Home   Was ist ot ?   Regeln   Mitglieder   Maintainer   Impressum   FAQ/Hilfe  

Empirie für "Empire": Das Beispiel Freie Software

Maintainer: Benni Bärmann, Version 1, 19.09.2002
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Freie Software im Empire

(1) Ein Vorwurf, der Empire immer gemacht wird, ist, es sei nicht empirisch genug und die schönen Worte würden nicht belegt. Diese Lücke möchte ich mit dem folgenden Beitrag füllen helfen. Dabei verstehe ich "Empirie im Empire" nicht als eine Aufzählung von Statistiken sondern als eine Vermittlung von Erfahrungen mit Theorie. Da ich gelegentlich mein Geld mit Softwareentwicklung verdiene, werde ich also folgerichtig von einigen Erfahrungen in diesem und angrenzenden Bereichen berichten. Besonderen Augenmerk verdient in diesem Zusammenhang die sogenannte "Freie Software". Ich werde also kurz erklären was das ist und dann darauf eingehen, wieso ich das für eine Lebensform halte, die die im "Empire" beschriebenen Bewegungen der Multitude mit am weitestgehenden abbildet. Dabei werden Gedanken die im Projekt Oekonux entwickelt wurden eine zentrale Rolle spielen.

(1.1) Re: Freie Software im Empire, 27.12.2003, 15:13, jo ??: darauf geht der Text aber gar nicht ein, Absicht???

(1.1.1) Re: Freie Software im Empire, 28.12.2003, 18:19, Benni Bärmann: Was meinst Du mit "darauf"? Der Absatz ist so lang, da musst Du schon etwas konkreter werden.

(1.2) Re: Freie Software im Empire, 23.11.2007, 11:38, Juli Bierwirth: Zur empirischen Unterfütterung von "Empire kann ich vor allem das hier empfehlen: Christian Marazzi: Der Stammplatz der Socken: die linguistische Wende in der Ökonomie und ihre Auswirkungen in der Politik. Zürich 1998 Marco Revelli: Die gesellschaftliche Linke. Jenseits der Zivilisation der Arbeit. Münster 1999

Was ist Freie Software?

(2) Der bekannteste Vertreter Freier Software dürfte "Linux" sein, ein Betriebssystemkern, der seit zehn Jahren nach deren Prinzipien entwickelt wird. Linux ist aber nur eines von tausenden von Projekten, wenn auch ein sehr wichtiges.

(2.1) Re: Was ist Freie Software?, 08.03.2004, 14:53, Christian ??: Die Bezeichnung GNU/Linux sollte auch deshalb grundsätzlich bevorzugt werden.

(2.1.1) Re: Was ist Freie Software?, 09.03.2004, 09:10, Benni Bärmann: ... sagt die FSF. Auch alle GNU-Projekte zusammen genommen bilden nur einen Teil einer typischen Linux-Distribution. Es gibt auch noch ganz andere freie Betriebssyteme. Nur ca. die Hälfte einer typischen Linuxdistribution ist GPL-Lizensiert und widerum nur davon ein Teil ist GNU-Software im engeren Sinn. Trotzdem kann es Sinn machen von GNU/Linux zu sprechen, alleine um klar zu machen, dass Linux eben nur ein Teil ist. Das ist vielen nicht klar.

(3) Freie Software ist solche Software die dem Benutzer vier Rechte gewährt, die da sind:

(4)

  1. Das Recht, die Software zu jedem beliebigen Zweck einzusetzen (freedom to use)
  2. Das Recht, die Software zu studieren, was insbesondere das wichtige Recht des Zugriffs auf den "Source Code" beinhaltet (freedom to study)
  3. Das Recht, die Software zu verändern (freedom to improve)
  4. Das Recht, die Software an andere weiterzugeben (freedom to distribute)

(5) Oft wird bei Freier Software betont, dass sie kostenlos sei, das ist aber, wie wir sehen, garnicht der zentrale Punkt, sondern nur eine Folge daraus, dass die künstliche Knappheit herkömmlicher proprietärer Software durch Punkt 4 aufgehoben wird. Man kann also Freie Software sehr wohl verkaufen, aber meist gelingt das nur einmal. Es gibt jedoch eine Vielfalt von auf Freier Software basierenden Geschäftsmodellen: Service, Distribution, Installation, Schulung, usw. Der Gegensatz zu Freier Software ist also nicht "kommerzielle Software" sondern "proprietäre Software", was solche ist, die mindestens eines der vier obigen Rechte nicht gewährt.

(6) Durch diese Rechte wird eine Praxis in der Produktion Freier Software gefördert, die folgende Eigenschaften hat:

(7)

  1. Sie ist in vielfältigen Formen selbstorganisiert.
  2. Es wird weltweit verteilt im Internet produziert.
  3. Die Produktion ist wertfrei in dem Sinne, dass das eigentliche Produkt, nämlich die Software, kostenlos ist.
  4. Sie basiert zumindestens zu grossen Teilen auf der Selbstentfaltung der programmierenden Anwender.

Immaterielle Arbeit

(8) Softwareentwicklung ganz allgemein ist ein Paradebeispiel für den in Empire verwendeten Begriff der "immateriellen Arbeit". Die folgenden Zitate aus dem Buch zeigen, dass die Entwicklung Freier Software in diesem Sinne sogar noch weiter fortgeschritten ist als die herkömmliche, proprietäre Softwareentwicklung.

(9) In "Empire" gibt es drei Typen immaterieller Arbeit. Softwareentwicklung fällt hauptsächlich unter den Teil der "abstrakte Arbeit" genannt wird. Also einem Typ von vernetzt-kommunikativer Symbolverarbeitung, wie er überhaupt erst durch den Computer und seine weltweite Vernetzung möglich geworden ist. Aber es gibt auch - so wie wohl immer - Aspekte "affektiver Arbeit". Ich würde dazu z.B. die vielfältigen kulturellen Besonderheiten der Hackerszene - bzw. ihre ständige Produktion - zählen.

(9.1) 23.11.2007, 11:41, Juli Bierwirth: Nö. Es würde wophl eher unter den Typ "analytische und symbolische Anforderungen" fallen (vgl. S.ö 305 oben). Abstrakte Arbeit bezeichnet eher einen prozess innerhalb der drei arbeitstypen, insbesondere aber innerhalb der traditionellen industriearbeit durch die "analytischen und symbolischen" tätigkeiten. wobei sie das so kategorial nicht wirklich klären und mit ihrer begriffsverwendung ohnehin eher zur verwirrung beitragen denn zur klärung...

(10) Die Gemeinsamkeit dieser drei Typen beschreiben Hardt und Negri so: "In jedem dieser Typen der immateriellen Arbeit steckt die Kooperation bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst. Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbar soziale Interaktion und Kooperation. Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit wird mit anderen Worten nicht von außen aufgezwungen oder organisiert, wie es in früheren Formen von Arbeit der Fall war, sondern die Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent. (...) Heute haben Produktivität, Reichtum und das Schaffen eines gesellschaftlichen Surplus die Form der kooperativen Interaktion angenommen, die sich sprachlicher, kommunikativer und affektiver Netzwerke bedient." (S.305)

(11) Man kann also Freie Software als ein gutes Beispiel für das, was Negri und Hardt mit "immaterieller Arbeit" meinen, anführen, denn für diese gilt ja in noch viel stärkerem Masse, dass "der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit (...) nicht von aussen aufgezwungen wird", als das bei proprietärer Softwareproduktion ohnehin schon der Fall ist.

(12) Aber auch umgekehrt wirft dieses Beispiel ein neues Licht auf den Begriff, da hier klar wird, dass es bei der Bewertung ob eine Arbeit immateriell ist oder nicht, nicht nur auf die Immaterialität der Produktion ankommt - sonst wäre ja jede Softwareproduktion gleichermassen immateriell - sondern vor allem auch auf die kommunikativen Strukturen die dabei zur Anwendung kommen.

(13) Das sagen sie auch selbst, wenn es heisst: "Das neue an der neuen Informationsinfrastruktur ist die Tatsache, dass sie in die neuen Produktionsprozesse eingelassen und ihnen vollständig immanent ist. Information und Kommunikation führen die heutige Produktion an, und sie sind die eigentlich produzierten Waren; das Netzwerk selbst ist Ort der Produktion wie der Zirkulation." (S. 310)

(14) Da bei Freier Software Produktion, Distribution und Konsumption tendenziell ineinanderfallen, gilt dies in noch stärkerem Maße als bei herkömmlicher Entwicklung, wo schon aus Gründen der Geheimhaltung und Marktstrategie eine solche direkte Verbundenheit nicht möglich ist. Freie Software ist auch deswegen in stärkerem Maße direkt kooperativ und interaktiv, weil sie auf dem Austausch des Arbeitsgegenstandes basiert eben nicht nur zwischen den Angestellten einer Firma sondern zwischen prinzipiell beliebigen Menschen.

(15) Dies alles kummuliert in "Die Begründung des Privateigentums, dieses Begriffs der klassischen Moderne, löst sich so in der postmodernen Produktionsweise in gewisser Hinsicht auf." (S. 313)

(16) und sogar "Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit." (S. 305)

(17) Das alles sind ganz ähnliche Gedanken, wie sie im Oekonux-Projekt entwickelt wurden. Die dortige Formel "Freie Software = Selbstentfaltung + Internet" bezeichnet etwas ganz ähnliches. Produktion und Distribution fallen im Internet zusammen, aus Produzenten und Konsumenten werden Prosumenten, Selbstentfaltung wird zur Produktivkraft, Selbstentfaltung und Selbstverwertung stehen im Widerspruch, Immaterialgüterrechte (oder Intelectual Property Rights) sind absurde Versuche Verwertung wieder einzuführen und dies alles ist eine Keimform für eine nicht-wertförmig organisierte Gesellschaft.

(18) Was ich aber am Ansatz der "immateriellen Arbeit" bevorzuge ist seine größere Reichweite. Er bezeichnet eine ganze Pallette von Phänomenen und Freie Software ist unter dieser Perspektive nur noch ein weit fortgeschrittenes Beispiel einer umfassenderen Sicht. Besonders deutlich wird das im Fall der "affektiven" Arbeit. Wärend wir die beiden anderen Typen immaterieller Arbeit schon ausführlich diskutiert haben, kam affektive Arbeit bisher bei uns kaum vor. Interessant wären dabei zwei Fragen, nämlich einmal wo in der Produktion Freier Software affektive Arbeit auftritt (Tux, M$-Bashing, Hackerkultur, ...) und zum anderen, wo es im weiten Feld affektiver Arbeit Projekte gibt, die ähnlich arbeiten wie Freie Software. Auch ein weiterer Grund, sich Freie Musik (oder Filesharing als Vorform davon) nochmal ganz genau anzugucken.

Wertkritik und Postoperaismus

(19) Scheinbar ist also Freie Software ein Phänomen, dass die immaterielle Arbeit der Multitude im Empire beispielhaft zeigt. Im Projekt Oekonux - wo ich das ja alles herhabe - wurde sich traditionell jedoch eher auf die Wertkritik der Gruppe Krisis bezogen. Diese beiden Ansätze sind in einer gewissen Weise gegensätzlich. Worin unterscheiden sich die beiden Ansätze? Wo liegen ihre Gemeinsamkeiten? Kann man diesen Gegensatz fruchtbar machen?

(20) Für die wertkritische Schule ist die treibende Kraft hinter dem Kapitalismus das Wertgesetz. Ein abstrakter Mechanismus regiert die Menschen. Alles ordnet sich dem Gesetz aus Geld mehr Geld zu machen unter. Stefan Meretz nennt das immer die "kybernetische Maschine".

(21) Ganz anders die Operaisten: Für sie ist die Geschichte immer eine Geschichte sozialer Kämpfe. Es sind immer "die Leute", "das Proletariat" oder eben "die Multitude" die agieren und alle Veränderungen bewirken. Wenn auch - und das ist wichtig - unter nicht von ihnen gewählten historischen Bedingungen. Das Kapital oder eben das "Empire" reagieren nur, passen sich an, um ihre Herrschaft aufrecht erhalten zu können.

(22) Bei Marx finden sich wohl beide Sichtweisen (sagt mein Freund Bodo, ich selbst hab fast keinen Marx gelesen) und tatsächlich erscheint es mir ziemlich offensichtlich das in einem noch näher zu bestimmenden Sinn beide Sichtweisen "richtig" sind. Darin spiegelt sich wohl letztlich die Verfassung des Menschen als ein Wesen, dass einerseits die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt aber eben auch von ihnen bestimmt wird.

(23) Etwas näher kommen wir diesen Problemen vielleicht, wenn wir uns angucken, was die spezifischen Schwächen der beiden Ansätze sind.

(24) Um es platt zu sagen: Wertkritiker neigen dazu, zu schwarz zu sehen. Das allmächtige Wertgesetz hat uns fest im Griff und ein aussteigen ist zwar theoretisch möglich aber man wird immer den Eindruck nicht los, dass es von Aufsatz zu Aufsatz, von Gedanke zu Gedanke schwieriger wird. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass sie ihre Analyse von einem "äusseren Standpunkt", der sozusagen ausserhalb des Wertsystems steht - und von dem aus man vermeintlich die Wahrheit erkennen kann - aus starten und dann nach und nach feststellen, das ihnen dieser äussere Standpunkt immer mehr unter den Füßen wegrinnt. Bei Krisis kann man das momentan erkennen, wenn sie den Begriff des Subjektes kritisieren (siehe http://www.opentheory.org/subjekt3/text.phtml). Am Schluss bleibt nur noch radikale und fundamentale Kritik als Selbstzweck. Keimformen sind so nicht denkbar, weil letzten Endes schon der Gedanke daran zwingend korrumpiert ist.

(25) Um es genauso platt zu sagen: Postoperaisten neigen zur Blauäugigkeit. Noch der kleinste Seufzer wird in ihren Augen zum Akt des Widerstands überhöht.

(26) Auf theoretischer Ebene könnte man sie möglicherweise ganz ähnlich kritisieren, wie das Stefan in seinem "Dschungel der Kooperation" (http://www.opentheory.org/dschungel/text.phtml) mit der Freien Kooperation getan hat. Auch hier gewinnt man manchmal den Eindruck, dass die gesellschaftliche Ebene die es noch jenseits der Kooperationen und Institutionen gibt und die sich eben im Kapitalismus unter anderem im Wertgesetz zeigt, manchmal aus dem Blick gerät. Es wird nicht sichtbar, welche Aktionen der Multitude dazu geeignet sind, das Wertgesetz (oder auch das Patriarchat oder jedes andere fundamentale Herrschaftsverhältnis das nicht erschöpfend durch Institutionen beschreibbar ist) zu knacken und welche zu seinem Erhalt beitragen. Beim Lesen von "Empire" hatte ich jedoch das erste Mal das Gefühl, dass dort tatsächlich an der Lösung dieser Probleme gearbeitet wird. Allerdings blieb viel von diesen Versuchen für mich noch dunkel. Es ist viel die Rede vom Begriffspaar Immanenz/Transzendenz. Es wird betohnt, dass das Empire einerseits aus seiner Eigenlogik heraus zu immer mehr Immanenz strebt aber andererseits auf Transzendenz zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft angewiesen ist. Aus diesem Widerspruch speist sich dann die Möglichkeit zur Überwindung des Empire.

(27) Meiner Meinung nach passt der Postoperaismus eigentlich besser zum "Phänomen Freie Software", weil ja der Selbstentfaltungs-Begriff, der bei Oekonux entwickelt wurde und seine Herleitung aus der kritischen Psychologie, genau auf der "spezifischen Möglichkeitsbeziehung" des Menschen zur Welt aufbauen, also auf den Aktionsmöglichkeiten des Einzelnen, was doch prima zum Operaismus passt, wärend die Wertkritik sich da ein bisschen sperrt (insofern ist die Ablehnung der kritischen Psychologie durch das Krisisumfeld vielleicht nicht nur persönlichen Vorlieben geschuldet, sondern folgerichtig).

Freie Software und die drei Rechte

(28) Am Schluss des Buches gibt es ein Kapitel, das beschreiben soll, wie das Empire untergehen wird oder vielmehr bereits schon untergeht. Die Multitude kommt zu sich selbst, wird sich ihrer bewusst und entledigt sich der Herrschaft des Empire. Dies geschieht im Prozess der Durchsetzung dreier Rechte. Der Begriff des "Rechts" ist dabei mit vorsicht zu geniessen, da es in diesem Fall nicht wirklich einen Adressaten gibt, von dem man diese Rechte einfordern könnte. Das Empire taugt ja mangels Zentrum gerade nicht als Adressat. Es geht also auch hier wohl eher um einen netzwerkartig verlaufenden Prozess. Was haben diese drei Rechte nun mit Freier Software zu tun?

"Das Recht auf Wiederaneignung"

(29) Das dürfte für dieses Beispiel das spannendste der drei Rechte sein, wie vielleicht folgendes Zitat ganz gut illustriert:

(30) "Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind. In diesem Zusammenhang bedeutet Wiederaneignung, freien Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information, Kommunikation und Affekte zu haben - denn diese sind einige der wichtigsten biopolitischen Produktionsmittel. Doch die Tatsache allein, dass diese Produktionsmittel in der Menge selbst zu finden sind, bedeutet noch nicht, dass die Menge diese auch kontrolliert. Eher lässt das die Entfremdung davon noch niederträchtiger und verletzender erscheinen. Das Recht auf Wiederaneignung ist somit in Wahrheit das Recht der Menge auf Selbstkontrolle und autonome Eigenproduktion." (S. 413)

(31) In dieser Perspektive ist Freie Software geradezu _das_ Paradebeispiel für Wiederaneignung und die Kämpfe um (Software-)Patente, Copyright usw. sind die zentralen sozialen Kämpfe um dieses Recht.

"Das Recht auf einen sozialen Lohn"

(32) Das in "Empire" geschilderte Recht auf einen sozialen Lohn erschöpft sich meiner Auffassung nach nicht in einer Existenzgeldforderung an den Staat sondern geht mehr in Richtung eines allgemeinen Rechts auf ein gutes Leben unabhängig von konkreten Tätigkeiten wie Arbeit - was sich in einer konkreten historischen Situation aber durchaus als Forderung an den Staat artikulieren kann. Allerdings finde ich eine der Schwächen des Buches, das diese erweiterte Sichtweise der Existenzgelddebatte nicht sehr explizit geschildert sondern sich eher aus dem Rest des Buches ergibt und vielleicht ja nur für mich ...

(33) Auch hierfür bietet Freie Software ein Beispiel, wenn man das Recht auf einen sozialen Lohn in dieser erweiterten Perspektive betrachtet. Denn die Benutzung von Software ist ja durchaus ein Bedürfnis, was erfüllt werden will und wenn dieses zu Null-Kosten passiert, dann ist diese Bedürfnisbefriedigung Teil dieses "sozialen Lohns".

(34) Gerade in den südlichen Ländern gibt es zur Zeit viele Initiativen zur Förderung Freier Software (z.B. in Peru und Venezuela) und ein nicht unwesentlicher Grund dafür ist, dass enorme Kosten eingespart werden können. Dieses Beispiel zeigt dass diese Sichtweise des "sozialen Lohns" eben auch in einer globalen Perspektive Sinn macht, was bei einer simplen Grundeinkommensforderung an den Staat manchmal nicht der Fall ist.

"Das Recht auf Weltbürgerschaft"

(35) Es geht um die Durchsetzung von weltweiter Bewegungsfreiheit für die Menschen. Damit ist aber nicht nur gemeint, dass man sich physisch bewegen kann, sondern noch weitergehender, dass auch kulturell diese Bewegung wirklich lebbar wird.

(36) Zum einen ist Freie Software vielleicht genau auch eine Möglichkeit, die diese Bewegungsfreiheit zumindestens im virtuellen ermöglicht. Projekte für Linux in Entwicklungsländern oder an Schulen sind da vielleicht eine Richtung, die versucht Ausgrenzungsmechanismen, die anders als die herkömmlichen Grenzen funktionieren, zu unterlaufen.

(37) Auch gerade, wenn es darum geht Weltbürgerschaft kulturell lebbar zu machen ist Freie Software ein sehr weitgehendes Beispiel. So gibt es inzwischen einige eher abseitige Sprachen, die von proprietärer Software meist mangels Markt nicht unterstützt werden. Freie Software unterstützt sie aber, da es dort schon ausreicht, wenn ein Einzelner das Bedürfnis, in der eigenen Sprache zu arbeiten, hat.

(38) Ein weiteres Beispiel ist die weltweit vernetzte Produktionsweise Freier Software, die es den Leuten ermöglicht in ihren Projekten weiterzumachen unabhängig davon, wo sie sich gerade befinden.

Fazit

(39) Freie Software ist eine Lebensformen, die mit am weitesten ist in dem von "Empire" ebenso behaupteten wie geforderten Prozess in dem die Multitude zu sich selbst kommt und das Empire abschüttelt. [Hier vielleicht eine Pause?]

Freie Kooperation und Empire

(40) Soviel erstmal zum Thema, ein kleines Goodie hab ich noch, dass eher indirekt damit zusammenhängt: WAK hat in der Vergangenheit ja schon Veranstaltungen zu Christoph Spehrs "Theorie der Freien Kooperation" gemacht und auch bei Oekonux gab es eine intensive und kontroverse Auseinandersetzung mit dem Thema. Deswegen denke ich, dass zum Abschluss ein kleiner Vergleich dieser Theorie mit "Empire" interessant sein könnte:

(41) Zunächst einmal stechen die Ähnlichkeiten ins Auge. Beide Konzepte gehen von einer radikalen Immanenzperspektive aus. Es gibt kein Aussen. Kein höheres Gesetz, dass unser Handeln leitet, sondern Geschichte entwickelt sich in sozialen Kämpfen. Dennoch gibt es natürlich auch wichtige Unterschiede.

(42) Freie Kooperation geht in einem gewissen Sinne weiter als "Empire", weil konkrete Bedingungen genannt werden nach denen man entscheiden kann, ob Kooperationen erzwungen oder Frei sind. Die "drei Rechte" ergeben sich dann eher follgerichtig aus diesen Überlegungen zusammen mit noch einigen anderen. Wie immer, wenn man konkret wird, bietet man natürlich auch eine größere Angriffsfläche, so haben sich ja viele der Kritiken an Freier Kooperation, die wir diskutiert haben vor allem an diesen konkreten Kriterien orientiert und diese als systemkonform ausgemacht. Das ist ein prinzipielles Problem mit der Immanenzperspektive, denke ich und zu "Empire" wird man ähnliches sagen können (und manche der am wenigsten inspirierenden Verrisse haben genau das getan). Ich denke jedoch auch, dass es keine Alternative zu dieser Perspektive gibt, wenn man irgendeine praktische Bedeutung entfalten will.

(43) "Empire" geht in einem gewissen Sinne aber auch weiter als Freie Kooperation. In Software-Engeneering-Sprache gesprochen ist Freie Kooperation der Bottom-Up-Ansatz, wärend Empire nach dem Top-Down-Prinzip funktioniert. Freie Kooperation hat gesamtgesellschaftliche Verhältnisse nur als Kooperation von Kooperationen von Kooperationen im Blick, was deren Analyse manchmal erschwert. Empire funktioniert umgekehrt. Von den globalen juridischen, ökonomischen und politischen Verhältnissen wird die Macht der Multitude abgeleitet. Das gewärleistet einen besseren Blick auf die globalen Phänomene aber naturgemäß bleibt die Sicht auf die Alltagsphänomene etwas unscharf und eben "von oben herab".

(44) In Christophs Buch "Die Aliens sind unter uns" findet sich ja neben dem Konzept der Freien Kooperation, das dort eher am Rande behandelt wird, auch eine ausführliche Diskussion aktueller Herrschaftsverhältnisse. Wenn man die dort beschriebenen "Zivilisationen" (Aliens, Zivilisten, Maquis, Faschisten) mit den in "Empire" beschriebenen Kategorien in Verbindung bringt, ergibt sich für mich folgendes Bild: Die Aliens sind eigentlich identisch mit dem Empire, Maquis und Zivilisten bilden die Multitude und der Faschismus kommt nicht wirklich in mehr als einer Nebenrolle vor. Darin liegt für mich auch eine besondere Stärke des Konzeptes der Zivilisationen. Zur "Multitude" gehört man immer irgendwie dazu und muss sich nicht mal besonders anstrengen wärend Christoph den Moment der Wahl, zum Maquis zu gehen oder eben Zivilist zu bleiben, betont. Natürlich ist an beiden Sichtweisen was dran, nur in "Empire" wird letzteres oft etwas unterschätzt und vielleicht ergibt sich gerade daraus der Eindruck der Blauäugigkeit und des übertriebenen Optimismus, den viele beim Lesen des Buches haben.

Verweise

(45) - Freie Software: http://www.gnu.org/

(46) - Linux: http://www.linux.org/

(47) - Oekonux: http://www.oekonux.de/

(48) - Krisis: http://www.krisis.org

(49) - Freie Software und Wertkritik: http://www.opentheory.org/linux-wertlos/text.phtml

(50) - Freie Software und Existenzgelddebatte: http://co-forum.de/index.php4?Grundsicherung%20und%20Oekonux

(51) - Freie Kooperation: http://co-forum.de/index.php4?freie_Kooperation

(52) - "Die Aliens sind unter uns - Herrschaft im demokratischen Zeitalter" von Christoph Spehr: http://co-forum.de/index.php4?Die_Aliens_sind_unter_uns

(53) - Dieser Text ist eine renovierte Version eines älteren Textes mit dem selben Thema. Wärend ich hier das Thema eher für Leute betrachtet habe, die "Empire" kennen, aber Oekonux nicht, ist es dort umgekehrt gedacht: http://www.opentheory.org/fs_empire/text.phtml

(54) - Dieser Text ist ebenso eine Vorbereitung für einen Workshop zu "Empire" des Arbeitskreises "Wege aus dem Kapitalismus" in Berlin: http://co-forum.de/index.php4?Empire-Workshop

(55) - Den Text von "Empire" als pdf, html, ascii, Rezensionen und anderes zu Empire: http://www.rosaluxemburgstiftung.de/Einzel/empire/index.htm


Valid HTML 4.01 Transitional