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Interview mit den »Gegenbilder«-AutorInnen

Maintainer: Gruppe Gegenbilder, Version 1, 01.03.2001
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Wie seid Ihr zu dem Buch-Projekt der "Gegenbilder" gekommen?

(1) Stefan: Über das Internet-Netzwerk, in dem ich mich bewege, gelangte ein Aufruf zu mir, ein Buch mit politischen Visionen zu schreiben. Das war genau das, was ich wollte! Ich bin der Meinung, dass als "Visionen" gehandelte Vorschläge entweder so blöd-banal sind, dass der Name eigentlich fehl am Platz ist, oder so blöd- esoterisch daher kommen, dass einem schlecht wird. Visionen müssen konkret sein und sie müssen fundiert sein. Ich wollte vor allem einen Beitrag zu einer ausgewiesenen Fundierung leisten.

(1.1) Visionen müssen KONKRET sein, 03.05.2003, 22:34, Kruno Stubican: FMiFV Partei für "Freie Menschen in freien Vereinbarungen". Revolution im Fünferschritt. Wie kommen wir zu einer Gesellschaft ohne Arbeit und Geld. Indem wir eine Partei gründen, die dafür einsteht. Das tägliche Handeln: Öffentlichkeit schaffen für die Revolution im Fünferschritt. Öffentlichkeit durch Gründung der Partei und Antritt zu den Bundestagswahlen. Öffentlichkeit durch Wahl in den Bundestag nach Überwindung der 5%-Hürde. Ein Programmpunkt der FMiFV: Abschaffung von Geld. Öffentlichkeit durch Bewusstseins(um)bildung (In Frage stellen). Geld ist Fetisch. Öffentlichkeit durch Öffentlichkeit der Diskussion darüber. Öffentlichkeit durch weiterführende Fragen: Wie kann Geld abgeschaffen werden? Öffentlichkeit durch die Gleichzeitigkeit wichtiger Fragen. Wie kann Arbeit abgeschafft oder aufgehoben werden? In drei jahren sind wieder Bundestagswahlen. Ausreichend Zeit bis dahin. Unter Nutzung der Mikroelektronik und seines Kommunikationsnetzes könnte innerhalb von drei Jahren spielend eine funktionsfähige FMiFV gegründet werden, die dann zu den Bundestagswahlen antritt. Fünf Jahre später könnte dann der Bundestag endlich aufgelöst werden (in England das Parliament durch die FPiFA, in Italien...weltweit so etwa im Jahr 2011), die Revolution im Fünferschritt wäre in Gang gekommen, und ich glaube, dass alles gar nicht so lange dauern würde. Nochmal fünf Jahre vielleicht? Und weitere fünf Jahre für weitere Schritte, und Jahre für irgendwas - einem Parteiziel der FMiFV näher gekommen: Müssiggang für alle. Musse für alle.

(1.1.1) Und -mousse au chocola-, 04.05.2003, 11:47, Uwe Berger: http://www.opentheory.org/kleinekapellecoethen/text.phtml - und man kann die Leute mit Geld verkehren lassen die es wollen, ich zahle auch Zinsen, aber lasse mir nicht meine Selbstbestimmung nehmen. Es ist doch nur Kommunikation und Ausdruck. Erst wenn der Fisch tod ist, fängt er richtig an zu stinken. Im übrigen erübrigen sich 5-Jahrespläne, weil alles im Jetzt und Hier von jeder Schnecke so bewältigt wird. Der Sinn, wann vor Regen hochgeschnöckselt werden muß, oder bei Trockenheit alle Eingänge zugemacht, den haben wir doch auch, warum wird er nicht gebraucht?

(1.1.1.1) Re: Der Fetisch-Fisch ist tot und am stinken, 04.05.2003, 16:23, Kruno Stubican: Fetischistisch deformiertes Bewusstsein ist ohne Wahrnehmung. Z. B. Darüber, dass es nun bald drei Monate nicht mehr richtig geregnet hat. Da wird dann bald auch die Schnecke nichts mehr zu bewältigen haben. Doch der nächste Mega-Monsum kommt bestimmt. Und die Fische fangen wieder kollektiv an zu stinken.

(1.1.1.1.1) Re: Der Fisch, 05.05.2003, 22:23, Uwe Berger: Regelt sich die Natur selbst? Manche Pflanzen können sich nur nach einem Waldbrand vermehren. Überschwemmung hat auch natürliche positive Folgen. Der dümmste Fetisch des Menschen ist, daran festzuhalten alles kontrollieren zu können. Anstatt mit der Natur arbeitet der Mensch immer gegen irgendwas.

(1.1.1.1.1.1) Re: Der Fisch, 07.05.2003, 12:31, Kruno Stubican: Arbeit ist Arbeit bleibt Arbeit. Ob nun mit der Natur oder gegen irgendetwas. Mit der Natur arbeiten: Aufräumarbeiten nach teilweise erfolgter Verwüstung. Hauptsache Arbeit. Verdichtete Böden und zubetonierte Landschaft. Wenn schon die Menschen unter- und miteinander keine begehbaren Wege des Untereinander und Miteinander finden, die Wassermassen des nächsten Mega-monsums suchen sich ihren Weg. Und ich glaube, dass dies auch der einzige Weg sein wird, der insgesamt noch zu gehen ist. Bewältigung von Katastrophen und Krisen. Die allergrösste Katastrophe aber, die über diesen Planeten eingebrochen ist, ist eine menschliche und wird wohl nie bewältigt werden: Es gibt Menschen, die haben auf alles immer gleich eine Antwort parat. Das ist eine echte Katastrophe...

(2) Annette: Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit politischen Themen. Schon in der DDR war ich politisch aktiv und seit der Kapitalismus über uns gekommen ist, wurde es besonders drängend zu verstehen, was vorgeht und was man selbst tun kann. Ich habe erst mal recht begeistert die Vielfalt politischer Bewegungen im Westen kennengelernt und dann aber auch bald zu unterscheiden versucht: Welche Ansätze sehen erfolgversprechend aus und welche bedeuten schon konzeptionell eine Integration ins Gegebene? Inzwischen zeigte der Kapitalismus auch immer mehr sein wirkliches Wesen: Sozialabbau, Kriegstreiberei, Duldung von Rassismus und Ausgrenzung etc., etc. Die selbstgemachten Naturkatastrophen nehmen ja inzwischen auch unübersehbar zu. Während wir über Alternativen zu dieser Gesellschaftsform nachdachten - bekam ich mit, daß die EXPO 2000 inhaltlich viele Bedenken aufnehmen und Lösungen für die Probleme anbieten will, die genau die versursachenden Faktoren verstärkt, statt zu verhindern. Mehr Marktliberalisierung, mehr Technisierung, mehr Einbeziehung der Wirtschaft in die Prozesse. Ich war erstaunt, wie viele Umweltbewegte froh darüber waren, daß die Globalen Gefahren überhaupt mal ernst genommen wurden und ihre eigene Kritik an den Hauptverursachern plötzlich zurückstellten. Viele meiner Bekannten fragten mich auch einfach: Was hast Du denn dagegen? Das mußte ich dann einfach mal sauber ausargumentieren und war deshalb froh, daß das Buchprojekt uns die Gelegenheit dazu gab.

(3) Jörg: Ich wirbelt im Expo-Widerstand herum. Wir wollten dort die Expo zum Anlaß nehmen, endlich eine emanzipatorische Bewegung mit klaren Positionen über das bisherige Kleinkrämertum etablierter Verbände und die Grabenkämpfe vieler Politikgruppen hinweg zu entwickeln. Für mich gehörten da visionäre Entwürfe dazu. Leider haben sich von den PolitaktivistInnen wieder keine gefunden. Aber über die Veröffentlichung der Idee haben wir drei dann zueinander gefunden – ganz unterschiedliche Leute.

Das fällt im Buch beim Lesen auf: Das Buch hat zwei Teile, einen ersten eher theoretischen und einen zweiten konkreten Teil.

(4) Unser Anspruch war, diese Teile miteinander zu verbinden. Ob uns das gut gelungen ist, mag jede/r selbst beurteilen. Für uns war die Auseinandersetzung unglaublich lehrreich...

... ihr drei seid ja sehr unterschiedlich

(5) Ja, richtig, eine Philosophin und Physikerin, ein radikaler Aktivist der Bewegung "Umweltschutz von unten" und ein Informatiker und Entwickler Freier Software. Aber das war ja gerade das spannende: Wir haben es für uns geschafft, eine gemeinsame Sprache zu finden. Wir konnten aus völlig unterschiedlichen Sichten zu gemeinsamen Einschätzungen kommen. Das drückt sich zum Beispiel im Glossar des Buches aus, dass wir als Teil des Buches ganz besonders schätzen.

Was war Euch wichtiger, die Argumentation gegen die EXPO-Ideologie oder das Entwickeln von Gegenbildern?

(6) Wir denken, es hat nicht viel Zweck gegen die EXPO bzw. die dort gezeigte und ja auch heute noch propagierte Ideologie zu reden, wenn man nicht auch andeuten kann, wie man sich die weitere Existenz und Entwicklung der Menschheit selbst - auf andere Weise - vorstellt. Der Kapitalismus hat sich selbst schon so als das "Normale" in die Hirne eingegraben, daß es sehr schwer ist, über Alternativen überhaupt nachzudenken. Dabei gibt es so viele neue Ansätze, die noch über jene der bekannten Alternativbewegungen der 60er bis 80er Jahre hinausgehen, aber ihnen recht unähnlich aussehen! Wir wissen, auch aus unserem engeren Bekanntenkreis, wie sehr sich die gegebene kapitalistische Realität relativiert, sobald man sich Alternativen konkret vorstellen kann - weil man ihre Ansätze konkret erlebt. Die kapitalistische "Normalität" sieht plötzlich aus wie der Kaiser ohne Kleider! Wir denken, die von uns zusammengetragenen neuen Ansätze, z.B. aus der Freien Softwareszene, sind auch über die EXPO-Diskussion hinaus grundlegend für die Zukunft. Deshalb hoffen wir sehr, daß jetzt nach der EXPO nicht auch das Interesse daran erlischt. Allerdings sind wir da optimistisch - es zeigt sich, daß sich seit einigen Monaten neue Kontakte zu ganzen Netzwerken auswachsen, neue inhaltliche Bezüge werden hergestellt, übergreifende Gesichtspunkte zusammengefaßt. Es kommen Menschen zusammen, die vorher in ziemlich unterschiedlichen Gruppierungen oder gar nicht aktiv waren - auch wenn die Form dieser neuen Vernetzungen nicht die bisherigen Gestalten (Parteien, Vereine...) annimmt, sondern z.B. selbst das Internet als Vermittlungsmedium ausgiebig nutzt.

War jemand von Euch auf der EXPO, die Ihr vorher schon kritisiert hast?

(7) Annette: Beim Schreiben des Buches bezogen wir uns vorwiegend auf die von den EXPO-Machern selbst propagierten inhaltlichen Ziele. Insofern sind wir da schon authentisch, auch wenn wir damals noch gar nicht dort waren. Inzwischen hat sich ja gezeigt, daß von den vorgesehenen Bezügen auf Globale Probleme weniger kam, als vorgesehen und die zweite Werbekampagne hat ja völlig von Inhalten abgelenkt und auf den Spaßfaktor gesetzt. Das scheint auch funktioniert zu haben. Ich war mit der Schulklasse meiner Tochter auf der EXPO. Die Stimmung war trotz Mistwetter gut, es war ein Erlebnis - ganz im Sinne der Werbung einer Verona F. Die Kids sind vor allem rumgerannt, um Stempel für ihren "Expo-Paß" aus möglichst vielen Länderpavillons zu sammeln. Dort erlebten sie vor allem Touristikwerbung und Souvenirverkauf - nichts Weltbewegendes auch aus ihrer Sicht. Mit einigen wenigen bin ich ab und an ins Gespräch gekommen - vor dem Gen-Card-Telefon z.B. Wir haben uns gefragt, warum die ausgerechnet ein Telefon dafür verwenden, ein wissenschaftliches Gerät wäre doch sinnvoller gewesen. Die Gen-Card sollte ja aber als etwas ganz "normal-Alltägliches" erscheinen... Wir standen auch vor der Gestaltung der Aussage, daß Gentechnik den Hunger beseitigen könne - das war geschickt gemacht: auch die Gegenthese stand da, aber fast unlesbar ganz unten, wo keiner mehr hinschaut. Über solche Tricks kann man ja mal reden. Das merken sich die Kids auch und erkennen es das nächste Mal selbst.

(8) Jörg: Ich habe mir zwei Tage intensiv die Themenparks angeguckt, weil mich die Ideologiefrage interessierte. Erschreckend fand ich nicht nur die auf Profit und Verwertung von Mensch und Natur ausgerichteten Inhalte, die teilweise versteckter und wenig verständlich rüberkamen als in der Planung der Expo selbst angestrebt war. Schon das Konzept der Show war grauselig. Manipulation pur. Da war nichts mit selbstbestimmten Lernen. In den Themenparks mußte mensch meist einem vorgegebenen Parcour folgen, oft war alles dunkel außer dem, wo ich hingucken sollte. Der Höhepunkt war das Chemodrom, wo ich auf einem Sitz durch einen dunklen Tunnel fuhr, beschallt durch einen Rundum-Kopfhörer und mit hellen Schaubildern. Damit ich auch immer richtig guckte, drehte sich mein Sitz dahin, wo ich hinschauen sollte. Unglaublich! Auch ein anderes Erlebnis ist mit noch hängengeblieben – bei einer Fernsehdiskussion, wo ich gegen den Stellvertreter von Birgit Breuel und einige expo-fanatische Kirchenfürsten diskutierte, antwortete der Expo- Funktionär auf die Frage, welche Werte die Expo vertrete: „Deutsche Werte“. Das war richtig schön offen. Schade, daß es dem Widerstand, also auch uns, nicht gelungen ist, dieses Zukunftsbild mehr an das Licht der öffentlichen Debatte zu zerren, zu demontieren und eigene Visionen entgegenzusetzen. Unser Buch ist kaum als Teil des Expo-Widerstandes wahrgenommen worden. Inzwischen müßte es im Untertitel passender „Gegenbilder zu Kapitalismus und Herrschaft“ heißen.

Was ist denn nun das Neue an Eurem Buch? Theorien gibt's doch wie Sand am Meer...

(9) Das stimmt, nur die allermeisten taugen nichts. Sie sind entweder arschkriecherisch - guck dir die Grünen an -, oder grottenlangweilig wie die Überreste des Altmarxismus. Für uns ist klar: Der Kapitalismus ist die Ursache der ökologischen, sozialen und psychischen Verheerungen auf der Welt. Er ist aber nicht das Ende der Geschichte, sondern es gibt eine Alternative.

Aber Marx kommt bei Euch auch vor...

(10) Ja klar, kein schlauer Mensch kann Marx ignorieren. Doch Marx ist nicht eindeutig, Marx' Werk war ein Work- in-progress, es stellt einen relativen Erkenntnisstand dar und ist in sich überhaupt nicht eindeutig. Erst der Traditionsmarxismus hat ihn vereindeutigt - in eine Richtung, die völlig unangemessen ist. So hat er immer auf die Verteilungsfrage geguckt, also auf die Frage, wer über den Mehrwert verfügt. So nach dem Schema: wenn die Kapitalisten drüber verfügen, dann ist das Mist, wenn die Arbeiter drüber verfügen, dann ist das gut. Das ist aber völlig kurzsichtig, denn es ist letztlich egal, wer über den Mehrwert verfügt. Entscheidend ist der Zusammenhang, in dem sie das tun, und der ist so beschaffen, das aus Geld mehr Geld werden muss. Der Verfüger muss also zusehen, dass aus Geld mehr Geld wird. Das bedeutet aber, dass in Wahrheit der Verfüger gar nicht mehr entscheidet, dass also der Verfüger nicht das Geld bewegt, sondern umgekehrt: Das Geld bewegt den Verfüger. Marx nannte das den "Fetischismus". Dabei ist nun völlig egal, ob der endlose, blinde und totalitäre Wertverwertungsprozess von den Arbeitern, die die Fabrik besitzen, oder den Kapitalisten bedient wird. Marx hat mal gesagt, "die Maschine wendet den Arbeiter an". Er hätte besser sagen sollen: "Die sich selbst steuernde Maschine 'Kapitalismus' wendet den Menschen an".

Wollt ihr etwa das Geld abschaffen?

(11) Na klar, drunter gibt's keinen wirklichen Fortschritt. Wer raus will aus der totalitären Verwertungsmaschine, darf sie nicht mehr bedienen. Und die Arbeit, dieses quälende Zwangs-tun für einen äußerlichen Zweck, gehört gleich mit abgeschafft. Natürlich sind wir nicht blöd, wir schaffen das Geld nicht dadurch ab, in dem wir schon mit unserem eigenen anfangen und es verbrennen. Die Perspektive, an der ich mein tägiches Handeln messe, ist wichtig: Wir kommen wir zu einer Gesellschaft ohne Arbeit und Geld? Steige ich schon ein Stück weit um in diese Richtung oder reproduziere ich den überlebten alten Scheiss? Das sind sehr nahe, persönliche Fragen.

(11.1) FMiFV Parteiprogramm - Programmpunkt: Abschaffung von Geld, 03.05.2003, 22:32, Kruno Stubican: FMiFV Partei für "Freie Menschen in freien Vereinbarungen". Revolution im Fünferschritt. Wie kommen wir zu einer Gesellschaft ohne Arbeit und Geld. Indem wir eine Partei gründen, die dafür einsteht. Das tägliche Handeln: Öffentlichkeit schaffen für die Revolution im Fünferschritt. Öffentlichkeit durch Gründung der Partei und Antritt zu den Bundestagswahlen. Öffentlichkeit durch Wahl in den Bundestag nach Überwindung der 5%-Hürde. Ein Programmpunkt der FMiFV: Abschaffung von Geld. Öffentlichkeit durch Bewusstseins(um)bildung (In Frage stellen). Geld ist Fetisch. Öffentlichkeit durch Öffentlichkeit der Diskussion darüber. Öffentlichkeit durch weiterführende Fragen: Wie kann Geld abgeschaffen werden? Öffentlichkeit durch die Gleichzeitigkeit wichtiger Fragen. Wie kann Arbeit abgeschafft oder aufgehoben werden? In drei jahren sind wieder Bundestagswahlen. Ausreichend Zeit bis dahin. Unter Nutzung der Mikroelektronik und seines Kommunikationsnetzes könnte innerhalb von drei Jahren spielend eine funktionsfähige FMiFV gegründet werden, die dann zu den Bundestagswahlen antritt. Fünf Jahre später könnte dann der Bundestag endlich aufgelöst werden (in England das Parliament durch die FPiFA, in Italien...weltweit so etwa im Jahr 2011), die Revolution im Fünferschritt wäre in Gang gekommen, und ich glaube, dass alles gar nicht so lange dauern würde. Nochmal fünf Jahre vielleicht? Und weitere fünf Jahre für weitere Schritte, und Jahre für irgendwas - einem Parteiziel der FMiFV näher gekommen: Müssiggang für alle. Musse für alle.

Hört sich wirklich utopisch an...

(12) Ist es aber gar nicht. Ja, wir nennen den Verwertungszwang des Kapitalismus, dem auch wir unterliegen, totalitär. Doch es ist keine abgeschlossene Totalität, sondern Antrieb und Anspruch des Systems, auch noch die letzte Regung in Containern eingesperrter Menschen zu Geld zu machen. Und das menschliche am Menschen ist, dass jede und jeder sich immer zu den Bedingungen verhalten kann. Es geht immer um Entscheidungen, ich muss gar nichts tun. Ich kann, wenn ich mich entscheide. Wenn ich nun den systemischen Zwangscharakter besser verstehe, dann kann ich mich auch besser entscheiden. Ich kann z.B. zum meinem Lohnjob nachgehen, weil ich nun mal Geld brauche. Aber ich muss die Arbeit deswegen nicht toll finden wie die ganzen megamodernen Yuppies, die allen Ernstes behaupten, sie arbeiten gerne 70 Stunden die Woche. Das ist grotesk! Die haben den äußeren Systemzwang der kapitalistischen Wertmaschine völlig verinnerlicht. So einen Scheiss muss ich nicht mitmachen. Ich kann mir auch überlegen, gar nicht zu arbeiten, sondern anders über die Runden zu kommen. Es gibt viele Mglichkeiten.

Predigt ihr den Verzicht?

(13) Nein, das ganze Gegenteil davon! Jeder Mensch hat den Anspruch auf ein schönes Leben, und jeder Mensch sollte dieses Ziel so radikal wie möglich verfolgen. Die Probleme fangen mit den Wegen an. Wenn ich die nahegelegten Wege über Geld und Konsum nehme, dann werde ich nicht wirklich glücklich. Dann muss ich nämlich den ganzen Zwangsapparat der aus Geld-mehr-Geld-machen-Maschine bedienen, um ein paar Bröckchen abzubekommen. So erreiche ich keine Freiheit, sondern nur Selbstunterwerfung in all ihren Facetten. Ich muss vor dem Elend, das ich mitproduziere - mich eingeschlossen -, die Augen verschliessen. Das kann ich nicht.

Viele tun das doch aber - was ist denn die Alternative?

(14) Natürlich tun das viele - weil sie es nicht besser wissen, und weil sie wahrscheinlich auch Angst haben, ihre bisherigen Handlungsmöglichkeiten auch noch zu verlieren. Das muss jede/r selbst entscheiden. Die Alternative ist die unbeschränkte individuelle Selbstentfaltung. Ja, ich weiss, auch Esos reden davon, und irgendwie haben die auch die richtige Ahnung. Aber sie blenden jegliche Zusammenhänge, in denen man sich bewege und die jede/r reproduziert, völlig aus. Es geht aber gerade darum, diese Zusammenhänge zu verstehen, um meine Handungsmöglichkeiten zu verbessern. Es geht darum zu verstehen, dass ich mich niemals auf Kosten anderer entfalten kann - denn der allgemeine Andere bin auch ich, und ich würde mir den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn ich den Anderen unterbuttere, um selbst weiterzukommen. Nächstes mal bin ich dann nämlich dieser "Andere". Aber es geht nicht nur negativ um wechselseitiges "fertigmachen", sondern positiv auch darum, dass ich für meine Selbstentfaltung die anderen Menschen brauche.

So etwas wie Selbstentfaltung will doch aber die Wirtschaft auch, wenn sie vom flexiblen, kreativen Beschäftigten spricht.

(15) Ja, stimmt. Die Kapitalvertreter, also die funktionalen Verfüger über die großen investiven Geldmengen, haben erkannt, dass die Subjektivität des Menschen die letzte qualitative Ressource der Produktivkraftentwicklung birgt. Sie versuchen die Selbstentfaltung unter die Bedingungen der Verwertung zu stellen. Doch im Buch arbeiten wir heraus: Selbstentfaltung und Wertverwertung sind unvereinbar. Aber daran, dass die Tendenzen zur Individualität und Entfaltung in der Gesellschaft vielfältig sichtbar sind, sieht man, das Selbstentfaltung keine spinnerte Idee von drei Buchschreiberinnen ist, sondern einen objektiven Prozess widerspiegelt.

Wollt ihr also einen neuen Geschichtsdeterminismus verkünden, dem alle zu folgen hätten?

(16) Geschichte ist nie determiniert. Da die Menschen stets die Bedingungen schaffen, die gleichzeitig ihre Handlungsvoraussetzungen sind, kann man Geschichte nur als Dialektik von Notwendigkeiten und Zufällen begreifen. Diese Dialektik, die Entwicklungslogik kann man im Nachhinein rekonstruieren, um Kriterien für die Zukunft zu gewinnen. Kriterien - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das haben wir im Buch getan und sind ziemlich weit gekommen.

Wie sieht denn Eure Geschichtsbetrachtung aus?

(17) Menschen produzieren, um sich und die Bedingungen der Produktion zu reproduzieren. Schon wieder so ein doppelseitiger, dialektischer Zusammenhang, dem wir andauernd begegnen. Da muss man höllisch aufpassen, keine erst-dann-Logik draus zu machen - das geht ja schon beim Huhn und dem Ei bekanntlich nicht. Aber weiter: Die Art und Weise, wie die Menschen gesellschaftlich ihr Leben produzieren und reproduzieren, hat sich historisch verändert. Der Begriff, der das faßt, ist der der Produktivkraftentwicklung. Das kann man sich vereinfacht als Dreiecksverhältnis von Mensch, Mitteln und Natur vorstellen: Der Mensch - betrachtet als allgemeiner Mensch - benutzt Mittel, um den notwendigen Stoffwechsel mit der Natur zu organisieren. Historisch kann man nun zeigen, dass jeweils ein Aspekt dieses Dreiecksverhältnisses im Zentrum der Produktivkraftentwicklung stand und damit die Epoche bestimmte. Zur Natur-Epoche gehören also alle agrarischen Gesellschaften. Die Mittelepoche beginnt mit dem Kapitalismus. Hier geht es um das Mittel, heute sind das die Maschinen, die Technik und die Wissenschaft. Wir wissen alle, dass die agrarische Produktion von Nahrungsmitteln zwar noch da ist, aber nurmehr einen verschwindend geringen Anteil an der gesellschaftlichen Produktion hat und dass sie nach den Mechanismen der "Mittel-Epoche", also mit Maschinen, Technik und Wissenschaft betrieben wird. Genauso wird das einmal sein, wenn es zur Entfaltung des dritten Aspekts, nämlich des Menschen selbst gekommen ist. Dann wird die industrielle Produktion nur noch marginales Fundament der universellen und unbeschränkten Selbstentfaltung des Menschen sein!

Das ist aber sehr optimistisch.

(18) Kaum zu glauben, wenn man sich so umguckt, nicht wahr? Aber die Keimformen dieser Entwicklung sind schon sichtbar. Nicht nur der gesellschaftliche Individualisierungsschub und die neuen Management- und Arbeitsformen deuten das an, sondern es gibt eine Bewegung, die sich quasi auf der Grundlage des Neuen gebildet hat, und das ist die Freie Softwarebewegung. Hier wird Software als Resultat der individuellen Selbstentfaltung, aus purem Spass und Befriedigung an der Sache, in einer Qualität hergestellt, die den ganzen Kommerzmüll, den die meisten sicher noch auf ihrem PC haben, in den Schatten stellt. Und das in wertfreier Form, ohne Tausch und Zwang. Nach dem Prinzip: Jede/r macht, was er/sie will, und nimmt, was er/sie braucht. Es ist nicht verwunderlich, dass sich solche Keimformen - die natürlich nicht widerspruchfrei sind und wo auch die Softwarefirmen inzwischen Schlange stehen - im Softwarebereich herausbildeten. Hier geht es um die fortgeschrittensten Techniken der ablaufenden Mittelepoche und um ein immaterielles Gut, dass leicht kopierbar ist. Demgegenüber hängt die kleinbäuerliche und handwerkliche Alternativbewegung praktisch und mental in der "Naturepoche" fest - was nicht grundsätzlich gegen sie spricht, aber Grenzen deutlich macht.

Das könnte Euch als arrogante Haltung ausgelegt werden.

(19) Wir verurteilen das ja nicht, ich schätze es aus meiner Sicht ein. Und außerdem soll sich jede und jeder dort entfalten, wo er oder sie eben gerade ist. Das kann auch in der Schreinerei sein oder beim Apfelmost machen. Das entscheidet jede/r für sich selbst. Wir sagen nur, dass gesellschaftliche Umbrüche in anderen Bereichen vorangetrieben werden, eben in den High-tech-Bereichen.

Aber alles, was Ihr beschreibt, findet nun mal im Kapitalismus statt. Interpretiert ihr da nicht zuviel rein?

(20) Kann sein, eine Garantie gibt's für gar nichts. Auch Theorie muss man einfach machen und umsetzen, um zu sehen, ob es funktioniert. Eine Bestärkung erfahren wir in vielfältiger Weise aus verschiedenen Richtungen. Es muss schon irgendwas dran sein an unseren Einschätzungen, wenn parallel Leute aus unterschiedlichen Zusammenhängen zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Und es ist kein Zufall, dass jetzt das Oekonux-Projekt (www.oekonux.de) entstanden ist, wo es um die Grundzüge der neuen Gesellschaft geht, oder das OpenTheory- Projekt (www.opentheory.org), dass die Ideen Freier Software auf Texte, Bücher, Enzyklopädien usw. umsetzt. Auch das Gegenbilderbuch ist dort als Online-Buch erschienen - zum Nutzen, Kopieren, Verändern, Diskutieren.

Zu Eurem Naturbegriff und –verhältnis: Ihr macht den Menschen zu bewußten Gestalter. Ist das nicht arrogant? Was sagen die vielen NaturschützerInnen, die lieber von Mitwelt reden oder den Menschen als einen von vielen Geschöpfen neben anderen sehen?

(21) Es ist ja ehrenwert, aber es nützt nichts. Selbst die Definition, daß Menschen und Tiere gleichwertig sind oder die Natur einen Selbstwert hat, macht auch wieder der Mensch. Darum kommen wir drum herum. Wir sind das Subjekt. Es ist eine absurde Vorstellung, daß die Natur als solches einen Wert haben soll. Wie soll der entstehen? Und warum muß alles einen Wert haben, damit wir es schützen? Genau das Gegenteil ist es: Weil wir begreifen, daß wir die Gestalter der Natur sind, daß wir sie als Lebensgrundlage nutzen und formen und daß gleichzeitig uns von ihr nie lösen können, erwächst das Interesse, die Natur zu erhalten. Denn sie ist wichtig für unser gutes Leben. Profit, Ausbeutung und Machtansprüche auch über Nutzung und Zerstörung von Umwelt gibt es in einer Welt der freien Menschen in freien Vereinbarungen nicht mehr.

Und wie soll das dann funktionieren? JedeR nimmt, was er oder sie will?

(22) Genau. Und damit das so ist, entsteht das eigene Interesse der Menschen, einen Reichtum an Rohstoffen, materiellen Dingen und an Wissen, an Kunst und Kultur zu schaffen. Die Natur, ihre Flächen und Rohstoffe, gehören dazu. Da die Menschen gleichberechtigt sind, wird auch die Gestaltung und Nutzung der Natur zu den freien Vereinbarungen gehören. Keine Verbotsschilder mehr, kein Eigentum an Flächen und Materialien. Alles gehört allen. Warum sollten die Menschen das zerstören, was ihnen ein gutes Leben schafft? In der heutigen Zeit können sie Entscheidungen treffen, die dann andere Menschen ausbaden müssen – Mülldeponien, Atomkraftwerke und alle Großprojekte, aber auch die alltägliche Verseuchung von Boden, Wasser und Luft klappt doch nur deshalb, weil Macht im Spiel ist und der Profit von allen als Ziel anerkannt wird.

Klingt das nicht nach „zurück in die Steinzeit“?

(23) Nein. Im Gegenteil: Die Gestaltung von Natur, die Bewirtschaft der Flächen bis hin zur Entwicklung von Technik und Maschinen – all das wird in Zukunft nicht mehr für den Profit, sondern für ein besseres Leben geschehen. Wir glauben, daß dann viel mehr viel sinnvollere Fortentwicklungen geschehen werden. Die kapitalistische Profitgier erhält eher Dinosauriertechnologien, wenn sich damit nur Kasse machen läßt. Die Welt der „freien Menschen in freien Vereinbarungen“ wird bunt, vielseitig, bisweilen verrückt. Aber wir glauben, daß der Schutz der Umwelt als Lebensgrundlage für ein gutes Leben einen viel höheren Stellenwert bekommt. Zudem wird es weiter Menschen geben, die ein besonderes Interesse an der Natur bzw. an bestimmten Tieren oder Pflanzen haben. Sie werden in die Diskussionen ihre Vorschläge für die umweltschützende Gestaltung und Nutzung der Natur einbringen. Sie werden die Menschen dann direkt überzeugen können, heute sind sie nur BittstellerInnen gegen über Parlamenten oder Behörden.

Das Buch hat Schwerpunkte, die offenbar mit Eurer sonstigen Arbeit zu tun hat, z.B. die Kritische Psychologie. Warum gerade diese Richtung?

(24) Das hat sicher mit zweien von uns (Annette und Stefan) zu tun, die sich schon damit beschäftigt haben. Es ist aber auch inhaltlich so, dass mit der Kritischen Psychologie ein Schatz am Grunde historischer Erkenntnis ruht, der darauf wartet gehoben und eingesetzt zu werden. Die Kritische Psychologie hat den klarsten Begriff vom gesellschaftlichen Menschen, sie hat herausgearbeitet, was dem Menschen allgemein zu kommt, und was nur historisch konkrete Erscheinung ist. Damit kann man den ganzen Unsinn a la "die Menschen sind nunmal soundso" durchschauen, kann also der gängigen Naturalisierung die Pseudoargumente zerlegen. Die Kritische Psychologie nennt sich ja auch selbst Subjektwissenschaft. Das ist nicht bloße Namensspielerei, sondern auch mit einem radikalen Standpunktwchsel verbunden: Sie guckt nicht wie üblich von außen auf die Menschen und redet gelehrig über sie, sondern gibt den Menschen Denkmittel an die Hand, ihre subjektive Lage selbst zu durchschauen und zu verändern. Sie stellt sich auf den Standpunkt des Subjekts und ermöglicht so etwas, was man "Verwissenschaftlichung des Alltags" nennen könnte.

Ihr habt Kritische Psychologie in der Passage verwendet, wo es um emanzipatorische Bewegungen geht.

(25) Ja, auch emanzipatorische Bewegungen haben schließlich ihren "Alltag" und da läuft ja auch eine Menge schief. Was wir nun versucht haben, ist, ganz allgemein die Dynamik des Schieflaufens aufzuzeigen, also insbesondere zu zeigen, dass das kein individueller Defekt der Menschen ist, sondern Ergebnis der Tatsache, dass auch linke Menschen sich zu den beschissenen Bedingungen verhalten müssen - und dabei eben auch Scheisse bauen.

Könnt Ihr das etwas genauer beschreiben?

(26) Die Kritische Psychologie arbeitet oft mit Begriffspaaren. Damit zeigt sie die Spanne der Handlungsmöglichkeiten der Menschen auf. So etwas wie "richtiges" oder "falsches" Verhalten gibt es dabei nicht - das wäre ja wieder die alte Aussensicht. Vom Standpunkt des Subjekts ist jede Handlung begründet, oder, wie wir das auch genannt haben: sie ist subjektiv funktional. Ich habe vorher über die Arbeit gelästert, doch ich habe nicht gesagt: Arbeiten gehen ist falsch. Arbeiten gehen ist subjektiv funktional, Menschen, die das tun, haben ihre Gründe. Doch Arbeit gegen Geld verkaufen - und das erfährt man, wenn man die Bedingungen im Kapitalismus analysiert - bedeutet, dass man das Zwangssystem, unter dem man selber leidet, durch sein eigenes Handeln reproduziert. Ich schade mir also indirekt selbst. Damit ich das aushalte, muss ich das entsprechend denken, ich muss entsprechend fühlen, mir was vormachen. So entstehen Verdrängungen usw. Menschen sind da ziemlich erfinderisch, was die Rechtfertigung ihrer eigenen Situation als "alternativlos" angeht. Auch das kann wiederum subjektiv funktional sein: Ich blende einfach alle Alternativen denkend und fühlend weg, um nichts ändern zu müssen, denn jede Änderung bedeutet immer ein Risiko. Mit der Kritischen Psychologie kann ich das nun potentiell durchschauen - aber wie klar geworden sein sollte: Das kann für sich jede/r nur selbst tun und auch nur dann, wenn ich, der oder die Einzelne, es auch will. Die individuellen Biographien, Erfahrungen und emotionalen und kognitiven Rechtfertigungsfiguren sind einfach nur selbst erkennbar - was eine Unterstützung anderer natürlich nicht ausschließt.

Was hat das nun mit emanzipatorischen Bewegungen zu tun?

(27) Du glaubst doch nicht etwa, dass das dort wesentlich anders läuft? Klar, es gibt das Ziel der Emanzipation, doch das ist weit weg, und heute muss ich über die Runden kommen. Wir haben zum Begreifen der Konflikte das Begriffspaar Instrumentalisierung und Intersubjektivität benutzt, das auf die Spanne der möglichen Beziehungen abzielt. Instrumentalbeziehungen sind solche, in denen sich Einzelne auf Kosten anderer durchsetzen. Dabei meint "Kosten" nicht unbedingt Geld, sondern auch schon, wenn jemand einem anderen das Wort abschneidet, werden solche Strukturen reproduziert. Sie entsprechen dem allseits Nahegelegten in unserer Gesellschaft - und es ist eine mögliche Form, in den Bedingungen klarzukommen.

Und Intersubjektivität ist dann die anzustrebende gute Beziehungsform?

(28) Nein, so kann man das nicht sagen. Instrumentalisierung und Intersubjektivität sind keine Moralbegriffe, es sind Begriffe, um zu kapieren, was los ist. Es hilft mir, die Gründe zu kapieren, die ja jeder meiner Handlungen zugrunde liegen, also auch denen, mit den ich anderen und mir schade. Ich sage ja nicht: Ich will dir jetzt schaden und da - rumms - hast du einen über die Rübe. Das ist ja trivial. Viel komplizierter sind die subtilen, versteckten Mechanismen, die man sich selbst konstruiert, um zu Rande zu kommen. Wenn ich die durchschaue und feststelle: Huch hier schade ich mir ja indirekt selbst, dann ist viel gewonnen. Dann gucke ich viel leichter mal auf die zweite Alternative. Die zweite Alternative ist die grundsätzlich andere Möglichkeit, die kollektive Erweiterung unserer Möglichkeiten - im Falle der Beziehungen also die Intersubjektivität. Intersubjektive Beziehungen sind also diejenigen, in denen meine Selbstentfaltung den anderen und damit zurückgespiegelt auch wieder mir nützt. Auch hier ist das Paradebeispiel die Freie Softwarebewegung. Global kann ich sagen: Wenn ich mich durch das Schreiben Freier Software entfalte, dann ist das nicht nur meine Weise des Lebens, von der ich was habe und die mir gefällt, sondern alle anderen haben auch was davon. Das sagt jetzt nichts über die Beziehungen im konkreten Projekt aus, ob da Zoff ist, oder nicht. Jede Ebene muss man auch noch mal für sich angucken.

Und was kam nun für die emanzipatorischen Bewegungen raus?

(29) Über die emanzipatorischen Bewegungen können wir natürlich nicht reden, wir haben aber Fall-Beispiele genannt. Eine der größten Gefahren liegen in der "Etablierung" von Projekten. Dann gibt es auf einmal neben den gemeinsamen Zielen des Projekts auch "etwas zu verlieren", und das bedeutet meist: Einzelne haben etwas zu verlieren. Schnell wird der Sinn der Gruppe nicht mehr an das Ziel gebunden, sondern wird Selbstzweck. Kippt die Dynamik in diese Richtung um, dann ist es bis Integration in die herrschende Geldmaschine nicht mehr weit. Nun geht es nicht mehr darum, dass man sich gegenseitig in der je eigenen Autonomie und Subjektivität akzeptiert, sondern ich sehe den Anderen als Mittel, um meine Teilziele durchzusetzen: Ich fange an, den Anderen zu instrumentalisieren. Ich entwickele entsprechende Rechtfertigungsmuster "Jede/r muss dem Ganzen dienen", und es fühlt sich für mich auch wirklich so an, als ob es der beste Weg ist. Doch Macherhalt und Gelderwerb als Selbstzweck zersetzen die Bewegung, macht sie zahnlos, integriert sie.

Und wie kann die Gruppe das verhindern? Nach Logik der Kritischen Psychologie darf die Gruppe ja von außen nichts machen.

(30) Die Frage muss lauten: Wie kann ich das verhindern? Dass ich vom Außenstandpunkt die Leute nicht umbiegen kann, bedeutet doch nicht, dass ich mich nicht wehre, wenn mir was gegen den Strich läuft. Das ist sogar eminent wichtig! Es nutzt überhaupt nichts, um des "lieben Friedens" willen, Konflikte unter der Decke zu halten. Mit Dissens muss offen und nicht-verurteilend umgegangen werden. Jede nicht gesagte Kritik ist eine vertane Chance - für mich und die Gruppe. Problematisch ist jedoch personalisierende Kritik. Es geht niemals um "Schuld", sondern immer um die Gründe für mein Handeln. Und von wegen was die Gruppe "darf": Die Kritische Psychologie gibt keine Regeln vor, sie ist nicht normativ. Es gibt nicht 'richtig' oder 'falsch', sondern es gibt eine Praxis von Menschen mit Gründen, die es zu verstehen gilt. Und Intersubjektivität bedeutet ja gerade auch, dass man den anderen versteht, denn der ist ja ein Mensch wie ich. Gründe, auch wenn sie individuell sind, sind kommunizierbar. Darum geht es natürlich auch. Nur kann dazu keiner gezwungen werden. Das klappt schon praktisch nicht. Der Subjektstandpunkt ist auch in diesem Sinne sehr radikal: Er ist weder hintergehbar, noch sagt er, was zu tun ist. Das müssen wir schon selbst rausfinden.

Dann hängt also alles von den Menschen ab, ob die schon reif sind für die Emanzipation oder nicht?

(31) Oh je, nein. Natürlich hängt das Handeln von den Menschen ab. Aber niemand muss irgendwie 'sein', es gibt keine Eintrittprüfung für ein besseres Leben. Das muss entweder machen oder es lassen. Was man aber machen kann, ist, ein paar Vorkehrungen zu treffen, eine Art bewußter Konsens. Wir haben da vier Vorschläge gemacht: Erstens politische Arbeit von Verwertungsstrukturen trennen. Keiner darf individuell von einer Gruppe abhängig sein, eine Gruppe muss auch untergehen können ohne existenzielle Schäden für die Mitglieder. Zweitens individuelle Selbstentfaltung als Grundlage des Handelns. Instrumentalisierungen können weder durch bürokratische Verfahren noch durch moralische Appelle verhindert werden. Nur handlungsfähige Individuen, die ihre Interessen selbstbewußt vertreten, können Vereinnahmungen entgegentreten. Es geht darum, sich wechselseitig stark zu machen. Drittens Kritik und Reflexion als permanenten Prozess. Die Kritik richtet sich dabei nicht gegen die Personen, sondern die Bedingungen des Handeln sind ins Visier zu nehmen. Dissense sind produktiv. Viertens Entscheidungen kollektiv treffen. Dabei geht es nicht darum, dass immer alle alles entscheiden, sondern das sich der Gruppenprozess als kollektives Wollen in den Entscheidungen widerspiegelt. Dabei ist in großen Gruppen oder Gruppen mit vielen internen Widersprüchen die Rolle der Kontrolle und der Rechenschaft höher als in Gruppen mit hohem wechselseitigem Vertrauen und stabilen intersubjektiven Beziehungen.

Ihr habt im Buch ja auch ganz konkrete Hinweise für Organisations- und Aktionsformen emanzipatorischer Bewegung formuliert. Gibt es darauf Reaktionen?

(32) Naja, wird stecken ja selbst in verschiedenen Diskussionsrunden oder aktionsorientierten Runden. Wir hoffen, daß schon das gemeinsame Interesse an visionärer Politik themenübergreifend Verbindungen herstellen kann, z.B. zwischen den emanzipatorischen Umweltschutzgruppen, freier Softwarebewegung, den Leuten mit der Idee der Aneignung gesellschaftlichen Reichtums bis zu vielen anderen. Darüberhinaus hoffen wir, einen zusätzlichen Beitrag geliefert zu haben dafür, daß direktere und selbstorganisierte Handlungsformen in der politischen Bewegung entstehen müssen. Daß Inhalte und Positionen erneuert und festgezurrt werden, neue Kommunikationsformen entstehen und vieles mehr. Im Oktober, also nur zwei Monate nach dem Erscheinen des Buches, ist auf einem Treffen, was mit dem ehemaligen Expo-Widerstand zu tun hatte und aus diesem hervorging, das Thema Visionen und visionäre Politik für den Aufbau einer emanzipatorischen Bewegung für sehr wichtig begriffen worden. Wir werden sehen. Politische Bewegung muß mutiger, klarer und visionärer in den Inhalten werden und auf echte Veränderungen drängen statt sich auf Details abdrängen zu lassen. Heutige politische Aktion ist doch eher Begleitmusik für die Normalität. Das muß sich ändern. Wir diskutieren da einfach mit – wenn nötig auch mit dem Finger in die Wunde von Anpassung, Mut- oder Phantasielosigkeit.

Ihr habt eine "Revolution im Fünfschritt" vorgeschlagen. Ist das die neue Generallinie des ZK?

(33) ZKs, die eine imaginierte Schauheit repräsentieren, haben wohl ausgespielt. Doch es ist nicht so, dass nun alles in postmoderner Beliebigkeit versinkt und man gar nichts mehr sagen kann. Die fünf Schritte sind eine utopische Skizze möglicher Umbrüche, eine Skizze, mehr nicht. Wir sind ja keine Hellseher/innen. Diese fünf Schritte stammen übrigens auch aus der Kritischen Psychologie. Es ist eine Verallgemeinerung von qualitativen Entwicklungsprozessen überhaupt. Wir haben sie auch schon in der Analyse des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus verwendet. So kamen wir auf die Idee, diesen allgemeinen Rahmen für den anstehenden Entwicklungssprung in eine neue Gesellschaft auszuspinnen. Das haben wir einfach mal getan...


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