefan Merten: "Was dabei symbolisch ist und was real lässt sich gerade heute weniger denn je unterscheiden." - Da würde ich heftigst widersprechen. Es gibt wahrnehmbare Eigenschaften von Dingen jenseits Symbolik und es ist nicht alles nur (gesellschaftliche) Einbildung. Dieses postmoderne Werbungsgequatsche kann ich offengestanden nicht mehr so gut hören. Klar, einem westlichen Wohlstandsbürger, der allabendlich die Qual hat, zwischen zehn verschiedenen Fernsehprogrammen zu wählen, mag die Verfügbarkeit von Trinkwasser oder nicht nur noch von symbolischer Bedeutung erscheinen...

(3.7.8.1.2) 07.08.2002, 20:57, Stefan Merten: Nein, das Einschlagen eines Nagels mit einem Fotoapparat wäre für mich keine entfremdete Tat. Nach deinen Begriffsdefinitionen würde dies auch lediglich gegen den intendierten Herstellungzweck verstoßen. Warum dieser intendierte Herstellungszweck gegenüber anderen Brauchbarkeiten aber jetzt höhere Weihen genießen soll ist mir nicht nachvollziehbar.

(3.7.9) Entfremdung und emanzipatorische Vision, 28.07.2002, 15:45, Stefan Merten: Eine emanzipatorische Vision muß kurz gesagt dem Menschen maximal gerecht werden, da nur dann die maximalen Entfaltungsmöglichkeiten erreichbar sind. Dies impliziert, daß alle immanenten Qualitäten eines je konkreten Menschen in allen Fällen beachtet werden müssen. Insbesondere dürfen Menschen nicht als Teil eines entfremdeten Verhältnisses vorkommen, da sie in solchen Fällen eines Teils ihres Menschseins beraubt sind. Dies gilt beispielsweise auch für ihre eigenen Bedürfnisse, zu denen Menschen in einem entfremdeten Verhältnis stehen können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Bedürfnis nicht befriedigt sondern aus dem einen oder anderen Grund verdrängt wird.

(3.7.10) 28.07.2002, 15:46, Stefan Merten: Wie wir im weiteren Text sehen werden, sind aber auch entfremdete Verhältnisse zu Dingen durchaus problematisch. Für eine emanzipatorische Vision muß in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ein entfremdetes Verhältnis der Vision dient oder ihr schadet.

(3.7.11) 28.07.2002, 15:46, Stefan Merten: Eine besondere Klasse von Verhältnissen zu Sachen, die nicht in erster Linie Bezug auf ihre immanenten Qualitäten nehmen, sind symbolische Bedeutungen, die nach obiger Definition ebenfalls als entfremdet gelten müssen. Jede Sprache bildet beispielsweise syntaktische (auch lautliche) auf eine bestimmte eine semantische Bedeutung ab, die der syntaktischen Struktur keineswegs immanent sind. Ob ein Symbol einer emanzipatorischen Vision nützt oder schadet, kann nicht allgemein entschieden werden. Als Indikator für die Nützlichkeit kann die Tatsache dienen, ob die symbolische Bedeutung, die einer Sache zugeordnet wird, den Menschen als nützlich erscheint und somit gerne übernommen wird (wie z.B. Sprache) oder ob die symbolische Bedeutung gegen die Menschen durchgesetzt werden muß - notfalls mit Gewalt.

(3.7.12) Re: Entfremdung, 07.08.2002, 21:06, Stefan Merten: Das Überdenken ist wohl dringend nötig. Das Ergebnis kann ich momentan aber noch nicht mal ahnen. Vielleicht sollten wir mal kristallisieren, was an unseren verschiedenen Sichten das Gemeinsame ist.
Ich lasse es in der nächsten Version nochmal alles so drin wie es ist. Die Diskussion ist ja hier und kann ggf. wieder in eine neue Version kopiert werden, die ich übrigens morgen oder so einstellen möchte.

Individuelles Eigentum

Eigentum als formales Konstrukt

(5) Der Begriff Eigentum ist an sich schon ein sehr vielschichtiger Begriff. Eine eingehende Betrachtung des Begriffs kann im Rahmen dieses Textes nicht geleistet werden. Wichtig ist jedoch, daß Eigentum eine soziale Form ist, die nicht ohne eine formale Festlegung auskommt. In der bürgerlichen Gesellschaft wird diese Festlegung i.d.R. in Verträgen festgehalten. Die Notwendigkeit einer formalen Festlegung deutet aber schon an, daß es sich beim Eigentum nicht um eine selbstverständliche soziale Praxis handelt. Vielmehr ist es eine Form, die notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden muß.

(6) Mit Blick auf eine emanzipatorische Vision ist es sinnvoll, dem Eigentum den Begriff Besitz entgegenzustellen. Im Gegensatz zum Eigentum beschreibt Besitz ein Verhältnis zwischen Menschen und Dingen, das einer bestimmten sozialen Praxis entspricht: Ein Mensch be-sitzt genau dann etwas, wenn eine direkte Nutzung des Dings durch die BesitzerIn erfolgt.

(6.1) Verfügen?, 27.07.2002, 14:49, Stefan Merten: 26.07.2002, 09:59, Stefan Meretz : Da du im folgenden mit dem Begriff Handlungsmöglichkeit operierst, ist es sinnvoll diesen mit dem Begriff der "Verfügung" zu begleiten. Denn der grundsätzliche Zusammenhang ist ja der: Ich kann je meine Handlungsmöglichkeiten in dem Maße erweitern, wie ich über meine Lebensbedingungen verfügen kann. Je ich besitze also die Dinge und allgemein: Angelegenheiten, über die ich verfügen kann. Dabei bedeutet "verfügen" wie insbesondere bei der Freien Software deutlich wird, "kollektives verfügen". Dort ist der Zusammenhang ja gerade so beschaffen, dass ich meine individuellen Handlungsmöglichkeiten nur durch kollektive Verfügung erweitern kann.

(6.1.1) Re: Verfügen?, 27.07.2002, 14:52, Stefan Merten: Ich glaube ich verstehe deinen Punkt nicht. Handlungsmöglichkeit hat für mich immer damit zu tun, daß ich über (irgend)etwas verfügen kann - z.B. über meinen eigenen Körper. Insofern ist das trivial. Meinst du dennoch, daß es erwähnt werden sollte und ggf. wo gehört es d.E. hin?
Vermutlich meinst du aber mehr das "kollektive Verfügen" wie bei Freier Software. Da sehe ich aber deinen Punkt nicht, weil ich über Freie Software nicht nur kollektiv sondern auch individuell verfügt wird - halt ohne andere auszuschließen.

(6.1.1.1) Re: Verfügen?, 28.07.2002, 12:09, Stefan Meretz: Ja richtig, Handlungsmöglichkeit hat immer mit Verfügen zu tun, aber wie, das ist die Frage: wie verfüge ich. Handlungsmöglichkeiten sind ja nicht nur einfach da (und ich verfüge über sie im einfachen Sinne von "nutzen"), sondern ich schaffe sie mir auch. Sich Handlungsmöglichkeiten schaffen, geht wiederum auf verschiedene Weise: indem ich sie anderen entziehe oder indem ich mich mit anderen entfalte. Ich glaube, das ist der Unterschied: Verfügen ist mehr als Nutzen, es bedeutet auch, neue Verfügungsmöglichkeiten schaffen. So etwa wie der Unterschied von Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung.

(6.1.1.1.1) Re: Verfügen?, 07.08.2002, 21:35, Stefan Merten: Ich verstehe es immer noch nicht - jedenfalls nichts, was ich spannend finde. Wenn du betonst, daß "ich schaffe sie [die Handlungsmöglichkeiten] mir auch", dann ist das zwar richtig, aber ein extra Thema. Ich sehe nicht, warum das im Begriff der Verfügung mehr rauskommt als in dem der Handlungsmöglichkeit.
Ich kann es nur so verstehen, wenn ich dein Bemühen um die Prozeßhaftigkeit hier gespiegelt sehe. Ja klar, alles ist auf einer gewissen Ebene prozeßhaft - aber es gibt auch andere Ebenen, die interessant zu betrachten sind.

(6.1.1.2) Re: Verfügen?, 28.07.2002, 12:14, Stefan Meretz: Im erweiterten Sinne von Verfügen kann ich zugespitzt sagen: Ich kann zwar Freie Software individuell nutzen, aber nur kollektiv über sie verfügen. Nutzen ist dabei durchaus umfassend gemeint: Benutzen im Sinne von Anwenden, oder Benutzen im Sinne von Programmiersprache X nutzen und z.B. programmieren. Aber damit verfüge ich über die Freie Software nicht! Eine individuelle Verfügung ist geradezu ausgeschlossen - auch Linux Torvalds könnte das nicht!

(6.1.1.3) Re: Verfügen?, 28.07.2002, 12:18, Stefan Meretz: Weiter gefolgert könnte man sagen: "Eigentum" bedeutet individuelle Verfügungsgewalt (egal ob, ein einzelner Eigentümer oder ein Delegierter bei Gruppeneigentum, etwa der Manager bei der AG). Eigentum schliesst also eine Entwicklungsdynamik aus wie wir sie bei Freier Software beobachten können. Dazu gibt es übrigens ein sehr interessantes Papier, auf das Graham hingewiesen hat: Yochai Benkler nennt das in seinem Text unter http://www.benkler.org/CoasesPenguin.html "commons-based peer-production".

(6.1.1.3.1) Re: Verfügen?, 07.08.2002, 21:39, Stefan Merten: Hmm... Aus der Verfügungsgewalt wird nach deinen Ausführungen m.E. ein Schuh - ob individuell oder kollektiv ist dabei m.E. von untergeordneter Bedeutung. Kollektive Verfügungsgewalt wird nämlich auch immer durch irgendwelche Individuen exekutiert - daran führt kein Weg vorbei.
Die Verfügung beschreibt nach meinem Verständnis bereits ein losgelöst sein von den Dingen, daß für meine Nase schon verdächtig nach Entfremdung riecht.

(7) Aus diesem kleinen Unterschied ergeben sich erhebliche Konsequenzen. So ist die Menge von Dingen, für die ein einzelner Mensch als EigentümerIn auftreten kann, nicht nur grundsätzlich unbegrenzt, sondern auch jenseits vertraglicher Festlegungen nicht unbedingt ersichtlich. Die Menge von Dingen, die ein Mensch direkt nutzt, ist hingegen nicht nur verhältnismäßig begrenzt, sondern auch im sozialen Kontext vergleichsweise einfach erkennbar.

(8) Ein Beispiel aus unserer alltäglichen Lebenspraxis macht diese Unterscheidung augenfällig: Die MieterIn einer Wohnung ist deren BesitzerIn, da sie die Wohnung direkt nutzt. Die VermieterIn ist hingegen die EigentümerIn der Wohnung, die nur indirekten Nutzen aus der Wohnung zieht - eben die Miete.

Eigentum wozu?

(9) Wollen wir den Begriff Eigentum in einer emanzipatorischen Vision verwenden, so ist zu klären, welchen konkreten Nutzen Eigentum eigentlich hat. Nur so können die wünschenswerten Teile eines solchen Begriffs in eine neue Vergesellschaftungsform hinübergenommen werden.

(10) Naheliegend ist der Nutzen der Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten, die durch Eigentum gegeben sind. Per Definition vergrößert Eigentum die Handlungsmöglichkeiten der EigentümerIn, weil es ihr mehr oder weniger unbeschränkte Verfügungsmöglichkeiten über das Eigentum gewährt - bis hin zur Zerstörung des Eigentum. Eine Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten ist aber zunächst stets eine Erweiterung von Freiheit, so daß diese Qualität von Eigentum in einer emanzipatorischen Vision erhalten bleiben muß.

(11) Auf der anderen Seite schränkt Eigentum natürlich auch Handlungsmöglichkeiten und damit Freiheit ein - nämlich gerade für die Nicht-EigentümerInnen. Wenn eine EigentümerIn die Verfügungsgewalt über ein Eigentum hat, so hat sie damit natürlich auch die Möglichkeit andere von der Nutzung des Eigentums auszuschließen.

(12) Dieser Ausschluß der Nutzung durch andere kann einerseits inhaltliche Gründe haben. Dies ist inbesondere dann gegeben, wenn die direkte Nutzung des Eigentums - der Besitz also - nicht anders als durch Ausschluß anderer gewährleistet werden kann.

(12.1) 27.07.2002, 14:59, Stefan Merten: 26.07.2002, 10:18, Stefan Meretz: Das verstehe ich nicht - was meinst du damit?

(12.1.1) 27.07.2002, 15:01, Stefan Merten: Na, der buchstäbliche Apfel, den ich zu verspeisen gedenke ;-) .
Benni hat auch auf Geheimnisse hingewiesen, deren Nutzwert nur durch Ausschluß anderer zu erhalten ist. Privatsphäre gehört übrigens auch in diesen Bereich.

(12.1.1.1) 28.07.2002, 16:28, Stefan Meretz: Dann nenne einfach ein Beispiel - nur zur Illustration;-)

(13) Andererseits gibt es aber auch indirekte Gründe, die einen Nutzungsausschluß der Nicht-EigentümerInnen für die EigentümerIn attraktiv machen. Die bürgerliche Gesellschaft ist geradezu darauf gegründet, durch Ausgrenzung der Nicht-EigentümerInnen deren Bedürfnisbefriedigung unter Bedingungen zu stellen. Bei Waren schlägt sich dies im Kaufpreis nieder, der als Bedingung für die Übertragung des Eigentums gestellt wird.

(13.1) 27.07.2002, 15:02, Stefan Merten: 26.07.2002, 10:21, Stefan Meretz : Wenn "einerseits" inhaltliche Gründe sind, dann müssen "andererseits" formale Gründe sein - sonst passt es nicht. Oder eben direkt - indirekt. Ist "formal", ich weiss, aber ich stolpere über sowas regelmäßig.

(13.1.1) 27.07.2002, 15:03, Stefan Merten: An dieser Stelle möchte ich mich mal für deine Klarheit bedanken :-) . Diese Stolpersteine will ich nämlich auch gerne wegräumen. Und nicht weil es dann formal richtiger ist, sondern weil diese Stolpersteine ein Hinweis auf Unausgegorenheit sind.

(14) ToDo: Link zu Lizenzen, die keine Eigentumsübertragung darstellen, sondern lediglich ein Nutzungsrecht einräumen?

(14.1) 27.07.2002, 13:41, Stefan Merten: 26.07.2002, 10:32, Stefan Meretz : IMHO ist hier rauszuarbeiten, dass mit der Immaterialität die Kopplung von Ding und juristischer Form "Eigentum" und damit auch von "Besitz" und "Eigentum" aufgehoben ist. Die Exklusion anderer geschieht Eigentumsübertragungen stofflicher Dinge durch ihre eindeutige physische Präsenz an nur einem Ort (inklusive ihrer Nichtkopierbarkeit), über den der Eigentümer verfügen muss. Die Lösung dieser "Entkopplungsproblematik" ist die Lizenz, die Nutzung gewährt, die dann übrigens nicht nur auf immaterielle Dinge angewendet werden kann (vgl. Miete oder Leasing stofflicher Produkte).

(14.1.1) Besitz, Eigentum, Lizenzen, 27.07.2002, 13:45, Stefan Merten: Also hier ist auf jeden Fall noch ein eigenes Thema drin. Das Verhältnis von Eigentum, Besitz und Nutzungsrecht (Lizenz) müßte noch genauer rausgearbeitet werden.
Ich sehe nicht, daß bei immateriellen Gütern die Kopplung von Ding und Eigentum mehr oder weniger aufgehoben ist, als bei materiellen Gütern. In beiden Fällen handelt es sich um formale Zuschreibungen. Bei materiellen Dingen ist dies allenfalls leichter durch eine soziale Praxis begründbar - aber das ist die ideologische Ebene. Dazu gibt's BTW auch einen Thread auf [ox-en] mir Graham.

(15) Zusammen mit der formalisierten und in auf Eigentum gegründeten Gesellschaften mit Gewalt bewehrten Eigenschaft der Unbegrenztheit, eignet sich Eigentum hervorragend, um neben einer direkten Nutzung auch indirekte, entfremdete Nutzungsarten zu ermöglichen.

(15.1) Begriff Entfremdung, 27.07.2002, 13:46, Stefan Merten: 06.07.2002, 17:33, Benni Bärmann : Du benutzt den Entfremdungsbegriff sehr hoppladihopp obwohl Du darauf ziemlich drauf aufbaust, es gibt aber ganz unterschiedliche Entfremdungsbegriffe, Du solltest also vielleicht schon etwas genauer sagen, wovon Du sprichst.

(15.1.1) Re: Begriff Entfremdung, 27.07.2002, 13:48, Stefan Merten: Muß auf jeden Fall in die Begriffsklärung. Das steht eigentlich schon lange mal an - auch damit ich es klarer kriege, was ich da eigentlich genau meine ;-) . Abzugrenzen wäre vielleicht auch von unterschiedlichen Nutzungsarten. S.u.

(16) Das Beispiel der Mietswohnung zeigt dies: Während die MieterIn eine direkte Nutzung der Wohnung betreibt, hat die VermieterIn nur ein entfremdetes, nämlich geldförmiges Interesse an der Wohnung. Dieses entfremdete Interesse ist aber der zentrale Antrieb für den Erwerb von Eigentum.

(17) Mit dem Entfremdungspotential von Eigentum geht ein erheblicher Teil der negativen Eigenschaften einher, die in einer emanzipatorischen Vision überwunden werden müssen.

(18) In der bürgerlichen Gesellschaft wird Eigentum insbesondere dazu eingesetzt, um Knappheit zu erzeugen. Besonders augenfällig wird dies heute in den Debatten um geistiges Eigentum. Während durch die historisch neue Möglichkeit der digitalen Kopie Informationen heute praktisch zum Nulltarif beliebig reproduzierbar sind, müssen sie zur Erhaltung der Wareneigenschaft künstlich verknappt werden - denn nur knappe Güter können sinnvoll verkauft werden und erst dadurch Wareneigenschaft bekommen. Scheint bei Gütern mit nennenswerten Produktionskosten eine Verknappung noch durch die stofflich gegebene begrenzte Verfügbarkeit gerechtfertigt, so ist im Fall der Verknappung digitaler Kopien offensichtlich, daß die künstlich herbeigeführte Knappheit ausschließlich entfremdeten Geldinteressen dient.

(19) Neben der Verknappung begünstigt die durch Eigentum mögliche Entfremdung aber noch einen weiteren, subtileren Aspekt. Die EigentümerIn ist nicht mehr primär an den stofflichen Qualitäten des Eigentums interessiert; vielmehr dienen diese nurmehr als Vehikel für die entfremdete Nutzung als Ware. Auf einem Markt, auf dem sich nur WarenanbieterInnen treffen, wird also tendenziell nicht die maximale, sondern nur noch die für eine Vermarktung gerade eben nötige stoffliche Qualität von Gütern erreicht. Für eine emanzipatorische Vision ist aber die Orientierung auf eine maximale Güterqualität unabdingbar, so daß auch von dieser Perspektive her eine Überwindung der Entfremdungspotentiale von Eigentum angezeigt ist.

(20) Steht der direkte Nutzen eines Gutes zur Debatte, so ist die direkte NutzerIn zweifellos diejenige, die dies am besten beurteilen kann - auch wenn sie die entsprechenden Gütereigenschaften vielleicht nicht immer selbst erzeugen kann.

Besitz als emanzipatorische Form von Eigentum

(21) Verstehen wir Besitz also als das, was der direkten Nutzung durch die BesitzerIn unterliegt, so beinhaltet es die positive Eigenschaft von Eigentum (Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten), während es die negativen Qualitäten (Einschränkung von Bedürfnisbefriedigung der Nicht-EigentümerInnen, Entfremdungspotential mit Tendenz zu Verknappung und suboptimaler Qualität) vermeidet. In der Konsequenz können wir also unter emanzipatorischem Blickwinkel Eigentum als das verstehen, was wir heute als Besitz kennen.

(22) Ob es sich bei solchem Eigentum um individuelles oder kollektives Eigentum handelt ist nach diesen Definitionen unerheblich. Wenn von einer direkten Nutzung ausgegangen wird, dann unterscheidet sich kollektives Eigentum von individuellem dadurch, daß es der direkten Nutzung einer Gruppe von Menschen unterliegt anstatt eines einzelnen Individuums.

(23) Allerdings tritt bei kollektivem Eigentum Konfliktpotential auf, da die Individuen des Kollektivs unterschiedliche Ansichten über die bezogen auf die kollektive Nutzung je angemessene Behandlung des kollektiven Eigentums haben können. Diese Frage liegt im Bereich der Konfliktlösung in Kollektiven und ist eine eigene Diskussion wert. Festzuhalten bleibt aber, daß das Konfliktpotential in den meisten Fällen erheblich entschärft sein dürfte, wenn entfremdete Nutzungen des kollektiven Eigentums gar nicht erst möglich sind, sondern es nur noch um eine Optimierung des konkreten Nutzens geht.

(23.1) Verschiedene Nutzungsarten, 27.07.2002, 13:58, Stefan Merten: 06.07.2002, 17:47, Benni Bärmann : Das gilt nur, falls das Kollektiv sich über die Bewertung des konkreten Nutzens einig ist. Das ist aber in den seltensten Fällen der Fall. Meistens treten Konflikte genau dann auf, wenn sich unterschiedliche Menschen einen unterschiedlichen konkreten Nutzen des gemeinsamen Beitzes wünschen. Es gibt dann aber prinzipiell keine gemeinsame Skala an der das zu messen wäre und an der man entscheiden könnte, was jetzt die objektiv bessere Nutzung ist. Das geht soweit, dass auch ohne Eigentum durchaus die Erfahrung von "Entfremdung" vorherrschen kann, wenn mämlich sich im Kollektiv eine andere Vorstellung des konkreten Nutzes durchsetzt, als je ich es habe. Dann entfremde ich mich vom kollektiven Besitz.

(23.1.1) Re: Verschiedene Nutzungsarten, 27.07.2002, 14:01, Stefan Merten: Was mir dazu einfällt: Es kann für ein und dieselbe Sache unterschiedliche Nutzungsarten geben: Einen Hof kann ich zum Auto abstellen oder zum Fußball spielen verwenden oder kann mich an seiner Leerheit erfreuen. Alle drei Nutzungsarten sind nur sehr begrenzt kompatibel zueinander. Aber...

(23.2) Besitz und Entfremdung, 27.07.2002, 13:59, Stefan Merten: 26.07.2002, 11:21, Stefan Meretz: Besitz, so wie Stefan es hier definiert, bedeutet Nutzung , hier eben kollektive Nutzung. Es kann mir durch die Nutzung anderer schwer oder unmöglich werden, diese Nutzung aufrechtzuerhalten. Ich kann also den Besitz verlieren. Das ist aber was anderes als Entfremdung (so wie Stefan es hier verwendet, wenn auch nicht definiert hat): Besitz kann ich verlieren, ich kann mich aber nicht davon entfremden.

(23.2.1) Re: Besitz und Entfremdung, 27.07.2002, 14:03, Stefan Merten: ...wie StefanMz gut herausgearbeitet hat, ist das nochmal was anderes als Entfremdung. Aber das ist ein wichtiger Punkt, auf den ich bei der Definition von Entfremdung eingehen werde.

(24) Im Sinne einer emanzipatorischen Vision ist es also zunächst sinnvoll, auf den aus der bürgerlichen Gesellschaft tradierten Begriff Eigentum zu verzichten, und stattdessen vielmehr auf den aus einer sozialen Praxis gewachsenen Begriff Besitz einzugehen. Dies fällt deswegen leicht, weil Besitz die für eine emanzipatorische Vision wesentlichen Qualitäten des Begriffs Eigentum umfaßt, während es andere, eher hinderliche Qualitäten vermeidet.

(25) ToDo: Besitz und Verantwortung => Stellt sich automatisch ein

(26) ToDo: Wenn Knappheit überwunden wird, wird Eigentum überflüssig.

Vergesellschaftete Produktion

(27) Ist Eigentum ein recht vielschichtiger Begriff so scheint der Begriff Produktion wesentlich leichter greifbar zu sein: Vorgänge, in denen Naturstoffe oder Vorprodukte in andere Produkte umgewandelt werden. Dabei ist es von einem sachlichen Standpunkt aus unerheblich, wer bestimmte Teile einer Produktion konkret zuwege bringt (Maschine, Mensch oder auch ein Naturprozeß). Weiterhin ist es unerheblich, ob es sich bei dem Produkt um ein stoffliches oder geistiges Produkt handelt.

(28) Sprechen wir von vergesellschafteter Produktion, so ist damit zunächst eine Produktionsweise gemeint, bei der nicht einzelne Menschen oder kleine Gruppen autonom die Produktion je ihrer Gütern regeln, sondern bei denen der Produktionsprozeß über die Gesellschaft verteilt ist. Hierbei gilt es mehrere Aspekte zu unterscheiden.

(28.1) *Vergesellschaftete* Produktion, 27.07.2002, 15:24, Stefan Merten: 26.07.2002, 11:33, Stefan Meretz : Das "über die Gesellschaft verteilt" würde ich auch "gesamtgesellschaftlich vermittelt" nennen. Ich stimme dir in dieser Def. zu, die so erstmal unabhängig von der gesellschaftlichen Form ist (Kapitalismus ist damit vergesellschaftete Produktion sui generis). Aber die Ausschreibung meint - ganz traditionell - etwas anderes: Vergesellschaftung meint soviel wie "nicht mehr in privatem Eigentum", sondern "in den Händen der Gesellschaft" (wie auch immer). Zwar wird die Verstaatlichung kritisiert, aber trotzdem an diesem altertümlichen Vergesellschaftungsbegriff festgehalten. Das muss uns nicht stören, nur sollten wir diese Lesart bedenken.

(28.1.1) Re: *Vergesellschaftete* Produktion, 27.07.2002, 15:27, Stefan Merten: Du hast das ein paar Mal moniert - völlig zu recht: Ich habe nämlich selbst nicht klar, was ich darunter verstehen soll. Ich schwanke in der Tat zwischen dem, was Benni angemerkt hat, daß nämlich alle Produktion immer schon gesellschaftlich ist - aber dann ist die Frage der RLS Blödsinn - oder der klassischen Lesart, nach der vor allem der Staat die Gesellschaft repräsentiert und als "Vergesellschafter" auftritt - worauf du hinweist. Auf Staat will ich aber nicht raus :-( . Was genau könnte denn eine Definition sein? Ich bin da echt unschlüssig.

(28.1.1.1) Re: *Vergesellschaftete* Produktion, 28.07.2002, 16:33, Stefan Meretz: Meine Empfehlung: Gehe von deiner ursprünglichen Definition aus, also vom allgemeinen Begriff der "vergesellschafteten Produktion". Kritisiere dann, wenn du zur RLS-Fragestellung kommst, diese als "problematisch", da schon in der "staatlichen Logik" befangen oder so. Fazit so etwa: Nicht ob, "vergesellschaftete Produktion" ist die Frage, sondern die Form der vergesellschafteten Produktion, letztlich also allgemein die Vergesellschaftungsform, wie du es am Anfang ja auch benennst.

Ausführung der Produktion

(29) Die Produktion komplexer Produkte, wie sie auf dem erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung die Regel sind, wird nicht von einzelnen Menschen oder kleinen Gruppen zuwege gebracht. Vielmehr fließt in komplexen Produkten eine Vielzahl elementarer Produktionsprozesse zusammen, die von ganz unterschiedlichen Akteuren beigesteuert werden. Heute sind die Akteure dabei durchaus über den gesamten Globus zerstreut.

(30) Die ungeheure Arbeitsteiligkeit moderner Produktion ist ein unmittelbares Ergebnis einer ständig steigenden Komplexität des Gesamtproduktionsprozesses an sich. Diese steigende Komplexität ist ihrerseits ein Ausfluß der technischen Entwicklung, die immer zahlreichere und immer differenziertere technische Vorgänge ermöglicht, die für die Produktion relevant sind.

(31) Ein mögliches Ergebnis dieser Technikentwicklung ist die immer stärkere Automatisierung, in der Produktionsprozesse von Menschen auf Maschinen verlagert werden. Automatisierung kann überall dort stattfinden, wo die spezifischen Fähigkeiten von Menschen durch maschinelle Prozesse ersetzt werden können. Dieses Potential von Automatisierung erhöht die Handlungsmöglichkeiten von Menschen, da diese dann die Wahl haben, ob sie den automatisierbaren Prozeß selbst ausführen wollen, oder ob sie ihre Zeit und Energie lieber mit anderen Dingen zubringen wollen. Daher muß eine weitere Steigerung von Automatisierung in einer emanzipatorischen Vision von zentraler Bedeutung sein.

(31.1) 27.07.2002, 15:31, Stefan Merten: 26.07.2002, 11:41, Stefan Meretz : Du sprichst zwar von "mögliches Ergebnis", aber dann ist die Möglichkeit weg, und die Menschen haben die Wahl. Faktisch ist das aber nicht so: Die Menschen haben höchst selten die Wahl. Du meintest eigentlich: So könnte es sein, es ist eine Potenz. Dann musst du das aber auch deutlicher so schreiben (und auch hier hat IMHO das normative "muss" in der eV nix zu suchen).

(31.1.1) 27.07.2002, 15:32, Stefan Merten: Das verstehe ich nicht. Und IMHO zeigt das "muß" hier lediglich die zwingende Folgerung an - nicht das vom Himmel fallende Müssen.

(31.1.1.1) 28.07.2002, 16:35, Stefan Meretz: Dann schreibe unmissverständlicher: Daher ist eine weitere usw.

(31.2) 27.07.2002, 15:34, Stefan Merten: 26.07.2002, 11:54, Stefan Meretz : IMHO ist es auch nicht sinnvoll, in allen Bereichen die Automatisierung weiter zu steigern, sondern eher, sie zurückzuführen. Ich denke an Bereiche wie Landwirtschaft oder Kunst. Eben nicht mehr an abstrakt-entfremdeten Zwecken, sondern den eigenen Bedürfnissen orientiert.

(31.2.1) 27.07.2002, 15:39, Stefan Merten: Hier verwischst du m.E. Ebenen. Automatisierung sind wegen der Folge der Steigerung der Handlungsmöglichkeiten per se erstmal ok. Automatisierung mit der Folge niediger Produktqualität (incl. Seiteneffekten wie z.B. Umwelt) ist aber eine andere Frage. Hier betreten wir den Bereich gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Davon abgesehen sind die Bedürnisse unterschiedlich und nicht alle stehen z.B. auf Bio-Food, daß nun mal (noch) schweißtreibender in der Produktion ist als konventionelle Landwirtschaft.

(31.2.1.1) 28.07.2002, 16:42, Stefan Meretz: Das hört sich so an, als ob du von einer Art "neutraler Automatisierung" ausgehst, die dann so oder so eingesetzt wird. In praxi zeigt sich aber, dass Automatisierung immanent z.B. niedrigere Produktqualitäten bedeutet. Natürlich stets wertlogisch präformiert, aber damit kannst du nicht alles erklären. Wieder eine eigene längere Diskussion.

(31.2.1.1.1) 07.08.2002, 21:48, Stefan Merten: "dass Automatisierung immanent z.B. niedrigere Produktqualitäten bedeutet" - Das ist offensichtlich Humbug und kann wieder nur aus dem Munde eines satten Westlers kommen, der z.B. die gleichbleibende Qualität automatisch hergestellter Produkte einfach nur noch unhinterfragt hinnimmt. Wenn das stimmen würde, dann wären alle automatisch hergestellten Produkte immer schlechter als handwerklich hergestellte. Wenn das so wäre, dann können wir was eine Steigerung von Lebensqualität angeht nur noch zurück zur Steinzeit fordern.

(32) Weiter ist festzuhalten, daß die hohe Arbeitsteiligkeit eine ungeahnte Menge an Gebrauchswerten hervorbringt, die mit weniger Arbeitsteilung nicht erreicht werden kann. Die Arbeitsteilung ist dabei auch eine Folge der ständig steigenden Komplexität der gesamtgesellschaftlichen Produktion sowohl hinsichtlich der Vielzahl von Produktionsprozessen als auch hinsichtlich ihrer inneren Differenziertheit und Kompliziertheit. Aus diesem Grund kann eine emanzipatorische Vision einer vergesellschafteten Produktion nicht ohne guten Grund hinter den erreichten Grad an Arbeitsteiligkeit zurückfallen.

(33) ToDo: Spezialisierung und Zentralisierung

Organisation der Produktion

(34) Findet die Produktion eines Guts nicht in einer sozialen Einheit (z.B. Betrieb) statt, so benötigen die über die Gesellschaft verstreuten ProduzentInnen eine Organisation, die den konkreten Ablauf und das möglichst reibungslose Ineinandergreifen verschiedener Produktionen regelt.

(35) In geldbasierten Gesellschaft geschieht diese, in einer arbeitsteiligen Produktionsweise objektiv notwendige Organisation durch die "unsichtbare Hand des Marktes", die sich allerdings bekanntlich nicht an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, sondern vielmehr an Kapitalströmen orientiert ist. Folgerichtig funktioniert diese Organisation gar nicht, wenn in einer geldbasierten Gesellschaft der Faktor Geld aus dem einen oder anderen Grund herausgenommen wird. Tauschringe belegen z.B. eindrucksvoll, wie nach wie vor auf Tausch fixierte Geldmonaden eine echte Produktion in der Regel gar nicht und wenn dann nur auf niedrigstem Niveau hinbekommen.

(35.1) 27.07.2002, 15:40, Stefan Merten: 26.07.2002, 11:59, Stefan Meretz : Der Begriff "geldbasierte Gesellschaft" ist unscharf, dazu könnte man auch vorkapitalistische Gesellschaften zählen. Entweder definieren oder stattdessen den Begriff "warenproduzierende Gesellschaft" nehmen.

(35.1.1) 27.07.2002, 15:43, Stefan Merten: In der Tat drücke ich mich ein bißchen vor dem Begriff "Kapitalismus". Ich habe mir ein bißchen abgewöhnt, davon zu schreiben, weil der für mich tendenziell ein Kampfbegriff ist - den will ich lieber nicht verwenden.
Davon abgesehen ist m.E. aber Kapitalismus in der Tat die einzige Gesellschaftsform, die auf Geld basiert. Andere mögen es gekannt haben, aber sie haben auf anderen Dingen basiert.

(35.1.1.1) 28.07.2002, 16:47, Stefan Meretz: Das Wort "basiert" sagt noch nicht viel. Du müsstest es erklären, wenn du es so verwenden willst, warum und in welcher Hinsicht du der Meinung bist, Geld sei die "Basis". - Ansonsten kann ich das gut nachvollziehen, weswegen ich lieber von warenproduzierender Gesellschaft spreche.

(36) Eine emanzipatorische Vision hätte also Lösungen für dieses Organisationsproblem zu benennen.

(36.1) 27.07.2002, 15:45, Stefan Merten: 26.07.2002, 12:03, Stefan Meretz: Ist das ein Merker, oder soll das so stehen bleiben? Gerade da muss Butter bei die Fische!

(36.1.1) 27.07.2002, 15:46, Stefan Merten: Hier sind wir noch in der Abteilung "Begriffsklärungen". Bei den Bedingungen sollte sich ein bißchen Butter befinden :-) .

Entscheidung über die Produktion

(37) Der dritte Aspekt einer vergesellschafteten Produktion, der mit der Frage der Organisation zwar zusammenhängt, aber dennoch getrennt davon zu betrachten ist, ist die Frage, wer darüber entscheidet, was wann produziert werden soll. In einer emanzipatorischen Vision ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Produktion sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Entscheidungen über die Produktion müssen sich daher einerseits an den Nutzungsbedürfnissen der Menschen orientieren. Andererseits müssen sie die Bedürfnisse der Menschen in der Produktion selbst berücksichtigen.

(38) Fallen entfremdete Interessen wie das Geldinteresse weg, so reduzieren sich die möglichen Konflikte in solchen Entscheidungsprozessen auf unterschiedliche Einschätzungen sachlicher Aspekte. Die Entscheidungen über den Einsatz z.B. von Naturressourcen wird dadurch sicher nicht wirklich leicht, aber sicher wäre schonmal viel gewonnen, wenn wir immer auf der sachlichen Ebene einer Entscheidung bleiben könnten und nicht sachfremde, entfremdete Interessen inhaltlich sinnvolle Lösungen blockieren würden.

(38.1) Sachliche Ebene?, 27.07.2002, 15:50, Stefan Merten: 26.07.2002, 12:12, Stefan Meretz : Mit "sachlich" würde ich hier nicht argumentieren, denn bei der selbstbezüglichen Wertverwertung handelt es sich um genau das: Um eine "Bewegung von Sachen" (wie Marx das nannte), die die Sozialität der Menschen konstituiert. In der Warenproduktion geht es um nix anderes als um "sachliche Aspekte". Es geht ja gerade darum, nicht irgendeine abstrakte Sachlichkeit bestimmen zu lassen, sondern die Menschen selbst. Anders gesagt: Was "Sache ist", also inhaltlich sinnvoll, gewünscht etc., bestimmen die Menschen und nicht ein "Prinzip". Sonst liest es sich so, als wolltest du ein abstraktes Prinzip (G') durch ein anderes ersetzen.

(38.1.1) Re: Sachliche Ebene?, 27.07.2002, 15:55, Stefan Merten: Benni hatte das "sachlich" auch beiseite gewischt - wobei mir bei ihm aber eher die unterschiedlichen sachlichen Ebenen wichtig zu sein schienen, die ich bei den unterschiedlichen Nutzungsarten subsumieren würde.
Worum es mir geht: Es gibt oft genug bei Problemlösungen einfach bestimmte Notwendigkeiten, die sachlich bestimmt sind. Auf diese Ebene möchte ich hinweisen und verwende dazu gerne den Begriff "sachlich". Was StefanMz hier kritisiert scheint sich mir mehr auf den Rahmen zu beziehen, der die jeweilige sachliche Ebene bestimmt. Die Ebene der Wertverwertung hat natürlich ihre eigenen sachlichen Probleme - genauso wie die Produktion eines Gutes im Zusammenspiel mit der verfügbaren Technik. Das Problem ist doch nur der nicht bedürfnisorientierte Rahmen - oder?

(38.1.1.1) Re: Sachliche Ebene?, 28.07.2002, 16:55, Stefan Meretz: Nein, nicht nur. Kurz gesagt ist nicht viel gewonnen, wenn ein "sachliches" Prinzip durch ein anderes ersetzt würde. Darauf hat Benni IMHO zurecht hingewiesen (wie ich es verstanden habe). Dahinter steckt, dass es zwar sachliche oder stoffliche oder immanent zwingende oder gegenstandspezifische Bedingungen gibt, die z.B. bei der Produktion zu berücksichtigen sind, dennoch gibt es nicht die sachliche Ebene oder das sachliche Prinzip - wie etwa bei der Verwertungslogik. Was du vermutlich meinst, ist, dass man bei Wegfall der Entfremdung ganz "sachlich" im Sinne von sachbezogen oder vernünftig über die anstehenden Frage reden könne. Doch was sachbezogen oder vernünftig ist, steht nicht apriori fest, sondern ist jeweils neu in der Praxis ausgehend von den Bedürfnissen herzustellen.

(38.1.1.1.1) Re: Sachliche Ebene?, 07.08.2002, 21:53, Stefan Merten: Dann sind wir uns ja einig. Ich hatte nämlich geschrieben "auf unterschiedliche Einschätzungen sachlicher Aspekte". Da regiert kein sachliches Prinzip sondern die Menschen machen sich Gedanken um die gegenstandsspezifischen Bedingungen.

Universelle Entwicklung der Individuen

(39) Einfach ist die Antwort auf die Frage, was unter der universellen Entwicklung der Individuen zu verstehen ist: Selbstentfaltung.

(40) Der Begriff der Selbstentfaltung geht dabei über den individualisierenden Begriff der Selbstverwirklichung hinaus, indem er ständig das gesellschaftliche Sein eines Menschen im Blick behält. Gleichzeitig ist Selbstentfaltung ein Wachstumsprozeß, der erst mit dem Tod des Individuums endet.

(41) Die Inhalte von Selbstentfaltung - was also ein Individuum als Selbstentfaltung begreift - sind dabei so verschieden wie die Individuen selbst. Insbesondere ist es durchaus möglich, daß Tätigkeiten, die einem Menschen zuwider sind, anderen Freude bereiten und damit Teil ihrer Selbstentfaltung sind.

(42) Ein Teil von Selbstentfaltung ist die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln, da eine entfaltete Persönlichkeit ohne ein Bewußtsein von Verantwortung undenkbar ist. Aus einer solchen Annahme von Verantwortung wird auch die Erledigung ungeliebter Notwendigkeiten ein Teil von Selbstentfaltung - wobei dann die Abschaffung solcher Notwendigkeiten ebenso ein Ziel von Selbstentfaltung sein wird.

(42.1) Verantwortung als Teil von Selbstentfaltung, 27.07.2002, 15:57, Stefan Merten: 26.07.2002, 12:16, Stefan Meretz : Das ist ein seh zentraler Punkt, den ich viel ausführlicher bringen würde. Wie du weisst, scheiden sich hier die Geister, weil hier auf Ontologisierungen zurückgegriffen wird (Mensch als genuiner Egoist, Wolf, etc.).

(42.1.1) Re: Verantwortung als Teil von Selbstentfaltung, 27.07.2002, 15:58, Stefan Merten: Ich hatte es auch mehr so hingeschrieben, um es irgendwo stehen zu haben. Für Vorschläge wäre ich dankbar.

(42.2) Verantwortung als Teil von Selbstentfaltung, 27.07.2002, 15:59, Stefan Merten: 26.07.2002, 12:18, Stefan Meretz : Wie auch bekannt, bin ich der Meinung, dass es eines zusätzlichen "Add-ons Verantwortung" nicht bedarf, sondern dass es ein "Feature" von Selbstentfaltung ist: Sich selbst zu entfalten ist Verantwortung zu übernehmen. Das muss aber ausführlich begründet werden.

(42.2.1) Re: Verantwortung als Teil von Selbstentfaltung, 27.07.2002, 16:00, Stefan Merten: "Sich selbst zu entfalten ist Verantwortung zu übernehmen" - Ich glaube, so klar hatte ich es noch nie. Sehr schön. Fällt dir was zur Begründung ein?

(43) ToDo: Ausführlicher

Universelle Entwicklung der Gesellschaft

(44) Individuelle Selbstentfaltung so verstanden eröffnet in einer emanzipatorischen Vision die Möglichkeit einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder nicht mehr strukturell oder unmittelbar zwingen muß, sondern wo sich die individuelle Unterschiedlichkeit der Menschen zu einem komplexen Ganzen verwebt. In einer solchen gesellschaftlichen Formation wird die individuelle Selbstentfaltung genauso die Voraussetzung für die Entfaltung der Gesamtgesellschaft, wie die Entfaltung der Gesamtgesellschaft Lebensgrundlage und Mittel für die individuelle Selbstentfaltung bietet.

(45) Eine Gesellschaftsformation in der das Gesamtinteresse und das individuelle Interesse so stark übereinstimmen, wird viele Probleme, die heute aus der (erzwungenen) Konkurrenz von Gesellschaftsmitgliedern erwachsen, gar nicht erst haben.

(46) ToDo: Herrschaftsmodell als universelle Entfaltung der Gesellschaft?

(47) ToDo: Staat?

Bedingungen einer emanzipatorischen Vision

(48) Nach diesen Begriffsklärungen möchte ich nun eingehender zum Thema des Textes Stellung nehmen. Dabei ist unter anderem zu erörtern, ob die oft angenommene Widersprüchlichkeit "von individuellem Eigentum und vergesellschafteter Produktion" überhaupt sein muß. Es könnte ja durchaus sein, daß Verhältnisse, die gerade auf der Vereinbarkeit von individuellem Eigentum und vergesellschafteter Produktion gründen, die Voraussetzung einer emanzipatorischen Vision auf dem erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung sind.

(49) Als ständig wiederkehrendes Beispiel für ein modernes Phänomen, das einige dieser Verhältnisse keimförmig zeigt, soll in diesem Text die Freie Software dienen. Dazu zunächst einige Erläuterungen.

Freie Software

Zum Begriff Freier Software

(51) ToDo: Füllen

Zur Geschichte Freier Software

(52) ToDo: Füllen

Freie Software als Keimform

(53) Wenn wir von dem Phänomen Freie Software als Keimform einer neuen Vergesellschaftungsform sprechen, so betonen wir damit, daß an diesem Phänomen Aspekte studiert werden können, die in ihrer Tendenz auf eine Überwindung überkommener Formen der Geldgesellschaft verweisen. Damit ist weder ausgesagt, daß Freie Software als solche die Geldgesellschaft überwinden kann, noch daß es einen irgendwie gearteten historischen Automatismus gibt, der die Menschen von politischem Handeln befreit.

(54) Als Keimform zeigt Freie Software allerdings Formen menschlichen Handelns auf, die auf eine emanzipatorische Weise die Geldgesellschaft ganz praktisch in einigen Bereichen hinter sich lassen. Zwar gibt es viele historische Beispiele für Vorgänge, die ebenfalls die Geldgesellschaft hinter sich ließen, jedoch keines, das so unerwartet so erfolgreich geworden wäre und auch sonst so viele interessante Aspekte aufzuweisen hat:

(55) * Freie Software hat als Produkt einen hohen gesellschaftlichen Nutzen sowohl was die pure Verfügbarkeit für viele Menschen betrifft als auch die konkrete Qualität, die in Freier Software oft steckt. Dies erhöht die Handlungsmöglichkeiten vieler Menschen erheblich.

(56) * Freie Software wird von ganz normalen Menschen hergestellt, weil es zu deren unmittelbarer Selbstentfaltung gehört. Ideologische Überlegungen gehören dazu nur selten. Die Handelnden in diesem Prozeß sind also keine besseren, weiseren oder sonstwie übermäßig begnadeten Menschen. Oft sind sie aber auf ihrem Gebiet hervorragend.

(57) * Die ProduzentInnen Freier Software organisieren sich nach je eigenem Gusto in verschiedenster, je ihren Bedürfnissen angepaßter Weise. Hier wird ganz selbstverständlich ein soziales Experimentierfeld genutzt, auf dem unterschiedlichste Formen nebeneinander existieren können.

(58) * Ganz praktisch unterläuft Freie Software die Geldform - nicht aus karitativen Gründen sondern unter anderem weil die Geldform die Effizienz der Produktion schmälern würde. Hier ist deutlich zu erkennen, wie die Entwicklung der Produktivkräfte beginnt über die Produktionsverhältnisse hinauszuwachsen.

(59) * Freie Software konnte sich in erheblichen Bereichen gegen einen etablierten Warenmarkt durchsetzen und die Entwicklung auf diesem Sektor ist noch lange nicht abgeschlossen. Insbesondere dieser Erfolg dürfte bislang noch keinem Produkt vergönnt gewesen sein, das auf ähnlichen Grundlagen wie Freie Software hergestellt wurde.

(60) * Freie Software wird mit hochmodernen technischen Mitteln erstellt, die die Spitze der Produktivkraftentwicklung darstellen. Immer öfter wird die Produktivkraftentwicklung selbst sogar von Entwicklungen in der Freien Software vorangetrieben. Das Internet als ein Ausfluß Freier Entwicklung hat mittlerweile sogar schon für - mittlerweile zusammengebrochene - Hypes auf den Geldmärkten gesorgt.

(61) * Die ProduzentInnen Freier Software kooperieren ganz selbstverständlich auf internationaler Basis. Dabei übertreffen sie locker die Bemühungen der mächtigsten Firmen der Geldgesellschaft, die mit der Zusammenführung unterschiedlichster Kulturen nach internationalen Übernahmen trotz teilweise erheblichem Mitteleinsatz oft riesige Schwierigkeiten haben.

(62) * Trotz des transkapitalistischen Gehalts Freier Software engagieren sich große Firmen wie IBM erheblich für dieses Entwicklungsmodell und staatliche Stellen von ganz unten (Kommunen) bis ganz oben (Bundestag) beginnen sich auf breiter Front für den Einsatz Freier Software zu interessieren. Gerade dieser Widerspruch scheint ein Hinweis auf die Keimformeigenschaft, da in ihr die ansatzweise die Synthese sichtbar wird, die eine Keimform aus These und Antithese der vorherigen Formation bilden muß, um erfolgreich als Muster für ein neues Modell gelten zu können.

Eigentum

(63) In den folgenden Betrachtungen spielt die Unterscheidung zwischen individuellem und kollektivem Eigentum eine untergeordnete Rolle. Ich lasse sie daher beiseite.

(64) Ich unterscheide im folgenden dagegen zwischen Informationsgütern und materiellen Gütern. Diese Unterscheidung kann zwar getroffen werden, seit die Menschheit existiert, jedoch ist die Bedeutung von Informationsgütern erst in unserer Zeit in ein entscheidend neues Stadium getreten.

(65) Der eigenständige Charakter von Informationsgütern ergibt sich daraus, daß Informationsgüter zwar immer an ein materielles Substrat gebunden sind (z.B. Bücher, CDs, Gehirne), das Wesen des Guts aber nicht auf dieses materielle Substrat reduzierbar ist. Dies bedeutet insbesondere auch, daß das je verwendete Substrat austauschbar ist, solange die Information nur geeignet darauf repräsentiert werden kann. Mit der modernen Technikentwicklung entmaterialisiert dieses Substrat immer mehr. Beim Surfen durch das World Wide Web (WWW) ist - abgesehen von kurzlebigen Platten-Caches - spätestens nach dem Ausschalten des Surf-Computers die abgerufene Information wieder vollständig von jeglichem lokalen materiellen Substrat verschwunden. Selbst bei Mobiltelefonen ist das Substrat der Informationsübertragung nur noch mit aufwendigen Messungen überhaupt sichtbar zu machen.

Eigentum an Informationsgütern

Geistiges Eigentum in der Geschichte

(67) Historisch ist das Konzept des Eigentums an Informationsgütern - besser bekannt unter der Bezeichnung geistiges Eigentum - relativ neu. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, daß dieses Konzept erst entstanden ist, als Informationsgüter an materielle Güter nicht nur gebunden wurden, sondern diese auch auf einem Markt verkauft werden konnten. Hierzu gibt es Beispiele sowohl aus dem Bereich der Bücher als auch der Musikmedien (Schallplatten und ihre Vorläufer).

(68) Das Interesse an dem Konzept des geistigen Eigentums liegt daher damals wie heute nicht so sehr bei den ProduzentInnen des geistigen Eigentums sondern vielmehr bei den Verlagen, die dieses geistige Eigentum aufbereiten, auf ein materielles Substrat übertragen und dieses Substrat vertreiben. Das Interesse der Verlage folgt unmittelbar daraus, daß dieses materielle Substrat als verkaufbare Ware dienen soll und daher sowohl das Substrat selbst als auch die auf ihm repräsentierte Information knapp sein und bleiben muß. Ist diese Knappheit nicht mehr gewährleistet, so ist die Verkäuflichkeit der Informationsware und damit die Profitgenerierung der Verlage bedroht.

(69) Die ProduzentInnen hatten und haben dagegen im allgemeinen kein besonderes Interesse an einer Verknappung. Sie stellen ja im Gegenteil das Informationsgut im allgemeinen vielmehr zur allgemeinen Benutzung her. Besonders deutlich wird dies in der Wissenschaft, wo seit jeher der Fluß von Informationen in der Wissenschaftsgemeinschaft als Fundament für die Weiterentwicklung angesehen wurde. Jede Verknappung behindert diesen Fluß und damit die Weiterentwicklung der Wissenschaft. Eine Verknappung von Information ist auch nicht durch eine Begrenzung begründet, da Information im Gegensatz zu materiellen Gütern die Eigenschaft hat, durch Verbreitung nicht weniger zu werden: Das Wissen, daß in meinem Kopf ist, wird nicht dadurch weniger, daß ich es anderen mitteile. Genausowenig wird die Information auf einer CD dadurch weniger nützlich, daß eine Kopie von ihr angefertigt wird.

(70) Natürlich müssen in der Warengesellschaft auch WissenschaftlerInnen und z.B. KünstlerInnen ein Einkommen haben. Es ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, daß dieses Einkommen unmittelbar an die Erzeugung von Informationsgütern gebunden ist. Tatsächlich werden WissenschaftlerInnen in der Regel nicht für bestimmte Einzelleistungen bezahlt, sondern werden für ihre wissenschaftliche Arbeit im Ganzen entlohnt. Historisch ähnelt dies den Mönchen, deren Versorgung durch das Kloster sichergestellt war. Deren individuelle Leistung bei der Erzeugung von Informationsgütern wurde dagegen als so irrelevant betrachtet, daß heute oft nicht mal mehr zu ermitteln ist, wer bestimmte Leistungen tatsächlich vollbracht hat.

Geistiges Eigentum heute

(71) Betrachten wir die Entwicklung der Produktivkräfte, so läßt sich feststellen, daß die Bedeutung von Information immer stärker steigt. Dieser Trend, der von Marx als Verwissenschaftlichung bezeichnet worden ist, läßt sich in der Realität vielfach verorten: Eine moderne industrielle Produktionsstätte ohne Computer ist heute kaum noch vorstellbar - nicht zu reden von dem vielfältigen Geflecht von Lieferbeziehungen zwischen den Produktionsstätten.

(72) Konsequenterweise verschiebt sich auch der Fokus bei den Eigentumsverhältnissen. Dabei verliert das Eigentum an materiellen Produktionsmitteln zunehmend an Bedeutung. Dies wird z.B. im Franchising sichtbar, bei dem nicht mehr konkrete Produktionsmittel im Vordergrund stehen, sondern nur noch Marken verkauft werden. Das Eigentum an Informationsgütern bzw. Informationswaren wird dagegen immer wichtiger. Es ist kein Zufall, daß die WIPO (World Intellectual Property Organization, http://www.wipo.org/) 1970 gegründet wurde, aber erst anläßlich des Copyright Treaty [http://www.wipo.int/treaties/ip/wct/] 1996 sowohl an Bedeutung als auch an öffentlicher Wahrnehmung gewann.

(73) Mit der digitalen Kopie betritt in dieser Situation eine technologische Entwicklung die Bühne der Geschichte, die mit ihren Möglichkeiten die Verbreitung (digitaler) Information so einfach macht wie nie zuvor. Auf der Grundlage der in den industrialisierten Staaten vorhandenen Infrastruktur ist das verlustfreie Erstellen von Kopien, mithin also die Reproduktion von Informationsgütern, mit vernachlässigbaren Kosten verbunden. Die besondere Eigenschaft von Informationsgütern durch Verbreitung nicht weniger zu werden, wird durch die digitale Kopie von einer grundsätzlichen Möglichkeit zur manifesten und alltäglichen Tatsache.

(74) Dazu kommt, daß die digitale Kopie universell gegenüber den Inhalten ist, da immer nur gleichförmig Bits kopiert werden. Sie läßt sich hier mit dem Elektromotor als einer der entscheidenden Erfindungen der industriellen Ära vergleichen. Wie der Elektromotor maschinelle Bewegungsenergie überall da für jeden beliebigen Zweck verfügbar macht, wo Strom zur Verfügung steht, so ist mit der digitalen Kopie überall da die Reproduktion von Informationsgütern möglich, wo die entsprechenden Kopiereinrichtungen - d.h. Computer und ggf. Netzwerke - zur Verfügung stehen.

(75) Es liegt auf der Hand, daß hier ein Konfliktpotential entsteht. Auf der einen Seite sind die, die Verknappung von Informationsgütern benötigen, um die Wareneigenschaft der von ihnen gefertigten Informationsträger zu sichern. Diese Konfliktpartei braucht die durch geistiges Eigentum sichergestellte Verknappung überlebensnotwendig. Ein derzeit besonders öffentlichkeitswirksamer Konflikt spielt sich im Bereich der Musik ab, wo die Musikindustrie ein vitales Interesse daran hat, die überkommenen Formen von Erzeugung, Herstellung und Vertrieb von Musikwaren zu erhalten.

(76) Auf der anderen Seite stehen einerseits die (potentiellen) NutzerInnen der Informationsgüter, die die Verknappung durch die Anbieter von Informationswaren als Preis erleben, der durch die Möglichkeiten der digitalen Kopie erheblich gesenkt werden könnte. Ein weiteres Beispiel sind hier die Raubkopien, die Software-Waren praktisch zum Nulltarif reproduziert.

(77) Andererseits stehen auf der anderen Seite aber auch die ProduzentInnen der Informationsgüter selbst, die aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse an der Verbreitung der Informationsgüter haben. In der Wissenschaft gibt es mittlerweile vielfältige Initiativen, die Ergebnisse wissenschaftlicher Tätigkeit allgemein zugänglich zu machen (s. z.B. die Public Library of Science [http://www.publiclibraryofscience.org/]).

(78) Doch auch in Bereichen, in denen die digitale Kopie nicht unmittelbar eine Rolle spielt, gibt es Bewegungen, die die künstliche Verknappung von Information durch Patente und/oder Copyright-Regelungen zunehmend in Frage stellen. Bekannt geworden ist insbesondere das Beispiel der Herstellung von Generika (s. z.B. http://www.genericsnow.org oder http://www.accessmed-msf.org/). Hier wird die Information über die stoffliche Zusammensetzung eines Medikaments direkt für die Produktion des materiellen Guts eingesetzt, deren Kosten im Einzelfall relativ niedrig sind.

Freie Software und geistiges Eigentum

(79) An vielen Stellen wird heute also die Legitimität zunehmend in Frage gestellt - kein Wunder, daß die entsprechenden Machtgruppen um so aggressiver auf einer Einhaltung des geistigen Eigentums bestehen. Gab schon bei Einführung des Patentregimes im 19. Jahrhundert heftige Diskussionen um diese Frage, so ist in der Tat heute immer weniger klar, inwieweit geistiges Eigentum einen positiven Beitrag zur Entfaltung der Menschheit leistet. Die heute durch technische Begrenzungen immer weniger begründete Verknappung dient allerdings der Sicherung der Profite einiger weniger.

(80) Bei genauerem Hinsehen stellt sich auch das oft vorgebrachte Anreizargument als Scheinargument heraus: Wirklich innovative geistige Leistungen werden in aller Regel aus ganz anderen Motiven heraus vollbracht, als der Aussicht auf eine Vermarktung der in Warenform gegossenen Ergebnisse. Es gibt sogar Hinweise darauf, daß entfremdete Anreizsysteme wie Geld Motivation und damit kreative Leistung tendenziell gefährden (s. z.B. http://www.gnu.org/philosophy/motivation.html).

(81) Mit der Freien Software ist seit knapp zwanzig Jahren nun ein Phänomen in der Entstehung begriffen, daß all diese Linien aufgreift und zu einer erfolgreichen Synthese vereinigt. Das staatliche Copyright-Regime wird bei Freier Software nur noch dazu benutzt, um es in sein Gegenteil zu verkehren: Copyleft. Das Konzept geistigen Eigentums ist für Freie Software insofern nicht mehr relevant, wie es zur Durchsetzung von Knappheit dient. Freie Software kann und soll vielmehr frei und ohne Behinderung fließen können. Dies umfaßt sowohl die direkt benutzbaren Programme als auch deren menschenlesbaren Quellen.

(82) Neben der Verfügbarkeit für potentielle NutzerInnen ist mit diesem Vorgehen auch ein maximaler Nutzen für die ProduzentInnen gewährleistet. Diese können auf freiwilliger Grundlage miteinander kooperieren und durch Code-Inspektion voneinander lernen, ohne daß sie durch eine künstliche Verknappung behindert würden. Sie tragen so gemeinsam zu einem ständig größer werdenden Pool Freier Informationsgüter bei, dessen gemeinsamer Nutzen ständig steigt.

(83) Dadurch, daß künstliche Verknappung ausgeschaltet ist, gibt es auch keinen entfremdeten Nutzen mehr, der aus Freier Software gezogen werden könnte. Dies schlägt sich unmittelbar in der Produktqualität nieder, die gerade im Vergleich mit als Ware produzierter proprietärer Software oft in vielfältiger Weise höher ist. Augenfällig wird demonstriert, daß wenn entfremdete Gründe für eine Produktion nicht mehr existieren, der unmittelbare Nutzen eines Produkts der wichtigste Grund für seine Produktion wird.

(84) Auf dem erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung sind also sowohl die Handlungsmöglichkeiten von Individuen als auch eine überindividuelle Entfaltung maximal gewährleistet, wenn Informationsgüter allen Frei zur Verfügung stehen. Freie Software zeigt also keimförmig, wie im Bereich der Informationsgüter das Eigentum einer emanzipatorischen Vision aussehen muß: Es darf nicht existieren. Das Eigentumsregime in einer emanzipatorischen Vision hat im Bereich der Informationsgüter lediglich die künstliche Verknappung zu verhindern.

Eigentum an materiellen Gütern

(85) Nun steht der Replikator, der beliebige materielle Güter auf Wunsch reproduzieren kann, im Gegensatz zur digitalen Kopie noch nicht zur Verfügung. Die technische Entwicklung auch auf diesem Sektor ist zwar teilweise nur noch schwer von Science Fiction zu unterscheiden - Maschinen, die Materie auf Atomebene gezielt manipulieren, gibt es immerhin schon -, bis zum universellen Materiekopierer ist aber noch ein weiter Weg.

(86) Bis dahin unterliegen materielle Güter also anderen Gesetzen als Informationsgüter, da sie nicht mit wenig Aufwand aufgrund einer Vorlage reproduziert werden können. Könnten sie es, so wäre die Frage nach dem Eigentum an materiellen Gütern nicht mehr davon abhängig, wieviele Güter konkret zur Verfügung stehen. Vielmehr würden dann andere Faktoren wie Umweltverbrauch und ggf. Ressourceneinsatz entscheidende Faktoren werden.

Vorkommen, Begrenztheit, Knappheit

(87) ToDo: Überarbeiten

(88) Sprechen wir über Eigentum an irgendwelchen Gütern, so müssen wir immer auch über die Begriffe Vorkommen, Begrenztheit und Knappheit sprechen. Das Konzept des Eigentums macht wenig Sinn für Güter, die sowieso unbegrenzt zur Verfügung stehen: Das allgemeine Eigentum an Luft macht - bislang - noch keinen Sinn. Das Eigentum an Luft macht aber schon eher Sinn, wenn es sich um begrenzt vorhandene, spezielle Luft handelt - sei es Preßluft oder die gute Luft in einem Kurort. Aber wie sind die Verhältnisse genau?

(89) Zunächst können wir das Vorkommen eines Guts betrachten. Hier ist das absolute Vorkommen gemeint, das jenseits menschlicher Existenz auf der Erde existiert. Die genaue Größe des Vorkommens eines Guts - insbesondere von Naturstoffen - kann dabei in den seltensten Fällen exakt bestimmt werden.

(90) Tritt der Mensch hinzu, so ist ein Vorkommen begrenzt durch technische, soziale und andere Faktoren. Diese Begrenzungen, sind dabei nicht überhistorisch, sondern durch historische und gesellschaftliche Entwicklungen bestimmt. So ist z.B. Erdöl die meiste Zeit in der Geschichte des Menschen lediglich als Unrat betrachtet worden, während heute die begrenzte Menge an Erdöl zur Überlebensfrage eines bestimmten Zivilisationstyps wird. Das Verhältnis von Begrenztheiten zum absoluten Vorkommen ist einerseits durch die technischen Mittel bestimmt, die das Vorkommen real nutzbar machen (z.B. bestimmte Abbauverfahren bei Naturstoffen), andererseits kann es politische Entscheidungen geben, die die Nutzung erkannter Vorkommen verhindern (z.B. Schutz von Naturschutzgebieten).

(91) Die Begrenztheit von materiellen Produkten ist wesentlich dadurch bestimmt, wieviele Produkte hergestellt werden können. In einer konkreten Situation spielt es weiterhin eine Rolle, ob die benötigten Produkte auch am gewünschten Ort zur Verfügung stehen. Da die Verfügungsmöglichkeit über Güter - der Besitz - für die Selbstentfaltung von erheblicher Bedeutung ist, ist die Begrenztheit von Produkten ein wichtiges Problem. Eine auf Selbstentfaltung ausgerichtete emanzipatorische Vision hat also das Problem zu lösen, wie Produkte in ausreichender Menge zu den Menschen kommen, die sie für ihre Selbstentfaltung benötigen. Die schiere Existenzsicherung muß hierbei als Teil von Selbstentfaltung gesehen werden.

(92) Wie oben schon angedeutet ist Knappheit dagegen ein Begriff, der - zumindest in diesem Text - ein Entfremdungsverhältnis zum Nutzen des verknappten Guts beschreibt. Knappheit ist im Gegensatz zu Begrenztheit also ein Konzept, das in einer emanzipatorischen Vision keinen Platz hat. Als Quintessenz muß ein emanzipatorisches Projekt also die Knappheit beseitigen und Formen finden, wie mit weiter bestehenden Begrenztheiten umgegangen wird.

Eigentum und Automatisierung

(93) Eine in der industriellen Phase sehr wichtige Größe für die Produktion war die Verfügbarkeit menschlicher Arbeitskraft. Daß diese Größe täglich unwichtiger wird, zeigen uns die epochalen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, bei dem menschliche Arbeitskraft auf historisch so hoher Stufenleiter durch Maschinen ersetzt wird, daß das gesamte, auf der Verwertung von Arbeitskraft gegründete System ins Wanken gerät.

(94) Die Automatisierung von Produktion hebt also eine wesentliche Begrenztheit auf. Eine emanzipatorische Vision wird sie daher als Aspekt mit zentraler Bedeutung enthalten müssen. Spielt die Begrenztheit von Produkten eine immer kleinere Rolle, so spielt das Eigentum an ihnen ebenfalls eine immer kleinere Rolle. Dadurch wird ein Konfliktpotential entschärft, daß die bürgerliche Gesellschaft bis in ihre Wurzeln geprägt hat.

(95) Tatsächlich stehen schon heute im Bereich des Rapid Prototyping zunehmend Maschinen (Fabber) zur Verfügung, die eine Automatisierung materieller Produktion auf einem ganz neuen Niveau ermöglichen. Diese Maschinen materialisieren mit verschiedenen Verfahren direkt aus digitalen Daten materielle Werkstücke. In ihrer Unmittelbarkeit und Universalität übertreffen sie dabei CNC-Maschinen und Industrieroboter, die ja ebenfalls aufgrund digitaler Daten materielle Werkstücke fertigen, um einiges. Die Losgröße Eins ist hier das Prinzip.

(96) Schon heute gibt es zahlreiche Firmen, die auf der Grundlage solcher Maschinen Lohnproduktion betreiben (siehe z.B. http://www.rpd-news.de/). Es wäre denkbar, daß solche Maschinen zukünftig so einfach bedienbar werden, daß der Betrieb solcher Maschinen auch für Privatpersonen oder Gruppen von Privatpersonen attraktiv wird. Damit würden sie dezentral über die Möglichkeit verfügen, Produkte herzustellen, die exakt auf ihren Zweck zugeschnitten sind.

(97) ToDo: Verhältnis zur Spezialisierung / Zentralisierung / Arbeitsteilung?

(98) Bei diesem Typ der Produktion verschiebt sich der Schwerpunkt endgültig auf den Sektor der Information. Die Produktionsmaschinen sind lediglich noch ausführendes Organ der sie steuernden Computer und ihre Bedeutung ist gegenüber der komplexen Maschinerie der industriellen Ära wesentlich reduziert.

(99) Damit verschiebt sich aber der Schwerpunkt auch der materiellen Produktion auf die Produktion von Informationsgütern, deren spezielle Eigenschaften wir oben untersucht haben. Konkret wäre im obigen Szenario vorstellbar, daß die BesitzerInnen der Fabber sich Freie Baupläne für ein gewünschtes Produkt über das Internet besorgen, ggf. mit Hilfe der heimischen Freien Simulations-Software eine individuelle Konfiguration vornehmen, und die Produktion dann veranlassen.

(100) Der verbreitete Besitz solcher Produktionsmittel wäre also in einer emanzipatorischen Vision ein wichtiges Ziel.

Vergesellschaftete Produktion

(101) Wie bereits festgestellt ist eine vergesellschaftete Produktion auch in einer emanzipatorischen Vision von großer Bedeutung, da nur sie in der Lage ist, die Güter zu erzeugen, die auf dem erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung möglich und wünschenswert geworden sind.

(102) Das Beispiel der Freien Software zeigt in großartiger Weise, wie eine gesellschaftliche Produktion jenseits staatlicher oder geldförmiger Eingriffe nicht nur funktionieren kann, sondern auch heute schon bemerkenswert erfolgreich ist.

Ausführung der Produktion

(103) Freie Software wird von sehr vielen Leuten produziert, die irgendwo auf diesem Planeten leben und typischerweise einen Zugang zum Internet haben. Es handelt sich dabei durchaus nicht nur um ProgrammiererInnen, sondern eine Vielzahl von Fähigkeiten ist hier gefragt (z.B. für Dokumentation incl. Übersetzung, Gestaltung von Web-Sites oder Design).

(104) Da diese ProduzentInnen in aller Regel nicht bezahlt werden, kommen als Motivation für ihre ja durchaus auch anstrengende Tätigkeit nur verschiedene Sorten von Selbstentfaltung in Frage. Die Freude daran, ein gutes Produkt zu schaffen, dürfte dabei eine der wichtigsten sein.

(105) Deutlich ist hier zu sehen, wie bei einer veränderten Grundlage von Produktion sich die Ziele von Produktion verschieben. Während bei marktorientierter, mithin also entfremdeter Produktion lediglich die Verkaufbarkeit zählt, ist bei Freier Produktion wie z.B. Freier Software das unter emanzipatorischen Gesichtspunkten zu fordernde Ziel einer maximalen Produktqualität direktes Ziel der Produktion. Dies muß nicht verordnet werden, sondern stellt sich offensichtlich ein, wenn enthusiastische Menschen (Hacker), die Freie-Software-EntwicklerInnen oft sind, genügend Spielraum haben.

(106) Allen ProduzentInnen Freier Software ist gemeinsam, daß sie Art und Umfang ihrer Tätigkeit frei bestimmen. Niemand sagt ihnen, wann oder wo sie sich beteiligen sollen oder können. Da hier weder direkte noch strukturelle (z.B. geldförmige) Zwänge vorliegen, führt das natürlich auch dazu, daß wünschenswerte Entwicklungen unter Umständen nicht oder nicht wunschgemäß stattfinden. Allerdings kann aufgrund der offenen Struktur der Projekte, vor allem aber aufgrund der vorliegenden Quellen jedeR dazu beitragen, daß ihre Wünsche erfüllt werden. Dazu kann jedeR entweder selbst tätig werden, oder notfalls auch strukturelle Zwangsmittel wie Geld einsetzen, um von anderen das Gewünschte zu bekommen.

(106.1) 27.07.2002, 16:24, Stefan Merten: 26.07.2002, 14:30, Stefan Meretz: Den letzten Satz verstehe ich nicht, weder inhaltlich, noch warum du hier von strukturellen Zwangsmittel schreibst.

(106.1.1) 27.07.2002, 16:25, Stefan Merten: Na, weil du Leute auch bezahlen kannst, um Freie Software zu schreiben. Ist das so nachvollziehbar?

(107) Anhand des Beispiels Freier Software kann geschlossen werden, daß eine emanzipatorische Vision die Ausführung von Produktion also denen überlassen sollte, die diese ohnehin übernehmen wollen. Aufgrund der individuellen Unterschiedlichkeit der Menschen und damit auch der individuell unterschiedlichen Arten ihrer Selbstentfaltung, sollten erhebliche Teile von bedürfnisbefriedigender Produktion auf diese Weise abzuwickeln sein. Das Ergebnis einer solchen Produktionsweise ist eine allseitige Emanzipation, da einerseits die Selbstentfaltung der ProduzentInnen zur Voraussetzung ihres Handelns wird, andererseits die Produkte die Selbstentfaltung anderer auf verschiedene Weisen fördern.

(108) Die restlichen Anteile an Produktion, für die sich nicht automatische Menschen finden, die sie übernehmen wollen, die aber für die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse als notwendig erachtet werden, müssen möglichst beseitigt werden. Hierzu bietet es sich einerseits an, nach alternativen Wegen der Bedürfnisbefriedigung zu suchen, andererseits sollte die offensichtlich unangenehme Produktion so weit wie möglich automatisiert werden. Insbesondere letzteres ist wiederum eine Aufgabe mit erheblichem Selbstentfaltungspotential.

(108.1) 27.07.2002, 16:27, Stefan Merten: 26.07.2002, 14:35, Stefan Meretz : s/automatische Menschen/automatisch Menschen/ - hihi;-) Der Begriff "automatsch" passt hier aber sowieso nicht so toll, vielleicht besser "selbstständig"?

(108.1.1) 27.07.2002, 16:29, Stefan Merten: Nee, automatsch paßt hier wirklich nicht so gut. Autos spielen hier nicht so die große Rolle ;-) ;-) . Ich werde BTW "ohne weiteres" schreiben.

(109) ToDo: Verbessern

Organisation der Produktion

(110) Die Aufgabe der Organisation eines großen Software-Projekts ist durchaus erheblich. Software erreicht leicht eine Komplexität, die anderen hochkomplexen industriellen Gütern wie z.B. Autos nicht nachsteht. Nun haben gerade die bekannten Freien-Software-Projekte wie Linux (der Kernel des Betriebssystems GNU/Linux), Apache (ein Web-Server) oder Gimp (ein Bildbearbeitungsprogramm) eine erhebliche Dimension und die einhergehende Komplexität ist nicht einfach im Griff zu behalten. Da Freie Software wesentlich unter Bedingungen der Selbstentfaltung entwickelt wird, ist es für die Entwicklung einer emanzipatorischen Vision daher spannend zu betrachten, wie die notwendige Organisationsleistung vollbracht wird.

(111) Zunächst muß festgehalten werden, daß die aktive Organisation eines solchen Projekts eine Herausforderung an sich bedeutet, die Menschen durchaus als Teil ihrer Selbstentfaltung begreifen können. In der Freien Software werden Menschen mit solchen Funktionen innerhalb eines Projekts als MaintainerInnen bezeichnet. Sie kümmern sich um den Zusammenhalt des Projekts und treffen auch schon mal Entscheidungen. Im allgemeinen sind die Entscheidungen allerdings keine Ergebnisse einsamer Geistesblitze der MaintainerIn, sondern spiegeln das Ergebnis einer Diskussion wieder, die unter den EntwicklerInnen und anderen Interessierten zum Thema stattgefunden hat.

(112) Da alle an einem Freien-Software-Projekt Beteiligten in der Regel freiwillig an dem Projekt teilnehmen, muß die MaintainerIn auch zumindest dafür sorgen, daß die EntwicklerInnen nicht einfach gehen. Sie muß also aus strukturellen Gründen dafür sorgen, daß die in einem Projekt getroffenen Entscheidungen einem möglichst großen Konsens entsprechen. Tut sie es nicht, so steht sie bald alleine da und dies ist für große Projekte das Aus. Ist die MaintainerIn also selbst an dem Erfolg des Projekts interessiert - wovon auszugehen ist, denn warum sollte sie sonst dabei sein -, so hat sie ein natürliches Interesse daran eine Führungsfunktion, die sie im Projekt ausführt, zur maximalen Zufriedenheit aller auszuführen.

(113) Neben dem MaintainerInnen-Prinzip gibt es aber auch eine Reihe produktionstechnischer Hilfsmittel, die die Organisation einer verteilten Produktion vereinfachen. Diese sind durchaus nicht auf Software beschränkt, sondern sind für alle Produktionsprojekte von Interesse, die am Nutzen des Produkts interessiert sind und bei denen entfremdete Interessen wie Profit keine Rolle spielen. Besonders erwähnt werden sollen drei ineinandergreifende Methoden.

(114) Eine Möglichkeit Komplexität zu reduzieren ist die Modularisierung. Damit wird die Komplexität, die ein monolithisches Ungetüm darstellen würde, aufgebrochen in viele kleine Teile, die für sich überschaubar sind. Damit reduziert sich die Gesamtkomplexität eines großen Projekts auf die je einzeln zu betrachtende Komplexität eines Moduls einerseits und die Verbindung der Module untereinander andererseits. In der industriellen Technik können wir solche Entwicklungen ebenfalls seit längerem beobachten, wo bei elektronischen Geräten oftmals nicht mehr einzelne Bauteile repariert werden, sondern ganze Baugruppen ausgetauscht werden.

(115) Eine Voraussetzung für Modularisierung ist die Existenz möglichst klarer Schnittstellen, die desto nützlicher sind, je stabiler sie sind. Die Schnittstellen bilden die Verbindung zwischen den einzelnen Modulen und beschreiben die technischen Parameter für die Kommunikation der einzelnen Module untereinander.

(116) Auf einer etwas anderen Ebene dienen offene Standards ähnlichen Zwecken wie Vereinbarungen über Schnittstellen. Sie ermöglichen es ganz verschiedenen Projekten, sich mit ein und demselben Inhalt auf gleiche oder unterschiedliche Weise zu befassen.

(117) Das bekannteste Beispiel für solche offenen Standards dürfte die Sprache des Web HTML sein. Exemplarisch ist hier zu verfolgen, wie das internationale Gremium W3C (World Wide Web Consortium [http://w3.org]) sich um eine möglichst große Offenheit des Standards bemüht, so daß die NutzerInnen des Standards auf möglichst einheitliche Bedingungen treffen, auf deren Grundlage sie dann ihre Anwendungen aufsetzen können. Im Gegensatz dazu stehen Bemühungen kommerzieller Anbieter von Web-Software wie Microsoft oder Netscape den W3C-Standard mit eigenen Erweiterungen quasi zu verseuchen, um so einen Vorteil in der Konkurrenz herauszuschlagen. Es wird deutlich sichtbar wie das entfremdete Konkurrenzinteresse sich direkt bis in die Produktentwicklung niederschlägt und Nützlichkeitserwägungen eine untergeordnete Rolle spielen.

(118) Den NutzerInnen von Microsoft Office dürfte ein weiteres Beispiel bekannt sein, wie offene Standards dem entfremdeten Geldinteresse zuwider laufen. Denn während sich inhaltlich seit langem kaum noch etwas verändert, gestaltet Microsoft mit (fast) jeder neuen Version seines Office-Pakets das Dokumentenformat inkompatibel um. Ziel ist es, daß die gesamte Microsoft-Kundschaft zum Kauf der neuen Office-Version genötigt wird, da die neuen Formate mit den alten Versionen desselben Pakets nicht zu lesen sind. Daß dies nicht so sein muß, hat Microsoft im Bereich der Textformate sogar selbst mit der Entwicklung des RTF-Formats bewiesen, daß von vorneherein als kompatibel erweiterbar ausgelegt war und bereits in seiner Grundform so reichhaltig war, daß es die allermeisten Anforderungen an ein modernes Textformat erfüllte.

(119) Ein Vorteil dieser Produktionstechniken Modularisierung unter Verwendung von klaren Schnittstellen und offenen Standards ist neben der Komplexitätsreduktion, daß verschiedene Gruppen von EntwicklerInnen relativ unabhängig voneinander an einem gemeinsamen Großprojekt arbeiten können. Die Ergebnisse ihres Tuns sind über Schnittstellen und Standards miteinander verbunden, während die Interna ihres Moduls nach Außen hin nicht von Interesse sind und somit autonom in dem jeweiligen Teilprojekt entschieden werden können.

(120) Neben der technischen Organisation ist aber auch interessant, wie sich Freie-Software-Projekte sozial organisieren. Der bei weitem größte Teil dieser sozialen Organisation findet über das Internet statt, wo vor allem Mailing-Listen (eMail-Verteiler, mit Hilfe derer sich angemeldete InteressentInnen mit einem gegebenen Thema befassen), Newsgroups (thematisch begrenzte Foren auf einer eMail-artigen Basis, zu denen der Zugang allerdings allen Internet-NutzerInnen jederzeit offen steht) und Chat-Möglichkeiten (gleichzeitige Kommunikation mehrerer Interessierter über IRC (Internet Relay Chat) oder Web-Interfaces). Allen Kommunikationsformen gemeinsam ist der lockere Ton, der nicht durch eine formale Steifheit oder formal-hierarchische Abgrenzungen gebremst wird. Das gemeinsame Interesse an der Sache führt zu einer nicht immer emotionsfreien, im wesentlichen aber ergebnisorientierten Vorgehensweise, in der Kreativität gefördert wird.

(121) Eine emanzipatorische Vision kann vom Beispiel der Freien Software also lernen, wie eine vergesellschaftete Form von Produktion auf einer emanzipatorischen Grundlage aussehen kann. Die Mittel und Techniken, die sich in der Freien Software als Folge eines Bedürfnisses nach Kooperation einerseits und Produktqualität andererseits ausgebildet haben, sind richtungweisend.

Entscheidung über die Produktion

Bedürfnisorientierte Produktion

(123) In den Randbereichen Freier Software, in denen sie sich mit proprietär erstellter Software zu überschneiden beginnt, gibt es das Phänomen, das EntwicklerInnen aus entfremdeten Gründen Software entwickeln. Diese Gründe können dabei neben dem Gelderwerb z.B. auch in der Erstellung von Studienarbeiten o.ä. bestehen. In diesen Randbereichen kann die Entscheidung über die Produktion indirekt von Leuten gesteuert werden, die kein direktes Interesse an der Software selbst haben, sondern z.B. an deren Verkaufbarkeit interessiert sind. Es gibt in diesem Bereiche viele unterschiedliche Phänomene und die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen. Eine These ist, daß die Qualität der so erstellten Freien Software tendenziell unter den entfremdeten Bedingungen ihrer Produktion leidet.

(124) Im Kernbereich der Entwicklung Freier Software liegt die Entscheidung darüber, wer was wann produziert letztlich einzig bei den Individuen selbst. Dies ist eine unmittelbare Folge davon, daß es im Kernbereich der Freien Software kein (strukturelles) Zwangssystem wie z.B. Geld gibt, mit dem eine EntwicklerIn zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden könnte. Die Mühe, die in eine bestimmte Entwicklung gesteckt wird, muß letztlich immer auf eine Motivation direkt bei der EntwicklerIn stoßen, muß letztlich immer in irgendeiner Weise ihrer Selbstentfaltung dienen.

(125) Da die Inhalte der individuellen Selbstentfaltung sehr vielfältig sein können, können auch die Motive für eine EntwicklerIn sehr vielfältig sein. Der persönliche Bedarf nach einem bestimmten Stück Software, die Lust daran, ein bestimmtes Programmierproblem zu lösen, der Wunsch, zum Pool Freier Software etwas beizutragen, aber auch das Interesse daran, ein für andere möglichst nützliches Produkt zu erstellen, sind mögliche Motive für die EntwicklerIn. Durch diese Vielfalt an Motivationslagen ist gewährleistet, daß in vielen Fällen die bestehenden Bedürfnisse nach Freier Software nach und nach gedeckt werden.

(126) Eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Entwicklung der Benutzeroberflächen von GNU/Linux. Galt GNU/Linux vor ein paar Jahren noch als kommandozeilenbasiertes Monster, so gibt es inzwischen mit KDE und Gnome zwei Desktop-Oberflächen, die proprietären Desktops in nichts nachstehen. Bestechend dabei auch, daß die umfangreichen Möglichkeiten, die die Kommandozeile unter Unix-Systemen bietet, nicht etwa verschwunden sind. Diese sind vielmehr nach wie vor für die zugänglich, die die höhere Leistungsfähigkeit dieses Instruments für ihre Zwecke weiter nutzen wollen.

(127) An diesem Beispiel wie an vielen anderen ist erkennbar, daß die wichtigste Motivation für die Entwicklung Freier Software die Befriedigung von Bedürfnissen ist. Der Entscheidung über eine bestimmte Produktion liegt daher immer eine Bedürfnisbefriedigung zu Grunde, die aufgrund der Abwesenheit entfremdeter Motivationslagen sich lediglich aus dem konkreten Nutzen der Produkts oder aus der dafür notwendigen Tätigkeit selbst beziehen kann.

(128) Die emanzipatorische Forderung nach einer bedürfnisorientierten Produktion ist also bei Freier Software sowohl hinsichtlich der ProduzentInnen als auch der NutzerInnen der Produkte vorbildlich erfüllt.

Materieller Ressourcenverbrauch

(129) Ein Problem, daß bei der Produktion Freier Software nur eine äußerst untergeordnete Rolle spielt, ist der materielle Ressourcenverbrauch. Als am Computer erstelltes Informationsgut ist Software allgemein relativ ressourcengünstig herzustellen - die notwendige Infrastruktur einmal voraus gesetzt. Die bei weitem wichtigste Ressource ist vielmehr die menschliche Kreativität gepaart mit einerseits Motivation und andererseits den sozialen Fähigkeiten, die für eine Team-basierte Tätigkeit günstig sind.

(130) Bei einer Produktion materieller Güter ist die Frage des Ressourcenverbrauchs aber durchaus nicht so einfach zum Tisch zu wischen und eine emanzipatorische Vision muß diesen Komplex zumindest thematisieren. Der Verbrauch von Energie soll hier unter den materiellen Ressourcenverbrauch gerechnet werden, obwohl er im engeren Sinne getrennt betrachtet werden müßte.

(131) Wie schon bemerkt ist einer der fundamentalen Unterschiede zwischen Informationsgütern und materiellen Gütern der, daß letztere nicht ohne weiteres kopiert werden können. Während die Nutzung von Informationsgütern vielleicht deren materielles Substrat, nicht aber das Informationsgut selbst in Mitleidenschaft zieht, hat die Verwendung materieller Güter vielmehr zur Folge, daß deren Nutzen nach und nach vermindert wird - sie verbrauchen sich.

(132) Nun könnte argumentiert werden, daß auch materielle Produkte lediglich Folge eines Prozesses sind, bei dem Information - nämlich die im Produktionsprozeß vergegenständlichte - eine wichtige Rolle gespielt hat und insofern die Unterschiede zwischen der Herstellung des materiellen Substrat eines Informationsguts sich nicht wesentlich von der Herstellung anderer materieller Güter unterscheidet. Zwar hat diese Argumentation viel für sich und müßte sicher noch eingehender untersucht werden, jedoch verschiebt sie das hier betrachtete Problem nur auf die Verfügbarkeit der Materialisatoren in Form von CD-Brennern, Industrierobotern oder Fabbern. Auch wenn wie andernorts schon ausgeführt die technische Entwicklung hier gewaltige Fortschritte macht, die auch für die Realisierung einer emanzipatorischen Vision von großem Nutzen sind, ist der materielle Ressourcenverbrauch zu berücksichtigen.

(133) Letztlich reduziert sich die Frage nach der Entscheidung über den für eine bestimmte Produktion notwendigen materiellen Ressourcenverbrauch auf die Situationen, in denen Konflikte durch den Verbrauch materieller Ressourcen entstehen können.

(134) Eine wesentliche Forderung wäre also zunächst ganz einfach, das Konfliktpotential schon dadurch möglichst klein zu halten, daß die vorhandenen begrenzten Ressourcen nicht mit dem Bedarf kollidieren. Dies bedeutet nichts anderes, als daß vorhandene Begrenzungen möglichst soweit gedehnt werden müssen, daß jeder vorhandene Bedarf gedeckt werden kann. In einer emanzipatorischen Gesellschaftsform sollte dies wesentlich leichter möglich sein, als in einer geldbasierten Gesellschaftsform, die auf der Verwertung von Knappheit beruht. Hierbei muß natürlich für jede Ressource eine umfassende Betrachtung ihrer Begrenzungen durchgeführt werden, die insbesondere auch ökologische Begrenzungen berücksichtigt.

(135) Eine weitere konfliktvermeidende Strategie ist der Versuch, die Bedürfnisse auf eine Weise zu lösen, die nicht an die bestehenden Ressourcenbegrenzungen stößt. Dies kann durchaus möglich sein, da neben der gesellschaftlichen Bestimmung des Bedürfnisses selbst auch die nahegelegte Form seiner Befriedigung gesellschaftlich bestimmt und somit also änderbar ist. So ist ein Bedürfnis nach Mobilität zwar einerseits selbst schon gesellschaftlich bestimmt - u.a. durch die Notwendigkeit zur Mobilität zur Erreichung z.B. beruflicher Ziele - andererseits ist seine nahegelegte Befriedigung weitgehend durch gesellschaftliche Größen determiniert: Ob Auto oder öffentlicher Verkehr verwendet werden, hängt auch maßgeblich von der Verfügbarkeit der jeweils notwendigen Infrastruktur ab. Von den bestehenden Bedürfnissen selbst hat eine emanzipatorische Vision dagegen einfach auszugehen, denn eine Vision, die den Menschen ihre zulässige Bedürfnisstruktur vorschreibt, kann nicht emanzipatorisch sein.

(136) Sind diese Strategien nicht dazu in der Lage, einen Konflikt aufgrund materieller Ressourcenbegrenzungen zu umgehen, so muß der Konflikt auf emanzipatorische Weise gelöst werden.

Konfliktlösung

(137) Auch wenn durch z.B. die genannten Maßnahmen Konfliktpotential reduziert werden kann und auch wenn der gesamtgesellschaftliche Hintergrund eher auf (konfliktreduzierender) Kooperation statt (konfliktfördernder) Konkurrenz aufbaut, selbst dann sind im Zusammenleben zwischen Menschen Konflikte unvermeidlich. Eine emanzipatorische Vision muß sich also mit der Frage nach Konfliktlösungsstrategien befassen, die dem emanzipatorischen Anspruch gerecht werden. Solche Konfliktlösungsstrategien müssen eine Reihe von Eigenschaften haben.

(138) Emanzipatorische Konfliktlösungsstrategien müssen problemangemessen und lösungsorientiert sein. Dazu ist es notwendig, den Konflikt möglichst genau herauszukristallisieren, denn nur so ist es möglich, problemangemessene Mittel zu definieren und sich auf eine Lösung des Konflikts zu orientieren. Um den Sachverhalt, um den sich ein Konflikt dreht, möglichst gut einschätzen zu können ist eine möglichst hohe inhaltliche Kompetenz auf diesem Sektor überaus nützlich. Ist diese bei den Konfliktparteien nicht vorhanden, so sollte sie von Außen dazugeholt werden.

(139) Zur Analyse eines Konflikts gehört es, die unterschiedlichen Interessen der von dem Konflikt Betroffenen offen zu legen. Je weniger entfremdete Motive (Geldinteressen, Machtkämpfe) in einen Konflikt hineinspielen, desto einfacher ist eine Konfliktlösung zu erreichen. Alle Arten von Störungen, die u.a. aufgrund von entfremdeten Interessen auftreten können, sollten getrennt von der eigentlich anstehenden Konfliktlösungen geregelt werden. Dadurch können neue Konfliktfelder identifiziert werden, die dann in einem ähnlichen, aber getrennten Prozeß bearbeitet werden können.

(140) Möglichst gute Lösungen können nur dann erzielt werden, wenn der Konfliktlösungsprozeß ergebnisoffen ist. Wenn nur noch zwischen verschiedenen Alternativen entschieden werden kann, dann brauche ich keine Konfliktlösung mehr, sondern kann per einfachem Abstimmungsverfahren zwischen diesen Alternativen entscheiden. Zu unterscheiden sind hier Situationen, in denen schon vor dem Konfliktlösungsprozeß die Alternativen vorgegeben sind von solchen, wo Alternativen während eines Konfliktlösungsprozesses identifiziert werden. Während im ersten Fall eine wirkliche Konfliktlösung tendenziell verhindert wird, kann der zweite Fall das Ergebnis eines ausführlichen Konfliktlösungsprozesses sein.

(141) Emanzipatorische Konfliktlösungsstrategien müssen gewaltfrei sein, denn wenn ich den Einsatz von Gewalt fürchten muß, dann bin ich in meinen Möglichkeiten von vorneherein beschränkt und damit schränkt sich auch der mögliche Lösungsraum automatisch ein. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß diese Forderung nach Gewaltfreiheit eine Verantwortung sowohl für das Kollektiv gegenüber dem Individuum bedeutet, als auch dem Individuum gegenüber dem Kollektiv. Gewaltfreiheit bedeutet hier auch, daß ein Konflikt tatsächlich bis zu seinem Ende ausgetragen wird und eine echte Konfliktlösung nicht durch unangemessen vorzeitige Lösungen vereitelt wird.

(142) Selbstredend muß eine emanzipatorische Konfliktlösungsstrategie partizipativ sein. Nur wenn alle, die von einem Konflikt betroffen sind, die Möglichkeit haben sich zu äußern, ist sichergestellt, daß ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.

(143) Die Erfahrung zeigt, daß sich unter den genannten Bedingungen eine Konfliktlösungskultur ausbildet, die sowohl dem Kollektiv als auch dem Individuum gerecht wird und dies auch wahrgenommen wird. Eine solche Kultur ermöglicht letztlich Konsens, bei dem keinE Beteiligte mehr Einspruch gegen die letztendlich gefundene Lösung mehr erheben muß. Konsens ist aber sicher von allen bekannten Konfliktlösungsformen die emanzipatorischste.

(144) Nun gibt es natürlich auch bei der Entwicklung Freier Software Konfliktmöglichkeiten. Zuweilen gibt es recht unterschiedliche Richtungen, in die sich ein gegebenes Projekt weiterentwickeln kann und natürlich ist es immer möglich, daß die an einem Projekt Tätigen unterschiedliche Ansichten über den "richtigen" Weg haben. Da in den meisten Fällen die EntwicklerInnen freiwillig in einem Projekt tätig sind, kann eine Konfliktlösungsform, die auf irgendeiner Form von Zwang basiert, mittelfristig nicht funktionieren - die EntwicklerInnen würden das Projekt einfach verlassen anstatt sich weiter dem Zwang auszusetzen.

(145) Freie-Software-Projekte müssen also Strategien gefunden haben, die einerseits die weitere Entwicklung des Projekts ermöglichen und andererseits die in dem Projekt Tätigen zumindest nicht so verärgern, daß sie sich abwenden. In den meisten Freie-Software-Projekten bilden sich Strukturen heraus, die sich um den Fortbestand des Projektes kümmern. Die Art der Struktur ist dabei sehr unterschiedlich und reicht von der EntwicklerInnengemeinschaft demokratisch gewählten Gruppen über Rotationssysteme bis hin zu sich historisch etabliert habenden Core-Teams oder auch einzelnen Personen. Allen gemeinsam ist aber, daß sie die Maintainerschaft für das Freie-Software-Projekt übernehmen, d.h. also genau die beschriebenen Konfliktlösungsformen exekutieren.

(146) Da die Tätigkeit in Freie-Software-Projekten in der Regel durch Selbstentfaltung und nicht durch entfremdete Interessen bestimmt ist, ist eine lösungsorientierte Herangehensweise an einen Konflikt naheliegend. Da i.a. die EntwicklerInnengemeinschaft selbst über die Konflikte innerhalb des Projekts entscheidet, ist die maximal mögliche Kompetenz automatisch vertreten.

(147) Aufgrund der offenliegenden Quellen ist eine Ergebnisoffenheit allein dadurch gegeben, daß alle auf der existierenden Grundlage eigene Wege ausprobieren können. Im Extremfall können auf diese Weise sogenannte Code-Forks entstehen, bei denen sich Teile der EntwicklerInnengemeinschaft vom Rest abtrennen und fürderhin auf der bis dahin gemeinsam entwickelten Basis aufsetzend unterschiedliche Ziele anstreben. Der Erfolg der angewandten Konfliktlösungsformen zeigt sich übrigens darin, daß solche Code-Forks ausgesprochen selten vorkommen und oft auch nach einer Phase der Parallelentwicklung wieder zusammenfließen.

(148) Nun ist über das Internet Gewaltausübung, wie wir es z.B. von staatlichen Repressionsorganen kennen, von vorneherein nicht möglich. Gewalt kann sich in einem Freie-Software-Projekt im wesentlichen durch persönliche Beleidigungen oder aber das Verwehren des Zugangs zu bestimmten Ressourcen bestehen (z.B. die Mailing-Liste der EntwicklerInnen). Zu den Sourcen als zentraler Ressource kann aber der Zugang nicht verwehrt werden. Eine funktionierende Maintainerschaft wird diese oder andere Gewaltmittel aber nur in Fällen einsetzen, in denen andere Mittel versagt haben. Die Maintainerschaft muß immer damit rechnen, daß einerseits die von der Gewalt betroffenen EntwicklerInnen sich vom Projekt abwenden, andererseits werden damit auch Beispiele gegeben, die auch die Motivation anderer EntwicklerInnen negativ beeinflussen kann, so daß auch die von ihnen eingebrachte Leistung sich vermindert.

(149) Wie ganz allgemein Partizipation in Freie-Software-Projekten eine große Rolle spielt, leben die Konfliktlösungsformen geradezu von der Partizipation der Beteiligten. Erst wenn die Möglichkeit von Beteiligten besteht, ihre je spezifische Sichtweise und ggf. auch Lösungsvorschläge einzubringen, ist gewährleistet, daß deren Bedürfnisse sich in einer Lösung eines Konflikts wiederfinden können. Eine gute Maintainerschaft besteht darin, den während einer Diskussion des Konflikts sich abzeichnenden Konsens zu kristallisieren und damit seine Umsetzung einzuleiten. In den meisten Freie-Software-Projekten schließt diese Partizipation in gewisser Weise auch die NutzerInnen der Software ein, die sich nicht direkt an der Entwicklung beteiligen: Von ihnen entdeckte Fehler werden oft schnell behoben und deren Wünsche an eine bestimmte Software spielen bei der Weiterentwicklung eine mehr oder weniger große Rolle.

(150) Wir können also auch in der Frage der Konfliktlösung uns die in der Freien Software gewachsenen Strukturen anschauen und als Modell für emanzipatorische Modelle verwenden. Für kleinere Konflikte klappt das vermutlich auch ganz gut, jedoch gibt es vermutlich einige Unterschiede zu gesamtgesellschaftlichen Großproblemen wie sie z.B. in der Bereitstellung großräumiger Infrastruktur (Straßen, Wasserversorgung, etc.) auftreten. Unterschiede zwischen den in der Freien Software entwickelten Ansätzen zu gesamtgesellschaftlichen Großproblemen könnten darin bestehen, daß die von einer Konfliktlösung Betroffenen und die jeweiligen ExpertInnen für das Sachgebiet weiter auseinanderfallen als dies bei der Freien Software der Fall ist. Gleichzeitig sind die ExpertInnen in der Freien Software auch in aller Regel diejenigen, die eine gefundene Lösung ausführen müssen. Auch dies ist bei gesamtgesellschaftlichen Konfliktlösungen eher selten der Fall. Hier muß überlegt werden, wie emanzipatorische Konfliktlösungsformen aussehen und vor allem real implementiert werden können.

Universelle Entwicklung der Individuen

(151) In einer Gesellschaftsformation, die auf den Prinzipien der Entwicklung Freier Software beruht, ist die universelle Entwicklung auf drei Ebenen prinzipiell sichergestellt.

Individualisierbare Produkte

(152) Produkte, die aus entfremdeten Zwecken wie dem Gelderwerb hergestellt wurden, verfolgen in erster Linie diesen entfremdeten Zweck. Es liegt in der Natur der Sache, daß seitens des Produzenten kein primäres Interesse daran besteht, den Nutzen des Produkts zu maximieren. Allseits bekannt sind beispielsweise Produkte, bei denen eine Reparatur unnötig erschwert wird - z.B. indem sie nicht zerstörungsfrei zu öffnen sind. Im Rahmen entfremdeter Produktion handelt es sich aber um eine logische Konsequenz, denn die Produktqualität muß ja gerade nur so hoch sein, daß die Verkaufbarkeit gewährleistet ist.

(153) Bei Produkten, die auf der Grundlage von Selbstentfaltung hergestellt werden, ist der Nutzen des Produkts oft ein wichtiges Ziel der Produktion. Dieser Nutzen hat dabei durchaus unterschiedliche Dimensionen. Ressourcenverbrauch während der Nutzung eines Produkts kann ebenso eine Dimension sein wie z.B. einfache Handhabung.

(154) Als ein wichtiger Nutzen eines Produkts kann die Konfigurierbarkeit angesehen werden. Konfigurierbarkeit bedeutet, daß ich das Produkt an je meinen konkreten Zweck anpassen kann. Bei Software finden wir diese Konfigurierbarkeit in Form von Präferenzeinstellungen. Aber auch bei materiellen Produkten kann Konfigurierbarkeit den potentiellen Nutzen steigern. Optimal sind Produkte, die mit einer einfach zu benutzenden Basiskonfiguration ausgeliefert werden, die aber reichhaltige Konfigurationsmöglichkeiten für die NutzerInnen bieten, die diese benutzen wollen.

(155) Da durch konfigurierbare Produkte Handlungsmöglichkeiten von Individuen erweitert werden, wird die universelle Entwicklung eines Individuums durch Freie Produkte, die diesen Nutzen besser unterstützen, begünstigt.

Automatisierung und Selbstentfaltung

(156) Doch nicht nur den Produkten selbst ist ihr Herstellungszweck eingeschrieben. Auch den Produktionsmitteln selbst ist ihre vorgesehene Verwendung in entfremdeter Produktion teilweise überdeutlich anzumerken. Überall dort, wo Menschen nur als Verlängerung der Maschine tätig werden können, ist es offensichtlich, daß Menschen nur mit (strukturellem) Zwang wie Entlohnung dazu gebracht werden können, sich in einer Arbeit als Maschinenfortsatz selbst fremd zu werden. Dies gilt umso mehr, wenn solche Arbeit nicht direkt eigenen Zwecken dient und somit eine individuell einsehbare Notwendigkeit darstellt, sondern auch die Zwecke der Produktion von anderen gesetzt werden.

(157) Nun sind wir heute aufgrund der Produktivkraftentwicklung an einer Stelle angekommen, wo Maschinen immer weniger Menschen zum Ausgleich ihrer eigenen Unzulänglichkeit benötigen. Standen noch in der letzten Generation Unmengen von ArbeiterInnen an Fließbändern um stupidste Arbeit zu verrichten, so werden diese stupiden Tätigkeiten heute nicht selten von Industrierobotern übernommen. Diese Entwicklung ist im Grunde genommen als riesiger emanzipatorischer Fortschritt zu werten, da Menschen unter emanzipatorischem Blickwinkel grundsätzlich zu schade für Tätigkeiten sind, die von Maschinen übernommen werden können. Leider haben sich die Produktionsverhältnisse nicht der Produktivkraftentwicklung angepaßt, so daß das emanzipatorische Potential der technologischen Entwicklung sich heute als Destruktivkraft in Form von Arbeitslosigkeit niederschlägt.

(158) In einer Gesellschaftsformation, die wesentlich auf Selbstentfaltung der Individuen beruht, könnte dieser emanzipatorische Schatz nicht nur endlich gehoben werden, vielmehr bildet er die Grundlage für einen permanenten Ausbau dieses Potentials. Während in einer auf Arbeit beruhenden Vergesellschaftungsform die Vernichtung von Arbeitspotential bei Strafe ihres Untergangs nicht im Interesse der Arbeitsseite sein kann, wäre in einer aus Selbstentfaltung beruhenden Gesellschaftsformation das Interesse aller an einer möglichst weitgehenden Automatisierung gegeben. Die Menschen könnten also immer mehr von lästigen und unangenehmen Notwendigkeiten beFreit werden.

(159) Aber die Maschinen, die dies ermöglichen, bieten gleichzeitig ein erhebliches Kreativitätspotential. Die Flexibilität einer hochmodernen Produktionsmaschine macht erst dann Sinn, wenn sie kreativ genutzt wird. Die technischen Freiheitsgrade, die z.B. ein Roboterarm haben kann, übersetzen sich in gewisser Weise direkt in die Freiheitsgrade der Menschen, die etwas mit ihm anfangen möchten.

(160) Dieses Kreativitätspotential ist aber nichts anderes als die Basis bestimmter Formen individueller Selbstentfaltung und damit der universellen Entwicklung des Individuums.

Selbstgesetzte Ziele

(161) Zuletzt wird das individuelle Handeln nicht länger durch entfremdete Vorgaben bestimmt. Vielmehr ist jedes Handeln in einer auf Selbstentfaltung beruhenden Gesellschaftsformation auf je eigene Zwecke gerichtet. Diese Zwecke werden dabei letztlich immer vom Individuum selbst gesteckt. Eine universelle Entwicklung der Individuen könnte keine bessere Grundlage haben als diese.

(162) Nehmen wir in den Blick, daß die universelle Selbstentfaltung der Individuen unabdingbare Voraussetzung dafür ist, daß diese sich maximal in einem gesamtgesellschaftlichen Rahmen einbringen können, so stellen wir fest, daß für eine emanzipatorische Vision die Selbstentfaltung der Individuen nicht nur ideologisch eine unhintergehbare Voraussetzung ist, sondern auch im direkten Interesse der Gesamtgesellschaft liegt.

Universelle Entwicklung der Gesellschaft

(163) ToDo: Überarbeiten

(164) In einer auf allseitiger Selbstentfaltung beruhenden Gesellschaftsformation stellt sich die Frage nach dem Herrschaftsmodell ganz anders als in Gesellschaftsformationen, die auf antagonistischen Widersprüchen gegründet sind. Die universelle Entwicklung der Gesellschaft ergibt sich hier tendenziell nicht mehr durch ein permanentes Aufeinanderprallen unauflösbarer Widersprüche, sondern ergibt sich organisch aus dem Wirken der Gesellschaftsmitglieder und den von ihnen gebildeten Einheiten.

(165) Ist Selbstentfaltung zentral in das Konzept einer solchen Gesellschaft eingebaut, so ist die Anwendung von Gewalt tendenziell auch für die kontraproduktiv, die sie anwenden. Letztlich verhindert Gewalt ja gerade die Selbstentfaltung, die allen nutzt. In einer Gesellschaft, die auf antagonistischen Widersprüchen beruht, kann Gewaltanwendung dagegen eine rationale Vorgehensweise sein. Ähnliches gilt für andere Formen von Machtausübung. Die Notwendigkeit, Gewaltausübung zu kontrollieren wird von daher geringer werden.

(166) Davon zu unterscheiden ist ein Herrschaftsmodell, das eben nur noch in Extremfällen auf Machtausübung zu beruhen braucht und das vielmehr ausschließlich auf Repräsentation des Gesellschaftsganzen. Ein solches Herrschaftsmodell hätte beispielsweise sicherzustellen, daß die Kernelemente der Gesellschaftsformation nicht bedroht werden. Hier wäre die spezifische Herrschaftsform, die das MaintainerInnen-Prinzip in Freien Projekten darstellt, der Ausgangspunkt und es wäre genauer zu untersuchen.

(167) Was in einer solchen gesellschaftlichen Formation aus dem Konzept des Staates wird, ist heute kaum abzuschätzen. Seine administrativen Anteile, die sich mit der Verwaltung von Infrastruktur befassen, müssen im Prinzip lediglich nach Selbstentfaltungsprinzipien umgemodelt werden. Die repressiven Anteile von Staat könnten dagegen nach dem eben erwähnten voraussichtlich weitgehend abgebaut, vielleicht sogar ganz in die Gesellschaft zurück genommen werden.

(168) Eine wichtige Eigenschaft Freier Projekte ist deren grundsätzliche Offenheit gegenüber allen Interessierten. Die solchermaßen mögliche Partizipation geht weit über die demokratische Wahl von Abgeordneten hinaus. In entwickelten Demokratien können sich die WählerInnen lediglich in großen zeitlichen Abständen zwischen zwei bis fünf unterschiedlichen Programmpaketen / Parteien entscheiden - die sich oft genug als leere Wahlversprechen herausstellen. Es fällt ja geradezu auf, daß die mit dem Internet ungemein gestiegenen Möglichkeiten der Bürgerpartizipation von den demokratischen Parteien oder staatlichen Institutionen nicht oder nur sehr zögerlich aufgenommen werden. Warum gibt es kein Internet-Forum zu jedem der im Parlament diskutierten Themen? Warum wird diese Form des politischen Handelns nicht über die Medien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht? Hier entblößt sich Demokratie als leere Versprechung.

(169) Dagegen ist die Partizipation in Freien Projekten sehr viel unmittelbarer. Verbesserungen, Wünsche, Anregungen können jederzeit unmittelbar in das laufende Projekt eingebracht werden. Die Kommunikationsstrukturen stehen i.a. allen zur Verfügung, die diese nutzen möchten. Zwar gibt es keine Garantie für eine Berücksichtigung des eigenen Beitrags, aber die gibt es weder in der Politik noch in der Wirtschaft - wie beispielweise die zahllosen, Jahre alten Bugs in der Software von Microsoft beweisen. Es ist bei Freien Projekten aber nicht unüblich, daß gute Anregungen, etc. zügig in das Projekt integriert werden. Bug-Fixes liegen nicht selten nach wenigen Stunden vor.

(170) ToDo: Kollektive Selbstentfaltung als Voraussetzung der individuellen Selbstentfaltung

Was tun?

(171) Nachdem nun einiges zu den Bedingungen einer emanzipatorischen Gesellschaftsformation gesagt wurde, die sich auf der Höhe der Produktivkraftentwicklung befindet und die in ihr enthaltenen emanzipatorischen Aspekte aufgreift und weiterführt, stellt sich die Frage, welches konkrete Handeln, welche Politik hier und heute eine solche Vision befördern könnte. Einige Anstöße dazu sollten zum Schluß dieses Textes gegeben werden.

Studien weiterführen

(172) Die in diesem Text oft nur angerissenen Untersuchungen, die sich vor allem auf das Phänomen Freie Software als konkretes Beispiel beziehen, müssen weitergeführt und auf andere Bereiche ausgedehnt werden. In Bezug auf Freie Software wäre es wünschenswert empirische Untersuchungen anzustellen, die noch deutlichere Aussagen über den Charakter dieses Phänomens machen.

(173) Wenn es tatsächlich so ist, daß - wie von Marx schon vorausgesagt - die Produktivkraftentwicklung die Produktionsverhältnisse zu sprengen beginnt und wenn tatsächlich - wie in diesem Text analysiert - Freie Software als eine Keimform einer solchen, über den Kapitalismus hinausweisenden Gesellschaftsformation gelten kann, dann ist zu vermuten, daß auch in anderen Bereichen moderner Vergesellschaftungsformen vergleichbare Entwicklungen stattfinden. Diese müßten entdeckt und analysiert werden. Eine eingehende Untersuchung verschiedenster Phänomene ist mit dem in diesem Text ausgebreiteten erkenntnisleitenden Interesse zu untersuchen und einzuschätzen. Gleichzeitig könnte eine solche Analyse helfen, Denkbegrenzungen zu überwinden, die in dem Inhalt der Keimform - Software - begründet liegen könnten.

(174) Entscheidende Voraussetzung jeder solchen Keimform ist dabei, daß die tendenzielle Abschaffung von Arbeit, Geld und Tausch, ohne die eine emanzipatorische Vision heute schlechterdings nicht mehr denkbar ist, tief in der Keimform verankert ist. Auch andere strukturelle oder direkte Zwangsmittel sollten in jeder Keimform nur von marginaler Bedeutung sein. Im Vordergrund müßte vielmehr, die Freiwilligkeit, die Selbstentfaltung der Beteiligten stehen, die wie beschrieben die Voraussetzung der Selbstentfaltung aller ist genauso wie die Selbstentfaltung aller die Grundlage der Selbstentfaltung der Einzelnen ist.

Freie Projekte fördern

(175) Es stellt sich aber auch die Frage, wie politisches Eingreifen ganz konkret die erkannten Tendenzen begünstigen und verstärken kann. Einige Ideen dazu sollen hier angedeutet werden.

Förderung bestehender Projekte

(176) Um ihre Verbreitung zu steigern und damit gleichzeitig ihren Geist zu verbreiten, sollten Freie Projekte aller Art eingesetzt werden. Dies fällt insbesondere dort leicht, wo diese Projekte Qualitäten liefern, die sich von der kommerziellen Alternative abhebt. Ein weiterer Vorteil sind natürlich z.B. im Bereich Freier Software entfallende Lizenzkosten.

(177) Da Freie Projekte nicht im luftleeren Raum schweben, sondern bis auf weiteres in die Geldgesellschaft eingebettet sind, kann es Freien Projekten helfen, Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Neben Technik kann dies z.B. auch darin bestehen, real-weltliche Treffen wie Konferenzen zu fördern.

(178) Nicht zuletzt kann zur Tätigkeit in Freien Projekten aufgefordert werden.

Aufbau neuer Freier Projekte

(179) In weiteren Ausbaustufen einer Strategie zur Unterstützung Freier Projekte könnte versucht werden, die Infrastruktur verfügbar zu machen, die für die Verwirklichung insbesondere solcher Projekte notwendig ist, die auf materielle Produktion zielen. Denkbar wäre es, modernste Produktionsmaschinen wie Fabber oder Industrieroboter wohnortbezogen verfügbar zu machen, so daß Menschen sich die Gegenstände ihres Bedarfs lokal herstellen können. Dazu müßte sich jeweils eine Gruppe bilden, die einerseits die Pflege einer solchen Produktionsstätte, andererseits die Unterstützung der Nachbarschaft als ihre Selbstentfaltung begreifen. Die Informationsgüter, die zur Herstellung notwendig sind, wären dann Produkte Freier Projekte im Internet.

(180) Es wäre zu prüfen inwieweit aufgegebene Produktionsmittel aus der Konkursmasse der Geldgesellschaft für Freie Projekte nutzbar zu machen sind. Ein zentrales Problem dürfte regelmäßig deren Orientierung auf Verwertung sein. Vielleicht sind aber vereinzelt kreative Lösungen möglich.

Politische Projekte

(181) Neben der direkten Förderung Freier Projekte kann politisches Handeln darin bestehen, die Rahmenbedingungen für Freie Projekte zu verbessern.

Eigentum an Informationsgütern abschaffen

(182) Das Eigentum an Informationsgütern, das in den letzten Jahren einen ungeheuren Aufschwung erlebt, muß bekämpft werden. Patente, Copyright und ähnliches dienen mehr oder weniger ausschließlich entfremdeten Zwecken und stellen auf jeden Fall eine Enteignung der Öffentlichkeit dar.

(183) Als Einstieg könnte konkret gefordert werden, daß alle mit öffentlichen Mitteln geförderten Informationsgüter grundsätzlich allen Frei zur Verfügung stehen müssen.

Output-neutrale Entlohnung für Informationsgüterproduktion

(184) Für die momentanen Entlohnungssysteme, die nicht unerheblich auf den Verwertungsrechten an geistigem Eigentum beruhen, müßten Alternativen gefunden werden, die die ProduzentInnen von Informationsgütern von dem Verwertungszwang befreien. Damit wäre gleichzeitig sichergestellt, daß die ProduzentInnen sich ganz auf die Inhalte ihrer Tätigkeit konzentrieren könnten und sich nicht mit dem entfremdetem Gelderwerb befassen müßten.

(185) Dies würde insbesondere im Wissenschaftsbetrieb, bei dem der allgemeine Zwang zur Verwertung immer stärkere Schäden in den wissenschaftlichen Projekten nach sich zieht, eine erhebliche Veränderung der gesamten Landschaft zur Folge haben und es wäre damit zu rechnen, daß die wissenschaftlichen Leistungen sich verbessern. Eine verbesserte Technologie, die im obigen Sinne weitere emanzipatorische Potentiale beinhaltet, könnte eine Folge solcher Entwicklung sein.

Grundsicherung für alle, die es wollen

(186) Jenseits einer bezahlten Arbeit könnte eine Grundsicherung für alle Freiräume schaffen, in denen Freie Tätigkeit wächst und zur selbstverständlichen gesellschaftlichen Größe wird. Weitere Freie Informationsprodukte könnten dadurch Realität werden und selbst Freie materielle Produkte würden eher in den Bereich des Möglichen rücken, wenn Menschen in Selbstentfaltung ihren Bedürfnissen nach nützlichem Tun nachgehen könnten.

(187) In unserer heutigen Gesellschaftsform müßte allerdings dafür gesorgt werden, daß ein Leben auf Grundsicherungsbasis und die darin vorkommende Freie Tätigkeit einen Wert an sich haben. Die damit einhergehende völlige oder teilweise Erwerbsarbeitslosigkeit dürfte von den Menschen nicht mehr als Verlust sondern als ein Gewinn an Lebensqualität gewertet werden.

(188) Dazu ist es notwendig, daß sich Menschen in Grundsicherung zusammenschließen und offensiv in die Öffentlichkeit gehen. Ein Verweis auf die u.U. sogar gesellschaftlich nützliche Freie Tätigkeit könnte dabei auch solche überzeugen, die ansonsten eher von Schmarotzertum sprechen würden. Solche Bewegungen sind zu unterstützen.

Ideologisches Umsteuern

(189) Soll eine positive Gesellschaftsformation jenseits des Geldes überhaupt möglich sein, so müssen neben den konkret-praktischen Problemen die ideologischen Barrieren in den Köpfen der Menschen beseitigt werden. Plakative Forderungen der Arbeitsgesellschaft wie "Arbeit! Arbeit! Arbeit!" müssen menschenfreundlichen Losungen wie "Leben! Leben! Leben!" weichen.

(190) Mit den hier vorgestellten Ansätzen zu einer emanzipatorischen Vision sollte es dabei leicht sein, in eine Offensive zu gehen. Immerhin umfaßt der Begriff der Selbstentfaltung per Definition die Realisierung der Interessen der Individuen, so daß ihnen nichts aufgezwungen werden muß, sondern eine umfassende BeFreiung in Aussicht gestellt werden kann. Die bereits existierenden Freien Projekte können als täglich sichtbare und vielen nützliche Beispiele dazu dienen, das Vertrauen in ein solches Umdenken zu erhöhen.


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