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Geistiges Eigentum - Rechtsfetisch sui generis

Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 18.07.2004
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1) Willkommen zum Streifzug durch die Welt der immaterialen Produktion! In den nächsten Ausgaben der Streifzüge werden ich meine persönliche Sicht auf Entwicklungen und Theorien im weiten Feld der immaterialen Produktion vorstellen. Alle Kolumnen erscheinen parallel online bei www.opentheory.org/immaterial_world und können dort diskutiert werden.

(2) Thema der ersten Kolumne ist ein »Unding« im doppelten Sinn: das geistige Eigentum (engl. intellectual property).

(2.1) Streifzug 1: Review auf keimform.de, 10.11.2006, 10:30, Stefan Meretz: Nach einiger Zeit habe ich die Diskussion hier bei open theory im Blog keimform.de ausgewertet. Titel: Fetisch »Geistiges Eigentum«.

(3) Der Begriff »Geistiges Eigentum« bezeichnet staatliche verliehene Monopolrechte zur Verwertung nichtstofflicher Güter. JuristInnen sprechen vom Immaterialgüterrecht bzw. im englischen Sprachraum auch vom Exklusionsrecht - was der Sache am nächsten kommt.

(3.1) 19.07.2004, 14:49, Hans-Gert Gräbe: Deine weitere Argumentation ist recht knapp und geht insbesondere nicht darauf ein, warum solche Instrumente im privatkapitalistischen Umfeld benötigt werden: zur Refinanzierung von Aufwand, also zur Herstellung von Marktgerechtigkeit. Nachbauen ist billiger als Ausdenken. Und das betonen die JuristInnen in dem Zusammenhang auch immer: es findet eine Interessenabwägung statt. Ich habe im mtb-mawi-projekt die beiden nach meiner Meinung dafür relevanten Pole benannt.
Es ist eine gesellschaftliche Frage, wie dabei die Prioritäten gesetzt werden, und damit zugleich eine Frage der gesellschaftlichen Auseiandersetzung, welche derzeit mit großer Heftigkeit läuft.

(3.1.1) Nachbauen, 23.07.2004, 09:23, Stefan Meretz: Natürlich ist Nachbauen unaufwändiger - das ist ja der Sinn des Nachbauens - wobei jedes Nachbauen in der Regel auch ein Weiterentwickeln enthält. Die Frage ist nicht, warum künstliche Knappheit benötigt wird - um die Verwertung zu gewährleisten, die einzig die Finanzierung ermöglicht -, sondern warum gesellschaftliche Akkumulation von Wissen durch die Wertform hindurch muss. Die "Markgerechtigkeit" und die "Interessenabwägung" handelst du dir nur durch den Zwang zur Verwertung ein. Monopolrechte verhindern zunehmend Wissenerweiterung, Nachbauen hingegen befördert sie.

(3.1.1.1) Re: Nachbauen, 27.07.2004, 17:28, Hans-Gert Gräbe: Das ist etwas zu einseitig argumentiert. Ich gehe davon aus, dass lebendiges Wissen (im Sinne von Gorz) auch in anderen Gesellschaften als dieser eine knappe Ressource ist und demzufolge die Gesellschaft Mechanismen braucht, um derartige Kräfte zu bündeln. Dazu ist dann auch eine Bewertung erforderlich. Jeder Professor (der was auf sich hält) unterwirft sich einem solchen Bewertungsprozess durch seine Fachkollegen. Das war in der Wissenschaft übrigens schon vor dem kapitalistischen Zeitalter üblich. Das vollkommen auf die Selbstentfaltung zu reduzieren und gar keine Steuerinstrumente mehr dabei zu denken halte ich für abenteuerlich. Deine Verteufelung der Wertform schüttet das Kind mit dem Bade aus.

(4) Unter dem Begriff »Geistiges Eigentum« werden sehr unterschiedliche Rechtsgüter gefasst: So beziehen sich Patente - ursprünglich ausschließlich - auf Erfindungen im Sinne stofflich-technischer Realisationen, während Urheberrecht, Markenrecht etc. den nicht-stofflichen Bereich der Ideen, Literatur, Software etc. abdecken. Auf Seiten des Patents kommt es jedoch zunehmend zu »Übergriffen« auf den Bereich der »Ideen« und bloßen »Entdeckungen«: So sollen aktuell Algorithmen, euphemistisch als »computer-implementierte Erfindungen« bezeichnet, oder Gen-Sequenzen, die man analog wohl »natur-implementierte Erfindungen« nennen müsste, auch in der EU patentierbar gemacht werden.

(4.1) »natur-implementierte Erfindungen«, 20.07.2004, 21:03, Birgit Niemann: Genauer wäre es aus meiner Sicht, die Analogie als "Genom-implementierte Erfindungen" zu fassen, denn Natur ist zu übergreifend und unspezifisch. Man stelle sich vor, man könnte Dressurtricks zur Abrichtung von Blindenhunden patentieren. Das würden dann z.B. als "(Hunde)Gehirn-implementierte Erfindung" ebenfalls unter "Natur" fallen.

(5) Mit dem Begriff »Geistiges Eigentums« wird das körperliche Sachenrecht auf »Nicht-Körper« übertragen. »Geistiges Eigentum« und abgeleitete Begriffe wie »Softwarepiraterie«, »Raubkopie« etc. sind Kampfbegriffe zur Durchsetzung der Verwertungslogik. Sie werden daher von KritikerInnen auch als »immaterielle Monopolrechte« bezeichnet.

(5.1) 24.07.2004, 06:47, Raimund Köhn: Ich muss da im Ansatz leicht widersprechen. Beim Sachenrecht, wie du das nennst, geht es (sinngemäß Kant zitiert) um die Verfügungsgewalt über eine Sache (also schlicht, ich hab den Apfel, den ich esse, in meiner Hand). Grund und Boden (eigentlich auch ein Sache) kann ich aber nicht in meiner Hand halten. Das Eigentum an Grund und Boden setzt deshalb (wieder bei Kant) die Anerkennung des "Besitzes" voraus. Besitz wird aber im Unterschied zu Eigentum definiert als intelligibel, also alle anderen müssen "anerkennen", daß es sich um etwas (das eine Sache sein kann, aber nicht muss) handelt, über das ich ausschließlich die Verfügungsgewalt besitze.
Das, was du als "geistiges Eigentum" bezeichnest, ist insofern "Besitz", womit das Problem, das du formulierst, in der Form gar nicht existiert. Es existiert ein ganz anderes Problem: lohnabhängige Beschäftigung.
Ich sag das mal so, Bill Gates hat wahrscheinlich nur wenige Zeilen Programmcode geschrieben. Das machen die Leute, die er beschäftigt und aufgrund des Lohnverhältnisses ist es unter Aspekten der kapitalistischen Gesellschaft völlig legitim, dass er die Ergebnisse seiner Beschäftigten vermarktet. Seine Lohnabhängigen kreieren zwar das Produkt, aber deren Ansprüche sind mit der Lohnzahlung abgegolten. Die Rechte, an den Produkten/Ergebnissen der Arbeit gehören dem Beschäftiger/Lohnzahler (der kein Produzent ist und auch kein Arbeitgeber, weil er die Arbeit seiner Beschäftigten nimmt, um sie gewinnbringend zu vermarkten, also ein Arbeitnehmer im eigentlichen Sinne ist). Ich merk das hier in dieser verkürzten Form an. Aber wenn du die Logik dieser Argumentation überprüfst, wirst du zu den Ergebnis gelangen, dass sie was hat. Wenn du dem zustimmen kannst, stellt sich dein Problem gänzlich anders. Gruß

(5.1.1) 27.07.2004, 17:41, Hans-Gert Gräbe: Das funktioniert nur, wenn du Software als Produkt denkst. Die Frage ist aber hier, ob ich aus dem, wie es die Windowsleute gemacht haben, was lernen kann und vor allem, ob ich das Gelernte selber in anderem Zusammenhang anwenden darf. Der Unterschied zum Boden ist der, dass ich um mein Grundstück einen Zaun ziehen kann und dann mit dem dicken Knüppel alle vertreiben, die meine Nutzungsrechte streitig machen wollen. Der "Besitztitel" ist da nur ein Instrument der Zivilisierung, indem dieser "Knüppel" (das Machtmonopol) beim Staat liegt. Wissen, auch das in (Windows)-Software enthaltene hat einen vollkommen anderen Charakter. Nutzung durch andere schränkt mich in keiner Weise ein, es sei denn, ich will meinen Vorteil gerade aus der exklusiven Nutzung ziehen. Und hier muss die Interessenabwägung einsetzen, ob dieser mein Vorteil die Nachteile anderer aus einer solchen exklusiven Nutzung aufwiegt.
Stefans Position hier ist allerdings klar: Da gibt es nichts abzuwägen, weil die Nachteile eines solchen Regimes für die Allgemeinheit zu gravierend sind.

Besitz und Eigentum

(6) Das körperliche Eigentum moderner Fassung ist ohne die bürgerliche Rechtsform nicht vorstellbar, doch es entspringt ihr nicht. Das nichtstoffliche Eigentum hingegen ist einzig rechtsförmig konstituiert. Zum Verständnis ist es sinnvoll, sich den Unterschied von Eigentum und Besitz klar zu machen. Besitz ist die rechtsförmige Abstraktion des realen Gebrauchs einer Sache. Eigentum hingegen ist die rechtsförmige Abstraktion im Verhältnis zum Besitz und sozusagen eine Abstraktion zweiter Ordnung im Verhältnis zur Sache. Während Besitz also begrifflich eine soziale Praxis fasst - der Mieter ist Besitzer des Mietobjekts, der Dieb ist Besitzer des geklauten Guts - meint Eigentum die rechtliche Verfügung über die praktische Verfügung über die Sache: Vermieter des Objekts, Eigentümer des Diebesguts. In Praxi wird zwischen Eigentum und Besitz jedoch kaum unterschieden, weil Eigentum und Besitz im Umgang mit stofflichen Gütern oft zusammenfällt. Dort ist klar: Beim Warentausch findet ein Eigentums- und Besitzwechsel statt.

(6.1) Re: Besitz und Eigentum, 19.07.2004, 15:00, Hans-Gert Gräbe: Ich habe im oben zitierten Beitrag schon darauf hingewiesen, dass das letztlich in dem Zusammenhang auch von dir thematisierte Verfügungsrecht auch eine reale funktionale Bedeutung hat: Es ist ein Zwecksetzungsrecht, welches im Rahmen der Sozialisierung produktiver Arbeit eine wichtige gesellschaftskonstituierende Rolle spielt. Markt ist eine zunächst sehr progressiv zu bewertende Antwort auf das "Korngrößen-Dilemma" wie ebenda beschrieben. Aber um all das geht es bei Wissen eben gerade nicht, weil es ganz anderen Sozialisierungsprozessen unterworfen ist (und schon immer war). Ware ist gesellschaftlich vermittelte Individualität, Wissen individuell vermittelte Gesellschaftlichkeit.
Gesellschaftlich geht es darum, produktive Aktivitäten denen zuzuordnen, die das - grob gesprochen - am effizientesten können, Wissen dagegen freizügig verfügbar zu halten, dass es an den Stellen seine Wirkmacht entfalten kann, an denen es benötigt wird.

(7) Anders bei nichtstofflichen Gütern, die Waren sind. Hier kommen wichtige Unterschiede zu stofflichen Gütern zum Tragen. Nichtstoffliche Güter verbrauchen sich nicht durch Nutzung oder Weitergabe (»Kopie«) nicht. Ökonomisch kommt es zu keinem technischen, sondern nur zu einem »moralischen« Verschleiß (»Veralten des Guts«). Die Natur nichtstofflicher Güter ist von vornherein gesellschaftlich. Nichtstoffliche Güter existieren nur durch Weitergabe, Kommunikation, Nutzung. Jeder kann sie besitzen, und da es keine physischen Schranken gibt, kann niemand vom Besitz ausgeschlossen werden, sie sind genuin unknapp. Eigentum als Rechtsform hat also im Unterschied zum körperlichen Ding hier keine »naturale Grundlage«, sondern muss erst juridisch konstruiert werden - ein Rechtsfetisch sui generis.

(7.1) 19.07.2004, 14:41, Hans-Gert Gräbe: In einem gesellschaftsrelevanten Sinne vermehrt sich Wissen sogar durch Weitergabe.

(8) Das Eigentumsregime nichtstofflicher Güter existiert ausschließlich rechtsförmig. Es dient dazu, künstlich Knappheit zu erzeugen. So fußt die Warenform nichtstofflicher Güter auf der strikten Trennung von Eigentum und Besitz. Damit findet beim Kauf und Verkauf kein Eigentums-, sondern nur ein Besitzwechsel statt, wobei Besitz hier nur die Form einer »Erlaubnis« (Lizenz) hat, das nichtstoffliche Gut zu nutzen.

Fiktion des isolierten Einzelnen

(9) Der Fetischcharakter des »Geistigen Eigentums« ist besonders wirkmächtig. Es beruht auf der Vorstellung eines genialen individuellen Erfinders, der gleichsam aus dem isolierten Privathirn etwas Neues schafft. Diese Vorstellung entspricht der bürgerlichen Denkform des isolierten Individuums, das erst auf dem Markt mit Anderen in Austausch tritt. Diese Denkform ist dabei keine bloße Fiktion, sondern realabstraktive Verallgemeinerung des isolierten Einzelnen in der warenproduzierenden Gesellschaft. In der immaterialen Produktion ist diese Vorstellung jedoch praktisch hinfällig geworden. Kreative Leistungen sind immer Resultat eines sozialen Prozesses, auch wenn es immer Einzelne geben wird und muss, die den Prozess kondensieren und in ein »Resultat« transformieren.

(9.1) 19.07.2004, 15:08, Hans-Gert Gräbe: Nach meinem Verständnis rührt die Virulenz des Konstrukts vor allem aus dem alten Traum vom Goldesel: Einmal eine Anstrengung und dann Geld scheffeln bis zum Abwinken. Das ist aber ein sehr statisches Konzept. Mehr dazu in meinem mbt-mawi-Beitrag.

(10) Zusammen mit der Denkfigur des genialen Einzelnen wird auch Wirkmächtigkeit des »Geistigen Eigentums« brüchig. Genial ist nicht mehr, wer ein gutes Ergebnis produziert, sondern wer Prozesse schafft und befördert, die gute Ergebnisse produzieren. Herausragende Beispiele sind die freie Enzyklopädie Wikipedia und die Freie Software-Bewegung. Individuelle Personen spielen hier eine herausragende Rolle, jedoch nicht als Untergeordnete unter einem abstrakten Sachzwangprozess, als Subjekte im Wortsinne, sondern als Menschen, die genau »ihr Ding« machen. Ihre Entfaltung ist Voraussetzung für die Entfaltung der Anderen und umgekehrt. Der Begriff des »Geistigen Eigentums« wirkt hier nur lachhaft, aber auch als ernst zu nehmender Angriff zur Einfriedung der freien Produktion.

(11) Weil die nichtstoffliche Ware nur rechtsförmig existiert, ist sie leicht angreifbar - besonders, wenn sie digitaler Form ist. Mit der Loslösung des Inhalts von seinem Träger und in ihrer Existenzweise als Kopie, die identisch mit dem Original ist, kann sie überall »abgegriffen« werden. Folglich müssen die Verwerter an drei Fronten aufrüsten: der Ideologie, die Grundlage des Begriffs »Geistiges Eigentum« ist und eine Kopie »Raub« nennt, der Rechtsform durch globale Vereinheitlichung des Copyright-Regimes im Rahmen des TRIPS-Abkommens und der Technik durch Rückbindung der Inhaltskontrolle an eine stoffliche Form, nämlich der Hardware, dem sog. Digital Rights Management.

(12) Ziel muss es sein, den Begriff »Geistiges Eigentum« zu destruieren und entwertete Freiräume zu verteidigen.

(12.1) 19.07.2004, 15:11, Hans-Gert Gräbe: Das ist etwas kurz gegriffen. Siehe Punkt 34 im mtb-mawi-Text.


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