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Linux ist nichts wert - und das ist gut so!

Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 04.04.2000
Projekt-Typ:
Status: Archiv

(1) Man versteht wie etwas ist, wenn man versteht wie es geworden ist. Daher beginne ich mit einem kurzen Rückblick in die (Vor-) Geschichte Freier Software. Im zweiten Kapitel befasse ich mich mit der Frage, wie Freie Software ökonomisch in unser Wirtschaftssystem, den Kapitalismus, einzuordnen ist. Hieraus gewinne ich Kriterien für die Beleuchtung der scheinbar konträren Positionen von E. S. Raymond und R. M. Stallman, die stellvertretend für prominente Strömungen Freier Software stehen. Ich schließe ab mit einer Betrachtung der individuellen Handlungsmöglichkeiten und der Rolle, die Freie Software dabei spielen kann.

1. Eine kurze Geschichte Freier Software

(2) Es gibt freie Software, weil es unfreie Software gibt. Unfreie Software ist "proprietäre Software", also Software, die einem Eigentümer gehört. Das wäre nicht weiter schlimm, würde die Tatsache des Privateigentums an Software nicht zum Ausschluss anderer führen. Der Eigentümer schließt andere von der Nutzung der Software aus, um ein knappes Gut zu erzeugen. Das geht bei Software relativ einfach durch Zurückhalten des Quellcodes des Programms. Nur knappe Güter besitzen Tauschwert und lassen sich zu Geld machen. Das ist das Funktionsprinzip des Kapitalismus [1]. Ich komme darauf zurück.

(2.1) Re: Propriertäre Software, 17.05.2000, 20:35, Stefan Merten: Du benutzt den Begriff "proprietäre Software" m.E. ein wenig eigenwillig. Ich würde darunter eher eine Software verstehen, deren Schnittstellen und Datenformate nicht offengelegt sind, die von nur einer Firma gepflegt werden kann. Ob Software einen Eigentümer hat, ist davon unabhängig. PS: Ich kann mich jetzt wieder einloggen :-) .

(2.1.1) Re: Propriertäre Software, 21.05.2000, 22:06, Stefan Meretz: Ich würde sagen, ich benutze den Begriff ziemlich korrekt: Der "Proprietär" bedeutet der "Eigentümer", und "proprietär" als Adjektiv heißt dann eben so viel wie einem Eigentümer gehörend. Doch ich weiß, im Laufe der Zeit wurde der Begriff "rundgeschliffen" in die Richtung, die Du beschreibst. Ich möchte jedoch die Ursprungsbedeutung wieder hochholen, weil die m.E. viel bedeutungsangemessener ist: Ein Eigentümer von Software schliesst andere durch verschiedene Maßnahmen aus: nicht dokumentierte Datenformate oder Schnittstellen, Knebel-Lizenzen, Patente etc. Alles nur, um künstlich Knappheit zu erzeugen bei einem Produkt, was reichlich vorhanden, weil leicht kopiertbar ist. Ich will zeigen: "proprietäre Software" macht im Kapitalismus "Sinn" - aber eben auch nur da und sonst gar nicht. Oder anders zugespitzt: Wer gegen proprietäre Software ist, muß gegen den Kapitalismus sein ;-)

(3) Unfreie wie freie Software gibt es noch nicht lange, gerade einmal ca. 20 Jahre. Die Entstehung unfreier wie freier Software versteht man, wenn man in Vorgeschichte schaut. Im Kalten Krieg, wir befinden uns in den 50er Jahren, wurde zwischen den USA und der Sowjetunion verbissen um die ökonomische Vorherrschaft gerungen. Vorherrschaft hatte damals eine militärische und eine symbolische Komponente, beide waren oft miteinander verwoben. So war es ein ungeheuerlicher Vorgang, als es der Sowjetunion 1957 gelang, den Sputnik in die Erdumlaufbahn zu schießen. Davon erholten sich die USA mental erst 1969, als sie es waren, die den ersten Menschen zum Mond brachten.

(4) Der Sputnik wurde als technologische Niederlage erlebt. Sofort begannen hektische Aktivitäten, um den vermeintlichen Rückstand aufzuholen. 1958 wurde die ARPA (Advanced Research Projects Agency) gegründet, die die Aufgabe hatte, die Forschungsaktivitäten zu koordinieren und zu finanzieren. In einem Klima der Offenheit und Innovationsfreude wurden in der Folgezeit zahlreiche seinerzeit revolutionäre Produkte geschaffen, von denen ich zwei herausheben möchte, weil sie für die Freie Software eine besondere Bedeutung bekommen sollten: das Internet und das Betriebssystem UNIX (beide 1969). In diese Phase der staatlich finanzierten und koordinierten Forschung fällt auch die Festschreibung zahlreicher Standards, die heute noch Bestand haben [2].

(5) Zum staatlichen Interesse an starken Standards kam das geringe Interesse der Computerindustrie an der Software. Computerindustrie war Hardwareindustrie, Software war Beiwerk zum Hardwareabsatz. Das änderte sich erst Ende der Siebziger Jahre als Computer immer leistungsfähiger wurden und Software auch eigenständig vermarktbar zu werden begann. In dem Maße, in dem Software zur profitablen Ware wurde, zog sich der Staat aus den Innovationen zurück. Um die je eigene Software verwerten zu können, mußte der Quelltext dem Konkurrenten und damit auch dem User verborgen bleiben. Software war nur als proprietäre Software profitabel. Mit offenen Quellen hätte sich zum Beispiel Microsoft nie als monopolartiger Moloch etablieren können. Staatsrückzug und Privatisierung von Software bedeuteten jedoch auch eine Aufweichung von Standards. So entstanden in der Folge sehr viele zu einander wenig oder gar inkompatible Unix-Versionen (AT&T, BSD, Sun, HP, DEC, IBM, Siemens etc.).

(5.1) Quelltext, 11.05.2000, 15:26, Bertrand Klimmek: Ich weiß zwar, was ein Quelltext ist, aber, da mir der Text ansonsten sehr gut gefällt, wäre es in einer überarbeiteten (s. auch weitere Kommentare von meiner Seite) Version doch schön, wenn zur Steigerung der Allgemeinverständlichkeit Fachtermini kurz erläutert würden.

(6) Die Konsequenzen für den universitären Forschungsrahmen waren verheerend. Wo früher freier Austausch von Ideen herrschte, wurden jetzt Forschende und Lehrende gezwungen, Kooperationen zu beschränken oder ganz zu unterlassen. Software als Ergebnis von Forschungsaktivitäten durfte nicht mehr dokumentiert werden, sobald es über proprietäre Software an Firmen oder Patente gekoppelt bzw. selbst für die Patentierung vorgesehen war. Richard Stallman beschreibt diese Situation so:

„1983 gab es auf einmal keine Möglichkeit mehr, ohne proprietäre Software einen sich auf dem aktuellen Stand der Technik befindenden Computer zu bekommen, ihn zum Laufen zu bringen und zu nutzen. Es gab zwar unterschiedliche Betriebssysteme, aber sie waren alle proprietär, was bedeutet, daß man eine Lizenz unterschreiben muß, keine Kopien mit anderen Nutzern austauschen darf und nicht erfahren kann, wie das System arbeitet. Das ist eine Gräben öffnende, schreckliche Situation, in der Individuen hilflos von einem ‘Meister’ abhängen, der alles kontrolliert, was mit der Software gemacht wird.“[3]

(6.1) 11.05.2000, 15:29, B. Klimmek: Müssen wir sowas wie "universitären Forschungsrahmen" vorbehaltslos affirmieren?

(6.2) 11.05.2000, 15:34, B. Klimmek: "... Individuen hilflos von einem 'Meister' abhängen, der alles kontrolliert ..." belegt, wie frisch, fromm, fröhlich und frei persönliche Projektionen auch und vor allem in der Alternativszene (erst recht in der 'alternativen' Unix-Szene) um sich greifen. Das geht ja bekanntlich bis hin zu ach so neckischen Spielchen, wo man dann kleine Bill Gates' abknallen muß.

1.1. Der erste Geniestreich

(7) Als Reaktion darauf gründete Stallman das GNU-Projekt [4]. Ziel des GNU-Projekts und der 1985 gegründeten Free Software Foundation (FSF) war die Entwicklung eines freien Betriebssystems. Hunderte Komponenten für ein freies Betriebssystem wurden entwickelt. Doch die wirklich geniale Leistung des GNU-Projekts bestand in der Schaffung einer besonderen Lizenz, der GNU General Public License (GPL) - auch „Copyleft“ genannt. Die Lizenz beinhaltet auf folgende vier Prinzipien:

Diese Rechte werden gewährleistet, in dem die GNU GPL vorschreibt, daß

(7.1) Re: 1.1. Der erste Geniestreich, 11.05.2000, 15:49, B. Klimmek: Für den Fall, daß die durch diese zugegebenermaßen raffinierte (kaum aber "geniale") Lizenz ermöglichte Freie-Software-Geschichte irgendwann paradigmatisch und dem Kapitalismus - zumindest in der Informatiksphäre - existentiell bedrohlich werden sollte, ist es natürlich dem System ein leichtes (und somit zu erwarten), durch AUSNAHMEREGELUNGEN den erfreulichen Trend jederzeit zurückzufahren. Analog: So manche linke Partei wurde ja auch schon verboten, und wenn sie nicht gegen Menschenrechte verstößt (sondern i.d.R. diese vielmehr weiter faßt), definiert man mal eben durch ein Verfassungsgericht (1956), daß diese wahlweise das Menschenrecht auf Privateigentum oder die öffentliche Sicherheit (des Besitzes) gefährde. Der Clou an der vermeintlich genialen Lizenz ist ja gerade, daß - wenn ich das richtig verstanden habe - NUR (!) aufgrund der willkürlichen Verfügung des 'geistigen Urhebers' sog. freier Software diese "frei" ist. Prekär ist dabei, daß derselbe Gewaltapparat der Exekutive nötigenfalls diese (zufällig!) liberale Lizenz ebenso blind schützt wie jede andere Verfügung eines Eigentümers über sein Eigentum. Man ist also in bezug auf die bürgerliche Juristerei keineswegs 'freier' als die kommerzielle Konkurrenz.

(7.1.1) Re: 1.1. Der erste Geniestreich, 17.05.2000, 09:48, Stefan Meretz: Das Adjektiv "genial" meint nicht die These, die bürgerliche Gesellschaft könne juristisch, quasi mit ihren eigenen Mitteln ausgehebelt werden. Die "Genialität" besteht darin, dass sie eine ungeheure Entwicklungsdynamik ermöglicht hat durch praktisches Unterlaufen der "Knappheitserfordernis" kapitalistischer Verwertung. Was es wie Sand am Meer gibt, kannste nich mehr verticken (die "Gebühr" für CDs etc., die die GPL explizit erlaubt, bezieht sich auf den Service, nicht auf die Software, die Du Dir auch aus dem Internet saugen kannst). Dies wurde erreicht, in dem das "Copyright", was eigentlich genau die Exklusivität und damit Knappheit für die Verwertung schützen soll "umgekehrt" wurde: die Exklusivität besteht nun darin, dass niemand von Nutzung etc. exkludiert werden darf, und dies ein für alle mal. Auch der Copyright-Besitzer, der das Copyleft anwendet, kann dies nicht zurücknehmen (Verbot der Lizenzänderung). Das eigentliche "Kampffeld" sind momentan aber sowieso nicht so sehr die Lizenzen, sondern die Patente.

(7.1.2) Re: 1.1. Der erste Geniestreich, 13.08.2000, 13:49, Stefan Merten: Zu den AUSNAHMEREGELUNGEN: Einerseits hat ja auch Kapital und Staat etwas von Freier Software. So gesehen ist da zumindest auch im bürgerlichen Lager eine Konfliktlinie. Andererseits müßte eine solche Ausnahmeregelung ja das Erlauben verbieten - nicht unmöglich aber schwierig.

(8) Die besondere Stärke der GNU GPL besteht in dem Verbot GPL-Programme in proprietäre Software zu überführen. Auf diese Weise kann sich niemand offene Quelltexte aneignen und modifiziert in binärer Form in eigenen Produkte verwenden. Damit kann Freie Software nicht reprivatisiert werden, die Freiheit bleibt gewährleistet. Die besondere Stärke der GPL die Reprivatisierung zu unterdrücken ist in der Augen der Privatisierer ihr größter Nachteil. In der Folge entstanden daher zahlreiche Lizenzen (vgl. Tab. 1), die die strikten Regelungen der GPL aufweichten, um auch Freie Software kommerzialisierbar zu machen. Ich komme darauf zurück.

(9)

Lizenz-Eigen-
schaften

Soft-
ware-Art

Null-Preis

Freie
Verteilung

Unbe-
grenzter Gebrauch

Quellcode
vorhanden

Quellcode modifi-
zierbar

Alle Ab-
leitungen müssen frei sein

Keine Vermischung mit pro-
prietärer SW

Kommerziell
("Microsoft")

Probe-Software,
Shareware

(X)

X

Freeware ("Pegasus-Mail")

X

X

X

Lizenzfreie Libraries

X

X

X

X

Freie Software (BSD, NPL, ...)

X

X

X

X

X

Freie Software (GNU LGPL)

X

X

X

X

X

X

Freie Software (GNU GPL)

X

X

X

X

X

X

X

Tab. 1: Vergleich der Lizenzarten

1.2. Der zweite Geniestreich

(10) Das GNU-Projekt entwickelte ein nahezu komplettes Betriebssystem - bis auf einen kleinen, aber nicht unwichtigen Rest: den Kernel. Obwohl seit Beginn des GNU-Projekts geplant, gelang es nicht, einen GNU-Kernel zu entwickeln. Die missliche Situation änderte sich 1991 schlagartig als Linus Torvalds die Version 0.01 eines freien Unix-Kernels vorstellte - fortan "Linux" genannt. Die Entwicklungsdynamik war rasant, der Erfolg war überwältigend - so überwältigend, dass heute oft vergessen und sprachlich verdrängt wird, welchen Anteil das GNU-Projekt am Zustandekommen des freien Betriebssystems hatte und hat.

(11) Warum gelang aber einem finnischen Student, was einem ausgewachsenen Projekt wie GNU nicht glückte? Die Antwort ist nicht so naheliegend und einfach: Es lag am unterschiedlichen Entwicklungsmodell. Stallman und die GNU-Leute hatten die klassische Vorstellung, dass ein komplexes Programm wie ein Kernel nur von einem kleinen eingeschworenen Team entwickelt werden könne, da sonst der Überblick und die Kontrolle verloren gehen würde. Das hat Torvalds intuitiv auf den Kopf gestellt. Ein Ausschnitt aus der inzwischen in die Geschichte eingegangenen Tanenbaum-Torvalds-Debatte [6] verdeutlicht das. Tanenbaum schreibt:

„Ich denke, daß die Koordination von 1000 Primadonnas, die überall auf der ganzen Erde leben, genauso einfach ist wie Katzen zu hüten ...
Wenn Linus die Kontrolle über die offizielle Version behalten will und eine Gruppe fleißiger Biber in verschiedene Richtungen strebt, tritt das gleiche Problem auf.
Wer sagt, daß eine Menge weit verstreuter Leute an einem komplizierten Stück Programmcode hacken können und dabei die totale Anarchie vermeiden, hat noch nie ein Softwareprojekt gemanagt.“

Torvalds antwortet:

"Nur damit niemand seine Vermutung für die volle Wahrheit nimmt, hier meine Stellungnahme zu 'Kontrolle behalten' in 2 Worten (drei?):
Ich will nicht. [I won't]"

(11.1) 11.05.2000, 15:52, B. Klimmek: RESPEKT: Diese Antwort ist die bestmögliche. Habe diesen Streber tatsächlich unterschätzt ...

(12) Torvalds veröffentlichte frühzeitig und in kurzen Zeitabständen neue Versionen. Es bildeten sich mehr und mehr freie Softwareprojekte, die ähnlich strukturiert waren und sind. Ältere Projekte strukturierten sich nach dem Vorbild von Linux um. Maintainer, einzelne Personen oder Gruppen, übernehmen die Verantwortung für die Koordination eines Projektes. Projektmitglieder steigen ein und wieder aus, entwickeln und debuggen Code und diskutieren die Entwicklungsrichtung. Es gibt keine Vorgaben wie etwas zu laufen hat, und folglich gibt es auch verschiedene Regeln und Vorgehensweisen in den freien Softwareprojekten. Dennoch finden alle selbstorganisiert ihre Form, die Form, die ihren selbst gesetzten Zielen angemessen ist. Das einfache Prinzip, das reguliert ist: Was funktioniert, das funktioniert! Ausgangspunkt sind die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen - das ist bedeutsam, wenn man freie und kommerzielle Softwareprojekte vergleicht.

(12.1) 11.05.2000, 16:10, B. Klimmek: Bei aller Euphorie darüber, daß gerade die Praxis der Informatik schon Modi zuläßt, die in vergnüglicher (?) Weise Softwareerstellung (hier noch immanent im Privaten) ermöglichen, kann ich den Aspekt der lebensweltlichen Vorwegnahme des Kommunismus dennoch nicht ohne allzu große Einschränkungen sehen: Ist Torvalds (hier nur stellvertretend) nicht doch vor allem ein nützlicher Idiot, wenn er - ohne dem Arbeitshaus-Dualismus von Arbeitszeit/Freizeit auch nur das geringste entgegensetzen zu können - in unbezahlter "Freizeit" nur gibt, ohne zu nehmen? Man sehe mir den pfaffenhafte Jargon nach, aber Kommunismus soll doch zunächst mal ein Nehmen sein, und nicht nur systemimmanentes und ethisch motiviertes Geben. In den letzten Jahren haben Autoren aus dem Krisis-Umfeld zurecht immer wieder darauf hingewiesen, daß die "lebensweltliche" zwanglose Feelgood- und Lowlevel-Ökonomie so manchen Alternativbetriebs objektiv die Funktion eines Lohndumpings qua "selbstlosen Engagements" hatte. Aus dieser Scheinaufhebung muß freilich eine Aufhebung resultieren, und das sehe ich bisher kaum.

(12.1.1) Aufhebung in wie weit?, 17.05.2000, 10:03, Stefan Meretz: Es mag Leute geben, die tatsächlich "ethisch motiviert" nur "geben wollen". Das taugt aber nicht als Erklärung für die Dynamik Freier Software. Es geht eher um ein "nehmen", und das hier und heute (wovon Sponties nur gequatscht haben): Ich mache genau das, was ich will, ich entfalte meine Individualität im Medium der Softwareentwicklung. Dieses sich herauszunehmen konnte _nur_ funktionieren und sich selbst verstärkende Dynamik erfahren, weil es nicht auf Kosten anderer geschah - was der normale kapitalistische Modus ist -, sondern nur in Kooperation mit anderen. Und dies wiederum war _nur_ möglich, weil es ausserhalb der Verwertungszyklen stattfand. Das alles war kein geplanter Prozess, sondern ist spontan entstanden - wie aber meine, nicht zufällig: Es entspricht der Entwicklungslogik der Produktivkraftentwicklung, in der der Mensch die letzte unentfaltete Dimension ist (mal hier so hingeknallt, siehe etwa das Projekt "Selbst" hier in open theory).

(12.1.2) Geben und Nehmen, 13.08.2000, 13:53, Stefan Merten: Vielleicht übersiehst du, daß die Freien Software-EntwicklerInnenja auch massivst die Ergebnisse anderer nehmen.

1.3. Zusammenfassung zwischendurch

(13) Überraschender weise besteht die historische Leistung von Richard Stallman und Linus Torvalds nicht in Softwarebausteinen, die sie entwickelt haben. Das haben sie auch getan, doch die eigentliche historisch-geniale Tat haben beide sozusagen "nebenbei" vollbracht. Stallman schuf die GNU GPL, die Lizenz, ohne die freie Software undenkbar wäre. Es ist die Lizenz von Torvalds' Linux [7] und es ist die Lizenz, die dem Kapitalismus schwer im Magen liegt wie wir gleich sehen werden.

(13.1) Re: 1.3. Zusammenfassung zwischendurch, 11.05.2000, 16:20, B. Klimmek: Vgl. Kommentar (7.1). Daß der Wunsch nicht Vater des Gedankens sein darf (wie Adorno der bürgerlichen Ideologie zurecht ankreidet), ist zwar schade, falsch und zu überwinden, aber wohl kaum auf derart immanentem Wege wie hier möglich ("Lizenz, die dem Kap. schwer im Magen liegt"). Der Staat (als Garant der Einhaltung einer jeden Lizenz) KANN schlichtweg nicht gegen den Kapitalismus instrumentalisiert werden; bestenfalls kommt dabei so etwas wie "Staatseigentum" heraus. Vielmehr sind bürgerliche Ökonomie und bürgerlicher Staat als Einheit zu begreifen.

(13.1.1) Re: 1.3. Zusammenfassung zwischendurch, 17.05.2000, 10:11, Stefan Meretz: Ich stimme Dir uneingeschränkt zu. Ich hege auch nicht die Illusion, der Kapitalismus sei immanent überwindbar. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Stallman dem Kapitalismus mit der GPL ein Ei ins Nest gelegt hat. Dass es die Integrationsbemühungen zuhauf gibt, zeigt ja gerade auch ESR weiter unten im Text. Die GPL ist nicht mehr aber auch nicht weniger als ein Medium des Ausstiegs aus den normalen Verwertungszyklen, denn nur dort gibt es eine Chance.

(14) Torvalds hat intuitiv mit der alten hierarchischen Entwicklungsweise kommerzieller Software gebrochen. Ihm war die alte, geldgetriebene Haltung des "ich muß die Kontrolle behalten" einfach zu blöd. Als pragmatischer Chaot hat er die Energien freigesetzt, von denen Freie Software lebt: die Selbstentfaltung des Einzelnen und die Selbstorganisation der Projekte.

(14.1) 11.05.2000, 16:32, B. Klimmek: (auch auf die Gefahr hin, zu nerven (schließlich wollen wir doch den Text verBESSERN):) Müssen wir ausgerechnet die ideologischen Kampfbegriffe des Gegners abnudeln? Wer das Wort "pragmatisch" affirmativ gebraucht, für den sind in der Regel WIR die "Ideologen". Ebenso wird die "geldgetriebene Haltung" nicht dadurch schlechter, daß sie "alt" ist.

2. Kapitalismus und Freie Software

(15) Es gibt eine bekannte Comic-Vorstellung vom Kapitalismus. Oben gibt es die mit den schwarzen Zylindern, die über das Kapital und die Mittel zur Produktion verfügen. Unten gibt es die mit den blauen Overalls, die unter der Knute der Schwarzzylindrigen schwitzen, weil sie keine Produktionsmittel haben und deswegen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Je nach persönlicher Vorliebe beklagt man, dass es ungerecht sei, dass die oben die unten ausbeuten, oder dass die Ausbeutung eben in der Natur des Unternehmertums liege.

(16) Dieses Comic taugt nichts, schon gar nicht, wenn man "Freie Software" verstehen will. Ein anderes Bild muss her. Aus meiner Sicht kann man den Kapitalismus als kybernetische Maschine verstehen, also einer Maschine, die "sich selbst" steuert. Das schließt ein, dass es keine Subjekte gibt, die "draußen" an den berühmten Hebeln der Macht sitzen, sondern dass die Maschine sich subjektlos selbst reguliert. Zentraler Regulator ist der Wert, auch Tauschwert genannt, und zwar in zweifacher Weise: für die Seite der Produktion und die des Konsums.

(16.1) 18.04.2000, 11:49, Henrik Motakef: "...der Wert, auch Tauschwert genannt"? Ein bisschen mehr Genauigkeit haben die Begriffe schon verdient...

(16.1.1) 22.04.2000, 00:11, Stefan Meretz: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Leute schlicht "Wert" nicht verstehen und dann fragen, welchen Wert ich meine: Gebrauchswert oder Tauschwert. Doch der Wert hat mit dem Gebrauchswert nichts gemein. Wert und Tauschwert fassen hingegen beide Arbeitszeitmengen, wobei "Tauschwert" nur im Tausch realisierter "Wert" ist, der wiederum in der Produktion entsteht. Die Verkürzung finde ich akzeptabel...

(16.1.2) 26.04.2000, 19:30, Torsten Wöllert: Genau so einen Kommentar hatte ich auch schon in den Fingern. Zumal hinterher in Absatz 23 der Gebrauchswert sehr wohl erwähnt wird, ohne vorher erklärt worden zu sein.

(16.2) 11.05.2000, 16:40, B. Klimmek: "Aus meiner Sicht" erinnert mich auf unangenehmste Weise an das Floskel- und Subjektivismusgebot des herkömmlichen Deutschunterrichts und ist in einem vollmundigen Manifesttext zu vermeiden. Nichts für ungut.

(16.2.1) Floskelismus, 17.05.2000, 10:21, Stefan Meretz: Auch hier sprichst Du mir aus dem Herzen, aber mich nerven genauso die doofen Metadebatten darüber, wie ich denn dies oder jenes "so einfach so" behaupten könne. Aus meiner Sicht würde ich mal sagen, dass ich relativ gut damit leben kann, dass ich aus meiner Sicht damit die doofen Metadebatten reduziere, zumal es sich aus meiner Sicht nicht unbedingt um einen Manifesttext handelt ;-)

(16.2.1.1) Re: betr.: "Meta"debatten, 17.05.2000, 15:45, Bertrand Klimmek: Ich kenne sehr wohl den Menschenschlag, der - sobald das akademische Terrain der Affirmation und moralisierenden "Kritik" verlassen wird - sogleich den preiswerten Subjektivismusvorwurf zückt, finde ihn (den Menschenschlag) allerdings so unwichtig, daß ich mit solcherlei Deutschunterrichtsgeschwafel nur allzu gut leben und es ignorieren kann. Solche Menschen wissen in aller Regel nicht einmal, was Metairgendwas ist, da ihr Denken meiner bisherigen Erfahrung (NICHT meiner "Meinung") nach überhaupt kaum strukturiert stattfindet, sondern sich eher quantitativ Bahn bricht und vollends auf den Tauschwert in Form einer guten Lehrerbewertung ausgerichtet ist.

2.1. Der Produktionskreislauf

(17) In der Produktion wird abstrakte Arbeit verrichtet. Sie heißt abstrakt, weil es unerheblich ist, was produziert wird, Hauptsache es wird Wert geschaffen. Der Wert ist die Menge an Arbeitszeit, die in ein Produkt gesteckt wird. Werden auf dem Markt Produkte getauscht, dann werden diese Werte, also Arbeitszeiten miteinander verglichen. Zwischen den direkten Produktentausch tritt in aller Regel das Geld, das keinen anderen Sinn besitzt, außer Wert darzustellen.

(17.1) 21.04.2000, 10:02, Ulrich Leicht: Man muß die für die kapitalistische Produktionsweise kennzeichnenede "Arbeit" nicht mit dem Attribut abstrakt versehen. Sie ist schlicht abstrakt, übrigens auch in der in den Absätzen 25 - 28 gegenübergestellten Form der "konkreten Arbeit". Dies ist mehr als ein begrifflicher Streit, ich komme in Zusammenhang mit den erwähnten Absätzen darauf zurück. deshalb sollte der erste Satz lauten: "In der Produktion wird Arbeit verrichtet. Sie ist abstrakt, ..."

(17.1.1) 22.04.2000, 00:12, Stefan Meretz: Abstrakte und konkrete Arbeit - das bedarf wirklich einer ausführlichen Diskussion. Meine _vorläufige_ Position ist die: Arbeit ist eine _gesellschaftstheoretische_ Kategorie zur Fassung des Stoffwechselprozesses des Menschen mit der Natur. Im Kapitalismus hat die Arbeit doppelten Charakter, einerseits nützliche Dinge zu schaffen (konkrete Arbeit), andererseits Wert zu erzeugen (abstrakte Arbeit). Unter Verwertungsbedingungen spielt die Nützlichkeit fast keine Rolle, ausserhalb derselben gibt es ausschliesslich die Nützlichkeit als Kriterium. Ich denke also nicht, dass jede Arbeit abstrakte ist.

(17.1.1.1) 24.04.2000, 20:01, Ulrich Leicht: Als Beitrag zu dieser Diskussion eine Textstelle von Robert Kurz (Krisis 10, 13) "Mit der Menschwerdung selbst,..., ist Subjektivität gesetzt, d.h. Entkoppelung vom Instinkt der Tiere. Aber der wahre Inhalt dieser Subjektivität im "Stoff- wechselprozess mit der Natur" ist nicht "Arbeit", sondern reflexives Denken. Nur solange die fetischistischen Entwicklungsstufen nicht überwunden sind, in denen sich die gesellschaftliche Form des Stoffwechselprozesses mit der ersten Natur als bewusstlose "zweite Natur" geltend macht, erscheint die vom reflexiven Denken bestimmte Praxis als "Arbeit". Dieser unvollkommene, quasi vorgeschicht- liche Inhalt menschlicher Subjektivität müsste in analytischer Abgrenzung von "Praxis" schlechthin bestimmt werden als a) repetitive (und insofern noch primitive) Praxis ewig wiederkehrender lebensnotwendiger Handlungsvollzüge und als b) unmittelbarer Praxisbezug im Vollzug des Stoffwechsels mit der Natur. Die historische Produktivkraftentwicklung hat aber beide Bestimmungen der als "Arbeit" zu definierenden Praxis bis an die Schwelle ihrer Aufhebung getrieben. Immer mehr werden Handlungsvollzüge für die gesellschaftliche Praxis bestimmend, die weder repetitiv noch unmittelbar auf den Stoffwechsel mit der ersten Natur bezogen sind: Wissenschaft, Konstruktion, Ausbildung, Pflege, personenbezogene Dienste usw.: eigentlich Meta-Tätigkeiten vor, hinter und über der Produktion, die nur vom Kapitalismus als "Arbeit" definiert werden(woran er aber scheitert). Der Produktionsarbeiter, der nicht durch "Handarbeit" schlechthin zu bestimmen wäre (auch Malerei oder Laborexperimente sind oder implizieren Handarbeit), sondern durch "Unmittelbarkeit" des Bezugs zu den im "produktiven" gesellschaft- lichen Stoffwechselprozess mit der Natur umzuformenden Naturstoffen und -Kräften (eben: "unmittelbarer Produzent"), - dieser Produktionsarbeiter ist in seinem Unmittelbarkeitsbezug als blosses "Anhängsel der Maschinerie" (geronnene Wissenschaft) immer abstrakter geworden, je mehr von Wissenschaft konstituierte Mittel zwischen Natur und gesellschaftliche Reproduktion geschoben werden, bis er schliesslich der Tendenz nach durch Automatisierung ganz aus dem "Stoff- wechselprozess mit der Natur" herausgenommen wird. Diesen auch dann noch mit "Arbeit" identisch zu setzen, heisst sich an Kategorien der menschlichen Vorge- schichte festkrallen. ... Der Kapitalismus aber hat die Wissenschaft, deren Ursprung tatsächlich ein kontemplativer war, in den Rang der ersten Praxis und damit der ersten Produktivkraft gesetzt.Der Mensch ist die erste Produktivkraft, aber eben nicht als "Arbeiter", sondern als Wissenschaftler, d.h. als Denker."

(17.1.1.1.1) 11.05.2000, 16:55, B. Klimmek: Abgesehen davon, daß dies ein außerordentlich hübsches Kurz-Zitat ist, führt es an DIESER Stelle doch eigentlich nicht weiter, oder? Schließlich geht es um die Konstitution von "Wert", womit die hier diskutierte Änderung des Charakters der Arbeit bloß mittelbar zusammenhängt. Jener Zusammenhang ist insbesondere in "Die Krise des Tauschwerts" (Kurz, 1986) ausgebreitet, grob: angewandte Arbeitswissenschaft (Taylor) plus Mikroelektronik resultieren in hochautomatisierten Produktionsaggregaten und Verwissenschaftlichung der menschlichen Tätigkeit.

(18) Was ist, wenn beim Tausch im einen Produkt weniger Arbeitszeit als im anderen steckt? Dann geht der Hersteller des "höherwertigen" Produkts auf Dauer Pleite, denn er erhält für sein Produkt nicht den "vollen Wert", sondern weniger. Wer fünf Stunden gegen drei Stunden tauscht, verschenkt zwei. Das geht auf Dauer nicht gut, denn die Konstrukteure der Produkte, die Arbeiter und Angestellten, wollen für die volle Arbeitszeit bezahlt werden. Also muss der Tauschorganisator, der Kapitalist, zusehen, dass die für die Herstellung des Produkts notwendige Arbeitszeit sinkt. Das wird in aller Regel auf dem Wege der Rationalisierung vollzogen, dem Ersatz von lebendiger durch tote Arbeit (=Maschinen).

(19) Was der eine kann, kann der Konkurrent auch. Wichtig und entscheidend ist dabei: Es hängt nicht vom Wollen der Konkurrenten ab, ob sie Produktwerte permanent senken, sondern es ist das Wert-Gesetz der Maschine, das sie exekutieren. Das Wert-Gesetz der Produktion besteht im Kern darin, aus Geld mehr Geld zu machen. Die Personen sind so unwichtig wie die Produkte, das Wert-Gesetz gibt den Takt an. Oder wie es der oberste Exekutor des Wert-Gesetzes, Hans-Olaf Henkel (BDI-Präsident), formuliert:

"Herrscher über die neue Welt ist nicht ein Mensch, sondern der Markt. (...) Wer seine Gesetze nicht befolgt, wird vernichtet." (Süddeutsche Zeitung, 30.05.1996)

(19.1) 11.05.2000, 16:59, B. Klimmek: Um (strukturell antisemitischen) Omnipräsenzprojektionen vorzubeugen: treffender als "der oberste Exekutor" wäre wohl die Bezeichnung "der niederste Funktionär und automatische Ideologe" für die Henkelsche Charaktermaske, oder?

2.2. Der Konsumkreislauf

(20) Das Markt- oder Wert-Gesetz bestimmt auch die, nur ihre Arbeitskraft verkaufen können, um an das notwendige Geld zu kommen. Ohne Moos nix los. Auch die Arbeitskraft besitzt Wert, nämlich soviel wie für ihre Wiederherstellung erforderlich ist. Diese Wiederherstellung erfolgt zu großen Teilen über den Konsum, wofür Geld erforderlich ist, was wiederum den Verkauf der Arbeitskraft voraussetzt. Auch dieser Regelkreis hat sich verselbständigt, denn in unserer Gesellschaft gibt es kaum die Möglichkeit, außerhalb des Lohnarbeit-Konsum-Regelkreises zu existieren.

(21) Beide Regelkreise, der Produktionskreis und Konsumkreis, greifen ineinander, sie bedingen einander. Es ist auch nicht mehr so selten, dass sie in einer Person vereint auftreten. Das universelle Schmiermittel und Ziel jeglichen Tuns ist das Geld. Noch einmal sei betont: Die Notwendigkeit, Geld zu erwerben zum Zwecke des Konsums oder aus Geld mehr Geld zu machen in der Konkurrenz, ist kein persönlicher Defekt oder eine Großtat, sondern nichts weiter als das individuelle Befolgen eines sachlichen Gesetzes, des Wert-Gesetzes. Eine wichtige Konsequenz dieser Entdeckung ist die Tatsache, dass unser gesellschaftliches Leben nicht von den Individuen nach sozialen Kriterien organisiert wird, sondern durch einen sachlichen, kybernetischen Regelkreis strukturiert ist. Das bedeutet nicht, dass die Menschen nicht nach individuellem Wollen handeln, aber sie tun dies objektiv nach den Vorgaben des kybernetischen Zusammenhangs. Wie Rädchen im Getriebe.

(21.1) 26.04.2000, 19:41, Torsten Wöllert: Na ja, das mit dem sachlichen kybernetischen Regelkreis scheint mir ziemlich verballhornend und gleichzeitig verabsolutierend. Es erinnert mich in seinem Tenor an Luhmann u.ä. und wirkt so seltsam blass und fatalistisch. Vielleicht könnte man sagen, dass dieser Regelkreis in dieser Gesellschaft auch in jeglichem sozialen Handeln wirkt - was soziales Handeln aber nicht ausschließt.

(21.1.1) 28.04.2000, 16:26, Stefan Meretz: Ich meine es so absolut: Das soziale Handeln wird durch einen Sachzusammenhang strukturiert. Die Menschen tun freiwillig das, was sie tun sollen, solange sie innerhalb des kybernetischen Zusammenhangs des Wert-Gesetzes verbleiben. Ich zitiere nochmal meinen Kommentar 25.1.1: "Die gesellschaftlichen Beziehungen werden nicht durch kommunikative persönliche an der Nützlichkeit orientierte Beziehungen erzeugt, sondern durch die kybernetische subjektlose Bewegung des Werts kontrolliert. Nicht die Menschen bestimmen ihre Beziehungen, sondern sie lassen diese durch eine Bewegungen von Sachen bestimmen - das ist mit "Fetisch" gemeint." - wie er bei Marx vorkommt. Nur lasse ich den Begriff Fetisch lieber weg, ohne aber inhaltlich etwas anderes zu sagen. Das ist trotzdem nicht fatalistisch, weil man ja aus der Wert-Verwertung rausgehen kann - wie es die Freie Software praktisch getan hat. Dieses "Rausgehen" sich bewusst zu machen und bewusst für die Wert-Freiheit zu entscheiden (was übrigens mit Luhmann nicht denkbar ist) - das ist meine Botschaft.

(21.1.1.1) 11.05.2000, 17:07, B. Klimmek: Da haben wir doch das Problem: "Kybernetischer Regelkreis" vs. "Fetisch". Klingt ersteres allzu hermetisch (und IST ja auch zementiert, aber eben nur in der Marktgesellschaft, Luhmann R.I.P.), so betont "Fetisch" gerade den Konnex zur bürgerlichen Subjektkonstitution und verweist auf mögliche Bruchstellen, ohne die der "Regelkreis" qua Verblendungszusammenhang ja tatsächlich hermetisch wäre. Du schreibst ja völlig zurecht: "weil man ja aus der Wert-Verwertung rausgehen kann"

2.3. Knappheit und Wert

(22) Damit die Wert-Maschine läuft, müssen die Güter knapp sein. Was alle haben oder bekommen können, kann man nicht zu Geld machen. Noch ist die Luft kein knappes Gut, aber schon wird über den Handel mit Emissionen nachgedacht, denn saubere Luft wird knapp. Viele selbstverständliche Dinge werden künstlich verknappt, um sie verwertbar zu machen. Das prominente Beispiel, das uns hier interessiert, ist die Software. Software als Produkt enthält Arbeit wie andere Produkte auch [7a]. Wie wir im historischen Exkurs gesehen haben, war Software solange frei verfügbar wie sie nicht verwertbar erschien. Software wurde als Zugabe zur wesentlich wertvolleren Hardware verschenkt. Im Zuge gestiegener Leistungsfähigkeit und gesunkener Werthaltigkeit der Hardware (ablesbar an gesunkenen Preisen) stieg auch die Bedeutung von Software - sie wurde auch für die Verwertung interessant.

(22.1) Re: 2.3. Knappheit und Wert, 11.05.2000, 17:16, B. Klimmek: Zur Fortentwicklung dieses Textes ist vielleicht ein kleines DIN-A5-Pamphlet einer obskuren "Liste Linkspopulisten" hilfreich, daß mir (war es 1996?) in der Karlsruher Uni in die Hände fiel anläßlich des Besuchs eines gewissen William Gates. Es "behandelt" dieselben zentralen Fragen, die auch hier so lobenswerterweise diskutiert werden, fällt mir v.a. bei der Lektüre von Absatz 22 auf. (Möge mir mailen, wer weiß, inwiefern man ne eingescannte Version irgendwo bei "opentheory" ablegen kann oder so)

(23) Um Software verwertbar zu machen, muss Knappheit hergestellt werden. Dies geschieht im wesentlichen durch:

Wie bei jedem Produkt interessiert bei kommerzieller Software der Gebrauchswert den Hersteller überhaupt nicht. Ist ein aufgemotztes "Quick-And-Dirty-Operating-System" (QDOS) [8] verkaufbar, wird es verkauft. Ist das Produkt des Konkurrenten erfolgreicher, dann wird das eigene Produkt verbessert. Die Nützlichkeit und Brauchbarkeit ist damit nur ein Abfallprodukt - wie wir es zur Genüge von den kommerziellen Softwareprodukten kennen.

(23.1) 26.04.2000, 19:43, Torsten Wöllert: Der Begriff Gebrauchswert wurde und wird nicht erklärt und nicht in Beziehung zu verwandten Begriffen wie Nützlichkeit und Brauchbarkeit oder Wert gesetzt. Das trüge aber zur Klarheit bei.

(23.1.1) 11.05.2000, 17:19, B. Klimmek: Scheinen synonym, oder?? (Mal beim Backhaus nachschauen) (NEIN, nicht der in der Lindenstraße!)

(24) Entsprechend sieht es auf der Seite der Entwickler/innen aus. Auch Software-Entwickler/innen liefern nur ihre abstrakte Arbeit ab. In kaum einem anderen Branche gibt es so viele gescheiterte kommerzielle Projekte wie im Softwarebereich [9]. Mit 40 gehören Entwickler/innen schon zum alten Eisen. Der fröhliche Optimismus der Newbies im Business verfliegt schnell. Wessen gute Vorschläge ein paarmal mit dem Hinweis auf die Deadline des Projektes abgeschmettert wurden, weiss, was ich meine. Ein Berufstraum wird zum traumatischen Erlebnis.

(24.1) Leidensdruck bei komerziellen EntwicklerInnen, 17.05.2000, 20:38, Stefan Merten: Meine Erfahrungen sind da anders. Auch in der kommerziellen SW-Entwicklung gibt es erheblich mehr Freiheiten als bspw. am Fließband.

(24.1.1) Re: Leidensdruck bei komerziellen EntwicklerInnen, 18.05.2000, 17:52, Bertrand Klimmek: Ja, ich kann mich z.B. zwischen 72 Tasten entscheiden und nicht nur 2 Handgriffen! Außerdem darf ich noch eine Linux-Kaffeetasse benutzen. Wow! :]

(24.1.2) Re: Leidensdruck bei komerziellen EntwicklerInnen, 21.05.2000, 22:21, Stefan Meretz: Konkret: Meinst Du Deine Erfahrungen aus Deinem Job, einem Forschungsprojekt bei der Uni? Unter Verwertungsdruck steht ihr da nicht gerade. Allgemein: Meinst Du, das die Existenz positiver Beispiele die allgemeine Aussage hinsichtlich der Qualität abstrakter Arbeit ändert? Was besagt die Tatsache des Vorhandenseins von "mehr Freiheiten" bei der SW-Entwicklung? Ich meine damit, dass SW-Entwicklung _sowieso_, also strukturell mehr "Freiheiten" beinhaltet, ja, zwingend voraussetzt, als Fließbandarbeit. Warum glaubst Du, dass so viele kommerzielle Projekte scheitern - trotz der "Freiheiten" (oder wegen?)? New topics...

(24.1.2.1) Re: Leidensdruck bei komerziellen EntwicklerInnen, 13.08.2000, 14:10, Stefan Merten: Zu konkret: Nein, ich meine meine Erfahrungen in einer 30+-Mitarbeiter-Firma, in der ich gearbeitet habe bevor ich an das Forschungsinstitut (nicht Uni) um die Ecke gewechselt habe. Auch bei der früheren Firma gab es Möglichkeiten der Gestaltung der Arbeit, der Inhalte und der Konzepte - auch wenn der Druck in dieser konkreten Situation damals höher war als er es heute üblicherweise für mich ist. Aber das ist alles sehr konkret und führt mich vor allem dazu, daß es Allgemeinheiten da wohl nicht gibt... Zu allgemein: Ja, Software-Entwicklung hat strukturell mehr Freiheiten. Vielleicht können wir uns darauf einigen. Aber das hat m.E. erhebliche Konsequenzen - auch wenn die Arbeit natürlich abstrakt bleibt. Zum Scheitern: Ich würde sagen, daß das nichts mit den Freiheiten oder nicht zu tun hat. Habe ich mir noch nie Gedanken drüber gemacht. Ein Teilgrund wird aber m.E. sein, daß immer noch nicht verstanden worden ist, daß Software-Entwicklung oberhalb des Ein-Mann(!)-Programms vor allem ein sozialer Prozeß ist. Den zu organisieren wird in dieser Gesellschaft aber nirgends gelernt.

2.4. Freie Software befreit

(25) Das ist mit Freier Software anders. Der erste Antrieb Freier Software ist die Nützlichkeit. Der erste Konsument ist der Produzent. Es tritt kein Tausch und kein Geld dazwischen, es zählt nur eine Frage: Macht die Software das, was ich will. Da die Bedürfnisse der Menschen keine zufälligen sind, entstehen freie Softwareprojekte. Auch hier geht es nicht um Geld, sondern um das Produkt. Es gibt keine größere Antriebskraft als die individuelle Interessiertheit an meinem guten nützlichen Produkt. Diese Arbeit nenne ich konkrete Arbeit.

(25.1) 21.04.2000, 10:27, Ulrich Leicht: Prima. Der erste Antrieb freier Software, die Nützlichkeit und deshalb auch/und der Spaß usw., soll und muß in einer von Verwertungsinteressen freien Gesellschaft der Antrieb jeglichen Produzierens und Reproduzierens sein. Dieses Schaffen nützlicher Dinge und Gebrauchsgegenstände darf nicht und hat gottseidank - so wie heute schon die "freie Software"-Produktion - nichts mit Arbeit (weder der abstrakten noch konkreten) zu tun. Es werden eben keine Gebrauchs w e r t e sondern nützliche Produkte. Deshalb darf es den letzten Satz so nicht geben. Der tolle und beispielgebende Ansatz freier Software-Produktion sollte auch begrifflich nicht in die Fetischwelt der "Arbeit" überhaupt zurückgezerrt werden. Wenn formuliert werden muß dann möglichst in Abgrenzung davon. Diese Tätigkeit, die man gemeinhin auch als Arbeit (bei dem 'doppelten Marx' nicht immer aber vorwiegend fälschlich als 'konkrete'- Gebrauchswerte schaffende) bezeichnet, sollte dann auch kategorial so bezeichnet werden. Der letzte Satz könnte dann etwa lauten: "Dieses Tun ist dann nicht mehr Arbeit, sondern das frei von jeglichen abstrakten Fesseln sinnvolle, nützliche und lustvolle S c h a f f e n ("work", "werken" - da bekäme sogar Ge w e r k schaft wieder einen Sinn) für menschliche und gesellschaftliche Bedürfnisse.

(25.1.1) 22.04.2000, 00:12, Stefan Meretz: Das hört sich für mich wie ein Streit um Worte an. Du willst das lustvolle Schaffen aus der Fetischwelt der "Arbeit" raushalten und es deswegen anders nennen. Was aber ist mit Fetisch gemeint? Marx kontrastiert feudale und warenförmige Verhältnisse. Er stellt fest, das die Besonderheit, Konkretheit, Nützlichkeit der Arbeit unter Feudalbedingungen die gesellschaftlichen Verhältnisse als persönliche Abhängigkeitsverhältnisse zeigt. Anders im Kapitalismus, da entstehen die gesellschaftlichen Verhältnisse erst hinterrücks über die sachliche Form des Wertvergleichs der Produkte und in ihnen steckenden Arbeitsmenge. Die gesellschaftlichen Beziehungen werden nicht durch kommunikative persönliche an der Nützlichkeit orientierte Beziehungen erzeugt, sondern durch die kybernetische subjektlose Bewegung des Werts kontrolliert. Nicht die Menschen bestimmen ihre Beziehungen, sondern sie lassen diese durch eine Bewegungen von Sachen bestimmen - das ist mit "Fetisch" gemeint. Ich schreibe das, weil der Fetisch einzig mit der Wertförmigkeit der (abstrakten) Arbeit, die in die mach-aus-Geld-mehr-Geld-Maschine eingebunden ist, zu tun hat - _nicht_ mit der Arbeit als solcher. Als Beispiel dienen bei Marx die feudalen Verhältnisse, die _nicht_ fetischistisch strukturiert sind, sondern auf konkreten personalen Beziehungen beruhen (gleichwohl: Abhängigkeitsbeziehungen).

(25.1.1.1) 24.04.2000, 16:23, Ulrich Leicht: Nun wollte ich nicht auch noch mit meiner Bemerkung "Fetischwelt" ein neues Themenfeld aufmachen, obwohl es dazugehört, und ich auch hier unter dem Aspekt - die Geschichte der Menschheit vielleicht anders als im Marxismus bislang üblich auch als eine von verschiedenenartigen aufsteigenden "Fetisch"verhältnissen (die feudalen Gesellschaftsverhältnisse eingeschlossen) zu sehen - die letzte Schlußfolgerung nicht teilen würde. Ein Lesehinweis: Robert Kurz schreibt in "Die verlorene Ehre der Arbeit" auch zu dieser Frage u.a.: "Auf den frueheren, vorkapitalistischen Formationsstufen der fetischistischen Gesellschaften erscheint die "Arbeit" als Praxisinhalt freilich noch nicht getrennt vom uebrigen Lebensprozess der unmittelbaren Produzenten; insofern ist die Warenform als letzte und hoechste Form des Fetischismus auch gleichzeitig die letzte und hoechste Form der "Arbeit", die erst in dieser Form als solche, als getrennter Funktionsraum hervortritt, um dann auf diesem ihrem Hoehepunkt schliesslich krisenhaft zu erloeschen im Prozess der Verwissenschaftlichung. .." (Krisis 10, 1991, S.13, unter "http://www.magnet.at/krisis/krisis-archiv") Es geht wie in den Kommentaren zu 17 und 26 um mehr als den Streit um Worte.

(25.1.2) 11.05.2000, 17:23, B. Klimmek: Uuaaargh! BITTE nicht. Erstens ist "Schaffen" süddeutsche Mundart, und zwar exakt für "Arbeiten", wie ich herausfinden konnte. Außerdem ist mir die verbale Affinität zum NS-Kampfbegriff "schaffendem Kapital" unerträglich. Ansonsten natürlich äußerst lobenswertes Anliegen, Wörter wie "Arbeit" zu vermeiden für die Beschreibung von etwas, das mit Arbeit-as-we-know-it NICHTS mehr zu tun haben soll.

(26) Konkrete Arbeit ist der abstrakten Arbeit überlegen. Das weiß auch der Exekutor des Wert-Gesetzes in der Produktion. Deswegen spielt der Spaß, das Interesse am Produkt, auch in der geldgetriebenen Produktion eine wichtige Rolle. Es ist nur so, dass die abstrakte Arbeit immer gewinnt. Letztlich zählt eben nur, was hinten rauskommt - und zwar an Geld.

(26.1) 21.04.2000, 13:28, Ulrich Leicht: In Zusammenhang mit meinen anderen Kommentierungen halte ich diese Formulierungen natürlich auch für problematisch. Aus meinen "Arbeitserfahrungen" bezweifele ich auch, daß es diesen Widerspruch "konkret" - "abstrakt" in der eigentlichen Produktion in der Weise gibt. Der "Executor des Wert-Gesetzes" rechnet natürlich mit den Fähigkeiten, Fertigkeiten und dem Können der "Arbeitenden", deren Arbeitskraft er eingekauft hat. Aber auch hier interessiert dies nur in Zusammenhang mit maximalen Verwertungseinsatz. Gefragt sind bestenfalls Identifikation mit diesem Ziel, entsprechende diesbezügliche Flexibilität, aber weniger umfassende Qualifikation, Mitdenken gar Nachdenken über und Durchschauen des Produktionsprzeßes und -ablaufs. Der Spaß hält sich wahrlich in Grenzen. Und wenn wir als abhängig Beschäftigte ehrlich sind: selbst die "Klassenfeinde" sind Opfer der Fetischverhältnisse, die Unternehmer und Manager sind dem Verwertungs"spiel" und -druck gnadenlos, bei Strafe ihres Untergangs, eben als spaßlose "Charaktermasken" unterworfen. Zum theoretischen Hintergrund meiner Interventionen gerade auch als "zwangs"arbeitender Mensch und Gewerkschafter möchte ich auf den hervorragenden Artikel von Robert Kurz, "Postmarxismus und Arbeitsfetisch" in Krisis 15, 1995 verweisen, der auch zum Verständnis aller anderen Darlegungen zum Thema Arbeit, so auch des "Manifests gegen die Arbeit" wichtig ist. Daraus als Einstieg zur Problematik, gilt auch für Absatz 27 und Kommentar 27.1, einige Zitate: Wie argumentiert der "doppelte Marx" in Sachen Arbeit: "Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit ist die Arbeit ... eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln." (Kapital Bd.1, 57) Immerhin steht hier nicht, wie oft vom Marxisten behauptet, die Arbeit sei gleich der Stoffwechselprozeß mit der Natur, also ewige Notwendigkeit, sondern kann auch als historisch veränderbarer Vermittlungsprozeß gesehen werden. In der Deutschen Ideologie wie an anderen Stellen liest sich das anders: "... daß in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um eine andre Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andre Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige A r t der Tätigkeit richtet, die A r b e i t beseitigt(!) ..." (DI 71) Und daraus folgern Marx und Engels: "... müssen die Proletarier, um persönlich zur Geltung zu kommen, ihre eigene bisherige Existenzbedingung, die zugleich die der ganzen bisherigen Gesellschaft ist, die Arbeit, aufheben." (DI, 79) Dazu schreibt Robert Kurz in dem Kapitel "Der doppelte Begriff der abstrakten Arbeit und die gesellschaftliche Sphärentrennung": Marx war sich offenbar seiner "doppelten" Argumentation bewußt, was sich unter anderen darin zeige "... daß er sich zur Behebung des Dilemmas mit einem begrifflichen Trick sozusagen selbst überlistet. Denn eigentlich ist der Begriff der 'Arbeit' ohne jedes Attribut, die Abstraktion 'Arbeit' also, bereits der Begriff der warenproduzierenden Produktionstätigkeit. Die sogenannte Gebrauchswertseite dieser Tätigkeit kann überhaupt nur die Kehrseite derselben gesellschaftlichen Realabstraktion sein: die Art und Weise nämlich, wie diese gesellschaftliche Abstraktion sich des sinnlichen Stoffes bemächtigt und ihn ihrer Form unterwirft. der 'Doppelcharakter der Arbeit' (Marx) ist nicht ontologisch verankert, er ist seinem Wesen nach der Doppelcharakter warenproduzierender Verhältnisse. Marx macht nun aus der stofflich-sinnlichen Seite der 'Arbeit' (und damit aus dem 'Gebrauchswert', der doch nur die stofflich-sinnliche Seite derselben Wertabstraktion darstellt) einen ontologischen Begriff, der eben jene 'ewige Naturnotwendigkeit' sein soll. Damit wird er kompatibel mit dem immanenten, notwendigen Selbstverständnis der Arbeiterbewegung. (...) Aber die warenproduzierende 'Arbeit' ist auch noch in einem zweiten Sinne 'real abstrakt', den Marx keineswegs systematisch entwickelt: nämlich in ihrer Existenz als eine a u s d i f f e r e n z i e r t e S p h ä r e, die getrennt ist von anderen Sphären wie Kultur, Politik, religion, erotik usw. oder, auf einer anderen ebene, auch getrennt von 'Freizeit'. ... Die Entfaltung und schließlich die volle Entfesselung der Formabstraktion in der Moderne ist aber nur möglich dadurch, daß die 'Arbeit' als diese getrennte, 'real abstrakte' Sphäre ausdifferenziert wird, vom übrigen Lebensprozeß getrennt wird; daß der warenproduzierende mensch also nicht nur von der sinnlichen Qualität seiner Gegenstände, sondern in und hinsichtlich der 'Arbeit' auch gleichzeitig von den anderen lebensmomenten 'absieht' (abstrahiert), die zu funktionalen Sphären jenseits der 'Arbeit' geronnen sind." (Krisis 15, 108-113)

(26.1.1) 22.04.2000, 00:13, Stefan Meretz: (Mach mal beim nächsten Mal mehrere Kommentare zum gleichen Absatz. Die lassen sich dann wieder besser kommentieren.) Aber inhaltlich: Die Zitate, die Du von Marx und Engels lieferst, kommen zum Teil auch im "Manifest gegen die Arbeit" vor. Ich habe einige nachgelesen und festgestellt, dass der Kontext immer die _Lohnarbeit_ ist. Diese Arbeit wollen Marx und Engels abschaffen, aufheben etc. Die Argumentation mit dem "doppelten Marx" habe ich bislang nicht nachvollziehen können. Im übrigen schreibt Kurz im "Schwarzbuch Kapitalismus" immer von "abstrakter Arbeit", eine reine "Anti-Arbeits-Polemik" findet sich dort nicht (oder ich habe es überlesen...). Für mich ist die Frage konkret-abstrakt offen...

(26.1.1.1) 24.04.2000, 16:34, Ulrich Leicht: Mir geht es in diesem Zusammenhang überhaupt nicht um eine reine Anti-Arbeits- Polemik, die in diesem Text auch nicht entfaltet werden muß. Ich finde es nur falsch und ausgerechnet in Zusammenhang mit der freien Softwareentwicklung und diesem Artikel mit dieser fast genialen Überschrift "Linux ist nichts wert - und das ist gut so!" einfach schade und eine vertane Chance, den überholten, zumindest fragwürdigen Marx'schen Begriff der "Arbeit", in ihrer vermeintlich sinnvollen, gebrauchs"wertigen" "konkreten" Variante nicht nur unbedingt aufrechterhalten zu wollen, sondern als Alternative zumindest kategorial sogar noch einen Ehrenplatz zu verleihen.. Natürlich findet man bei "Kurz" das Attribut "abstrakt", gerade um dem nicht wertkritisch ananlysierenden Leser und Publikum diese Verrücktheit der Arbeit deutlich zu machen. Das darf und muß dieser Text hier auch. Aber in dem "Schwarzbuch" findet sich sicher nicht einmal die Formulierung "konkrete Arbeit" und schon garnicht als positive Alternative zur "abstrakten", und darauf kommt es an. Im vorliegenden Text wird doch richtigerweise darauf verwiesen, daß die Informatiker, in gewisser priviligierter Stellung und auskömmlicher Beschäftigung, es sich leisten können, a u ß e r h a l b ihrer Arbeit, (mit Krisis würde es begrifflich heißen außerhalb der abstrakten "abstrakten Arbeit" und der abstrakten "konkreten Arbeit" die ein Lohnarbeitsverhältnis konstituieren), und nur frei von der Software-Verwertungsmaschinerie die sinnvolle, nützliche freie Software entwickeln können. Man kann dieses "Tun" bezeichnen wie man will - z.B. Entwicklen oder Schaffen freier Software - es ist in jedem Fall genau das Gegenteil von Arbeit. Und deshalb schaue ich als Arbeiter voller Begeisterung auf die (nicht zufälligen) Impulse aus den Reihen der Informatiker, diese befreienden Anstöße, die die beiden Stefans und andere geben. Aber laßt doch diese "verkehrte" Welt der Arbeit auch begrifflich hinter Euch. Ihr seid doch schon so weit auf dem richtigen Weg jenseits der "Arbeitsgesellschaft".

(26.1.2) erstes Viertel von (26.1): "Gefragt sind ...", 11.05.2000, 17:34, B. Klimmek: Zur Klarheit, WAS aus Sicht des sog. Arbeitgebers "gefragt" ist: Die ach so zwanglose "MOTIVATION", die der sog. Arbeitgeber (eigentlich also Motivationsgeber) dem sog. Arbeitnehmer bestenfalls gibt, ist ja für den Motivationsgeber nur der TAUSCHwert für die gesteigerte Arbeitsintensität, die dann der "motivierte" sog. Arbeitnehmer gibt. (Führt vielleicht nicht unbedingt weiter, ist aber nette Katzentischdialektik, oder?)

(27) Abstrakte Arbeit ist nervtötend. Wer sagt, ihm mache seine abstrakte Arbeit Spaß, der lügt - oder macht sich was vor, um die abstrakte Arbeit aushalten zu können. Abstrakte Arbeit ist unproduktiver als konkrete Arbeit - wozu soll ich mich für etwas engagieren, was mich eigentlich nicht interessiert? Also muss man mich ködern mit Geld. Da sieht es für Informatiker/innen zur Zeit gut aus. Aber die Green Card bringt das auch wieder ins Lot. Dann ist da noch die latente Drohung: "Wenn du nicht gut arbeitest, setze ich dich woanders hin oder gleich ganz raus". Wer sich bedroht fühlt, arbeitet nicht gern und schlecht - im Sinne abstrakter Arbeit. Zuckerbrot und Peitsche, die Methoden des alten Rom. Und Rom ist untergegangen.

(27.1) 18.04.2000, 12:10, Henrik Motakef: Meine abstrakte Arbeit macht natürlich keinen Spass, aber ich leiste ja auch immer, auch in der Lohnarbeit, konkrete Arbeit. Abstrakt ist sie zwar als Wertschaffende, aber, da noch jedes Produkt gleichzeitig Gebrauchswert ist (sein muss) hat sie den _Doppelcharakter_ gleichzeitig abstrakter _und_ konkreter Arbeit. Als abstrakte Arbeit gilt meine Arbeit aber erst im Austausch, nicht schon in der Produktion. Wie sollte ich auch "allgemein Menschliche" Arbeitskraft verausgaben, als konkret-, real-exisierender Mensch? Das ich deswegen noch lange kein persönliches Freunschaftsverhältnis zu meinen Chef habe, hat andere Gründe, nämlich v.a. dass meine Arbeitskraft ihm nur als Ware gilt, die er konsumiert, indem er meine Arbeit (!) konsumiert. Ich bin ihm daher nur ein Warenbesitzer, nur Träger dessen, was ihn eigentlich interessiert. Warenbesitzer stehen sich aber gleichgültig (aber auch gleich an Rechten, im Prinzip) gegenüber.

(27.1.1) 22.04.2000, 00:13, Stefan Meretz: Nein, die abstrakte Arbeit erscheint nicht erst im Austausch, sondern bereits in der Produktion - sonst würde auch die Unterscheidung von Tauschwert und Wert keinen Sinn machen. Ich verstehe Arbeit als _gesellschafttheoretische_ Kategorie, nicht als individualtheoretische. Dein Arbeitshandeln (um mal individualtheoretisch zu schreiben) kann im konkreten Rumschrauben an einem Ding bestehen. Gesellschaftstheoretisch ist das jedoch doppelgesichtig konkrete und abstrakte Arbeit, wobei - und das ist entscheidend - der auf Nützlichkeit gerichtete Anteil gegen Null geht. Das hat v.a. damit zu tun, dass die Produktion inzwischen so organisiert ist, dass es kaum mehr etwas gibt, bei dessen Herstellung nicht mehr zerstört (Umwelt, Menschen etc.) wird, als an Rest-Nützlichkeit im Produkt erscheint, die sowieso nur insoweit interessiert, als das darüber der Wert realisiert werden kann, sprich das Zeug vertickt wird. Die zunehmende Irrelevanz des strukturell sowieso für die Verwertung nur mittelbar wichigen Gebrauchswertsaspekts schlägt dann auch das individuelle Arbeitshandeln nieder. Nicht nur die Tatsache des nervtötenden Arbeitszwangs macht kein Spass, sondern der Rest an Freude auf "operativer Ebene" (also beim konkreten Rumschrauben) nimmt zusehens ab, wenn man sich nur kurz die "Sinnfrage" des Tuns im übergreifenden Zusammenhang stellt.

(27.1.1.1) "Unterscheidung von Tauschwert und Wert", 11.05.2000, 17:49, B. Klimmek: Jetzt besteht aber (ausnahmsweise (hehe) bei MIR) Klärungsbedarf: Werden nun "Wert" und "Tauschwert" synonym gebraucht? Immerhin sind ja beide streng quantifizierbar (Ggs. zu Gebrauchswert)?? Habe nach ca. 5 Jahren Beschäftigung mit Krisis etc. keinen wesentlichen Unterschied ausmachen können ... Jaja, ich weiß, der Wert entsteht bereits VOR dem Tausch (bin kein Zirkulationssphärenfetischist), aber schließlich findet in Warengesellschaften die Schöpfung des Wertes (in der Produktion!) ja nur statt, UM diesen sich schließlich (in der Zirkulation) realisieren zu lassen. IST daher also "Wert" := "Tauschwert" ???

(27.1.1.1.1) Re: "Unterscheidung von Tauschwert und Wert", 17.05.2000, 11:07, Stefan Meretz: Der Wert ist ein gesellschaftliches Verhältnis. Es gibt keine "Wert an sich" (zu messen etwa in Arbeitszeit), sondern nur in Bezug auf die "Kompliziertheit" der Arbeit, die den Stand der Produktivkraftentwicklung (PKE) gesellschaftlich durchschnittlich ausdrückt. Dieses Verhältnis der "unabhängig voneinander betriebenen Privatarbeiten" stellt sich erst, wenn man so will, im Nachhinein durch Tausch her. Für Warengesellschaften mit annähernd gleichem Stand der PKE gilt dann Wert:=Tauschwert. Analytisch sollte man das aber dann trennen, wenn die PKE-Niveaus deutlich unterschiedlich sind, etwa beim Welthandel: Hier wird das Fünf-Minutenhemd aus High-Tech-Produktion mit dem Fünf-Stundenhemd aus Schwitzbudenproduktion gleichgesetzt (gleicher Preis wird erzielt), was bedeutet, dass der "Wert" des Schwitzbudenhemdes nicht realisiert werden kann, oder andersrum: Es ist eben nur fünf Minuten "wert", was aufs gleiche rauskommt: "Welthandel fördert Entwicklung" ist Quark, sondern "Welthandel" saugt Arbeit in die Länder mit hohen PKE-Niveau. Also für sowas braucht man die Unterscheidung z.B. Da mich diese Differenzierung hier im Text nicht interessiert, unterscheide ich hier Wert und Tauschwert nicht.

(27.1.1.1.1.1) Re: Was ich immer schon mal sagen wollte oder so, 18.05.2000, 17:09, Bertrand Klimmek: Verstehe :] ; erhellender Gedankengang. Nur noch eine Anmerkung zum Stil: "Der Wert ist ein gesellschaftliches Verhältnis [und nicht die Eigenschaft einer Sache]" ist zwar analytisch korrekt und hört sich immer gut an, ähnlich wie "Das Kapital ist ein gesellschaftliches Verhältnis [und nicht eine akkumulierte Wertmenge]" oder "Die Ware ist ein gesellschaftliches Verhältnis". Nach der Dechiffrierung des Fetischcharakters der Eigenschaftsform macht dies alles tatsächlich nicht nur Sinn, sondern ist wohl die einzige adäquate Ausdrucksform. Problematisch finde ich nur den JARGON, der gewissen advanced-learners-Marxisten eigen ist (und dessen Funktion oft eine bloß distinktive zu sein scheint): Um nicht in einen terminologischen Obskurantismus zu verfallen, scheint es mir sowohl verständlicher als auch korrekter, die Kategorien klar auseinanderzuhalten, auch wenn mir deswegen reflexartig ein jeder Distinktionsmarxologe unbewältigten Wertfetischismus konstatieren möchte: Nicht "Die Ware ist ein ges. Verhältnis", auch nicht "Die Warenform ...", sondern "Die Warenförmigkeit ist ein ges. Verhältnis". Eben da ist der Unterschied: von der Konkretion "Ware" zur Totalität der "Warenförmigkeit" ist es schon ein Abstraktionsschritt. Daher ist auch "der Kapitalismus" ein ges. Verhältnis und nicht "das Kapital", obwohl jedes "Kapital" ein ges. Verhältnis wechselseitig konstituiert (aber eben nicht IST). Ich kann übrigens auch kein ges. Verhältnis akkumulieren. Ebenso bin ich fest davon überzeugt, daß nicht "der Wert ein ges. Verhältnis" sein kann, auch nicht "die Wertform" eines Gebrauchsgegenstands, sondern "die Wertförmigkeit ein ges. Verhältnis" konstituiert bzw. durch ein solches konstituiert wird. Ich ahne schon, was die advanced-learners-Fraktion mir nun entgegnen wird: ich sei mit meinem Insistieren auf dieser Unterscheidung gerade der fetischistischen Eigenschaftsform aufgesessen. Qua totalitärem Waren- und Wertfetischismus (was wohl dasselbe ist) HABEN die Gegenstände aber nun mal einen Wert, SIND Waren. Sonst macht der Begriff einer gesellschaftlich vermittelten Realabstraktion ja wohl keinen Sinn. Ich habe wohlgemerkt nicht ohne Zusatz gesagt: Die Gegenstände HABEN einen Wert, SIND Waren. Was meint denn wohl der Kurz zu diesem Wasichimmerschonmalsagenwollte?

(27.1.1.1.1.1.1) Stilfragen und andere Verhältnisse, 21.05.2000, 23:02, Stefan Meretz: Wenn ich dich verstehe, willst Du nicht (bloss) Kategorien klar auseinanderhalten, sondern Beschreibungsbegriff und analytischen Begriff (=Kategorie) unterscheiden. Nicht erst von der Konkretion "Ware" zur Totalität "Warenförmigkeit" ist es ein Abstraktionsschritt, sprich ein Übergang von der anschauenden Beschreibung zur analytischen Verdichtung, sondern "Ware" selbst ist eine Abstraktion oder besser: kann eine sein. Der Satz "Der Wert ist ein gesellschaftliches Verhältnis" ist die faule Kurzfassung von "Der Wert konstituiert ein gesellschaftliches Verhältnis und wird durch ein gesellschaftliches Verhältnis konstituiert". Sonst frag' doch Kurz.

(28) Konkrete Arbeit kann man nicht kaufen, jedenfalls nicht auf Dauer. Konkrete Arbeit funktioniert nur außerhalb der rückgekoppelten Wert-Maschine. GNU/Linux konnte nur außerhalb der Verwertungszusammenhänge entstehen. Nur außerhalb des aus-Geld-mehr-Geld-machen-egal-wie konnte sich die Kraft der individuellen Selbstentfaltung zeigen.

2.5. Aber was ist mit den Geldmachern?

(29) Machen wir uns keine Illusionen. Dort, wo man Geld machen kann, wird das Geld auch gemacht, und wenn es nicht anders geht, dann eben mit dem Drumherum von Freier Software. Das sind Absahner, nicht ohne Grund kommen sie alle zum Linuxtag. Das verurteile ich nicht, ich stelle es nüchtern fest. Maschinen haben den Vorteil, dass man ihre Wirkungsweise ziemlich nüchtern untersuchen kann. So sehe ich mir den Kapitalismus an.

Wenn ich die kapitalistische Wert-Maschine verstehe, habe ich nützliche Kriterien an der Hand - für das eigene Handeln und für die Einschätzung so mancher Erscheinungen freier Software. Auf beides will ich im folgenden eingehen.

3. OSI und GNU - zwei verkrachte Geschwister

(30) Anfang 1998 gründen Eric. S. Raymond und Bruce Perens die Open Source Initiative (OSI). Erklärtes Ziel ist die Vermarktung von Freier Software, die Einbindung Freier Software in die normalen Verwertungszyklen von Software. Zu diesem Zweck wurde der Marketing-Begriff "Open Source" ausgewählt. Nur mit einem neuen Begriff sei die Wirtschaft für die Freie Software gewinnbar. Der Begriff der "Freiheit" sei für die Wirtschaft problematisch, er klinge so nach "umsonst" und "kein Profit" [10]. Im übrigen wolle man das Gleiche wie die Anhänger der Freien Software, nur gehe man pragmatischer vor und lasse den ideologischen Ballast weg.

(30.1) Re: Betrifft: "pragmatischer", ohne "ideologischen Ballast" etc., 11.05.2000, 18:04, B. Klimmek: Die Protagonisten solch orwellscher Sprachverdrehung müssen in Diskussionen wie diesen unbedingt diskreditiert und bloßgestellt werden. Schließlich sind SIE die Ideologen ("Was denn für ein Fetisch? Ich seh keinen")! Also in Zukunft bitte zusätzlich zum Konjunktiv durch """" distanzieren. Danke.

(31) Richard Stallman, Gründer des GNU-Projekts, wirft den Open-Source-Promotern vor, in ihrem Pragmatismus würde die Grenzen zur proprietären Software verschwimmen. Der Begriff "Open Source" sei ein Türöffner zum Missbrauch der Idee Freier Software durch Softwarefirmen, die eigentlich proprietäre Software herstellen und vertreiben. Im übrigen sei man überhaupt nicht gegen Kommerz und Profit, nur die "Freiheit" müsse gewahrt bleiben.

3.1. Der Wirtschafts-Liberalismus von ESR

(32) Nachdem sich der Mitgründer Bruce Perens wegen der zu großen Anbiederung an den Kommerz wieder von der OSI abgewendet hat, ist es kein Fehler, sich alleine mit den Auffassungen von Eric. S. Raymond (ESR) zu beschäftigen. In den drei Aufsätzen "The Cathedral and the Bazaar", "Homesteading the Noosphere" und "The Magic Cauldron" entwickelt er ein Kompatibilitätskonzept für die Verbindung von Freier Software und Kapitalismus [11].

(33) Mit Freier Software ist der kommerzielle Software-Verwerter in eine Klemme gekommen. Freie Software ist öffentlich und nicht knapp. Die in der Freien Software steckende Arbeit wird einfach verschenkt. Damit ist sie nicht mehr verwertbar, sie ist wertlos. ESRs Bemühen dreht sich nun emsig darum, die aus den Verwertungskreisläufen herausgeschnittene Freie Software durch Kombination mit "unfreien Produkten" wieder in die Mühlen der kybernetischen Wert-Maschine zurückzuholen. Seine Vorschläge, die er in "The Magic Cauldron" entwirft - er nennt sie "Modelle für indirekten Warenwert -, seien im folgenden kurz untersucht.

(34) "Lockangebot": Freie Software wird verschenkt, um mit ihr unfreie Software am Markt zu positionieren. Als Beispiel nennt ESR Netscape mit dem Mozilla-Projekt - ein Beispiel, das ziemlich offensichtlich kurz vor dem Scheitern steht [11a]. Was passiert hier? Eine Firma schmeißt ihren gescheiterten Browser den freien Entwickler/innen vor die Füße und ruft: "Rettet unsere Profite im Servermarkt!". Dabei behält sie sich auch noch das Recht vor, die Ergebnisse wieder zu unfreier Software zu machen.

(35) "Glasurmethode": Unfreie Hardware (Peripherie, Erweiterungskarten, Komplettsysteme) wird mit einem Guß Freier Software überzogen, um die Hardware besser verkaufen zu können. Mussten vorher Hardwaretreiber, Konfigurationssoftware oder Betriebssysteme von der Hardwarefirma entwickelt werden, überläßt man das einfach der freien Softwaregemeinde. Wie praktisch, die kostet ja nichts! Unvergütete Aneignung von Arbeitsresultaten anderer - nennt man das nicht Diebstahl? Nein, werden die Diebe antworten, das Resultat ist doch frei!

(35.1) 11.05.2000, 19:09, B. Klimmek: "... überläßt man das einfach der freien Softwaregemeinde": Abgesehen davon, daß ich feststelle, daß "Gemeinde" eigentlich allzu passend ist für die in allerlei Verhaltenskodexe (-kodices?) vernarrte Internetgemeinde, und mich frage, wieso die moralische Empörung über das schamlose "Überlassen" erst hier ansetzt, gehören zu einer solchen Verfahrensweise immerhin ZWEI: nämlich die Profiteure der "Arbeit" (sic!) und die lammfrommen Gemeindemitglieder, die sie auch noch tun. "Unvergütete Aneignung ..., das Resultat ist doch frei!": Jaa!! Und hier haben sie logisch Recht. Genau dies ist der Knackpunkt der bürgerlich garantierten "Freiheit".

(36) "Restaurantmethode": In Analogie zum Restaurant, das nur freie Rezepte verwendet, aber Speisen und Service verkauft, wird hier Freie Software von Distributoren zusammengestellt und zusammen mit Service verkauft. Die eigene Leistung besteht in der Zusammenstellung der Programme, der Schaffung von Installationsprogrammen und der Bereitstellung von Service. Unbezahlte Downloads oder gar Cloning der Eigenleistungen durch fremde Distrubutoren wird als Vergrößerung des gemeinsamen Marktes hingenommen. Oft werden gute Hacker von Distributoren angestellt, die Grenzen zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit sind fließend. Das Geschäftsgebahren der verschiedenen Distribution ist durchaus unterschiedlich. Während sich das nichtkommerzielle Debian-Projekt mit ihrem Gesellschaftsvertrag [12] zur Einhaltung bestimmter Standards und zur Unterstützung Freier Software verpflichtet hat, steht für andere der reine Selbstzweck der Markteroberung im Vordergrund (etwa SuSE oder diverse Cloner).

(36.1) 11.05.2000, 19:10, B. Klimmek: DA habt ihr den Salat, Reformisten! (pardon)

(37) "Zubehörmodell": Hierzu gehören Herausgeber von Dokumentationen oder anderen Werken über Freier Software sowie andere Zubehörproduzenten, die nur auf der Welle mitschwimmen (etwa die Hersteller der Plüsch-Pinguine). Problematisch sind die exklusiven Lizenzen (Copyright), die eine Verbreitung schriftlicher Werke verhindern. Der Linuxtag ist selbst Opfer dieser Exklusion der Öffentlichkeit geworden. Verlage, die Texte vom letzten Linuxtag herausgebracht haben, sorgten dafür, das genau diese Texte von der Linuxtag-Website genommen werden mussten. Nur knappe Produkte eignen sich als Ware!

(37.1) 11.05.2000, 19:16, B. Klimmek: Bezeichnenderweise sind gerade 'Alternative', d.h. hier: Linuxfans, anfälliger für die "Plüsch-Pinguine", Linuxtassen und ähnlichen MARKENschund als z.B. Microsoft-User. Vgl. die wichtige Lebenswelt dieser Menschen, die Programmiersprachenn vermeintlich witzigerweise nach Kaffeesorten unterentwickelter Länder, die sie während des Programmierens konsumieren, (Java) und Junkfood (selber Relativsatz, pizza) benennen.

(38) "Marketingmodelle": Unter Ausnutzung der Popularität Freier Software werden verschiedene Marketingtricks aufgelegt, um proprietärer Software ein besseres Image zu verleihen und für Verkaufbarkeit zu sorgen. Damit sind noch nicht einmal die Betrüger gemeint, die sich einfach selbst das Label "Open Source" oder "Freie Software" auf ihre proprietären Produkte kleben, sondern Formen wie

(39) Es sollte deutlich geworden sein, dass alle diese "Modelle für indirekten Warenwert" dazu dienen, die aus der Marktwirtschaft herausgefallene Sphäre Freier Software wieder zurück in den Kreislauf der selbstgenügsamen Wert-Maschine zu holen. Da kapitalistische Verwertung auf Knappheit und Ausschluß von Öffentlichkeit beruht, Freie Software aber genau das Gegenteil darstellt, müssen hier Feuer und Wasser in eine "friedliche Koexistenz" gezwungen werden. Doch wie es mit Feuer und Wasser verhält, so auch mit Freier Software und Verwertung: Nur eines kann sich durchsetzen.

(40) Im neoliberalen Modell Freier Software von ESR gibt es folgerichtig keine wesentlichen Unterschiede zwischen "freier" Softwarelizenzen. Vermutlich hat er nur mit Magengrimmen die GPL trotz des enthaltenen Privatisierungsverbots auf die Liste von "OSI-zertifizierten" Lizenzen gesetzt, da man an der GPL nicht gut vorbeikommt. Bis auf die "Restaurantmethode", dem Vertrieb Freier Software durch Distributionen, ist keines der oben genannten mit Buchstaben und Geist der GPL vereinbar [13]. Die GPL schließt künstliche Verknappung und Privatisierung von Code aus, und das behindert die Verwertung von Software weitgehend.

(40.1) 26.04.2000, 19:52, Torsten Wöllert: Aber auch mit GPL lassen sich Parasiten nicht völlig verhindern (Glasur, Zubehör, Marketing). Sowie etwas populär ist, kommen die Schmarotzer. Der einzige Weg, sich gegen sowas zu wehren, scheint eine robuste Gemeinde (community) zu sein.

(40.1.1) Betrifft: "Schmarotzer", die nicht zur "Gemeinde", "community" gehören, 11.05.2000, 22:27, B. Klimmek: Da haben wirs: antisemitischen Kommunitarismus. Sicher ist der Gates ein Jude! Aber: Zum VERKAUF des Schunds gehören immer noch zwei (vgl. (37.1)): Käufer und Verkäufer. Warum also die Aufregung?? Die ist wohl die psychische Kehrseite des ansonsten so brav "schaffenden" (25.1.2) Fleißmannes. Dabei sind die Linuxgurus nach meiner persönlichen Erfahrung oft ebenso selbstgenügsam und mindestens so einfältig wie der, den ausgerechnet sie Billyboy nennen, welcher stellvertretend für die Wertmühle steht.

(40.1.1.1) Re: Betrifft: "Schmarotzer", die nicht zur "Gemeinde", "community" gehören, 12.05.2000, 11:56, Torsten Wöllert: (erste beiden Sätze)??????? Aber ein so kurz mal eingestreuter Antisemitismus-Vorwurf kann ja eigentlich niemals schaden.

(40.1.1.1.1) Re: Sorry ..., 12.05.2000, 21:55, Bertrand Klimmek: ... muß ich denn hier noch betonen, daß ich - wie jeder Linke (langsam geht mir dieses Bewegungswort auch auf den Zahn) - mein Ziel nicht darin sehe, Menschen zu erniedrigen, sondern Ideen zu bekämpfen? Natürlich freu ich mich über jeden, der sich nicht völlig gaga in so wichtige Diskurse einschaltet, also bitte sorry.

(40.1.1.1.1.1) Re: Totschlag, 16.05.2000, 13:04, Torsten Wöllert: Klaro, nur verstehen tu ich's immer noch nicht. Es scheint mir sehr nach Totschlagargument zu riechen. Muss man hier aber wohl auch nicht vertiefen ...

3.2. Der Bürgerrechts-Liberalismus von RMS

(41) Dem ökonomischen Liberalismus von ESR steht der Bürgerrechts-Liberalismus von RMS entgegen. RMS argumentiert (1994), dass Software in privatem Besitz zu Entwicklungen führen würde, die dem gesellschaftlichen Bedarf entgegen läuft. Die Gesellschaft brauche

Das seien die Gründe, warum Freie Software eine Frage der "Freiheit" und nicht des "Preises" sei. Bekannt geworden ist der Satz "Think of 'free speech', not of 'free beer'".

(42) An diesen Kriterien orientiert sich auch die GNU GPL. Sie stellt sicher, dass Software dauerhaft frei bleibt oder ökonomisch formuliert: Sie entzieht Software dauerhaft der Verwertung. RMS ist dennoch keinesfalls gegen den Verkauf Freier Software (1996). Auch die GPL selbst ermöglicht ausdrücklich das Erheben einer Gebühr für den Vertrieb Freier Software.

(43) RMS formuliert seine Vision gesellschaftlichen Zusammenlebens im GNU-Manifest von 1984 so:

"Auf lange Sicht ist das Freigeben von Programmen ein Schritt in Richtung einer Welt ohne Mangel, in der niemand hart arbeiten muß, um sein Leben zu bestreiten. Die Menschen werden frei sein, sich Aktivitäten zu widmen, die Freude machen, zum Beispiel Programmieren, nachdem sie zehn Stunden pro Woche mit notwendigen Aufgaben wie Verwaltung, Familienberatung, Reparatur von Robotern und der Beobachtung von Asteroiden verbracht haben. Es wird keine Notwendigkeit geben, von Programmierung zu leben." (Stallman 1984: Das GNU-Manifest).

(43.1) Asteroiden prospecting, 17.05.2000, 20:42, Stefan Merten: Ich fürchte, du hast "prospecting asteroids" falsch übersetzt. Ich würde vermuten, daß er hier die Bedeutung "schürfen" meint. Würde auf jeden Fall mehr Sinn für mich machen.

(43.1.1) Re: Asteroiden prospecting, 21.05.2000, 23:11, Stefan Meretz: ??Asteroiden schürfen?? Faulerweise habe ich selbst gar nicht übersetzt, sondern mich auf die Übersetzung von Peter Gerwinski unter http://www.gnu.de/mani-ger.html gestützt.

(44) Eine schöne Vision, die ich ohne zu zögern teilen kann. Nur: Wer glaubt, diese Vision unter den Bedingungen des kybernetischen Verwertungsmaschine mit Namen Kapitalismus erreichen zu können, rennt einer Illusion hinterher. Der einzige Zweck der Wert-Maschine ist, aus Geld mehr Geld zu machen - egal wie, egal womit. Freiheit von Mangel, Muße, Freude, Hacking-for-Fun ist darin nicht vorgesehen.

(45) Die von ESR mit angestoßene Open-Source-Welle führt das lehrbuchartig vor. Es geht überhaupt nicht mehr um gesellschaftliche Freiheit, die nur die Freiheit aller sein kann, sondern es geht um die Frage, wie ich aus etwas "Wertlosem" trotzdem Geld machen kann, wie ich die Freude der Hacker zu Geld machen kann, wie ich die lebendige konkrete Arbeit in abstrakte, tote Arbeit verwandeln kann. Dieser mächtigen Welle vermag RMS mit dem Ruf nach "Freiheit geht vor" kaum etwas entgegenzusetzen. Vermutlich würde ESR antworten: Natürlich geht Freiheit vor, die ökonomische Freiheit!

(45.1) tote vs. lebendige Arbeit, 11.05.2000, 22:42, B. Klimmek: Bin ich eigentlich der einzige, der mit den (wenigen) obskurantischen Begriffen von Marxens Terminologie seine - wenn nicht Probleme, so doch - geschmäcklerischen Zweifel hat? Hier also etwas Blasphemie: Abgesehen von der albernen Vampirismus-Anspielung, die "tote" Arbeit (Kapital) sauge die "lebendige" Arbeit aus, drängen sich mir Zweifel auf, die der (wegen 1877

(46) Hieran wird deutlich, dass der Liberalismus eben zwei Seiten hat: Wirtschafts-Liberalismus und Bürgerrechts-Liberalismus. Robert Kurz arbeit in seinem eindrucksvollen Werk "Schwarzbuch des Kapitalismus" (1999) die gemeinsame Verwurzelung im historischen Liberalismus heraus [14]. Er zeigt, das auch der Bürgerrechts-Liberalismus nur dazu da ist, Menschenfutter für die kybernetische Verwertungsmaschine zu liefern. Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll über die Freiheit schweigen.

(46.1) Wow!, 11.05.2000, 22:43, B. Klimmek: Yeah! Dieser letzte Satz sollte fürs Schlußwort aufgehoben werden.

4. Freie Software für freie Menschen

(47) Wir sollten in die Offensive gehen! Wir sollten uns zum antikapitalistischen Gehalt der GPL bekennen! Wir können sagen "GNU/Linux ist nicht wert - und das ist gut so!". Freiheit gibt es nur außerhalb der Verwertungs-Maschine. Die Freie Software da herausgeholt zu haben, war eine historische Tat. Jetzt geht es darum, sie draußen zu behalten, und nach und nach weitere Bereiche der kybernetischen Maschine abzutrotzen. Dafür gibt es zahlreiche Ansätze, die Stefan Merten im Beitrag "Gnu/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft" skizziert.

(47.1) 26.04.2000, 20:01, Torsten Wöllert: In die Offensive gehen, aber wo? Wenn es irgendwo in der breiteren Öffentlichkeit stattfinden soll, sollte man "antikapitalistisch" durch "emanzipatorisch" umschreiben, meinetwegen auch durch irgendwas mit "Freiheit", ansonsten hat man sofort die Kalten Krieger am Hals - und für diese Art von Schlammschlachten ist das Thema zu schade.

(47.1.1) Was?!?! WEN willst du überzeugen?, 11.05.2000, 22:45, B. Klimmek: Bloß nicht, Juso-Revisionist!

(47.1.1.1) Re: Was?!?! WEN willst du überzeugen?, 12.05.2000, 11:58, Torsten Wöllert: Klasse! Genau auf sowas habe ich gewartet. Fehlte mir noch in meiner Raupensammlung.

(47.2) Re: 4. Freie Software für freie Menschen, 11.05.2000, 22:55, B. Klimmek: GPL-Gesellschaft! Wie hört sich das denn an?? Entweder wir sind mittelbar auf dem Weg in den Kommunismus oder ohne mich! (Kein APPD-Humor.)

(48) Wie kann das gehen, wird sich sicher so mancher fragen. Man kann doch nicht einfach rausgehen aus den Verwertungszusammenhängen - wovon soll ich leben? Das sind berechtigte, zwingende Fragen. Ich denke, dass es nicht darum geht, sofort und zu 100% aus jeglicher Verwertung auszusteigen. Es geht darum, einen klaren Blick für die Zwangsmechanismen der kybernetischen Verwertungsmaschinerie zu bekommen, und danach das individuelle Handeln zu bemessen. Ich will einige Bespiele nennen.

(49) Konkrete und abstrakte Arbeit: Wenn ich für meine Reproduktion meine Arbeitskraft verkaufen muß, dann sollte ich nicht versuchen, darin Erfüllung zu finden. Natürlich ist es schön, wenn die Arbeit mal Spaß macht. Doch Lohnarbeit bedeutet abstrakte Arbeit, und dabei kommt es eben nicht auf meine Bedürfnisse, sondern die externen Zielvorgaben an. Selbstentfaltung gibt es nur außerhalb, z.B. in Freien Software-Projekten. Wenn ich die Erwartungshaltung an die Lohnarbeit nicht habe, kann ich sie auch leichter begrenzen. Und das ist aufgrund des endlosen Drucks in Software-Projekten eine dringende Notwendigkeit.

(49.1) 11.05.2000, 23:03, B. Klimmek: Betrifft: "nicht versuchen, darin Erfüllung zu finden." Typische Entgegnung der Schuhgröße Juso: "Aber Arbeit kann doch auch Spaß machen!"

(50) Eine Firma gründen: Manche denken, sie könnten der abhängigen entfremdeten Arbeit dadurch entkommen, indem sie eine eigene Firma gründen. Das ist so ziemlich die größte Illusion, die man sich machen kann. Als Firmeninhaber bin ich direkt mit den Wert-Gesetzen der kybernetischen Maschine konfrontiert. Die eigene Entscheidung besteht nur darin, in welcher Weise ich diese Gesetze exekutiere, welches Marktsegment ich besetze, welchen Konkurrenten ich aus dem Feld steche usw. Ich bin mit Haut und Haaren drin, muß permanent mein Handeln als das Richtige gegenüber allen rechtfertigen. Eine Distanzierung ist hier noch schwerer als bei der entfremdeten Lohnarbeit.

(50.1) 11.05.2000, 23:06, B. Klimmek: Also "gegenüber ALLEN rechtfertigen" stimmt ja nicht so ganz: eigentlich nur gegenüber meinem verwöhnten Portemonnaie resp. eventuellen Gläubigern.

(50.1.1) Firma gründen, 17.05.2000, 11:21, Stefan Meretz: Nein, das sehe ich schärfer, gerade im Computergeschäft. Du kannst nicht zum Auftraggeber sagen: "Wennse unbedingt wollen, dann programmier ich Ihnen das Zeug halt". Du musst die mit der Verwertung einhergehenden kommunikativen Spielchen schon mitmachen (von der Kravatte resp. Kostüm bis zur Beherrschung der Codes). Und das kannst Du am besten, in dem Du nicht nur einfach erzählst, Du bist gut und der Richtige, sondern in dem du es auch wirklich denkst! Sicher gibt es Ausnahmen, und Informatiker/innen können sich dank Nachfrage vielleicht was rausnehmen, aber durchschnittlich eben nicht.

(51) Verwertete Entfaltung: Die eigene Selbstentfaltung ist die letzte unausgeschöpfte Ressource der Produktivkraftentwicklung. Das wissen auch die Exekutoren des Wert-Gesetzes, die die Selbstentfaltung der Verwertung unterordnen wollen. Sie bauen die Hierarchien ab, geben uns mehr Entscheidungsbefugnisse und Flexibilität bei der Arbeitszeit. Die Stechuhren werden abgeschafft, weil man sie nicht mehr braucht - alle arbeiten freiwillig länger nach dem Motto: "Tut was ihr wollt, Hauptsache ihr seid profitabel". Die Zusammenführung der beiden Rollen des Arbeitskraftverkäufers und des Wert-Gesetz-Exekutors in einer Person ist der (nicht mehr so) neue Trick. Fallt darauf nicht rein! Die "Neue Selbständigkeit" kann zur Hölle werden [15], denn Verwertung und Selbstentfaltung sind unvereinbar.

(52) Selbstentfaltung: Die unbeschränkte Entfaltung der eigenen Individualität, genau das zu tun, was ich wirklich tun will, ist nur außerhalb der Verwertungs-Maschine möglich. Nicht zufällig war es der informatische Bereich, in dem wertfreie Güter geschaffen wurden. Uns fällt es noch relativ leicht, das eigene Leben abzusichern. Wir werden gut bezahlt, finden schnell einen Job. Freie Software zu entwickeln, ist kein Muss, es ist ein Bedürfnis. Wir sind an Kooperation interessiert, und nicht an Verdrängung. Die Entwicklung Freier Software ist ein Beispiel für einen selbstorganisierten Raum jenseits der Verwertungsmaßstäbe. Nur dort ist Selbstentfaltung möglich.

(53) Mit diesen Beispielen möchte ich für Nüchernheit, Klarheit und Offenheit plädieren - im Umgang mit anderen und sich selbst. Dazu gehört für mich auch, wieder über das gesellschaftliche Ganze zu sprechen, denn das sollten wir nicht den wirtschafts- oder bürgerrechtsliberalen Interpreten überlassen. Der Kapitalismus ist nichts dämonisches, man kann ihn verstehen und sein Handeln daran ausrichten. Dann hat Freie Software als wertfreie Software auch ein Chance.

(53.1) ... vgl. (46.1) ..., 11.05.2000, 23:18, B. Klimmek: Wie schon an anderer Stelle bemerkt, hätte der (bis auf die Kritikpunkte und wichtigtuerischen Anmerkungen meinerseits) alles in allem HERVORRAGENDE Text ein schöneres Schlußwort verdient als ein "Freiheitliches" ... Bin jederzeit für weitergehende Diskussionen zu haben. Weiter so!

5. Meta-Text

(54) 5.1. Versionen-Geschichte

5.2. Literatur

(55) DiBona, C., Ockman, S., Stone, M. (1999), Open Sources: Voices from the Open Source Revolution, Sebastopol/CA: O’Reilly; online verfügbar unter http://www.oreilly.com/catalog/opensources/book/toc.html.

Fischbach, R. (1999), Frei und/oder offen? From Pentagon Source to Open Source and beyond, in: FIFF-Kommunikation 3/99, S. 21-26.

Glißmann, W. (1999), Die neue Selbständigkeit in der Arbeit und Mechanismen sozialer Ausgrenzung, in: Herkommer, S. (Hrsg., 1999), Soziale Ausgrenzungen. Gesichter des neuen Kapitalismus, Hamburg: VSA

Kurz, R. (1999), Schwarzbuch Kapitalismus: Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, Frankfurt/Main: Eichborn.

Lohoff, E. (1998), Zur Dialektik von Mangel und Überfluss, in: Krisis, Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft 21/22, Bad Honnef: Horlemann.

Meretz, S. (1999a), Die doppelte algorithmische Revolution des Kapitalismus - oder: Von der Anarchie des Marktes zur selbstgeplanten Wirtschaft. Internet: http://www.kritische informatik.de/algorev.htm.

Meretz, S. (1999b), Linux - Software-Guerilla oder mehr? Die Linux-Story als Beispiel für eine gesellschaftliche Alternative. In: FIFF-Kommunikation 3/99, S. 12-21. Internet: http://www.kritische informatik.de/linuxsw.htm.

O'Reilly & Associates Inc. (1999), Open Source, kurz und gut, Köln: O'Reilly.

Raymond, E. S. (1997), The Cathedral and the Bazaar, http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral bazaar/, deutsche Übersetzung: Die Kathedrale und der Basar, http://www.linux magazin.de/ausgabe/1997/08/Basar/basar.html.

Raymond, E. S. (1998), Homesteading the Nooshpere, http://www.tuxedo.org/~esr/writings/homesteading/.

Raymond, E. S. (1999), The Magic Cauldron, http://www.tuxedo.org/~esr/writings/magic-cauldron/, deutsche Übersetzung: Der verzauberte Kessel, http://www.oreilly.de/opensource/magic-cauldron/cauldron.g.01.html

Stallman, R.M. (1984), The GNU Manifesto, http://www.gnu.org/manifesto.html, deutsche Übersetzung: Das GNU-Manifest, http://www.gnu.de/mani-ger.html.

Stallman, R.M. (1994), Why Software Should Not Have Owners, http://www.gnu.org/philosophy/why-free.html.

Stallman, R.M. (1996), Selling Free Software, http://www.gnu.org/philosophy/selling.html.

5.3. Anmerkungen

(56) [1] So werden auch die "Perversionen" des Kapitalismus erklärlich: Obwohl in vielen Bereichen genug Güter zur ausreichenden Versorgung der Menschheit da wäre, gibt es Armut. Nur wo Knappheit herrscht, ist Tauschwert realisierbar. Der Regulator ist das Geld - wo keines ist, herrscht Armut.

(57) [2] Solche Standards werden in informellen Dokumenten mit dem Titel Request for Comments (RFC) aufgeschrieben. Ihre hohe Verbindlichkeit resultiert aus ihrem offenen Charakter (etwa im Gegensatz zu einem Patent) und der breiten Konsensbildung.

(58) [3] Interview des Online-Magazins Telepolis mit Richard Stallman: „Software muß frei sein!“, http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/2860/1.html

(59) [4] GNU ist ein rekursives Akronym und heißt GNU Is Not UNIX. Es drückt aus, dass das freie GNU-System funktional den proprietären Unix-Betriebssystemen entspricht, jedoch nicht wie diese proprietär, sondern frei ist.

(60) [5] Um freie Software-Bibliotheken auch in nicht-freier Software benutzen zu können, wurde die GNU Library GPL geschaffen, die diese Vermischung erlaubt (z.B. die GNU C-Library). Mit Version 2.1 wurde sie umbenannt in GNU Lesser GPL, vgl. http://www.gnu.org/copyleft/lesser.html

(61) [6] Tanenbaum, ein Professor aus Amsterdam, veröffentlichte bereits 1986 sein "Mini-UNIX", genannt Minix, für Lehrverstaltungszwecke. Es konnte sich nie über den Hörsaal hinaus durchsetzen, da es einer restriktiven Lizenz unterlag und die Entwicklung nur von Tanenbaum selbst betrieben wurde. Dokumentiert z.B. in DiBona, C., Ockman, S., Stone, M. (1999) im Anhang A oder im Internet unter http://www.lh.umu.se/~bjorn/mhonarc files/obsolete/

(62) [7] Linus Torvalds in einem Interview mit der Tokyo Linux Users Group: "Linux unter die GPL zu nehmen, war das beste, was ich je getan habe." (O'Reilly & Associates Inc. 1999, 35).

(63) [7a] Jegliche Produktherstellung umfasst einen algorithmisch-konstruktiven und einen operativ-materialisierenden Aspekt. Bei Software geht an der Anteil des zweiten Aspekts gegen Null. Mehr zum Thema Algorithmus in Meretz (1999a).

(64) [8] Bill Gates hat QDOS für 50.000 Dollar gekauft unter dem Namen MS-DOS vermarktet, wodurch der Aufstieg von Microsoft begann.

(65) [9] Nach dem 'Chaos Report' der Standish-Group (http://www.standishgroup.com/chaos.html) werden nur ein Viertel aller Projekte erfolgreich abgeschlossen. Der Rest scheitert komplett oder wird mit Zeit- und Budgetüberziehungen von 200% zu Ende gebracht.

(66) [10] Es ist schon lustig, wenn "Freiheit" als ehemaliger Kampfbegriff des Kapitalismus gegen den "unfreien" Sozialismus nun zur Bedrohung im eigenen Hause wird. Anscheinend handelte es hierbei auch um zwei "verkrachte Geschwister" - mit letalem Ausgang für den einen.

(66.1) vgl. (22.1), 11.05.2000, 23:09, B. Klimmek: Diese Fußnote kommt mir sehr bekannt vor. In einer ganz ähnlichen Version fand ich sie bereits in jenem bei (22.1) erwähnten Pamphlet. Es könnte tatsächlich von Interesse für Euch sein ...

(67) [11] Eine Diskussion der von ESR verwendeten ökonomischen Kategorien sowie seiner Spekulationen über die Motivation der Hacker ("Geschenkökonomie") kann ich hier nicht vornehmen. Insbesondere die von ESR dargelegten ökonomischen Kategorien sind haarsträubend. So vertauscht er Gebrauchswert und (Tausch-)Wert sowie Wert und Preis nach Belieben. Das tut der Eloquenz seines Plädoyers für die Re-Integration Freier Software in die kybernetische Wert-Verwertungsmaschine keinen Abbruch. Zum Thema "Geschenkökonomie" vgl. Fischbach 1999.

(67.1) 11.05.2000, 23:13, B. Klimmek: Also verwundern tut das alles ja nicht. Die bürgerliche Vulgärökonomie hat sich seit jeher durch bestechende Analysen hervorgetan. Bezeichnend ist all dies freilich für das intellektuelle Format "ESR"s.

(68) [11a] Vgl. Jamie Zawinski, resignation and postmortem, http://www.jwz.org/gruntle/nomo.html.

(69) [12] Debian Social Contract: http://www.debian.org/social_contract.

(70) [13] Natürlich wären auch Lockangebote auf Basis der GPL denkbar, doch die Öffentlichkeit würde solche Tricks schnell durchschauen, was dem Image des "Lockers" schaden würde. Da ist die Netscape-Lizenz NPL "ehrlicher", die besagt, dass man den öffentlichen Code jederzeit wieder privatisieren könne.

(71) [14] Vgl. die Besprechungen in der ZEIT http://www.archiv.zeit.de/daten/pages/199951.p-kurz_.html oder bei Telepolis: http://www.heise.de/bin/tp/issue/dl-artikel.cgi?artikelnr=5659&mode=html.

(72) [15] Wer das schlicht "nicht glaubt", dem empfehle ich direkt den Erfahrungsbericht der Betriebsräte von IBM-Düsseldorf als Lektüre (Glißmann 1999).


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