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Organisierung von unten

Maintainer: Jörg Bergstedt, Version 3, 05.07.2002
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Organisierung von Unten
Wie geht denn das?

(1) Protokollierung der Debatten von den Wochenenden 15./16.09., 1.-4.11. und 21.-23.12.01 in Saasen
Neufassung Kap. 2.8: Ostertreffen und Juni-Kreativphase 2002 in Saasen

(1.1) Re: Organisierung von UntenWie geht denn das?, 14.07.2002, 15:37, Jörg Bergstedt: Huch? Ich dachte, die Kommentare zur Version 1+2 würden dort sichtbar bleiben. Sind aber wohl weg. Das war nicht gewollt. Es sind ja noch nicht alle Kapitel aktualisiert - das passiert immer dann, wenn menschen oder Gruppen sich jeweils einen vornehmen und einen Neuvorschlag einbringen.

I. Grundsätze für eine >>Organisierung von Unten<<

(2) Übersicht:
Keine Hierarchien, d.h. Kooperation gleichberechtigter Menschen sowie Netzwerk gleichberechtigter Gruppen
Herstellung eines diskriminierungsfreien Raumes
Gruppen behalten Handlungsautonomie
Mehr Vielfalt, mehr Lösungsvorschläge, Kreativität und Handlungsmöglichkeiten
Emanzipatorischer Prozeß auch in der Organisierung umsetzen
Schwerer dominier-, unterwander- und fremdbestimmbar
Wirkungsvoller und flexibler: Stärken kommen zur Geltung
Atmosphäre herstellen, in der Menschen sich trauen, Fragen zu stellen, abweichende Vorschläge zu machen usw.
Emanzipatorische Positionen und Visionen nach außen benennen

(3) Obwohl es nur so wimmelt von Gruppen, die sich ”antiautoritär”, ”emanzipatorisch” oder ”hierarchielos” bezeichnen, können wir in den allermeisten von ihnen intransparente, macker-artige Führungsstrukturen und Dominanzen entdecken.
Obwohl der Verfassungsschutz sogar 6000 Militante kennen will, passiert eigentlich nicht viel hierzulande.
Obwohl es in vielen Ländern seit einigen Jahren wieder eine größere soziale Bewegung gibt, die ”Globalisierungsbewegung”, mitsamt Pink-Silver Block und Reclaim The Streets, sind hierzulande keine größeren kreativen Aktionen zu verzeichnen. Und obwohl sie eine herrschaftsfreie Gesellschaft wollen, organisieren sich manche bewusst zentralistisch.

(4) Wir glauben aber, dass sich all diese Gegensätze auflösen lassen, dass wir einiges verändern können. Dabei ist es wichtig, dass das Ziel, eine ”freie Gesellschaft” nicht vom Weg abgekoppelt ist, dass die Befreiung nicht ein irgendwie, nach einer irgendwie organisierten Revolution zu vollziehender Akt ist, sondern im Jetzt und Hier beginnt. Deshalb ist eine emanzipatorische Bewegung ”von unten” organisiert.

(5) Der Grundsatz hierfür ist, dass es keinerlei Hierarchien gibt, das heißt wir sprechen von einer freien Kooperation gleichberechtigter Menschen, sowie Netzwerken gleichberechtigter Gruppen. Dabei behalten die Gruppen (Zusammenhänge, Organisationen) ihre volle Handlungsautonomie. Sie können nicht gezwungen werden, irgendwo mitzumachen, noch besteht in diesen Netzwerken und Bündnissen ein Konsenszwang. Verschiedene Positionen können nebeneinander stehen bleiben, ohne die gemeinsame Arbeit zu verunmöglichen. Denn die Idee des Konsens führt dazu, dass zum einen Inhalte entleert werden, bis mensch sich auf den kleinsten angeblich gemeinsamen Nenner geeinigt hat. Zum anderen führt ein durch Mehrheitsentscheide herbeigeführter Konsens meist dazu, dass diejenigen, die nicht dafür gestimmt haben, schlicht nicht mitmachen.

(6) Damit einher geht die Herstellung eines diskriminierungsfreien Raumes. Obwohl mensch meinen möchte, dieser sei durch die Gleichberechtigung automatisch gewährleistet, ist dies in Wirklichkeit ein immer wieder bewusst und aktiv zu betreibender Prozess, da wir alle eine gewisse, aus unserer Normal-Sozialisierung mitgebrachte ”Vergiftung” (soziale Rollen u. Konstruktionen) in uns tragen. Die HerscherInnen in uns abzubauen, gehört da dazu. Notwendig ist auch eine Atmosphäre, in der die Individuen sich trauen, abweichende Meinungen zu äußern, skurrile Vorschläge zu machen, oder Fragen zu stellen. Zu oft können wir erleben, dass solches Verhalten zu aggressiven Reaktionen bei den Anderen führt. Nicht zu letzt sollten diese wichtigen emanzipatorischen Ansätze, Positionen und Visionen offensiv nach außen getragen werden, um die Idee populär zu machen und alte Strukturen aufzubrechen.

(7) Die Belohnung für die Anstrengungen einer solchen Organisierung, die zugegebenermaßen jeglicher gesellschaftlicher Sozialisierung entgegenläuft, sind ein spürbares Mehr an Vielfalt der Ideen und Lösungsvorschläge, und damit ein höheres Maß an Kreativität und eine unglaubliche Vermehrung der Handlungsmöglichkeiten der Gruppe und der Individuen. Die Stärken der einzelnen AkteurInnen kommen viel stärker zur Geltung, die Entfaltung wird gefördert. Dadurch, dass kein Konsenszwang herrscht, ist es möglich, viel flexibler zu agieren.

(8) Der zweite große Vorteil ist, auch wenn viele das sich nicht vorstellen können, dass offene, undogmatische Strukturen viel schwerer dominier- und unterwanderbar sind. Für Spitzel verkompliziert sich die Situation, wenn eine offene, spontane Atmosphäre und eine persönliche Ebene zwischen den AkteurInnen existiert. Unspontanes, auswendig gelerntes Verhalten fällt viel eher auf. Wer viel laut plant, bringt Verwirrung in die Einschätzung, was davon ernstgemeint sein könnte. Auch müssen Spitzel in einer solchen Situation viel mehr von sich selbst offenbaren. Extreme Konspirativität ermöglicht auch dem Spitzel in seiner Anonymität zu verweilen. Sie behindert mehr, als sie schützt. Sollten andere Gruppen Interesse an einer Unterwanderung haben, gestaltet sich auch das viel schwieriger in einer Gruppe, in der alle Entscheidungen transparent und alle Vorgänge offen sind.

(9) Diese Hauptanforderungen werden zum großen Teil von vielen Menschen sogar geteilt. Dennoch werden sie nicht umgesetzt. Selbst die VerfasserInnen befinden sich momentan nicht in einer überaus handlungsfähigen emanzipatorischen Gruppe.

II. Was funktioniert nicht, und warum funktioniert es nicht?

(10) Gegen eine ”Organisierung von unten” wird oft ins Feld geführt, dass diese nicht funktioniere, oder wenn, dann äußerst ineffizient; es wird auch richtig argumentiert, dass sich meist eben doch wieder Hierarchien einstellen, nur dann eben intransparent als ”Mackerstrukturen” oder ähnlichem. Greenpeace, Attac und andere große, hierarchisch aufgebaute Organisationen erscheinen äußerst handlungsfähig und attraktiv, während der ”Organisierung von unten” das Vorurteil der Mühseligkeit, des Chaotischen und Unübersichtlichen anhaftet. Sich ”normal”, also hierarchisch zu organisieren, scheint besser zu funktionieren. Die Frage ist nur, zu welchem Preis! Denn die meisten emanzipatorischen Ansprüche müssen dabei zwangsweise über Bord geworfen werden, obendrein entpuppt sich so mancher Vorteil als Scheinvorteil, manche Effektivität als Scheineffektivität, mancher Erfolg als Scheinerfolg.

(11) Die Organisierung von unten muss, um ihr Image loszuwerden und der hierarchischen Organisierung die schöne Maske herunterzureißen, wirksamer werden. Das bedeutet nicht nur, dass sie überzeugender wird, sondern dass sie auch die Verbindung der zwei Ziele leistet – sich so zu organisieren, wie es emanzipatorischen Zielen entspricht (”was wollen wir”) und wie es Wirksamkeit und Handlungsfähigkeit steigert (”was nötig ist”).

(12) Wenn wir danach fragen, was nicht funktioniert und warum, so sprechen wir von Ansprüchen an die Organisierung und die Handlungsfähigkeit einer Gruppe, denen nicht genügt wird und die Gründe für diese Unzulänglichkeit. Es werden zuerst der Problempunkt, dann die Gegenstrategien einer Organisierung von Oben (O.v.o.) und schließlich der Lösungsansatz für eine Organisierung von Unten (O.v.u.) genannt. Dabei ist es uns wichtig, dass diese Organisierung von Unten den unter Punkt 1 genannten Grundsätzen auch wirklich folgt. Die für die Problempunkte aufgezählten Gegenstrategien sind solche, die diese Probleme überwinden sollen. Daneben ist es bei der O.v.o. weit verbreitet, dass die Probleme ganz bewusst belassen oder gar erzeugt werden, sei es aus politischen oder Gründen des Dominanz- und Machtstrebens.

(13) Als O.v.o. sind alle politischen Organisationskonzepte mit zentralisierten Gremien und ungleicher verstetigter Ressourcenverteilung (Geld, Befehlsgewalt, Zugang zu materiellen Ressourcen, Informationsmonopole) gemeint – unabhängig davon, ob diese durch demokratische Wahl (Vorstand oder ähnliches), Selbstakklamation (Führungsgruppe) oder intransparent (dominante Zirkel, unsichtbare Hierarchien) erfolgen.

Problem 1: Gesellschaftliche Konstruktionen und Mechanismen des Sozialverhaltens wirken weiter

(14) Viele Menschen werden in diesem System krasser unterdrückt als andere. Dazu gehören beispielsweise Frauen, Homosexuelle oder ethnische Minderheiten. Auch gehen alle Menschen anders mit ihrer Unterdrückungssituation um. Je nach Charakter und Sozialisation reagieren die Individuen unterschiedlich auf Bevormundung, Dominierung, Herumkommandierung, Bestrafung und ähnlichem. Derlei Dinge haben wir alle erfahren: in der Schule, im Elternhaus, in der Uni, in der Arbeit, auf dem Spielplatz und so weiter. Immer wieder wurde uns beigebracht, wir seien unmündig, manchen mehr, manchen weniger. Das typische Verhalten, das mensch benötigt, um sich >>gegen andere durchsetzen<< zu können und >>im Kampf der Diskussion<< zu bestehen, ist, ebenso wie diese Logik, ein patriachales Mackertum: Laute, am besten tiefe Stimme, >>harte<< Argumente, rhetorisch gute, grammatikalisch und anderweitig fehlerfreie, akzentfreie Sprache, Erniedrigung des Gegners, verbale Intrigen, bedrohliche Gestik und Gebärde.

(15) Dadurch werden Menschen, die diese Mittel nicht beHERRschen oder als in der gesellschaftlichen Hierarchie tieferstehend sozialisiert sind, also gelernt haben, dass sie nichts zu sagen haben oder sich nichts sagen trauen, davon abgehalten, sich einzubringen, oder ihr Beitrag wird im Vergleich zu dem der dominierenden Personen nicht als gewichtig wahrgenommen, relativ unabhängig von der inhaltlichen Qualität.

(15.1) 18.01.2009, 19:55, Thoma711 Müller: Das Problem ist sogar noch weit vertrackter: Menschen denken nicht nur, nichts zu sagen zu haben - sie haben tatsächlich nichts zu sagen. Bei vielen ist Sozialisations-Botschaft "Du hast nichts zu sagen" so stark internalisiert, dass sie schon lange und permanent unterbewusst mitläuft. Sie haben sich darin eingerichtet, nichts zu sagen zu haben: Die eigenen Gedanken erscheinen stets unwichtig, nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst. Das führt dazu, dass die eigenen Bedürfnisse nicht mehr wichtig genommen werden, spätestens in einer Gruppensituation, wo sie in Relation zu den Bedürfnissen anderer gesetzt werden, mit dem Ergebnis, eben nicht so wichtig zu sein.
So entsteht eine Art Passivität, der schwer zu entfliehen ist. Die betroffenen Leute sind unfähig, eigene Bedürfnisse und Positionen in den Gruppenprozess einzubringen. An diesem Punkt helfen auch die unter (19) angesprochenen kreativen Arbeitsmethoden oft nicht mehr: Passivis tendieren dazu, Erfüllungsgehilf_innen anderer Ideen zu sein. Sie orientieren sich eben an den "wichtigeren" und "besseren" Ideen anderer und übernehmen darin reproduktive Rollen.

(16) Symptome sind die in den meisten Gruppen vorhandenen ”SchweigerInnen” und VielrednerInnen”, sowie die Tatsache, dass manche ”alles” tun und andere gar nicht aktiv sind. Die resultierende Überlastung einiger und Passivität anderer führt zur (teilweisen) Handlungsunfähigkeit der Gruppe, vor allem verglichen zu dem Potential, dass in einer gleichberechtigten Aktivität aller entstehen würde.

1.a) Lösung von Oben:

(17) Verregelung (z.B. Frauenquote).
Wenn in der Gruppe ein Bewusstsein für diese Problematik besteht, versucht sie, dem etwas entgegenzusetzen. Meist handelt es sich dabei um verbürokratisierte, formalisierte Regeln, beispielsweise Quoten für Frauen oder Minderheitengruppen bei der Besetzung von Ämtern und Posten.

1.b) Lösung von Unten:

(18) Die Gruppe muss eine allgemeine Analyse von Herrschafts- und Diskriminierungsmechanismen vornehmen, permanent weiterentwickeln und zum festen Bestandteil der politischen Arbeit machen.

(19) Um die gesellschaftlichen Konstruktionen abzubauen und die Handlungsfähigkeit zu steigern (siehe Text der Gruppe ”HierarchNIE” auf www.hoppetosse.net ), ist es hilfreich, sich kreative Gruppenmethoden anzueignen und diese anzuwenden und weiterzuentwickeln. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um ein permanentes Experiment, in dem die Ergebnisse immer wieder überdacht und Methoden geändert werden müssen, damit eine für alle akzeptable, optimale Situation in der Gruppe entsteht. Das typischste Beispiel für so ein Problem ist wohl das Plenum, das immer wieder benutzt und immer wieder als unzureichend verteufelt wird, weil eben doch nicht alle sprechen, obwohl sie ”eigentlich” könnten; und weil hier Mackertum sich am leichtesten durchsetzen kann.
Alternative Diskussions- und Entscheidungsfindungsmethoden sollten unbedingt ausprobiert werden.

(19.1) 18.01.2009, 20:23, Thoma711 Müller: Im Bezug auf die in (15) angesprochene Passivität sind Gruppenmethoden: Stillarbeitsphasen (auch als "Hausaufgabe"). Hier ist für alle Raum, unbeeinflusst von den Anderen, ihre eigenen Interessen (am Thema) zu erforschen und festzuhalten. Mit dem Ergebnis ausgestattet kann es leichter sein, sich in den Diskussionsprozess der Gruppe einzubringen. Für den Diskussionsprozess ist teilw. der Einsatz von Runden sinnvoll.
Homezone-Gruppe
ist ein von der Einzelnen gut überschaubarer Zusammenhang, in dem die Ideen von (18) verwirklicht werden. Ein solcher Zusammenhang gibt ein vertrautes Gefühl in der Gruppe, Leute trauen sich mehr. Hier sollen sich die Menschen auch rel. gut kennen, um das Gruppenverhalten der anderen/ihren Charakter gut einschätzen zu können. Die HZG ist ein möglicher Ort, um Vorgänge in anderen Bündnissen zu reflektorisch zu begleiten. Sie kann hier die Rolle der oben angesprochenen Stillarbeit auf einer anderen Ebene übernehmen: Im geschützten Rahmen der HZG werden die Positionen der Einzelnen im Bezug auf das andere Bündnis herausgearbeitet und so bewusst gemacht.
Eine Art von Runde ist auch rotierende Moderation. Obschon mir die in (96) geäußerte Kritik richtig erscheint, denke ich doch, dass Moderation in den weltlichen Situationen des hierundjetzt oft faktisch beträchtliche Linderung von Dominanzen bringen kann. Wichtig ist dabei, dass die Menschen, die sich selbst reflektiert und zu passiven Rollen tendierend erkannt haben, viel Moderation machen. Die damit verbundene Strukturierung des Prozesses ist
a) eine machtvolle Position
b) schärft das Bewusstsein für Prozesse und Rollen in der Gruppe (eine Aufgabe der Mod. ist sicherzustellen, dass sich alle angemessen einbringen können und so...)
c) können Passivis gezielt angesprochen werden - allerdings nur dann sinnvoll, wenn es vorher einen Austausch darüber gab, ob das erwünscht ist und als hilfreich angesehen wird.
Gibt es Moderation, sollte sie auch stets reflektiert werden und Feedback bekommen (zum Beispiel am Ende eines Treffens).

(20) Dieser interne Prozess von Veränderung muss mit einer nach außen gerichteten politischen Arbeit gegen soziale Konstruktionen verbunden sein. So kann in der Gesellschaft, oder zumindest im Umfeld ein Diskussions- und Denkprozess zu dieser Problematik angestoßen und alternativen zur Lösung aufgezeigt werden. Das ist auch deshalb wichtig, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Gruppe sich komplett nach innen wendet und nur noch mit sich selbst beschäftigt. Die Folge: schleichende Entpolitisierung.
Der Austausch über diverse Methoden und Experimente mit anderen ist wichtig für die Weiterentwicklung.

Problem 2: Eigene Ohnmacht gegenüber unendlichen Ressourcen von Staat und Gesellschaft; Irrelevanz und Marginalisierung der politischen Arbeit und ihrer AkteurInnen, der Individuen und ihrer freien Zusammenschlüsse überhaupt.

(22) Politische Arbeit erscheint uns manchmal wie ein endloses Rennen gegen eine Mauer, die einfach nicht einfallen will. Ich kann zwanzig Reihen von PolizistInnen durchbrechen, nur um auf die einundzwanzigste Reihe zu stoßen; der Castor kommt letztlich auch jedes mal durch; Gelungene Aktionen haben eventuell die Verschärfung der Repression zu Folge. Die meisten Aktionen, können ohnehin nur symbolisch sein, wirkliche Veränderung können wir uns meist nicht erhoffen, wenn wir Glück haben, denken ein paar BürgerInnen zwei Minuten darüber nach.

(23) Dieses Gefühl von Ohnmacht und Marginalisierung, die Unerreichbarkeit der Ziele, Wünsche und Träume lässt viele Aktionspläne in der Schublade verstauben, da schlicht die Motivation fehlt, bei scheinbar so wenig Anreiz, etwas zu tun. Einer der wenigen Bereiche, wo dies anders ist, ist der antifaschistische Kampf, da auch die Nazis keiner scheinbar unerschöpflichen Ressourcen haben, direkt konfrontiert, frustriert und ”besiegt” werden können. Diese Aussicht auf Erfolg macht den Anti-Nazi-Kampf sehr attraktiv.

2.a) Lösung von Oben:

(24) Schaffung einer Scheinmächtigkeit:
Manche Organisationen vermitteln ihren AktivistInnen bei jeder noch so minimalen Aufgabe eine übergroße Wichtigkeit, die sich bis zu einem internalisierten Zwang hin entwickeln kann. Dabei beginnt jedes Individuum in einer Atmosphäre der allgemeinen Euphorie sich selbst unter enormen Handlungszwang zu stellen und die Bedeutung des eigenen Handelns vor sich zu überhöhen. Das endet zweifelsohne in einer Erschöpfung und dem inneren Ausbrennen des Individuums. Auch Fanatismus oder Religiosität erreichen hohe Aktivitätsgrade. Alle drei Formen der ”Überwindung” des Marginalisierungsproblems sind für die AkteurInnen eher ungesund und können einen körperlichen und/oder psychischen Zusammenbruch zur Folge haben. In derart strukturierten Gruppen stellt sich häufig ein hoher MitgliederInnen-durchlauf ein, der plötzliche Rückzug von einer hochentwickelten Aktivität in totale Passivität ist beobachtbar.

(25) Pressegeilheit:
Das Ziel, mit der Aktion in den Medien erwähnt zu werden ersetzt das Ziel, etwas anderes mit der Aktion zu erreichen. Der Erfolg der Aktion misst sich an der Qualität und Quantität der Berichterstattung. Dieses Ziel ist nicht schwer zu erreichen und es ist auch möglich, ihm manipulativ nachzuhelfen, etwa weil mensch Kontakte zur Presse hat. Der Stolz auf die erreichte Berichterstattung gaukelt einen Erfolg der Aktion vor. Dies ist allerdings nicht ganz von der Hand zu weisen, da eventuell auch Inhalte transportiert und wesentlich mehr Menschen erreicht werden. Allerdings sollten Medienberichte nicht zum Selbstzweck werden und auch nicht als Maßstab für die Qualität der Aktion. Auch wenn niemensch berichtet, kann es eine sehr gute Aktion gewesen sein.

(26) Da ”große Ziele” so schwer erreichbar scheinen, versteigen sich manche Organisationen in Minimalreformismus (Bsp. Tobinsteuer) oder gar Scheinreformismus (Bsp. ”Atomkonsens”). Damit werden die Ziele erreichbar, die Qualität der Ziele leidet allerdings sehr stark darunter. Nachdem ein solches Miniziel erreicht ist, erschlafft die Anstrengung und mensch gibt sich zufrieden. Veränderung hat aber meist nicht stattgefunden. So werden Bewegungen abgespeist und eingelullt. Dass der Atomkonsens eben nicht der versprochene Ausstieg ist, hat die Anti-Atom-Bewegung glücklicherweise erkannt – und Protest und Widerstand konnten nicht geschwächt werden, was sonst der Fall gewesen wäre, ohne dass sich im geringsten etwas verändert hätte.

(27) Ein typisches Mittel gegen die Aufreibung der eigenen Ressourcen im Kampf gegen einen überstarken Gegner (Staat, Wirtschaft, Gesellschaft) ist die Kooperation mit seinen Machtinstitutionen und Lobbyismus. So wähnt mensch sich auf einer Ebene mit ihm und direkt an den Schalthebeln der Veränderung. Was Lobbyismus allerdings bewirkt, zeigen die ”Erfolge” der zahlreichen NGOs, die sich dieser Taktik verschrieben haben: Weder hat Amnesty International die Bundesregierung an Waffenlieferungen in die Türkei gehindert, noch Greenpeace die WirtschaftsbossInnen und PolitikerInnen zu mehr Klimaschutz überreden können. Auch die Grüne Partei ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Position an des Schalthebeln der Macht die Chancen auf Veränderung minimiert: Sie haben sich nicht nur von der Atommafia über den Tisch ziehen lassen, sondern auch noch ihre Friedensprinzipien gebrochen. Die größten Erfolge bei der Veränderung der Politik haben die Bewegungen von der Strasse errungen. Hier zeigt sich die Diskrepanz bei den Grünen und Greenpeace: Wo sie in den Machtstrukturen sind, werden sie lasch und selbstverräterisch, wo sie auf der Strasse, basisorientiert arbeiten, sind sie gut und erfolgreich. Dennoch geben sie sich den Anschein, es sei andersherum. ”es zu etwas gebracht haben” und ”erfolgreich sein” hat in unserem gesellschaftlichen Diskurs eben etwas mit ”sozialem Aufstieg”, hohen Positionen, Titeln und Ämtern und damit verbundener ”Macht der Beeinflussung” zu tun. Diese hängt mit der ”ExpertInnengläubigkeit” der Menschen zusammen.

(28) Einen ähnlichen Effekt kann mensch erreichen, indem TitelträgerInnen und andere MachtvertreterInnen in die eigenen Strukturen geholt werden. Damit erhofft mensch sich einen Gewinn an Bedeutung und damit Zugang zum Gehör der Medien, Regierungen und der Masse (die allerdings eher unwichtig ist). Im Allgemeinen ist eine Zunahme des Redeschwalls und eine Abnahme der Aktivität zu verzeichnen. ”VIPs” gehen nicht auf die Strasse, sondern beschwatzen lieber in endlosen Talkrunden alle möglichen anderen VIPs. Das Maß an Veränderungen sinkt rapide. Der Diskurs wird ver-intellektualisiert, ver-theoretisiert, entpraktiziert und ent-radikalisiert.

(29) Der Sensationsgeilheit und dem Erfolgsdurst der AktivistInnen kann auch mit einem Hype der verschiedenen (Gipfelsturm-) Events begegnet werden. Die Arbeit der Organisation verkommt zum Eventhopping, denn hier können kurzfristige Erfolge wie das Blockieren einer Strasse oder eines Gebäudes, das Erobern einzelner Gebiete gegen die Polizei und andere Minimalsiege errungen werden. Das gibt ein gutes Gefühl. Auch ist mensch hier nicht allein, sondern hat durch die Internationalität und Überregionalität das Gefühl, viele zu sein, ein großes ”Wir-Gefühl”, das im täglichen lokalen Kampf oft vermisst wird. Über diesen ganzen Hype wird vergessen, dass die Gipfelstürmerei kein Selbstzweck ist, nicht ewig weiter gehen kann und letztlich nichts wirkliches bewegt. Der Aufbau lokaler. tragfähiger Strukturen leidet, es gibt nichts, in das mensch vom Gipfel zurückkehren kann, wodurch sich die Sehnsucht nach noch mehr Gipfelstürmerei wiederum vergrößert.

2.b) Lösung von Unten:

(30) Das Erreichen unserer Ziele erscheint ziemlich erfolglos. Das heißt zwar nicht, dass wir sie deswegen aufgeben sollten, oder den Kampf um des Ziel aufhören sollten. Es wäre allerdings sinnvoller, sich nicht so stur auf statische Ziele zu konzentrieren, sondern sich des Prozesscharakters vieler Kampagnen bewusst sein, und so versuchen Prozesse zu erzeugen. Damit haben viele Aktionen wieder einen Sinn, auch wenn sie kein konkretes Ziel erreichen können, zumindest nicht mittel- oder kurzfristig.

(31) Oftmals haben wir keine Lust oder sehen keine Chance, etwas zu verhindern oder zu beeinflussen, weil uns die Mittel und Wege unbekannt sind. Manchmal befinden wir uns in einer Situation, in de wir gerne ”was machen” würden, nur nicht wissen was und wie. Die Standartreaktionen, mit denen allerdings oft wenig verändert wird, sind etwa Parolen rufen, Steine schmeißen, zuschlagen. Aus dieser Eintönigkeit und Inflexibilität was das Aktionsvermögen angeht, müssen wir raus! Deshalb ist das Aneignen von Methoden und Aktionstechniken ein wichtiger Schritt, um flexible Handlungsfähigkeit zu erzeugen. Dazu dienen können z.B. (über-)regionale Direct- Action-Gatherings, die sich hier leider noch nicht etabliert haben.

(32) Einer ganzen Reihe von Handlungsfeldern sind wir uns gar nicht bewusst, und sie bleiben folglich von uns unberührt, obwohl es gar nicht aufwendig wäre, sie zu nutzen. Verschiedene Konzept direkter Aktion, Intervention im Alltag oder das Schaffen und Füllen von Erregungskorridoren kann ohne große Mühen und Risiken vollbracht werden. Vor allem das Erregungskorridorkonzept ist interessant, da es die diskursive Herrschaft durchbricht und neue Denkmöglichkeiten aufzeigt. Das ist eine sehr wirkungsvolle, risikolose und für die Herrschenden unangenehme Sache. Diskutieren und Provozieren ist ja noch nicht verboten in diesem Land...
Intervention im Alltag kann durchaus spaßig sein, schließlich ist jeder Bereich unseres Lebens in irgendeiner Weise vermarktet und beHERRscht. Im Supermarkt, in der Bank, im Zug oder auf der Strasse lassen sich viele Situationen finden und konstruieren, wo mensch alleine einigen Mitmenschen interessante und nachdenkliche Momente beschert. Allerdings gehört dazu eine beträchtliche Portion Frechheit und Selbstvertrauen.

(33) In der asiatischen Kampfkunst benutzt mensch die Kraft und Aggression des Gegners, um sie gegen ihn einzusetzen. Mensch braucht sie sogar, denn sie dient als Basis für die eigene Verteidigungsstrategie. In der politischen Aktivität können wir versuchen, die Übermacht unseres Gegners für die eigenen Ziele subversiv zu nutzen. (Beispiele fallen mir keine ein...)

(34) Nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten in Osteuropa verkündeten sie uns den Kapitalismus als das ”Ende der Geschichte”. Tatsächlich wird der Kapitalismus das Ende der Geschichte der Menschheit sein, wenn wir ihn nicht loswerden, weil er täglich unsere Lebensgrundlagen ein wenig mehr zerstört. Viele Menschen haben es satt. Haben die Lügen satt, und die Unausweichlichkeit, die Tatsache, das Träume nicht mehr verwirklichbar sind, ihr Leben ein eintöniges Grau in Grau, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint, außer der Flucht in die Spaßgesellschaft. Wir sollten versuchen, die Menschen wieder zum Träumen zu ermutigen; ihnen das Gefühl geben, dass es richtig ist, an was besseres zu denken als Arbeit, Geld und Leistung; dass es richtig ist, sich eine andere Welt vorzustellen. Wir sollten versuchen den Menschen wieder Mut für Visionen zu geben. Dabei sollten wir unsere eigenen Visionen ruhig öffentlich machen, dem Bild dieser Welt entgegen halten und versuchen, das Träumen, die Visionen wieder populär zu machen. Nach dem Motto: eine andere Welt ist möglich! Und machbar, Herr Nachbar!

(35) Lange waren die Zeiten rau für unsere Politik. Die AktivistInnen haben sich in Kellergewölbe, Hinterzimmer und Dachgeschosse zurückgezogen. Doch es wird Zeit, wieder raus zu gehen, auf die Strasse. Die Zeit der verschwörerischen Zirkel muss weichen für offene Teach-ins auf Plätzen, Strassen, in Zügen und Bussen. Wir sollten reingehen in die Gesellschaft, und die befindet sich draußen auf der Strasse, in den Schulen, Unis und Betrieben. Wir brauchen keine Nischen, sondern Open Space. Wir müssen sichtbar und hörbar werden. Also veranstalten wir unsere Diskussionsrunde nicht im Fachschaftszimmer, sondern auf der Verkehrsinsel oder in der Fußgängerzone. Der Aufwand ist minimal, der Effekt vergleichbar groß.

Problem 3: Bedürfnis nach schnellen Erfolgen
3.a) Lösung von Oben:

(36) Lobbyarbeit:
Von oben scheint alles herzukommen, von dort scheint sich alles bestens durchsetzen zu lassen. Das ist ja auch nicht von der Hand zu weisen, wenn mensch sich den Widerstand gegen die meisten Handlungen unserer HerrscherInnen ansieht. Sie haben oft leichtes Spiel. Bei ihnen laufen alle Fäden zusammen. Daraus ergibt sich die Logik, zu versuchen, eben dort Einfluss zu nehmen und Lobbyarbeit zu machen. Es scheint viel schneller zu gehen. Mensch muss nicht mühselig Tausende erreichen und zum Handeln zu bewegen. Ein paar mal den Herrschenden ins Ohr flüstern und schon hat mensch – so scheint’s den Erfolg, den mensch sich wünscht. Allerdings liegt der Haken hier im Wörtchen ”scheint’s”. Natürlich müssen auch die Forderungen extrem heruntergeschraubt werden, am Ende kommen dann Scheinerfolge heraus. Vergleichsweise schnell zwar, aber ziemlich inhaltsleer. Nach dem Schema des Atomkonsens: ”Lieber nie als gar nicht”. In vielen Fällen hat Lobbyismus als Spielart sozialer Bewegungen Selbstbelügung zur Folge.

3.b) Lösung von Unten:

(37) Radikale Forderungen und Erfolge kommen von unten. Das erkennen auch einige ”von oben” Organisationen, zum Beispiel zentralistische marxistische Gruppen oder Greenpeace.

(38) Direkte Aktion:
Basisgruppen müssen anfangen, sich Aktionstechniken anzueignen und so einen größeren Handlungsspielraum zu schaffen. Strategisch zu arbeiten erhöht die Erfolgsaussichten. Strategie sei gleich Hierarchie ist ein Aberglaube, der auf mangelnder Analyse des Erfolges hierarchischer Gruppen basiert. Dass Greenpeace wirklich große und gute Aktionen hinbekommen hat, liegt nicht daran, dass sie hierarchisch organisiert sind, sondern dass sie strategisch arbeiten, kreativ sind und professionelle Direkte AktionistInnen sind. Natürlich haben sie einen Vorsprung durch ihre gute materielle Ausstattung, die sie sich auf Grund ihrer Struktur leisten können. Ihre Aktionen haben aber gezeigt, dass kleine, gar nicht so aufwendige Handlungen gigantische gesellschaftliche Diskurse eröffnen und Veränderungen anstoßen. Das Umweltbewusstsein ist auch ein großer Erfolg von Greenpeace.
Hier wird auch wieder der Prozesscharakter vieler Probleme deutlich. Direkte Aktion zielt auf gesellschaftliche, langwierige, prozesshafte Veränderung, der konkrete Erfolg der Aktion (die Verhinderung oder Durchsetzung von etwas in diesem Moment) sind dabei ein wünschenswertes Beiprodukt. Der Diskurs kann aber auch bei Misserfolg gut sein. (erinnert sei an die Aktion der Rainbow Warrior, die zwar scheiterte, aber unglaubliche Diskussionen und ein Bewusstsein hervorrief). Wir nehmen hier Greenpeace als Beispiel, um aufzuzeigen, wie gut Direkte Aktion sein kann, was sie bewirken kann, und wo wir hin wollen, nur ohne Hierarchie.

(39) Kooperation ermöglicht eine materielle Ausstattung, die einzelne sich evtl. nicht leisten können. Verleih von Gegenständen oder Infrastruktur und gegenseitige Hilfe sind Wegbereiter für Erfolg einer Aktion. In der Außendarstellung kann das wichtig sein. Eine Aktion muss sich gut vermitteln, dazu muss gute Pressearbeit geleistet werden. Diese fußt am besten auf Kooperation. Das Interessante an Kooperation ist die Überwindung von Unterlegenheit durch Mangel an Know-how, AkteurInnen oder Material, indem versprengte Ressourcen zusammengefügt werden.
Diese Techniken erhöhen die Erfolgschancen. Sie können aber nichts daran ändern, dass soziale Veränderung im großen Stil eine langwierige Angelegenheit ist, deren Verlauf sich auch nicht voraussagen lässt. Damit müssen wir leben.

Problem 4: Unwillen zu kontinuierlicher Arbeit

(40) Eine Schwierigkeit, die auftritt, wenn mensch mit anderen Menschen arbeitet, liegt darin, dass sie schnell das Interesse an etwas verlieren, was sicherlich auch mit der Sozialisation in einer Zeit der Hochgeschwindigkeit zu tun hat. Das andere ist ein gewisse Unzuverlässigkeit, die auftritt, wenn die gewohnten Regeln und Zwänge wegfallen. Es ist nicht das eigene Geld, das eigene Eigentum, es gibt keine Sanktionierung, wenn mensch etwas nicht tut. Als Resultat stellt sich eine gewisse Passivität und Lähmung ein.

(41) Ein anderer Grund für Unlust zu kontinuierlicher Arbeit liegt in der Aussichtlosigkeit, in der Erfolglosigkeit, des Erlebens der eigenen Handlungsunfähigkeit. Es macht schlicht keinen Spass, etwas zu machen, wenn nichts dabei herauskommt. Und Spass ist ein wichtiger Bestandteil der Motivation für ehrenamtliche Arbeit.

4.a) Lösung von Oben:

(42) Hauptamtlichkeit ist eine Möglichkeit, die Menschen zu Zuverlässigkeit und Kontinuität zu bringen, indem mensch ihnen schlicht ihren gewohnten Rahmen zurückgibt. Ein Amt ist etwas offizielles, mit bestimmten Aufgaben und Pflichten behaftetes. Sanktionierungsmöglichkeiten gibt es auch. Außerdem ist sichergestellt, wer der/die Verantwortliche ist, wenn in bezug auf einen Aspekt etwas falsch läuft. Einen solchen Ablauf der Dinge sind die Menschen aus ihrem Alltag gewohnt. Daher fügen sie sich auch besonders gut ein. Trotzdem sind Faulheit und Unzuverlässigkeit nicht komplett ausgemerzt, sie gehören eben dazu.

4.b) Lösung von Unten:

(43) Projektorientierung schafft hier ein wenig Abhilfe. Wenn die Individuen ihre eigenen AkteurInnen sind, die ”ihr” Projekt machen, nicht bloße Mit-arbeiterInnen, erhöht sich möglicherweise ihre Motivation und damit auch die Kontinuität ihrer Arbeit.
Ansonsten wird dieses Problem eher verschwinden, wenn andere hier besprochene Aspekte sich verbessern, zum Beispiel der Erfolg oder die Handlungsfähigkeit.
Kontinuierliche Arbeit ist auch abhängig vom Zeitbudget der AktivistInnen. Wie das Zeitbudget erhöht werden kann, wird im folgenden Punkt V besprochen.

Problem 5: Geringe Handlungsmöglichkeiten durch Einbindung der AkteurInnen in gesellschaftliche Zwänge (Arbeit, Familie, Ausbildung usw.)

(44) Nur sehr wenige Menschen sind nicht dem täglichen Verwertungs- und Reproduktionszwang unterworfen. Die meisten von uns müssen entweder in die Schule oder Universität, arbeiten oder den Haushalt machen und die Kinder betreuen. Zwischen den einzelnen Abschnitten (nach Uniabschluss, nach Schulabschluss) oder im Renten- oder Kindesalter sind die einzigen Perioden, in denen mensch sich dem widmen kann, was er/sie gerne machen würde (innerhalb des vom System Gesetzen Rahmens). Das erschwert wichtige politische Arbeit. Wer wöchentlich nur eine Stunde Zeit dafür hat, kann keine großen Aktionen auf die Beine stellen.

5.a) Lösung von Oben:

(45) Hauptamtlichkeit ist auch hier eine ideale Lösung. Die AkteurInnen werden aus ihrem Verwertungszusammenhang weggekauft. Ab nun bekommen sie Geld für das, wofür sie keine Zeit gehabt hätten, wenn sie jenes hätten woanders verdienen müssen. Das führt allerdings zur Marginalisierung der normalen, also ehrenamtlichen, AktivistInnen. Um beim Beispiel Greenpeace zu bleiben: Die medienwirksamen großen Aktionen werden von Profis gemacht, NormalgreenpeacerInnen dürfen normalerweise Spendensammeln gehen.

5.b) Lösung von Unten:

(46) Es gibt noch eine andere, sehr kleine Anzahl von Menschen, die weder hauptamtlich, noch anderswo eingebunden sind, sondern ein politisches Leben jenseits dessen führen: Die Selbstorganisierten, und die, die absichtlich von Staatskohle leben (Sozialhilfe o.ä.). Interessanter sind aber eigentlich die ersteren, weil sie sich völlig anders und völlig unabhängig organisieren und diese Art der Lebensführung auch in ”linken” Kreisen großenteils unbekannt ist. Die Technik und das Wissen darüber, wie Selbstorganisation funktioniert, müssen in Seminaren o.ä. weitergegeben beziehungsweise angeeignet werden. Dazu gehören Kurse über Gratisökonomie, Tauschökonomie und Gemeinschaftsökonomie.

(47) Damit es überhaupt dazu kommt, dass diese Lebensform populärer wird, müssen in Gesellschaft und ”Linke” die sozialen Zwänge als solche demaskiert werden. Wer Arbeit als Segen ansieht, sucht nicht nach alternativen Lebensformen. Wer Arbeit als Naturgesetz hinnimmt, braucht Informationen darüber, dass und wie es anders sein könnte. Arbeit, Ausbildung und Erziehung, reproduktive Zweier- Wohn-Beziehung sind unnötige Zwänge. Sie sind nur für das System notwendig. Freie Menschen könnten das auch anders organisieren.

(48) Ein großes Hindernis dabei sind die Ängste der Menschen vor Unsicherheit. Was machen Selbstorganisierte wenn sie krank oder alt sind? Deshalb ist es wichtig, Solidaritätsstrukturen aufzubauen, um zu wissen, dass mensch nie allein ist.

(49) Für eine effizientere Nutzung von Ressourcen sind Tausch- und Geschenkringe und andere kooperative Strukturen gut. Selbstbestimmtes Lernen anstatt Staats-ver-bildung sind die Alternativen, die es aufzubauen gilt.

Problem 6: Fehlende Phantasie, Vorstellungskraft für Organisierung von unten und Alternative zu gesellschaftlichen Zwängen

(50) Dieser Punkt ist in mehrere Teile aufzuspalten. Einerseits (1) mangelt es den AktivistInnen, und denen, die es gerne wären, tatsächlich an Phantasie bezüglich ihrer Aktionsmöglichkeiten, zum zweiten (2) gibt es Probleme bei der Realisierung des Ausgedachten, die auch an mangelnder Vorstellungskraft liegen, und zuletzt (3) fehlt die Vorstellung davon, dass und wie Organisierung und Aktivität überhaupt anders sein könnten Deshalb richten sich auch die Gegenstrategien auf die drei Aspekte getrennt aus, wobei aber klar, ist, dass alles natürlich miteinander zusammenhängt.

6.a) Lösung von Oben:

(51) ”Von oben” organisierte haben natürlich das Problem, dass sie sich keine frei-kooperative Organisierungsform vorstellen können (Punkt 3) , nicht, da sie das gar nicht wollen. Für die beiden anderen Probleme haben vor Allem die ganz großen Organisationen (etwa Greenpeace) ziemlich einheitliche und typische Lösungen, während die kleineren HierarchistInnen (z.B. Linksruck) meist gar nicht in der Lage sind, diese Probleme zu lösen.

(52) Was die Phantasielosigkeit (1)angeht, so lassen sich große Nicht-Regierungs-Organisationen verregelte Kurzzeitkreativmethoden beibringen. Diese dienen nur als Unterbrechung ihrer sonst starren Strukturen. So werden Kreativkurse und Selbstentfaltungsseminare gemacht, wofür meist teuer bezahlte Spitzenkräfte auf diesem Gebiet eingekauft werden.
Kleinere zentralistische Gruppen haben entweder keinen Anreiz zur Umgehung dieses Problems, wie mensch an den ewigen Latschdemos erkennen kann, oder sie kopieren die Aktionen der großen, etwa die Besetzung eines McDonalds oder das Anketten an Schienen.

(53) Wer selbst nicht kreativ ist, kann sich natürlich auch kreative Kräfte einkaufen. Sei es, um sich überhaupt Aktionen auszudenken oder die Umsetzung (2) zu planen. Bei den großen zentralistischen Organisationen kommen die Ideen und Umsetzung von Menschen, die dafür eingekauft wurden, dies zu tun, selten von den engagierten MitgliederInnen. Deshalb ist es auch möglich, dass einE SpitzenfunktionärIn einer NGO am nächsten Tag für einen Konzern arbeitet. Er/Sie wurde nicht dafür bezahlt, die Ziele gut zu finden, sondern gute Ideen zu haben und diese effektiv umzusetzen. Für wen er/sie das tut, ist ihm/r meist egal.
Die HierarchistInnen aus Infoladen und Parteiszene scheitern denn auch meist an der Umsetzung, wenn sie mal eine gute Idee hatten. Wie eine gute Aktion zu planen und durchzuführen ist, erfordert eben auch Vorstellungskraft und Kreativität für den Umgang mit allen wichtigen Eventualitäten.

6.b) Lösung von Unten:

(54) (1) Für die Basisbewegung ist der Mangel an Kreativität ein deutliches Zeichen, dass kein Kontakt zu künstlerischen Kreisen und alternativen Szenen besteht. Wo dies passiert, wie etwa bei ReclaimTheStreetsLondon mit der Raverszene, oder dem Pink-Silver-Block mit Transgenders und KünstlerInnen, kommen deutlich skurrilere, interessantere, phantasievollere und wirkungsvollere Widerstandsformen heraus. Womit also muss eine O.v.u. beginnen, um überhaupt einen Ansatz für eine solche Zusammenarbeit zu bieten, attraktiv zu werden?
Gehen wir davon aus, dass die meisten Menschen noch gar nicht komplett abgestumpft sind, stellt sich die Frage wie ihr kreatives Potential aktiviert werden kann. Dazu sind Plena, auf denen eine ernste Stimmung herrscht und sich die üblichen MackerInnen- Verhaltensmuster durchsetzen, nicht geeignet. Besser sind entspannte Brainstormings, eventuell mit Preisverleihung für den skurrilsten Vorschlag, und die Einrichtung von Zeiteinheiten zum Unsinn-Reden. In einer solchen Atmosphäre trauen sich die Menschen, abwegiger zu denken, und scheinbar doofe Vorschläge zu machen, aus denen aber eventuell eine gute Aktion entwickelt werden kann.
Solche geistigen Freiräume sind der Rahmen für Ideenentwicklung. Die Beteiligten sollten auch darauf achten, dass absurd klingende Ideen nicht mit einer Reaktion belegt werden, die dem/der Vorschlagenden suggeriert, die Idee sei schlecht oder unmöglich, so dass er/sie beim nächsten Mal verstummt. Offenheit für Skurrilität und Flexibilität darin, was mensch für umsetzbar hält, müssen aktiv und bewusst geschaffen und erhalten werden.

(55) (2) Oft erleben wir, dass gute Ideen für alle möglichen politischen Bereiche vorhanden sind, allerdings die Umsetzung für nicht möglich gehalten wird, oder bestimmte Aspekte der Realisierung unklar bleiben: ”Aber was machen wir, wenn...?” Auch hier ist Flexibilität wichtig. Gemeinsam lässt sich meist eine Lösung finden, wenn mensch sich von den vertrauten Denkpfaden herunterwagt.
Getanes muss reflektiert werden. Wie war die Aktion, welche Ungereimtheiten, Schwierigkeiten und Ängste empfanden die einzelnen Beteiligten? Wie können diese in Zukunft umgangen oder gelöst werden? Ist es möglich, die Aktion unter verbesserten Bedingungen zu wiederholen? Oder können einzelne Aspekte ”im Trockenen” trainiert werden? Diese Reflexion muss unbedingt auch im politischen Alltag passieren. Ob Gruppenstruktur, Seminaraufbau, Projektverwirklichung oder eine andere Veranstaltung: zwischendurch und hinterher sollten wir analysieren, was wie lief, und den Prozess beziehungsweise das Ergebnis auf unsere emanzipatorischen Anforderungen überprüfen.
Ein völlig anderer Aspekt ist der Abgleich der geplanten Maßnahmen mit der Formulierung des Ziels. Können wir mit einer Latschdemo durch die Innenstadt einen Kongress am Stadtrand stören? Da Mittel und Ziel nicht zusammenpassen, muss entweder das Ziel (z.B. in ”bundesweites Autonomenpicknick”) oder das Mittel (z.B. Straßenblockade aller Strassen zum Veranstaltungsort) modifiziert werden. Die Aktion sollte an der Zielerreichung, bzw. der möglichen Zielerreichung gemessen werden. Natürlich kann eine geplante Aktion scheitern. Wenn sie aber das geplante Ziel (Störung, Verhinderung etc.) konkret zum Ziel hatte, war zumindest der Plan gut; besser, als eine Aktion, die das gar nicht zum Ziel hatte. Ein Beispiel ist die Anti-CSU-Berlusconi Aktion in Nürnberg, deren erklärtes Ziel eine Verhinderung oder Störung des Parteitages war, deren Form (ewiglange Demo durch Nürnberg) allerdings nicht einmal darauf angelegt war, diesem Ziel zu dienen. Trotzdem wurde diese Demo als Erfolg gefeiert, weil sich 3000 Linksradikale eingefunden hatten. Ziel war aber nicht ein bayernweites Autonomenpicknick (dieses Ziel wäre erreicht worden), sondern die Störung des Parteitages (was nicht einmal versucht wurde). Hier gehen Form und Ziel aneinander vorbei. Das muss bei den Vorbereitungen und in der Aktion immer wieder überprüft werden.

(56) (3) Natürlich ist es kein Wunder, dass die Mittel am Ziel vorbeigehen, wenn die Auswahl der Mittel sehr gering ist, weil mensch keine anderen kennt. Deshalb ist eine Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der Bewegung, die für andere Vorgehensweisen eintritt, unerlässlich. Die Arbeitsweise von Pink-Silver, nämlich das Einsetzen von Irritation und Subversion (auch bei ”Linken”!), könnte richtungsweisend und viel breiter eingesetzt werden. Darum ist es für emanzipatorische Ansätze wichtig, dass sie öffentlich vertreten werden: in Bündnissen, durch Medienarbeit, in Vernetzungstreffen usw. Dabei können wir natürlich niemenschen vertreten außer uns selbst, und auch das ist wichtig deutlich zu machen. Alle sprechen immer nur für sich, niemensch kann für andere Menschen sprechen. Das ist zwar eine harte Nuss, und wir dürfen damit rechnen, uns erst mal unbeliebt zu machen und gegen einiges an Mackerstrukturen kämpfen zu müssen, aber es ist unsere Stärke, dass wir Situationen, die wir erkennen, auch gleich zur Sprache bringen. Das heißt, dass Mackerigkeit, Überheblichkeit oder Stellvertretertum von uns angesprochen werden, wenn wir sie erleben. Und so können wir Stück für Stück in mühseliger Kleinarbeit emanzipatorische Freiräume schaffen. Darüber dürfen wir unsere inhaltlichen Beitrage natürlich nicht vergessen. Irgendwann wird sich vermutlich der eine oder die andere für unsere Ideen interessieren. So kann ein Stück Handlungsfähigkeit auch bei den anderen erreicht werden. Belehrung wäre die falsche Methode. Streit und Irritation behandeln die Gegenüber als gleichberechtigte Menschen. Das ist wichtig.

Problem 7: Angst vor Vielfalt, Dynamik und produktivem Streit

(57) Diese drei Aspekte gehören zu jenen Dingen, die wir auf jeden Fall brauchen und wollen. Vielfalt, Dynamik und produktiver Streit gehören zu einer emanzipatorischen, gleichberechtigten, selbstorganisierten und kreativen Bewegung. Sie lebt praktisch von Veränderung, welche wiederum auf jenen drei Aspekten aufbaut.

(58) Angst vor Streit haben verschiedene Typen Mensch. Für uns sind zwei Kategorien wichtig. Diejenigen, die ihren Machtverlust zu befürchten haben, und diejenigen, die harmoniesüchtig sind. Deshalb sind verschiedene Taktiken zur Überwindung erforderlich. Dass mensch Streit schlecht findet und einem Harmoniezwang verfällt ist allerdings nicht verwunderlich. Eigentlich beinhaltet dieses Verhalten noch eine Menge anderer Ängste. Denn die Welt ”da draußen” erscheint uns oft als kalt und bedrohlich, wir haben Angst, alleine dazustehen. Einheit erscheint uns als Stärke, gibt uns Geborgenheit. Die meist aggressiven und destruktiven Streits, die patriarchisch geführt werden, also mit der Erniedrigung des/der GegnerIn zu tun haben, erinnern uns an die gesellschaftliche Kälte, die uns umgibt, wir fallen dann in ein ziemliches Loch. Und das ist nachvollziehbar. Die meisten Streits, die auch in unseren ”linken Sphären” so ablaufen, sind Machtkämpfe und Verleumdungen. Dazu kommt dann ein selbstauferlegter Konsensdruck und Einigungszwang, der alles nur noch schlimmer macht. Und was nicht gegeneinander ausgetragen wird, wird ”hintenrum” ausgetragen. Eine solche Atmosphäre verdirbt leicht die Lust am Streiten.
Angst vor Vielfalt und Dynamik ist meist eine Angst vor dem ungewissen Chaotischen, die Angst, dass dann alles aus dem Ruder läuft, unübersichtlich wird, und das ist natürlich eine Angst vor Kontrollverlust.

7.a) Lösung von Oben:

(59) Vielfalt, Dynamik und produktiver Streit werden hier komplett nicht gewollt. Einige behaupten das zwar, erweisen sich dann aber als starre und unflexible, schwerfällige Strukturen. Durch eine ständige Betonung der Einheit ist Vielfalt meist eben ausgeschlossen, auch wenn das so nicht gesagt werden würde, mensch möchte ja für alles offen wirken. Produktiver Streit bedeutet im emanzipatorischen Sinne auch, dass die AkteurInnen auf gleicher Augenhöhe stehen. Das ist in den zentralisierten Vereinigungen aber automatisch nicht der Fall, denn die einen haben einen anderen Status als die anderen. Es ist feststellbar, dass eine solche Organisierung sehr schwerfällig und langsam im Lernen ist. Unflexibilität entsteht, wo die Dynamik, die aus der sich im produktiven Streit befindlichen Vielfalt entstehen könnte, nicht existiert, weil sie nicht existieren kann.

7.b) Lösung von Unten:

(60) Denen, die Angst um ihre Macht und Kontrolle haben, können wir nur sagen: das ist es ja, was wir wollen, die BeHERRschung verlieren!

(61) Streit ist cool. Er muss keine negative Stimmung oder Hass hervorrufen. Es ist wichtig, eine Meinung zu haben, und noch besser, diese auch zu äußern. Ein Streit dient der Klärung, nicht dem Entwickeln gemeinsamer Positionen, sondern der Weiterentwicklung de verschiedenen Positionen, der Neuentwicklung von Ideen und der Entwicklung von Strategien für ein besseres Mit- und Nebeneinander. Das vielen als so selbstverständlich erscheinende Streckenkonzept im Castorwiderstand haben sich die unterschiedlichen Strömungen in langen Streits einander abgerungen. Die Positionen sind geklärt, eine Strategie entwickelt, die sich gegenseitig stützt und der Phantasie und Wirksamkeit des Castorstoppens hat das mit Sicherheit keinen Abbruch getan. Das Nebeneinander ist hier ein Miteinander, das viel wirkungsvoller ist als eine erzwungene, scheinbare Einheit. Leider ist dieses Beispiel eine ziemliche Ausnahme.

(62) Dominanzen und die oben genannten Ängste abwickeln können wir, indem wir alle Zentralen abschaffen. Streitpunkte werden nur in Betroffenen- und Interessiertenplena diskutiert. Das ist produktiver. Ein Hauptplenum dient nur der Transparenz, der Information und dem Austausch. Konsens- und Mehrheitsentscheidungen sind, wie alle Ja-Nein-Entscheidungen, abzulehnen. Wir wollen weder manche ausschließen, zu etwas zwingen oder gemeinsam lauwarme Forderungen, nur weil sie dann gemeinsam sind. Das schließt ja eine Kooperation nicht aus. Das Durchzuziehen, kann Angst vor Streit und Vielfalt abbauen.

(63) Auch die Form von Streit muss sich ändern, d.h. direkte Intervention statt Hinter-dem-Rücken-Ablästern; direkte, offene Auseinandersetzung statt anonymer Mails. Der zur Zeit gängige Stil der (Nicht-)Auseinandersetzung ist mit schuld daran, dass immer wieder Missverständnisse, Vorurteile und unverarbeitete Aggressionen aufkommen.

Problem 8: Angst vor und aktiv gegen Repression

(64) Ob bei Aktionen gegen Herrschaft und Verwertung im Ganzen oder dem Protest gegen Diskriminierung, Umweltzerstörung usw. – immer steht der Staat und die herrschende Rechtsordnung mit seinen Organen gegen uns. Die drohende Gewaltanwendung reicht vom Bullenknüppel bis zur Gefährdung von Ausbildung oder Arbeitsplatz, Druck im sozialen Umfeld oder psychische Einschüchterung. Angst vor solcher Repression kann zur Handlungsunfähigkeit führen. Um das zu verhindern, ist es nötig, die Folgen abzuschätzen, Hilfe, Solidarität und Schutz zu organisieren und zu lernen, mit umzugehen mit dem Ziel, aus der Ohnmacht auszubrechen, handlungsfähig zu bleiben, vom Opfer zum/r AkteurIn zu werden. Selbst im Gerichtssaal, auf der Polizeiwache und im Knast gibt es Möglichkeiten, Inhalte zu transportieren und weiterhin aktiv zu bleiben, leichter ist es bei der Festnahme, im Bullenkessel, vor Bullenketten usw.

(65) Ziel ist ein doppeltes: Zum einen verschafft die Handlungsfähigkeit Chancen der Vermittlung Herrschaftsverhältnissen nach außen, zum anderen hilft sie gegen Ohnmachtsgefühle und Einschüchterung. Daher greifen Antirepression (Repressionsorgane und –handlungen attackieren oder demaskieren) und Repressionsschutz (Schutz vor den Folgen der Repression wie Strafen) ineinander – die Antirepression hilft gegen das fatale Ohnmachtsgefühl, das Ausgeliefertsein gegenüber der Staatsgewalt, in der dann dem Druck z.B. zu Aussagen nachgegeben wird. Und der Repressionsschutz, also das Wissen um Unterstützung und Solidarität, hilft beim offensiven Umgang mit der Repression. All das wird einfacher zu erreichen sein, wenn Gruppen und AkteurInnen, die Rechtshilfe und Repressionsschutz organisieren, mit denen kooperieren, die kreative Antirepressionsideen entwickeln und trainieren. In Broschüren, auf Internetseiten, bei Infoveranstaltungen und Seminaren sollten immer beide mit dabei sein und sich ergänzen – denn zu einer emanzipatorischen Politik gehört beides: Der Schutz vor und der gut nach außen vermittelte Angriff auf Repression!

a. Angst vor Überwachung

(66) Oft führt bereitS die Erwartung von Überwachung in Form von Wanzen oder Spitzeln zu Einschränkungen der Vernetzung, der Tranzparenz usw. Soziale Kontakte in politischen Gruppen werden eingeschränkt, was Dominanzen und Unsicherheit fördert. Der Staatsapparat tut also nichts, außer die Gewissheit zu streuen, daß es den Verfassungsschutz, den Staatsschutz, Überwachung usw. gibt - und erzielt damit Wirkung: Konspirativität statt Tranzparenz. Veränstigung statt Kreativität. Dominanz statt Offenheit. Wichtig ist daher das Abwägen zwischen den tatsächlichen Risiken und dem Nutzen in Form von mehr Menschen die informiert und aktiv sind. Zum Beispiel die Frage was die staatliche Seite mit den Informationen tatsächlich anfangen könnte oder in wieweit mehr Personen die Aktion bereichern würden.

Gefahr „von oben“:

(67) Konspirativität kann Dominanzen massiv steigern, wenn Strukturen auch innerhalb der Gruppe nicht mehr gleichberechtigt einsehbar und Informationen zugänglich sind. Zudem fördert Konspirativität die Gefahr der Bespitzelung: In einer anonymen und ernsten Atmophäre fällt es besonders leicht sich bedeckt zu halten und genau heraus zu filtern was geplant ist.

Chance „von unten“:

(68) Eine politische Gruppe muß auch eine soziale Gruppe sein – also mit der direkten Beziehung zwischen Menschen, mit Offenheit und dem Willen zur Gleichberechtigung. Das kann Ängste abbauen. Wer den Umgang mit Repression diskutiert, Handlungsmöglichkeiten auslotet und trainiert, baut einen Teil der Angst und Unsicherheit ab. Ständige Konspirativität zerstört Vertrauen, hemmt Aktivität und Kreativität. Davon unabhängig ist, daß bei bestimmten Aktionen keine Transparenz möglich ist – das aber ändert nichts daran, daß eine emanzipatorische politische Bewegung grundsätzlich offen, gleichberechtigt und in direkter, sozialer Interaktion organisiert sein soll.

b. Angst vor schlagenden Bullen, Strafen und dem „längeren Hebel“ der Justiz

(69) Keine Frage, diese Angst ist begründet und nachvollziehbar. Manchmal verbergen sich dahinter aber ein übertriebenes Bild der Gesetzeslage und Horrorgeschichten, oft aber auch die Unsicherheit und Angst vor Bullen, Knästen usw. sowie fehlende Ideen und Übung, damit umzugehen. Wichtig ist es zum einen, die eigenen Rechte und Möglichkeiten zu kennen (wielange muß ich höchstens in Gewahrsam sitzen, wie bekomme ich Kontakt nach außen ...) und diese gegenüber der Polizei o.ä. auch klar zu vertreten. Zum anderen hilft, auch weiter die Inhalte, die mensch mit der vorangegangenen Aktion transpotieren wollte, deutlich zu machen. Zumindest Festnahme, Kontrollen, Personalienaufnahme oder Gerichtsprozeß laufen öffentlich und sind somit weiter Teil der Aktion. Selbst auf dem Polizeirevier oder im Knast können weiter Inhalte vermittelt werden – sie erreichen andere Gefangene und helfen einem selbst, sich nicht vollständig handlungsunfähig und ausgeliefert zu fühlen. Politische Vermittlung und Antirepression haben aber nichts mit Aussagen zu tun. Die Fragen der Bullen können höchstens Anlaß sein, eigene Themen zu setzen, niemals dagegen sollten „Anna und Athur“ Namen, Tathergänge schildern, über sich oder andere reden usw. Doch das schränkt kaum ein – vom antistaatlichen Lied, Brecht- oder Mühsam-Gedicht bis zu lautem Nachdenken über das beschissene Leben von Bullen in der Herrschaftsstruktur ist alles möglich. Oder einfach Blödsinn: Die laufende Waschmaschine oder der hungernde Hund zuhause (am besten, wenn mensch sowas gar nicht hat!).

Gefahr „von oben“:

(70) Kreative Antirepression, also der offensive Umgang mit den Organen der Repression, darf nicht zu Leichtsinn führen. Bullen und Spitzel trainieren Verhörmethoden. Es gibt „gute“ und „böse“ Bullen. Beide wollen Dich für sie gewinnen. Daher: Klar eine eigene Strategie durchziehen (am besten vorher in der eigenen Gruppe üben – und immer wieder hinterfragen), sonst aber lieber schweigen! Schweigen ist immer richtig! Antirepression soll die Handlungsmöglichkeiten erweitern, mehr vermitteln – aber das Schweigen bleibt als Möglichkeit immer da! Kreative Antirepression verstärkt Dominanzen und die Gefahr der Kriminalisierung, wenn scheinbare „HeldInnen“ andere zu Experimenten verführen, ohne das eine politische Auseinandersetzung und das Training stattgefunden haben. Zudem kann Antirepression im Einzelfall Aggressionen bei Bullen oder RichterInnen schüren. Das muß Teil der Trainings und Diskussionen sein – in gut überlegten Fällen kann das sogar gewollt sein.

Chance „von unten“:

(71) Trainings und Diskussionen zu Antirepression helfen, sich handlungsfähig zu machen, sich immer der eigenen Position gewiss zu sein und diese zu artikulieren. „Ich bin hier nur für einen begrenzten Zeitraum, die staatliche Seite ist in den Strukturen gefangen“ kann auch mental befreiend wirken gegenüber der ausschließlichen Reduzierung auf das schweigende Opfer von Repression. Wichtiger aber ist noch die Chance, Repression selbst zum Ausgangspunkt politischer Arbeit zu machen

c. Repressionsschutz

(72) Wichtig sind die Rechtshilfestrukturen wie Ermittlungsausschüsse (EAs) oder die dauernde politische Arbeit z.B. von Roter oder Bunter Hilfe. Seminare, Vorträge, direkte Beratung und Mitwirkung in Vorbereitungsgruppen von Aktionen sind sinnvoll, um Hilfestellung zugeben und die Agierenden zu stärken. Hinzu kommen finanzielle und juristische Unterstützung sowie das Wissen, daß nicht alleine mit der Repression klar kommen muss.

Gefahr „von oben“:

(73) Wenn Repressionsschutz intransparent erfolgt und die, denen die Hilfe gilt, in Abhängigkeit beläßt statt ihnen Handlungsmöglichkeiten und Solidarität zu vermitteln, werden Dominanzen verstärkt. Dieses ist zur Zeit immer wieder Praxis des Repressionsschutzes – z.B. in der Reduzierung auf Anweisungen, Hinweisen für „richtiges“ Verhalten und der Weitergabe einer Telefonnummer ohne genaue Information, was dahintersteht. Das bringt die AktivistInnen in ein doppeltes Ausgeliegertsein – dem Staat und der Hilfe von „irgendwo da draußen“ gegenüber. Noch schlimmer wird das, wenn Solidarität und Hilfe selektiv sind, also AktivistInnen nicht mehr sicher sein können, ob sie solche erhalten – z.B. weil sie ungeliebten politischen Strömungen angehören. Viel schlimmer als die intransparente, nicht die Handlungsmöglichkeiten der AkteurInnen selbst stärkende Form des Repressionsschutzes ist kein Repressionsschutz. Vor allem große NGOs, die zudem meist staatsorientierte Positionen vertreten (und damit die repressionsausübende Instanz bejahen), informieren ihre AktivistInnen oft gar nicht zu diesem Thema.

Chance „von unten“:

(74) Repressionsschutz gehört zu einer widerständigen politischen Bewegung dazu. Die Menschen, die sich um solchen kümmern, sind wichtiger Teil des Ganzen. Wenn sie sich als solche auch in den Aktionsvorbereitungen bewegen, können sie viel dafür tun, daß Vertrauen entsteht und Menschen selbstbestimmt entscheiden können, welche Aktionen sie umsetzen wollen. Daher sollten sich Rote und bunte Hilfe sowie alle anderen, die sich um Repressionsschutz kümmern wollen, offensiv in die Diskussionen um Aktionen einbringen, direkte Kontakte knüpfen und direkte Rücksprachen mit Aktionsgruppen schon vor den Aktionen treffen. Das setzt Vertrauen voraus – und das wiederum entsteht nicht allein über eine Telefonnummer auf dem Unterarm.

d. Trainings, Infrastruktur und Diskussionen für den Umgang

(75) Den Umgang in Verhören, im Gerichtssaal, bei der Festnahme usw. sollte mensch trainieren und diskutieren, z.B. auf Camps, in Seminaren und Basisgruppen, Freundeskreisen, AKs usw. Das alles sind eine gute Gelegenheiten, sich Methoden anzueignen und sich selber auszutesten. Bei Aktionen können Info- und Trainingscenter/-treffpunkte geschaffen werden, wo Menschen vorher und währenddessen üben können, Informationen über Aktionsmöglichkeiten, die Örtlichkeit (Stadtpläne mit Markierungen), Rechtshilfe, Anlaufpunkte usw. bekommen. Auch hier gilt wieder, daß Transparenz hilft, Konspirativität viele Menschen in der Ohnmacht beläßt und Dominanzen stärkt.

Gefahr „von oben“:

(76) Trainings dürfen nicht zum Machbarkeitswahn verleiten, außerdem wäre eine ausschließliche Fixierung auf den Umgang mit Repression stark einschränkend für die politische Arbeit.

Chance „von unten“:

(77) Mit den Möglichkeiten, die Subversion, Vermittlung, passiver Widerstand usw. bieten, können Repressionsmaßnahmen zur zweiten Aktion (nach der Aktion, die zur Repression führte) gemacht werden. Das bietet große Chancen, stärker Öffentlichkeit zu erreichen und gerade die hinter Castoren, Nazis, Banken, Abschiebungen usw. stehenden Macht- und Verwertungsinteressen zu genennen, also nicht beim Ein-Punkt-Bezug stehen zu bleiben. Die Repression ist eine Attacke der institutionalisierten Herrschaft auf die Kritik in der Sache – sie offenbart daher die Interessen, die hinter dem Kritisierten stehen. Das ist eine Riesenchance! Kein Bullenübergriff, keine Verhaftung, kein Prozeß und kein Tag Knast sollten mit ungenutzt vorübergehen. Sie bieten Ansatzpunkte für grundlegende Kritik und sogar für die Vermittlung von Visionen, denn wer Bullen und Knast ablehnt, wird auch insgesamt eine herrschaftsfreie Gesellschaft wollen!

e. Repressionsstrukturen und –maßnahmen angreifen

(78) Nötig ist ein politischer und offensiver Umgang mit Repression, in dem auch der staatliche Repressionsapparat als solcher kritisiert wird, da dieser die herrschenden Verhältnisse mitproduziert und stabilisiert. Der Angriff auf Repression kann nicht nur dann erfolgen, wenn wir selbst betroffen sind. Knäste, Gerichte, Bullen, Überwachung, Ordnungsbehörden und Abschiebung sind immer grausam und Symbole einer herrschaftsförmigen Gesellschaft. Sie anzugreifen, kann Macht symbolisieren – in Einzelfällen (Befreiung von Abschiebehäftlingen u.ä.) sogar Menschen direkt helfen.

Gefahr „von oben“:

(79) Offensive Antirepression würde, wenn sie tatsächlich breiter stattfindet, Reaktionen zeigen – und zwar auch seitens der Staatsmacht, die keine Lust hat, wenn ihre VS-Kontaktbüros in den Städten auffliegen (alle MitarbeiterInnen auf Fotoplakaten, die Büros und Autos ständig per Farbbeutel markiert ...), Bullenfahrzeuge platte Reifen oder Buttersäure im Kühlergrill haben, Gerichtstüren zugeklebt oder Wände verziert sind, Prozesse zu politischen Aktionen werden sowie Knäste mit Bildern und Parolen, Blockaden und Aktionen in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte gezerrt werden. Diese Zuspitzung von Repression muß bedacht werden, ohne sich dadurch einschüchtern zu lassen. Denn die Reaktion des Staates ist auch ein Zeichen, daß es ihm wehtut – und das ist, wenn verbunden mit öffentlicher Vermittlung, schließlich ein Ziel.

Chance „von unten“:

(80) Repressionsstrukturen sind eines der offensichtlichsten Merkmale von Herrschaftssystemen. Hier wird deutlich, daß Herrschaft nicht auf Akzeptanz und Zustimmung baut, sondern Kontrolle und Unterdrückung braucht – auch und gerade in der Demokratie, wo der Mythos gestreut wird, die Regierung handele im Auftrag der Menschen. Tatsächlich ist sie die Elite des „Volkes“ – und Volk ist ein Konstrukt, daß von oben organisiert ist und bestimmt ist. Die Menschen müssen über ökonomische Abhängigkeit, mentale Zurichtung und Repressionsdrohung und –anwendung zu Rädchen im System geformt werden. Der Angriff auf diese zentralen Orte der Herrschaftsausübung (neben Repressionsorgane und Behörden noch Schulen, Unis, Betriebe, Arbeitsämter, Militär usw.) eröffnet Debatten, die über Ein-Punkt-Bezüge hinausgehen und visionäre Ziele vermitteln können. Das ist eine große Chance, eine Ausdehnung von Aktionen auf diese Ziele für eine emanzipatorische Politik sehr wichtig.

f. Antirepression und neue Interessierte?

(81) Politische Arbeit soll so angelegt sein, daß sie offen ist, daß mehr Menschen aktiv werden können, daß Befreiung zu einem Prozeß mit immer mehr AkteurInnen wird. Kann kreative Antirepression dazu beitragen?

Gefahr „von oben“:

(82) Wer neu in politische Zusammenhänge kommt, wird aktive Antirepression vielleicht als Überforderung wahrnehmen. Angst und Respekt vor Uniformierten sind vorhanden. Menschen, die scheinbar furchtlos diese symbolisch, subversiv oder direkt attackieren, könnten so wirken, als würden sie „in einer anderen Liga spielen“. Zudem kann das Gefühl aufkommen, immer perfekt vorbereitet zu sein – was Vorsichtsmaßnahmen vergessen läßt. Selbstüberschätzung droht dann.

Chance „von unten“:

(83) Kreative Antirepression muß begründet, geübt und immer wieder reflektiert werden. Es geht nicht (nur) darum, immer „besser“ zu werden, sondern auch solche Aktionsformen zu einem Teil selbstbestimmter Politik zu machen. Wer sich Handlungsmöglichkeiten aneignet, kann Ängste überwinden und Selbstvertrauen gewinnen. Kreative Antirepression z.B. in Gerichtssälen oder bei Festnahmen/Kontrollen bietet zudem auch für die AkteurInnen die Chance, sich mit Visionen jenseits vom Staat auseinanderzusetzen – angesichts der weitverbreiteten Rufen nach mehr Repression (härtere Strafen für Nazis und Vergewaltiger, internationaler Strafgerichtshof usw.) und damit mehr Herrschaft wäre das eine wichtige Debatte. Die visionäre Debatte kann dabei auch Menschen aus der unreflektierten Gefolgschaft staats- und herrschaftsbejahender Gewerkschaften, Kirchen, NGOs und Parteien bzw. der reinen Zuarbeit für zentrale Kader- und Aktionsgruppen herausholen und sie für eine emanzipatorische Politik gewinnen. Wichtig ist in jedem Fall, neuen AkteurInnen die Möglichkeiten von kreativer Antirepression UND Repressionsschutz transparent zu machen (Seminare, Trainings, Infoveranstaltungen, Broschüren usw.).

Problem 9: Angst vor Vereinzelung, Eigenverantwortung, Eigeninitiative und Offenheit

(84) ”Linke” Gruppierungen haben oft was von ”Ersatzfamilie”. Ansonsten aber drücken sich die meisten um wichtige (Drecks-) Arbeit. Die Gruppe als solches bleibt unter sich, mit neuen müsste mensch sich ja Mühe geben. Das führt dazu, dass politisch Interessierte auf einer langen, mühseligen Suche sind, bis sie einen Zusammenhang finden, der zu ihnen und zu dem sie passen. Die politische Arbeit der Gruppe auf der anderen Seite wird wie Briefmarkensammeln betrieben. Wenn mensch mal Zeit und Lust hat, gibt mensch sich Mühe, auch mit der Zuverlässigkeit und Anwesenheit. Sonst ist das Treffen vor Allem ein lustiger Kaffeeklatsch, am besten im Hinterzimmer vom Infoladen: so findet eineN niemensch, die Gruppe plant nichts konkretes, auch sonst passiert nix, aber mensch fühlt sich wohl. Gut, das ist jetzt ein krasses Klischee. Viel anders geht es in vielen Vereinigungen aber tatsächlich nicht ab. Professionelle, große Organisationen haben dafür natürlich ihre eigenen Lösungsideen.

9.a) Lösung von Oben:

(85) Um den AkteurInnen bestimmte Arbeiten aufzudrücken, wobei gewährleistet ist, dass sie auch gemacht wird, bedienen sich typische Vereine und Organisationen der Mechanismen des kapitalistischen Alltags. Sie vergeben Ämter und damit eine Schein- Eigenverantwortung, und die Arbeit wird auch gemacht. So kommt es zu VizekassenwärterInnen und OberwerkzeugkastenbetreuerInnen. Wer kein Amt hat, wird irgendwie anders in den Apparat eingebunden. Das sind die Menschen gewöhnt, so funktioniert ihre Arbeitswelt auch: Teil eines Ganzen, Rädchen im System, alles ist wieder klar. Ansonsten stehen die ”von Oben” nicht so auf Eigenverantwortung oder Eigeninitiative, sie bevorzugen den Zentralismus, der z.T. durch Begriffe wie ”Demokratie” legitimiert wird. So wird die Alltagssozialisation des Rädchen-Seins, der Unmündigkeit und der scheinbaren Wichtigkeit, weil mensch eine Aufgabe, ”Mission” zu erfüllen hat, reproduziert.

(86) Gegen Vereinzelung sind viele Kräuter gewachsen. Basisgruppen bilden Cliquen, Strömungen und größere Organisationen konstruieren sich Identitäten; Vereinsmeierei in Form von Vereinsfesten oder Vereinsfahrten sowie Uniformierung etwa im ”schwarzen Block”, sichtbar gemacht durch Fahnen, Kleidung und ähnlichem, welche das gewisse ”Wir” Gefühl erzeugen. Das Bedürfnis danach kann mensch in den derzeitigen Umständen den Individuen schwerlich zum Vorwurf machen. Die Zeiten sind uns nicht freundlich gesonnen, wir sind weit von einer breiten Zustimmung entfernt, gleichzeitig hat sich das Tempo der ”Entwicklung” stark erhöht, die Temperatur des gesellschaftlichen Klimas ist direkt proportional gesunken. Doch dieses Verhalten bewirkt Verschlossenheit und Abschreckung. Dabei ist Offenheit, um zahlenmäßig zu wachsen, so immanent wichtig.

(87) Das haben einige HierarchistInnen auch erkannt. Bei den meisten Verbänden gibt es eine mythosartige Offenheit: ”hier kann jedeR mitmachen” – leider aber nur als StatistIn oder ZuarbeiterIn, doch das wird nicht dazu gesagt (Hier sei noch mal an die instrumentalisierte Basis von etwa Greenpeace oder Attac! erinnert. Ein anderer Mythos ist der Begriff ”antiautoritäre Linke”, dahinter verbirgt sich nämlich wirklich ein von Dominanzen und Machtkämpfen stark durchzogener Zusammenhang von Gruppen. Hier gehen die richtig fiesen Machtkämpfe ab – und die MackerInnen sind noch nicht mal benennbar, weil die Hierarchie intransparent und unsichtbar ist. Natürlich gibt es kaum Gruppen, die ehrlich genug sind, das von sich zuzugeben. Dies soll aber ein Aufruf an alle sein, die das Gefühl haben, dass bei ihnen nicht alles so emanzipatorisch ist wie es sein sollte, das Problem anzusprechen und anzugehen.

9.b) Lösung von Unten:

(88) Bei diesem Punkt handelt es sich um Bedürfnisse von Menschen, auf deren emanzipatorische Behandlung auch wir wenig Antwort wissen. Dem Mangel an Eigenverantwortung und Eigeninitiative mag durch eine projektorientierte Arbeit beigekommen werden; vielleicht steigt die Aktivität und Zuverlässigkeit wenn sich die AkteurInnen mit einem Projekt identifizieren. Das Problem, dass sie dann auf ein Projekt fixiert sind und nach dessen Beendigung sich wieder zurückziehen, oder aber bei all zu langer Arbeit an einer Sache das Interesse verlieren, ist jedoch gegeben.

(89) Transparenz durch Verlinkung, Vernetzung und Informierung ohne der derzeit üblichen Zensierungen nach Gut- und Schlechtdünken ermöglicht es Individuen, einen Handlungsrahmen zu finden. Gruppen sollten sich sichtbar machen, indem sie mit anderen gemeinsam Veranstaltungen machen, auf Flugblättern Telefonnummern angeben, so dass eine Person greifbar wird, falls jemensch aktiv werden will und sich an jemenschen wenden möchte. Vernetzung muss viel konkreter werden: Wir müssen unseren Mailinglistenwahn abbauen und so eine Entanonymisierung einleiten. Das kann Offenheit und Transparenz schaffen, was wichtige Voraussetzungen sind, um attraktiv zu sein. Sonst landen alle Menschen, die auch wir als Radikalere hätten ansprechen können bei Attac! Und warum? Weil das offen und attraktiv ist, während wir in Hinterzimmern und Kellerverliesen sitzen, wo uns niemensch sieht, sich hintraut oder gar hinverirrt.

(90) Ideen, wie der Vereinzelung entgegengewirkt, Offenheit hergestellt und Politik lebbar gemacht werden kann, während die ”von oben” Methoden umgangen werden, haben wir keine neuen.
Soziale Verhältnisse sollen prozesshaft verändert werden, das heißt, dass wir unsere sozialen Interaktionen analysieren und verändern müssen, um von marktlogischem Verhalten wegzukommen. Die bisherigen Konzepte (Kommunen, Selbstverwaltete Betriebe) sind kritisch zu betrachten und zu analysieren, da sie alle in ihrem Anspruch komplett gescheitert sind. Neue, gute Ideen und Konzepte fehlen gänzlich, sind aber unbedingt und dringend notwendig. Denn der Egoismus und die Eigentumslogik haben kollektive und emanzipatorische Projekte bisher extrem erschwert und verunmöglicht. Wir müssen an einer Lösung dieses Problem arbeiten, um in der Lage zu sein, uns echte Freiräume zu erkämpfen und zu erhalten.

Problem 10: Kommunikation

(91) Nicht statt findende oder falsch laufende Kommunikation in der Gesellschaft, aber auch in „unseren“ Zusammenhängen, wird immer wieder als Problem benannt – bei genauerem Hinsehen mit vielen verschiedenen Hintergründen: Das Verhalten in Diskussionsrunden ist oft sehr mackerhaft geprägt, das heißt, sie folgt patriarchalen Sieg-Niederlage-Logiken (“jemanden platt machen” usw.), es geht ums Gewinnen, nicht um produktiv-inhaltlichen Austausch. Zu oft geht es gar nicht um Meinungsaustausch, Debatte oder Ähnlichem, sondern um die Wirkung im (schweigenden) Publikum; eine “Arenaatmosphäre” entsteht, die ganze Diskussion verkommt zu einem „verbalen Schwanzvergleich“.

(92) Dazu kommen vielfach belehrungsartige, von oben herab sehende Kommunikationsformen, Dominanzrhetorik – vor allem gegenüber Frauen, Jüngeren und neuen Leuten, denen z.B. auf Plena immer wieder mit Arroganz und Selbstüberlegenheit begegnet wird. Die Neigung, mit vermeintlich objektiven Wahrheiten und “Wir”-Konstruktionen zu reden, entpersonalisierten Formeln und Verallgemeinerungen (‚man‘ sollte...) verschleiern den subjektiven Charakter der eigenen Beiträge und machen diese unangreifbar. Monologe, bewusstes Unterbrechen und das unsensible Nicht-Eingehen auf einander verhindern gleichberechtigte Prozesse und sind auch persönlich belastend.

(93) Kommunikation hat viele Ebenen und Facetten. Es geht mit Nichten immer nur um den Inhalt geleisteter Redebeiträge. Die Form, wie diese vorgetragen werden kann davon nicht getrennt werden, ist sie doch ausschlaggebend für die Bereitschaft anderer, den Inhalt überhaupt für sich anzunehmen, dem/der Redenden überhaupt zuzuhören. Dazu gehören der Tonfall, die Lautstärke, die Stilmittel – Zynismus und Sarkasmus zum Beispiel können sehr verletzende, der Erniedrigung anderer dienende Stilmittel sein – die Mimik und Gestik und eine Reihe anderer Faktoren, die Kommunikation beeinflussen. Zusätzlich zu dieser formalen und der inhaltlichen Ebene existiert auch noch die emotionale Ebene, die sich sowohl auf das emotionale Verhältnis zwischen SenderIn und EmpfängerIn, wie auch auf das Verhältnis der beiden beteiligten KommunikationspartnerInnen zum transportierten Inhalt bezieht. Wichtig anzumerken ist vielleicht, dass Kommunikation auch auf non-verbaler Ebene stattfindet, was berücksichtigt werden sollte – etwa bei Sitzanordnungen.

10.a) Lösung von Oben:

(94) Teilweise existiert kein Problembewusstsein, es geht wirklich immer darum, den Kampf zu gewinnen, d.h. Machtmittel sind “Normalität” usw.. Um sicher zu gehen, dass der Kampf auch gewonnen wird, besuchen die Wichtigmenschen auch Rhetoriktrainings. Damit ist das Ungleichgewicht zu allen anderen noch mehr manifestiert. Hieraus kann auch das Problem entstehen, dass gar nicht mehr die sinnvollsten, plausibelsten oder brauchbarsten Vorschläge vereinbart werden, sondern die am geschicktesten vorgetragenen.

(95) Es werden hierarchische Strukturen erhalten und immer wieder gefördert, die gleichberechtigte Kommunikation unmöglich machen, z.B. Podiumsdiskussionen, Vorträge oder ExpertInnenrunden, in denen es klare Trennungen und Hierarchien zwischen Publikum und AkteurInnen gibt. Aus der Kompetenz bzw. der Wissensvorsprung des / der Redenden werden Vorrechte (Redezeit usw.) abgeleitet; gegenüber “StörerInnen” und Unzufriedenen wird dies als Totschlagargument benutzt. Veränderungen und neuen Formen steht ein erheblicher Strukturkonservatismus in der “Linken” entgegen, an alten – selbst bei offensichtlichen Mängeln – Methoden festzuhalten (Beispiel Open Space: immer wieder für Kongresse vorgeschlagen, jedes Mal komplett abgelehnt oder bewusst falsch verstanden, erklärt bzw. umgesetzt).

(96) Nicht nur in Verbänden und NGOs, auch in weiten Teilen eher desorganisierter Zusammenhänge haben sich Methoden zur Steuerung von Kommunikation durchgesetzt: Moderation (Gesprächsleitung) oder Redelisten erhöhen zwar oftmals die Effektivität, Gleichberechtigung wird aber nicht verwirklicht: Wenn die Verantwortung an einzelne Personen abgeschoben wird, wird eine gemeinsame Lösung unmöglich, da sich die Beteiligten nicht verantwortlich fühlen oder genötigt sind, eigenes Verhalten zu reflektieren. Verregelungen lösen das Problem also nicht.

(97) Auch in linken Strukturen wird in der Regel mit Herrschaftsmitteln Kommunikation “geregelt”. Wenn Verleumdungen, Druck zur Anpassung, rhetorisches “Plattmachen” nicht ausreichen, gibt es immer noch Zensur oder völligen Ausschluss (als Pseudolösung) von unliebsamen Positionen u. Personen aus dem Prozess.

10.b) Lösung von Unten:

(98) Ausgangspunkt ist, in der Gruppe eine kontinuierliche Analyse der Probleme zu entwickeln, die eine emanzipatorischen Kommunikation verhindern. Dazu gehören Dominanzverhältnisse (wer Angst vor Ausschluss hat, kann nicht frei reden), gesellschaftliche Konstruktionen (Äußerungen von Frauen oder Jüngeren werden weniger gewichtet, ungeachtet ihrer inhaltlichen Qualität), ungleiche Ausdrucksmöglichkeiten usw. Gegenstrategien anhand von gemeinsam festgelegten Zielen (Gleichberechtigung, Autonomie, Effektivität, Kreativität) ausrichten.

(99) Wir sollten Kommunikation als Austausch von Meinungen zum Ziele der Weiterentwicklung der verschiedenen Persönlichkeiten, Ideen und Gruppen verstehen – ohne Belehrung, endgültige Wahrheit, Wettkampflogik und Dominanzen – eine Idee, die immer wieder neu vermittelt und mit Leben gefüllt werden muss. Dazu notwendig ist die Schaffung eines diskriminierungsfreien geistigen Raumes, in der jedeR ausreden kann u. nicht befürchten muss, “fertig” gemacht zu werden.

(100) Kommunikation ist ein sozialer (Lern-)Prozess aller, für den wir zusammen verantwortlich sind. Das bedeutet z.B. vor Gesprächsrunden kollektiv zu vereinbaren, wie wir uns zueinander verhalten wollen, während des Gesprächs gegenseitig auf Monologe, Dominanzen oder unsensibles Verhalten hinzuweisen. Direkte Intervention, d.h. das unmittelbare Ansprechen von Fehlern, Problemen und Bedürfnissen, ist ein wichtiges Mittel, um die Kommunikation aus der Gruppe heraus zu organisieren und Verregelungen, übergeordnete Instanzen überflüssig zu machen.

(101) Wir sehen die Welt nicht neutral, sondern vor dem Hintergrund subjektiver und teilweise tief verinnerlichten Rollenerwartungen und Vorurteilen (aufgrund Aussehen, Herkunft, Geschlecht, Alter usw.) – viele dieser Stereotypien verhindern ein Verständnis, intensives Kennenlernen und eine solidarische Debatte. Erwartungshaltungen und Stereotypien können allein oder (besser) gemeinsam aufgedeckt, hinterfragt und dekonstruiert werden.

(102) Statt entpersönlichenden, verobjektivierten Redewendungen sind persönliche, streitbare Formen der Kommunikation besser, da sie die Subjektivität offen zugeben und bejahen (“ich finde, dass...”). Wichtig ist, immer wieder darauf zu achten, “bei sich selbst bleiben”, d.h. eigene Wünsche und Vorstellungen einzubringen und nicht als Kollektivmeinung (“Wir müssen jetzt...”) zu konstruieren. Es handelt sich um sog. „Ich-Botschaften“. Du wirst leicht beobachten können, dass die Aggressivität, die aus überhöhter Selbstbewertung entsteht, schnell zurückgeht, wenn der/die/dasjenige immer wieder dazu aufgefordert wird, über sich selbst zu sprechen, in den Sätzen in der ersten Person zu bleiben.

(103) Wichtig ist für alle, die eigene Sensibilität zu steigern, zu lernen, die eigene Dominanz auch mal zurück zu nehmen, Freiräume zu lassen, anderen zu zuhören, Aufmerksamkeit zu geben, und den Prozess zu beobachten und Bedürfnisse der anderen erkennen. Damit ist nicht die ansozialisierte Selbstlosigkeit gemeint, die es vielen Frauen oder anderen stärker unterdrückten immer noch schwierig macht, sich in Debatten einzubringen, offensiv für eigene Interessen einzutreten. Rücksichtsvoller Umgang darf nicht gegen die Selbstentfaltung und eigene Bedürfnisse gerichtet sein.

(104) Bei härteren Fällen von Mackerrhetorik oder bewusster Rededominanz mit Direkter Intervention antworten, d.h. Thematisierung, Irritation, Parodisierungen anwenden, um dominantes Redeverhalten bloß zu stellen und (Selbst-) Veränderung einzufordern. Es geht darum, die verschiedenen Ebenen von Kommunikation aufzudecken. Direkte Intervention richtet sich gegen etwaige Unterschwelligkeiten oder ganz bewusste Dominanzrhetorik oder verletzenden Tonfall. Der/die Betroffene wechselt die Ebene des Gesprächs und legt somit die ganzen mitschwingenden Kommunikationsmittel offen. ErSieEs könnte zum Beispiel laut sagen: „Aua, Du hast mich verletzt“. Übertriebene Gestik ist sinnvoll, um erniedrigende oder mackerhafte Verhaltensweisen deutlich zu machen, sowohl als Nachahmung der Gebaerden des/der Redenden, als auch als Reaktion, wie Du Dich durch den/die andereN behandelt fühlst. Das könnte zum Beispiel ein sich-an-die-Wand-gedraengt-fühlen sein, Du könntest vor dem auf Dich gezeigten Finger der/desjenigen die Hände erheben oder Dich auffällig in Dich zusammenfallen lassen.

(105) Grundsätzlich sollte die Begegnung aber mit einem Gefühl von „Gleichmut“ geschehen. Gleichmut zu haben, bedeutet nicht seiner/ihrerseits wiederum nun SiegerIn zu werden, sondern zu versuchen, die Position des/der anderen zu verstehen, auch seine/ihre eventuelle Wut bzw. den Anlass seiner/ihrer Aggression mit-zu-fühlen, um dann aus dieser Position heraus – mit Verständnis für des/dies/das andereN – die Situation zu überwinden. Gleichmut bedeutet ausgeglichen sein, Mitgefühl zu pflegen und ruhig zu bleiben. Das ist manchmal ganz schön schwer, aber Du kannst bestimmt erleben, wie viel weniger anstrengend Kommunikation – auch Streit und Diskussion – wird, wenn die Eskalationsspirale in der Kommunikation aufgehalten wird. Eine Möglichkeit, Verständnis und Ausgeglichenheit zu transportieren, dem/der anderen fühlen zu lassen, dass Du Dich um Mit-Gefühl bemühst, kann Körperkontakt sein. Je nachdem., wie gut ihr Euch kennt, kannst Du den/die AggressorIn kurz am Arm oder auf der Schulter berühren, in den Arm nehmen oder an den Händen fassen. Du solltest hier vorsichtig sein, nicht die Grenzen des/der anderen zu überschreiten. Ob und in wiefern Du Körperkontakt aufnimmst, hängt stark mit Deiner Beziehung zu Deinem/r Gegenüber und der Situation zusammen.

(106) Es geht nicht um Harmoniesucht, erzwungene Friedlichkeit oder „wir lieben und doch alle“ Mentalität. Es geht darum, die Dominanzen und Schwierigkeiten von Kommunikation zu sehen, zu analysieren und zu überwinden – auf emanzipatorische Art. Unsere Kommunikation ist – wie unsere anderen Lebensbereiche auch – von patriarchalen und kapitalistischen Logiken durchzogen. Streit , Kritik und Diskussion sind notwendig und wichtig. Sie sollten aber jenseits von „Kampf“ oder „Verwertung“ stattfinden, wenn wir einen emanzipatorischen Umgang miteinander pflegen möchten.

(107) Wie die Problematik von Kommunikation nach außen / innen vermittelt werden kann (außer Direkter Intervention und Kommunikationsguerilla), bleibt momentan eine offene Frage, da der Appell, die Gruppen sollen das irgendwie machen, noch nie funktioniert hat. Vermutlich wird es notwendig sein, Konferenzen, Seminare und Trainings zum gesamten Organisierung von Unten Komplex zu veranstalten. Allerdings ist es immer ein Anfang, wenn diejenigen, die dieses Papier lesen oder an seiner Weiterentwicklung interessiert oder schon beteiligt sind, versuchen, diese Ansätze bei sich selbst zu verwirklichen ( was immer nur ein Prozess ohne endgültiges Ergebnis sein kann) und in das eigene Umfeld zu tragen. Die Erfahrung hat bereits gezeigt, wie heilsam Kommunikationsinterventionen auf Bündnisplena sein können. Es handelt sich dabei um einen mühsamen Akt des immer wieder Bewusstmachens, wie wir alle uns gerade verhalten. Der lohnt sich jedoch, weil in einer verbesserten Kommunikationsatmosphäre, auch die besseren Inhalte transportiert und somit bessere Beschlüsse gefasst werden.

III. Abschließendes und konkrete Pläne zur Umsetzung

(108) Auf mehreren Treffen haben einzelne Menschen aus dem Hoppetosse Zusammenhang dieses Papier erarbeitet. Dabei haben wir versucht, uns auch konkrete Projekte auszudenken, die wir uns vornehmen wollen oder die wir anderen zur Verwirklichung vorschlagen möchten. Dieses Protokoll ist nichts weiter als ein Ansatz. Es muss ständig erneuert und erweitert und an der Praxis überprüft werden. Neue Erfahrungen sollten miteinbezogen, Punkte in Diskussionen Verändert werden. Es wird von einzelnen Hoppetossies immer wieder zu Treffen aufgerufen werden. Wir laden ausdrücklich alle Menschen, die sich für dieses Projekt und seine Verwirklichung interessieren, ein, mitzumachen. Dieses Projekt wird niemals beendet sein, auch nicht nach einer Revolution.

(109) Alle Kritik an Organisationen, Gruppen und Personen, die in diesem Papier vorkommt, ist solidarisch gemeint und soll dazu dienen, die kritisierten und allen LeserInnen zu einer Reflexion über ihre Strukturen und ihre Arbeitsweise anzustoßen. Wir möchten Alternativen aufzeigen und Auswege aus verfahrenen Situationen aufweisen. Wir haben eine Vision , die herrschaftsfreie Gesellschaft, und wir möchten für sie kämpfen, sie leben und sie hörbar und sichtbar machen. Eine andere Welt ist möglich – sie fängt heute in Dir an. Vieles muss anders werden, neu werden, in der ”Linken”, damit es nicht nur weiter geht, sondern vorwärts. Die Linke bist Du, erneuere Dich.
Unsere konkreten Pläne stellen wir nun hier vor. Updates und mehr Infos zu diesen und auch sonst allem unter >http://www.hoppetosse.net und auf der Mailingliste ”hoppetosse”.

Konkrete Vorschläge:
Buchprojekt(e) zu Direkter Aktion und Repression

(110) Wir wollen ein Buch zu kreativem Umgang mit Gerichten, Gefängnis und Verhören machen – einmal als Tipps, zum anderen mit Interviews und Berichten mit Leuten, die schon mal in den Klauen der Repressionsbehörden mit kreativen Mitteln (vielfältig Angreifen statt eingeschüchtertes Schweigen&Rechtstaktieren) einen Prozeß, einen Bullenkontakt oder sogar Knastaufenthalte zu einer politischen Aktion gemacht haben.
Eventuell kann das Ganze auch als Kapitel in einem umfangreichen (nötigen!) Buch zu kreativem Widerstand und direkter Aktion erscheinen.
Die einzelnen Kapitel und Texte sollen auch auf den Seminaren (siehe nächster Absatz) diskutiert und weiterentwickelt werden.

Seminare, Veranstaltungen usw.

(111) Wir wollen Seminare und Veranstaltungen zu Themen wie ”Selbstorganisierung in Alltag und Politik”, ”Direkte Aktionen”, ”Kreativer Umgang mit Repression”, Presse-/Öffentlichkeitsarbeit, Finanzierung/materielle Ressourcen, Mitmischen in Bündnissen und Netzwerken, Zeitungmachen usw. organisieren. Als Modell haben wir im Kopf, daß Basisgruppen, die an einem Thema interessiert sind (also sich Wissen auch selbst aneignen wollen) überlegen können, ob sie den technischen Rahmen organisieren (Unterkunft, Räume, Verpflegung, Einladung usw.) und überregional nach ReferentInnen u.ä. gesucht bzw. zusätzlich dort geworben wird. Wir wollen uns an der Initiative beteiligen, die von den Seminarhäusern in Verden und Saasen ausgeht und zu einem gemeinsamen, bundesweiten Seminarprogramm für solche Themen führen soll. Dafür ist ein Treffen für den 21.-23.12. in Saasen in Aussicht – das wäre dann auch der richtige Termin, bis sich Basisgruppen u.ä. überlegen könnten, ob sie ein solches Seminar anbieten wollen.

Direct-Action-Koffer

(112) Wir haben über einen ”EinsteigerInnen-Koffer” geredet mit Aktionsmaterial und –anleitungen. Näheres verschweigen wir ... er kann über Büchertische und Zentren vertrieben werden.

Mitwirkung in Bündnissen

(113) Wir halten es für nötig, in Bündnissen mitzuwirken. Organisierung von unten widerspricht aber Vertretungsprinzipien. Andererseits wollen wir klar Flagge zeigen mit emanzipatorischen Positionen, Entscheidungsfindungsverfahren ”von unten” und kreativen Aktionsideen. Daher machen wir im Hoppetosse-Netzwerk folgenden Vorschlag: Wer (als Einzelperson oder Gruppe) zu einem Bündnistreffen (z.B. Vorbereitung für Aktionen, inhaltliche Bündnisse usw.) fährt, kann dort auch sagen, zum ”Hoppetosse-Netzwerk” zu gehören (allerdings nicht für dieses oder die Leute dort zu reden und zu entscheiden!!!), wenn die Person oder Gruppe das vorher auf der Mailingliste ankündigt und Anregungen zum Einbringen in das Treffen sammelt (und die auch einbringt unabhängig von der eigenen Meinung dazu – allerdings eben immer als Meinung der absendenden Gruppe/Person, nicht der tatsächlich zum Treffen gehenden) sowie anschließend auf der Mailingliste von den Ergebnissen berichtet.
Ziel ist, auf solchen Treffen emanzipatorische Positionen einzubringen, damit einerseits politische Arbeit verändern, andererseits aber auch (z.T. im Streit mit NGOs, autoritärer Linker, DominanzlerInnen usw.) neue Kontakte schließen.

Neues Zeitungsprojekt

(114) Hauptzeitung: Ziel ist eine neue Zeitung in einer kompletten thematischen Breite, deren Kern kreativer Widerstand und emanzipatorische Positionen/Visionen sind. Organisatorisch könnte es so aussehen:
Autonome Themenredaktionen z.B. zu ”Umweltschutz von unten”, ”Gender/Queer/Feminismus ...”, ”Kreativer Widerstand, Strategien, Direkte Aktion”, ”Antira/Antifa ...”, ”FreiRäume/Kommunen/Betriebe ...” oder irgendwie anderes aufgetreilt, z.B. mit je 2-4 Seiten und immer verbunden mit einer Internetseite, wo dann eine Übersicht über weitere Texte, Links usw. zu finden ist.
Regionale UnterstützerInnengruppen (Verteilung, Verkauf, Mitfinanzierung, Mitarbeit).
Regionale Einlagen (Regionalzeitung einlegen und Etikett auf Titel ”Mit ... aus ...” u.ä.)
Sonderhefte: Als Sonderausgabe der neuen Zeitung erscheinen zudem zu großen Aktionen oder besonderen Kampagnen Mobizeitungen ”von unten”. Das Prinzip der Mobilisierungszeitungen mit Regionalausgabe (z.B. 4 Seiten, davon 1-2 regional einschließlich Titel), vor allem vor den Anti-Expo-Aktionen erfolgreich umgesetzt, danach wieder ”vergessen” (welch Rückentwicklung von politischen Gruppen auf Zentralismus und Nebeneinander!) bzw. rudimentär versucht (Genua-”BewegungsmelderIn”, Anti-Wahl- Zeitung „Macht Nix“) sollte ”kultiviert” und als Mindeststandard in Zukunft immer wieder erreicht werden. Wenn es zum Projekt einer neuen Zeitung gehört, kann das erreicht werden.
Mehr unter >http://www.projektwerkstatt.de/zeitung.

Nächstes Treffen

(115) 24.-28. August 2002 in der Projektwerkstatt Saasen. Siehe >http://www.hoppetosse.net.

(116) Zusätzlich sei auf das schon vorhandene Projekt ”HierarchNIE” hingewiesen, das im Zusammenhang des Hoppetosse-Netzwerkes entstanden ist. Es setzt sich mit kreativen Gruppenmethoden und Entscheidungsfindung von unten auseinander (siehe unter >http://www.hoppetosse.net).


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