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Anachronistische Heulsuse

Maintainer: Olaf Boerger, Version 1, 06.09.2006
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

I

(1) Leserbriefe / Grimms Märchenstunde

(1.1) Isegrimm grummelt im leisegang, 06.09.2006, 19:51, Uvvell H:W:Berger: hier
in Dubiel Pro kilo gramm
der Venus_vom _ilo dann
der Glieder maß bei stil-los bann
brain_storm in lightning
Gehirn verstehirn sehirn, greifen mit zehstirn
verlinkten sich Harn im Horn mit Hirn
ist übersetzer wieder Firm
zu vor zu-viel und zu was? (Z)war Zwirn
(Kat)astra sich zur matrix fixen
und Strophen mit philantro trixen
Zum Amboß im Hammertal mit wimmer_mixen

II

(2) Sehr geehrte FTD-Redaktion, in der Ausgabe vom 16.08.2006 veröffentlichten Sie einen Leserbrief mit der Überschrift: “Unseriöse Bilanzierung“. Inhaltlich ging es dabei um die “Ergebnisverbesserung“ des Küchenherstellers Alno, wobei gerade die “moralische Entrüstung“ des Verfassers besonders erheiternd ist. Denn diese “unseriösen Bilanzierungspraktiken“ sind doch das globale “Geschäftsmodell“. (Im eigentlichen Sinne aufschlussreich war besagter Artikel über Alno, weil mensch ganz nebenbei erfuhr, dass seit 2004 29 Küchenhersteller bei der so beliebten “Reise nach Jerusalem“ auf der Strecke geblieben sind, der “deutsche Küchenmarkt“ um läppische 18 Prozent eingebrochen ist - und der Konkurrent Whirlpool (der ja erst kürzlich den Konkurrenten Maytag aufgekauft hat – und prompt 4 500 Mitarbeiter feuerte) mittlerweile mit 20 Prozent an Alno beteiligt ist. Schöne Grüße von der “Konzentration des Kapitals“ – vor allem in Hinsicht auf die derzeit ablaufende, größte “M&A-Welle“ aller Zeiten alias “der finale Akt“ im “Jobless Growth-Theater“.)

III

(3) So konnte sich mensch nämlich sowohl schon am 15.08.06 als auch am 17.08.2006 von weiteren “Verbesserungen“ überraschen lassen: Im ersten Artikel geht es dabei um die “Verbesserung“ bei Hochtief, wo mensch zur Rubrik ’Daten und Fakten’ lesen kann: „Verbesserung – Alle wichtigen Kennzahlen von Hochtief lagen im zweiten Quartal über den Vergleichswerten des Vorjahreszeitraums.“ – Da schau an. Somit sind also sowohl “Cashflow“ als auch “Umsatzmarge“ alias “Profitrate“ keine “wichtigen Kennziffern“. Oder hat es mensch bei einem von 324,4 auf 185,5 Mio. Euro (sprich: minus 43 Prozent) geschrumpften Cashflow gar mit einer “Verbesserung“ zu tun? Auch eine von 2,8 auf 2,7 Prozent gefallene Umsatzmarge (überhaupt schon eine gar “gigantische“ “Verzinsung“ auf das eingesetzte Kapital) stellt somit vielleicht „eine zu begrüßende Entwicklung“ dar? – Selbst bei BWL-Erstsemestlern an der Duisburger Uni bewirkte dieses Zitat ausgelassene Heiterkeit.

IV

(4) Als weiterer “Verbesserer“ wurde uns dann am 17.08.2006 Lanxess präsentiert – wo sich der Cashflow von 130 Mio. Euro in II. ‘05 auf 61 Mio. Euro in II. ’06 “verbesserte“, also minus 53 Prozent. Offensichtlich beherzigen die Verantwortlichen der einzelnen Finanzabteilungen der Unternehmen eine kürzlich in Hinsicht auf den “Anlagenotstand“ der Fondsmanager veröffentlichte “Studie“ (die FTD berichtete), wonach „Liquidität ein entscheidendes Risiko“ sei; zu deutsch: Es ist riskant, Geld zu haben. – Doch Spaß beiseite. Denn selbstredend handelt es sich bei den präsentierten “Verbesserungen“ schlicht um Bilanzkosmetik, indem nämlich dem laufenden Geschäft Liquidität entzogen wird, um diese umgeleitete Kohle dann als “Gewinn“ zu präsentieren (Bei Lanxess kommen insofern ja auch noch die “freigewordenen“ “Lohnkosten“ (alias “variables Kapital“) für die im ersten Halbjahr 2006 entlassenen 1250 Mitarbeiter, minus eventuell anfallender “Abfindungen“, hinzu, wobei es diesbezüglich wie immer lautet: „Weitere Entlassungen sind dabei nicht ausgeschlossen.“). De facto hat es mensch also, genau wie bei Alno, mit in Wirklichkeit drastischen Ergebnisverschlechterungen zu tun, die durch einen beherzten Griff in die Firmenkasse kaschiert werden sollen. (Überhaupt sollten sich die Aktionäre von Lanxess doch mal fragen, warum Bayer diesen Unternehmensteil “abgestoßen“ hat – oder anders gefragt: Seit wann vertickt jemand in der tollen “Marktwirtschaft“ seine „Hennen, die die goldenen Eier legen“??? (siehe z.B. die tollen “Chipsparten“ von Infineon – selber schon von Siemens „über Bord geworfener“ “Minusballast“ -, Motorola – Zitat Ex-Spartenchef Frank Shaplak: „Ich könnte keine 300-Millimeter-Wafer-Fabrik füllen (schöne Grüße von der “Produktivkraftentwicklung“), selbst wenn ich mir den Bau einer solchen Fabrik leisten könnte.“(ebenfalls schöne Grüße von den “wachsenden Vorrauskosten für eine konkurrenzfähige Warenproduktion“) – und kürzlich Philips)

V

(5) Zusammenfassend und zu guter Letzt bleibt nur noch zu erwähnen, wie lächerlich-absurd es mittlerweile geworden ist, überhaupt noch von “Margen“, “Gewinnen“– oder gar “Turnaround“, also “kapitalistischer Seriosität“, zu schwadronieren bzw. “larmoyieren“ (insofern muss mensch den Verfasser des Leserbriefes als einen “bedauernswerten Anachronismus“ bezeichnen (– und natürlich als vollkommen naiv, wenn er der FTD unterstellt, „ebenfalls auf die Verdummung Alnos hereingefallen“ zu sein)). Denn wie kann mensch im FTD-Artikel “Investoren saugen Firmen aus“ vom 09.08.2006 lesen: „Europaweit wurden Unternehmen dabei durchschnittlich mit dem 6,1fachen ihres Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) verschuldet.“ – was nichts anderes heißt, als dass sämtliche europäische Firmen mittlerweile die “Gewinne“ von sechs Jahren verpfändet haben – also einen Schuldenberg aufgetürmt haben, den sie selbst in hundert Jahren nicht wieder “abarbeiten“ können, zumal es ja nirgendwo auf dem Planeten ein Deut besser steht (FTD, 20.07.2006, ’Bernanke (alias “Helikopter-Ben“) verlegt sich aufs Durchwurschteln’): „Aber ist das ein normaler Zyklus, der einer geplatzten Blase folgt und durch eine Zinssenkung um 5,5 Prozentpunkte, eine Dollarabwertung zum Euro von 0,83 auf bis zu 1,36 Dollar/Euro (d.h. um mal eben rund 61 Prozent; aktuell sind es “nur“ 49 Prozent – und das nur “dank“ “Zinserhöhungsorgie“ bzw. “Zinsdifferenz“) und eine Budgetverschlechterung von bis zu 6,6 Prozent des BIP ausgelöst wurde? In dessen Zuge die Schulden der nichtfinanziellen Sektoren (also US-Bund, die einzelnen Bundesstaaten bzw. Kommunen, industrielle und andere, nicht dem “Finanzsektor“ “zugerechnete“ Dienstleistungsunternehmen sowie die tollen “Verbraucher“– kurzgesagt: alle, da sich im so genannten “Finanzsektor“ ja nur die “Wertschöpfung“ bzw. der “Kapitalstock“ wiederspiegelt) um 8816 Mrd. Dollar stiegen, die Hauspreise viermal so schnell zulegten wie die Stundenlöhne, die private Sparquote um fast vier Prozentpunkte auf minus 1,7 Prozentpunkte absackte (als neue, lustige Wortschöpfung kann mensch deshalb mittlerweile ständig vom “entsparenden“ US-Bürger lesen), das Leistungsbilanzdefizit um gut zwei Prozentpunkte auf 6,4 Prozent des BIP schwoll?“ – und last but not least (FTD, 07.08.2006, ’Der Geldüberhang fordert seinen Tribut’): „Denn die US-zentrische Weltwirtschaft ist anfällig geworden – und beruht so sehr auf Kreditexpansion (alias “Schuldenexplosion“) und Vermögenspreisinflation (ja, ja – “Asset Inflation“ – die gute alte ökonomische Horror-Vokabel), dass die entsparenden US-Verbraucher schon bei Realzinsen von zwei Prozent ächzen.“

VI

(6) Angesichts dieser Fakten bleibt dann nur noch voller Schadenfreude zu zitieren: „Die Geschichte ist gründlich und macht viele Phasen durch, bevor sie eine alte Gestalt zu Grabe trägt. Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie.“ In diesem Sinne

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(7) Mit heiterem Gruß

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(8) P.S. Die nächsten Tage erscheint der letzte Beitrag des beliebten Projektes ’Totentanz’ unter der Web-Adresse www.opentheory.org/totentanz - worin die FTD-Kracher ’Verängstigte Staaten’, ’Bernanke verlegt sich aufs Durchwurschteln’, ’Der Geldüberhang fordert seinen Tribut’, ’Australier leiden unter hoher Zinslast’; ’Europa muss sich selbst helfen’, ’Himmel und Hölle’, ’Wendepunkt der Weltwirtschaft’ sowie etliche weitere “Explosives“ explizit angeführt werden – darunter auch das jüngste Juwel ’Die US-Inflation ist kein Grund zum Jubeln’.


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