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Havarie als Normalität - Havarien der Theorie

Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 31.01.2002
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1) Vorab: In den ursprünglichen Planungen zur Konferenz wurde die AG »Theorie der Anwendungen« eingeleitet mit den Fragen: »Ist Informatik so sehr Anwendung, daß Theorie mit Praxis zusammenfällt? Ist das "Wissenschaft als unmittelbare Produktivkraft"? Wo ist dann der Ort der Reflexion?« Damit wurde mein Interesse geweckt. Nun ist in den Thesen von Gerhard Wohland (GW) weder von Wissenschaft, noch von Produktivkraft noch von Reflexion die Rede. Ich bin ernüchtert. Im zweiten Teil meiner Thesen versuche ich, diese Begriffe »zu retten«.

(2) Problemfeld: In GWs »Vorab« wird das Problemfeld weiter beschnitten: Nur »wertschöpfende« Werkzeuge sind im Blick - was ist mit den »wertfreien«?. Weiter gilt der Blick den »Havarien«. Das könnte interessant werden. Doch gerade der »Wertschöpfungsaspekt« interessiert anscheinend nicht, denn er wird vorausgesetzt. Und das in einer Gesellschaft, deren normale Funktionsweise man als permanente Folge »wertschöpfender Havarien« bezeichnen könnte. Der Joghurt durchfährt drei Länder eher er auf dem Tisch landet, aber die EDV fluppt: Havarie als Normalität - alles andere ist nur »Irritation«.

(3) Maschinen: Die wichtigste aller »Maschinen« steht gar nicht zur Reflexion an: die sich selbst organisierende und totalisierende »Wertmaschine«. Sie erscheint nur als quasi-naturales Abstraktum am Horizont: der globale, aber enge Markt. Sind »unhintergehbare Sachzwänge« der Reflexion zugänglich? Ist das wichtig? Oder ist nur das theoriefähig, was sich innerhalb des »Sachzwangs« abspielt?

(4) Zwang: Unter den Bedingungen des totalitären Sachzwangs des Marktes werden die Menschen verständlicherweise irre. Sie können nur die »rationale Irrationalität« des Marktes reproduzieren: Entweder die Organisation wehrt sich mittels ihrer Lebenserhaltungsreflexe und erschafft mit der EDV eine betriebliche »Havarie« oder sie transformiert ihre Lebensenergie in »Arbeit« und erschafft »trotz« EDV ein Produkt, das sich am Markt »bewährt«: die potenziell globale »Havarie«.

(5) Theorie: Eine »Theorie (der Anwendungen) der Informatik«, die diese Zusammenhänge und die eigene Eingebundenheit darin nicht reflektieren kann, ist witzlos. Kann sie nur Oberflächenphänomene metapherngekleidet verdoppeln, so redet sie nur über den Hamster im Laufrad, während er Käfig gar nicht erst in den Blick kommt. Die Verkehrung der Wahrnehmung ist perfekt: Nicht der Käfig erscheint als »Havarie«, sondern das stillstehende Laufrad.

(6) Produktivkraft: Nichts bleibt so wie es ist. Im Alten zeigt sich stets in wie verdrehter Form auch immer das Neue. Das Neue, das Lebendige, das Überraschende ist weder eine Frage der EDV, noch allein der Menschen - es spielt sich dazwischen ab. Dafür gibt es den Theoriebegriff der Produktivkraft. Er faßt das Verhältnis des tätigen Menschen zu den Mitteln, die er nutzt, um den Stoffwechsel mit der Natur zu betreiben. Das Tote, das Mittel, die Informatik ist nicht theoriefähig; es ist allein die Informatik als Aspekt der Produktivkraftentwicklung, als Aspekt des die Informatik und ihre Artefakte als Mittel nutzenden Menschen.

(7) Aufschein: Das Neue geschieht nicht auf der Seite des Mittels. Die Informatik und die durch sie geschaffenen Artefakte können zwar noch schneller, bunter, allesergreifender werden - doch eine qualitativ neue Entwicklung ist von der Informatik nicht zu erwarten. Die EDV ist als EDV ganz bei sich und in der tayloristischen Arbeitsorganisation am Platze. Das Neue in der Produktivkraftentwicklung geschieht auf der Seite des Menschen. Es ist die Selbstentfaltung des individuellen Menschen in Formen kollektiver Selbstorganisation. Das scheint sogar unter den Zwangsbedingungen der »Selbstverwertung« auf - wie verkürzt und marktförmig zugerichtet auch immer. Doch das »Gold« bleibt in den Köpfen.

(8) Freie Software: Wer die Havarien im Betrieb verstehen will, muss die Freie Software studieren. Dabei geht es nicht um Produkte oder Community-Riten, sondern um die Freie Software als Keimform einer neuen Art der Produktivkraftentwicklung. Was sich in Betrieben immer wieder selbst zersetzt, kann sich hier stärker entfalten. Freie Software basiert auf individueller Selbstentfaltung, kooperativer Selbstorganisation, globaler Vernetzung und genuiner Wertfreiheit. Die Versuche, sich dem »Phänomen« in alter betriebswirtschaftlich-bornierter Denkweise zu nähern, werden anhalten und weiter scheitern.

(9) 20 Thesen: Der zweite Teil beginnt hier. Die folgenden Thesen wurden unter den Titel »Freie Software. 20 Thesen für eine andere Gesellschaft« in der »spw - Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft«, Heft 120, 4/01, Seiten 32-34, veröffentlicht. Aus Platzgründen bringe ich hier nur Auszüge - alle Thesen sind online nachzulesen und zu diskutieren unter http://www.opentheory.org/fs-thesen/text.phtml.

[Anmerkung zur Onlineversion dieses Textes: auch auf den Auszug der Thesen verzichte ich hier - sie können unter dem angegebenen Link nachgelesen werden]


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