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Thesen für eine solidarische Ökonomie

Maintainer: Hilmar Kunath, Version 1, 13.11.2006
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Ein Diskussionsbeitrag aus dem Arbeitskreis Lokale Ökonomie Hamburg (November 2006)

(1) 1.) Die Versuche der letzten 130 Jahre den Kapitalismus zu überwinden sind gescheitert. Dort, wo Menschen den bisherigen »Staatsapparat« übernahmen, konnte die Gesellschaft nicht grundlegend aktiviert werden, konnten die wirklichen, lebendigen Menschen ihre Lebensumstände, auch ihre Wirtschaft, nicht schrittweise in die eigenen Hände nehmen. Die traditionellen »linken« Konzepte und Parteien bauten auf erziehungsdiktatorischen Vorstellungen auf, waren nicht auf kritische, selbst-tragende, langfristige Aktivierung aus. Im »Arbeiter- und Bauernstaat« hatten die hiermit Angesprochenen keinen bestimmenden Einfluss.

(2) 2.) Aber auch die Versuche, die neuen antikapitalistischen Lebens- und Wirtschaftsweisen »von unten« einzuführen, sind bisher gescheitert. Es ist lehrreich, sich die Geschichte dieser Versuche genau anzusehen. Schon die klassischen Produktiv- und Konsumgenossenschaften des achtzehnten Jahrhunderts wurden schnell von den Marktkräften aufgesogen. Im Markt hielten sich viele noch Jahrzehnte, teilweise bis in die Gegenwart. Aber die allermeisten stehen keineswegs mehr für eine »Keimform« für eine menschlichere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung; sie wollen keine andere als die bestehende. Fast alle heutigen Genossenschaften haben mit dem Marktbezug, mit Ware, Geld, Kapital und darauf aufbauender Staatlichkeit ihren (oft unausgesprochenen) Frieden geschlossen. Berufsrepräsentanten bestimmen weitgehend den Ablauf dieser Organisationen, egal, ob die Mitgliedschaft, die »Genossen«, gerade etwas mehr oder weniger »mitbestimmen«. Im Gegensatz zu den völlig angepassten Genossenschaften gibt es die Sozial- und Selbsthilfegenossenschaften mit einem reformerisch - prokapitalistischen Selbstverständnis. Diese gilt es in eine Debatte um einen neuen solidarwirtschaftlichen Sektor herzlich mit einzubeziehen!

(3) 3.) Die Alternativbewegung der 70er bis 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wiederholte in wenigen Jahren die Marktanpassung der traditionellen Genossenschaftsbewegung. Keiner der tausenden von Ansätzen hatte ein waren- und geldkritisches Grundverständnis. Man wollte sich einfach als »Kollektiv«, anfangs ohne innere Hierarchien, »am Markt bewähren«. In ca. zwei bis zehn Jahren waren daraus ganz »normale« Betriebe und Läden geworden. Die Hierarchien entstanden wieder neu und die allerwenigsten Beteiligten kümmerten sich um die politischen Ansprüche ihrer Gründungsphase. Die Alternativbewegten hatten die Anpassungszwänge ihres eigenen Marktbezuges gewaltig unterschätzt. Trotzdem gibt es auch heute noch massenhaft Leute, die »solidarische Ökonomie« mit dem gemeinsamen Bedienen des ganz gewöhnlichen Warenmarktes verwechseln oder zumindest für problemlos vereinbar halten.

(3.1) 03.12.2006, 20:43, Stefan Merten: Was die "wir-sind-alle-gleich"-Ideologie betrifft, so ist in Freien Projekten eben diese Ideologie in der Regel nicht anzutreffen. Und auch das Zusammenbrechen der entsprechenden Ideologien in konkreten Projekten ist ja zahllos. Vielleicht ist diese Ideologie ja einfach nicht besonders tragfähig. Da die "wir-sind-alle-gleich"-Ideologie eine zutiefst bürgerliche Ideologie ist, scheint mir das auch irgendwie logisch.

(4) 4.) Auch herrscht hier und da die Illusion vor, dass die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte in dieser alten Gesellschaft für sich genommen die Aufgabe einer neuen Gemeinschafts- und Gesellschaftsbildung »von unten« in ihren Anfängen fördern oder gar lösen könnte. Der gegenwärtige Stand der Produktivkräfte gerade in seinen jeweils modernsten Gestalten ist fest in der Hand des Kapitals. Der Fabber (ein sich in der Entwicklung befindender, universeller Kleinteile-Herstellungsapparat) bringt keine neuen gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Welt. Erst entwickelte waren- und wertkritische Gemeinschaften können überhaupt entscheiden, welche Technologien sie wie gestalten wollen. Alles andere dient nur weiter dem Markt und einer weiteren Verselbständigung der menschlichen Wesenskräfte in Form von Arbeitskraft einsaugendem Kapital.

(4.1) 13.11.2006, 14:17, Rolf Köhne: Weil die Thesen 1-3 richtig sind, ist alles übrige falsch. Es ist eine Illusion, "wertkritische" Gemeinschaften könnten einen Beitrag zur überwindung des Kapitalismus leisten. Solche Projekte werden genauso scheitern wie die Genossenschaftsbewegung und die Alternativbewegung.

(4.1.1) Dann aber, 13.11.2006, 14:31, Franz Nahrada: ..scheitert der ganze Antikapitalismus mit. Die Illusion, aus einem Akt des (Staats-) Willens eine neue Welt zu schaffen, ohne Versuch und ohne objektive Struktur, hat sich gründlicher blamiert als alles andere. Vielleicht steckt doch in den neuen Produktivkräften und Kommunikationsmöglichkeiten das entscheidende bisschen Mehr für eine Vergesellschaftungsform jenseits der Wertformen Staat und Kapital, das der bisherigen Alternativbewegung gefehlt hat.

(4.1.1.1) Re: Dann aber, 16.11.2006, 02:45, Rolf Köhne: Sicherlich steckt in den neuen Produktivkräften und Kommunikationsmöglichkeiten das bisschen Mehr für eine Vergesellschaftungsform jenseits von Staat und Kapital. Ich bezweifele aber nach derzeitigem Kenntnisstand, dass lediglich durch vernetzte Gemeinschaften, ohne Einfluß auf die wesentlichen Produktionsmittel und die Infrastruktur, eine solidarische Form von Gesellschaft entstehen kann.

(4.1.1.1.1) Re: Dann aber, 16.11.2006, 11:29, Franz Nahrada: An diesem Punkt laufen gerade die spannendsten Experimente weltweit. Wikipedia, Linux, und ähnliche vernetzte Communities zeigen die Macht und Ohnmacht der aggregierten Wissensproduzenten auf. Die Frage müßte anders gestellt werden: ist die Gemeinschaft derer, die solidarische Ökonomie herbeiführen wollen, imstande, dies anders als eine moralische Forderung vorzutragen? Ist sie in der Lage, den neoliberalen Konsens zu brechen daß es zum wachstumswahnsinnigen Wirtschaften keine Alternative gibt? Wenn ja, dann muß das Funktionieren dieser Alternative hier und heute schon in Ansätzen deutlich gemacht werden können - dann stellt sich auch die Frage des Einflusses auf Staat und Politik anders.
Insoferne ist These 4 tatsächlich falsch formuliert. Sie stellt die neuen Produktivkräfte und den menschlichen Umgang mit ihnen äußerlich gegenüber, anstatt die innere Verbundenheit von postindustrieller Produktion, kultureller Kreativität und kooperativer Vernetzung aufzuzeigen.

(4.1.1.1.1.1) Re: Dann aber, 03.12.2006, 20:35, Stefan Merten: Ich stimme selbstverständlich mit dir überein, aber mit "Ist sie in der Lage, den neoliberalen Konsens zu brechen daß es zum wachstumswahnsinnigen Wirtschaften keine Alternative gibt?" stellst du die falsche Frage. Hier legst du die beschriebene Bewegung wieder in das Korsett der alten Fragestellungen. Damit zwängst du sie wieder nur in die Anti-These - wo sie aber vielmehr die Synthese bildet. Und in der Synthese sind diese Fragen aufgehoben. Ob und wieviel Wachstum muss aus der Synthese heraus beantwortet werden und das kann dann ggf. noch viel wahnsinniger sein - mal vorausgesetzt, dass einem Begriff wie Wachstum überhaupt noch eine Bedeutung zugewiesen werden kann - was getrost bezweifelt werden darf.

(4.2) 18.11.2006, 13:28, Rolf Köhne: Das Kernproblem der tauschwertbasierten Ökonomie besteht darin, dass die Vergesellschaftung durch Konkurrenz und erst nach der Produktion erfolgt. Um das Problem zu beseitigen, muss man weltweit den Wirtschaftsprozess so ordnen, dass durch solidarische Kooperation die Ökonomie der Bedürfnisbefriedigung aller Menschen dient. Im Bereich der Produktion immaterieller Güter (Software, Information, Wissen) haben Projekte wie Linux und Wikipedia den Nachweis erbracht, dass solidarische Kooperation effektiver ist als Konkurrenz.
Diese Erfahrungen sind aber auf den Bereich der materiellen Produktion nicht ohne weiteres übertragbar, weil hier Produktionsmittel in ganz anderen Größenordnungen benötigt werden. Deshalb bin ich der Ansicht, dass ohne politische Durchsetzung anderer Rahmenbedingungen (z.B. ein bedingungsloses Grungeinkommen) sich nichts ändern wird.

(4.2.1) 03.12.2006, 20:41, Stefan Merten: Na ja, Informationsgüter hat es immer schon gegeben und wenn solidarische Kooperation immer schon effektiver (sic!) wäre, dann hätten wir solche Phänomeme schon früher erlebt. Nein, zu der Potenz muss eben bei Freier Software und anderen Freien Projekten noch etwas Wichtiges hinzu getreten sein, dass das Potential auch verwirklicht hat. M.E. ist dies das Internet.

(5) 5.) Die Dauerkrise der marktbezogenen Erwerbsarbeit (Lohnarbeit) ermöglicht und erzwingt immer wieder neue Initiativen der bewusst betriebenen Nachbarschaftshilfe, gegenseitiger Hilfe, auch des gemeinschaftlichen Marktbezuges. Kapitalismusüberwindende keimhafte Ansätze entstehen jedoch nur dort, wo bewusst versucht wird, einen (wachsenden und zusammenwachsenden) nicht waren- und wertbezogenen »Innenraum« zu schaffen, also einen vom allgemeinen Markt sorgfältig abgetrennten Erfahrungs- und Beziehungsraum. Ob Genossenschaft oder Kommune, ob lose Gruppe oder eingetragener Verein: Die Rechtsform der jeweiligen Vereinigungen kann sich nur sinnvoll auf den anfangs wahrscheinlich noch nötigen Marktbezug dieser experimentellen Gebilde beziehen. Wem der Markt »das ganze Leben« bedeutet, der oder die soll sich darin erschöpfen. Wem das jedoch nicht genügt, wer einen praktischen Ausweg aus dieser Wertvergesellschaftung sucht, sollte nicht all ihre/seine Lebenskraft, alle Neigungen auf den Markt werfen, sondern sie diesem solidarischen »Innenraum« und damit in einem tieferen Sinne sich selbst gönnen.

(6) 6.) Nötig ist es also, zweigleisig zu verfahren: Einerseits müssen die allermeisten Menschen noch auf irgendeinen Markt gehen, um sich lebensnotwendige Dinge (Wohnung, Lebensmittel...) kaufen zu können. Dabei kann man sich auch auf verschiedene Weisen helfen. Andererseits sollten die verschiedenen Ansätze (egal ob Kommune oder Wohnprojekt, Hausgemeinschaft oder Erwerbslosengruppe, Projektgemeinschaft, Umsonstladen oder Genossenschaft ...) ausdrücklich und bewusst einen Bereich schaffen, in dem sie anfangen, unmittelbar füreinander praktisch-solidarisch zu wirken!! Dann können sie, so wie wir es hier in Hamburg angefangen haben, die Früchte dieses Wirkens den Aktiven dieser Gemeinschaften zur Nutzung geben: Kein Tausch, kein Wert, kein Geld, sondern Nutzen der Dinge und menschliche Kontakte!

(7) 7.) Nur in diesen solidarischen Innenräumen der Gruppen können kapitalismus-überschreitende Wirtschaftsbeziehungen entstehen Nur dort können in einem jahrelangen Prozess die menschlichen Eigenschaften wachsen, um sich in solchen solidarischen Gruppen gestaltend einbringen zu können. Praktische Solidarität im Alltag ist erlernbar. Es ist jedoch nicht sinnvoll, sie einfach idealistisch vorauszusetzen.

(8) 8.) Wenn es den verschiedenen Ansätzen solidarischer, warenkritischer Ökonomie gelingt, praktische, verabredete arbeitsteilige Beziehungen untereinander zu entwickeln, kann sich aus Inseln der Solidarität in einem Meer von Konkurrenz ein gesellschaftlicher Sektor herausbilden, der sich allmählich von den Zwängen des Marktes ablöst.

(8.1) wie geht das?, 13.11.2006, 14:07, Franz Nahrada: Jede Art der Kontaktnahme, jede Art der Verabredung steht unter der Voraussetzung, daß Beziehungen unter den Menschen rechtsförmig geregelt sind. Der Staat hat sein Interesse an einem für das Wertprodukt der Gesellschaft gedeihlichen Umgang der Menschen untereinander längst kodifiziert und ihnen als Bürde an Rechten und Pflichten umgehängt. Individuen, denen diese rechtsförmigen Verpflichtungen und Freiheiten zur zweiten Natur geworden sind, finden nur sehr schwer in "praktische, verabredete arbeitsteilige Beziehungen" - noch dazu wo insbesondere der produktive Bereich arbeitsteiliger Beziehungen mit einer Fülle von impliziten Handlungsverboten belegt ist, ob sie sich Gewerberecht, Handelsrecht, Steuerrecht nennen oder anders. Der neue gesellschaftliche Sektor steht also vor der Voraussetzung, daß seine Handlungsweise in irgendeiner Form geduldet oder sogar erwünscht sein muß, um sich entfalten zu können. Ignorieren hilft da zumeist nicht viel, zumal sich die vermeintlich oder real Zukurzgekommenen in solchen Prozessen irgendwann der Wohltaten staatlicher Regelung erinnern, was schon so manches Projekt endgültig zu Fall gebracht hat.

(9) 9.) Existenziell für ein Wachstum der verschiedenen Projekte ist u.a. ein offener und solidarischer Umgang mit den Fehlern, Grenzen, Schwierigkeiten, auf die die jeweiligen Gruppen stoßen. Wenn eine Teilunternehmung kriselt oder scheitert, sind diese Erfahrungen für alle Aktiven - international - wichtig. Genau zu wissen, warum etwas nicht funktioniert hat, ist ein entscheidendes Element, um Lösungswege für einen bewussteren, gemeinschaftlichen und schließlich gesellschaftlichen Zusammenhang entwickeln zu können. Also, berichtet selbstbewusst und genau von euren Fehlern!

(9.1) 03.12.2006, 20:51, Stefan Merten: Absolut. Und dazu gehört auch eine Forschung über das, was in den 1970er-1990ern alles schief gegangen ist. Und insbesondere die Einsicht, das das Scheitern der "wir-sind-alle-gleich"-Ideologie nicht an zu wenig gutem Willen der Beteiligten gelegen hat, sondern dass es dafür andere, strukturelle Gründe gibt. Diese endlich mal zur Kenntnis zu nehmen scheint mir entscheidend wichtig.

(10) 10) Ein solidarischer Umgang miteinander im Alltag, eine Verbesserung der Lebensumstände durch gegenseitige Unterstützungen kann der gemeinsame Nenner der unterschiedlichen Ansätze und Weltbilder sein. Jedoch wird es kaum möglich sein, ohne die Erkenntnisse aus einer sorgfältigen Analyse, was Waren, Geld und Kapital eigentlich sind, einen Ausweg aus diesen Beeinflussungen zu finden, Die Vergesellschaftung über den Wert haben wir als Teil dieser Gesellschaft so tief verinnerlicht, dass wir diese immer wieder veräußerlichen würden, wenn man uns, beispielsweise auf einer vorher unbewohnten Insel, von diesen Umständen trennen würde...

(11) Als »Tanz um das goldene Kalb« wurde die Wertorientierung schon ansatzweise im »Alten Testament« der Bibel kritisiert. Seit auch global die menschliche Arbeitskraft zur Ware geworden ist, hat diese Orientierung eine neue Qualität bekommen. Die Menschen sind global von den Bewegungen des Kapitals, des sich verselbständigenden sich selbst verwertenden Wertes, abhängig geworden. Das merken sie meistens erst, wenn ihnen diese Art Arbeit dauerhaft entzogen wird. Diese Wertorientierung wächst überall dort wieder neu, wo Menschen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang nicht bewusst gestalten. Deshalb ist es eine Illusion, das Kapital »zähmen« zu wollen, ohne die wirkliche Bestimmung des gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Zusammenhanges gewaltig zu entwickeln. Dabei spielt auch eine selbstständige, selbstbestimmte, kritische Bildung (vielleicht in Freien Volkshochschulen...) eine große Rolle... Wenn sich den Menschen ihr eigener gesellschaftlicher Zusammenhang in Kapital, Ware und Geld verselbständigt hat, dann können sie nur anfangen, diesen ihren Zusammenhang, ausgehend von ihrem alltäglichen Leben, direkter zu gestalten. Dann hat schließlich der Wert, das Kapital, auch wenn diese Kraft noch in dieser Welt ist, keine Bedeutung mehr für sie.

(12) 11.) Die Bestimmung über den gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Zusammenhang in Tat und Wort kann sich nur »mikrologisch« in (Klein-)Gruppen zeigen und sich von dort her gesellschaftlich auswachsen. Wer und wie viele der jeweiligen Gruppenmitglieder bestimmen wirklich den Ablauf und das Konzept des Gruppenlebens? Wer erledigt auch die nötigen, vielleicht unbeliebten Routinearbeiten? Wer redet nur und tut wenig?? Das betrifft auch die Überwindung einseitiger geschlechtlicher Rollenteilungen.

(12.1) Das mikrologische umgedreht, 13.11.2006, 14:14, Franz Nahrada: Es ist aber ebenso absurd, zu glauben, daß in einer Mikrologik alle Funktionsprinzipien einer neuen Gesellschaft zugleich hervorgebracht werden können. Wo ihre produktiven Potenzen fehlen, bleiben oft nur Zumutungen an die Einzelnen über. Daraus hilft nur die "hyperzyklische" Logik des Zusammenschlusses, der Arbeitsteiligkeit, der Vernetzung. Wer die ganze neue Welt an einem Ort erfinden will, der wird sie niemals finden.

(13) Gruppen können sich in einem selbstkritischen Bezug die Aufgabe stellen, die reale Bestimmungsgewalt in ihrem Gruppenleben allmählich auf eine wachsende Anzahl von Aktiven zu verlagern. Alle Versuche einer langfristigen Demokratisierung der Beziehungen in den Gruppen können überall in unserer vorgefundenen Gesellschaft nur verändernd ansetzen an einer faktischen Bestimmungsgewalt von ganz wenigen Repräsentanten und Initiatoren dieser Gruppen, die überall die faktische Macht haben. Nur die Anerkennung dieser in fast allen Gruppen vorhandenen Herrschaft und die bewusste, überwindende Arbeit an dieser fest verankerten Struktur von Repräsentanten und Repräsentierten ermöglicht eine allmähliche Aktivierung und Auflösung dieser versteinerten Verhältnisse in lebendige, menschliche Aktivitäten. Schon B. Brecht kritisierte zielsicher: »Viele stehn im Dunklen und wenige stehn im Licht.« Und erst wenn die, welche im Dunkeln stehn, durch tätiges Vertrauen auf ihre eigenen Kräfte sich sichtbar gemacht haben, ist dieses grundlegende Herrschaftsverhältnis gebrochen. (Siehe Papier des AK LÖK »Zur Kritik des Repräsentativsystems.«)

(13.1) 03.12.2006, 20:49, Stefan Merten: Ich halte es für grundfalsch, RepräsentantInnen und IntiatorInnen über einen Kamm zu scheren. Ansonsten wird hier das hohe Lied der "wir-sind-alle-gleich"-Ideologie gesungen. Diese Ideologie kritisch zu hinterfragen und schließlich auf dem bürgerlichen Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen wäre m.E. eine der wichtigsten Voraussetzungen für das, was hier angedacht ist.

(14) 12.) Ein wichtiger Vorläufer für ein Zusammenwachsen verschiedener unterschiedlicher Ansätze ist eine lebendige, kontroverse Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der Marktökonomie. Daraus könnte bei Respekt der diskutierten Unterschiede ein loses Netzwerk entstehen für einen Erfahrungsaustausch und für praktische Verabredungen zwischen den Gruppen. Nötig wäre land - übergreifend, städte - übergreifend füreinander etwas herzustellen und sich dieses wechselseitig ohne direkte Abrechnung zur Verfügung zu stellen. Ein Ansatz wäre eine gemeinsame Liste der Bedürfnisse zu eröffnen und zu pflegen.

(14.1) Hinweis, 13.11.2006, 14:24, Franz Nahrada: auch hier wieder: wenn etwas in real wirkende Dimensionen hinüberwächst, ist der Staat da, um es zu unterbinden. Jede nichtwertförmige Produktion wird eifersüchtig und mit überlegener Gewalt daraufhin untersucht, ob dem Fiskus nicht ein Quentchen Wert entzogen wurde. Dies ist kein Aufruf zur Resignation, sondern dafür, die Nichtwertförmigkeit offensiv zu kodifizieren. Die Grundeinkommensdebatte wäre der richtige Ansatzpunkt dafür.

(14.1.1) Grundeinkommensdebatte, 14.11.2006, 21:02, Benni Bärmann: Wie genau meinst Du das, Franz? Die bisherigen wertkritischen Äußerungen zum Grundeinkommen finde ich nicht hilfreich. Siehe: http://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Grundeinkommen

(14.1.1.1) Re: Grundeinkommensdebatte, 16.11.2006, 11:39, Franz Nahrada: Ich meine das genau so, daß die Alternative "Produktive Zivilgesellschaft oder Sozialstaat" heissen muß. Die Grundeinkommensdebatte ist nur der äußere Anlaß dafür und was ihr geschrieben habt ist ja alles richtig, hilft aber nicht wirklich. Die Idee Grundeinkommen muß übergeleitet werden in systematisch entwirtschaftete Grundversorgung. Die Potentiale der Eigenarbeit weiter künstlich fesseln um noch das letzte Stück Kapital einer "Verwertung" durch Armutsverwaltung zuführen zu können oder sie gerade - wie die Neue Arbeit fordert - bewußt-professionell zu entfalten um den gordischen Knoten der schrumfenden Budgets der sich immer enger um die Menschen zieht zu zerschlagen - das ist die Alternative.

(14.1.1.1.1) Re: Grundeinkommensdebatte, 17.11.2006, 09:30, Benni Bärmann: Wenn Du das so siehst, ist offensichtlich Dein "was ihr geschrieben habt ist ja alles richtig" nicht ernst gemeint. Das ist nämlich genau mein immer wieder gebetsmühlenartig vorgetragener Punkt auf den die versammelte Wertkritik mir bisher noch immer keine Antwort gegeben hat: Es geht um den Prozeß des Übergangs und in dieser Phase des Übergangs kann es garnicht anders heissen als "produktive Zivilgesellschaft und Sozialstaat" (und das bedingungslose Grundeinkommen ist in diesem Sinn die einzig adäquate Form des Sozialstaats).

Oben schreibst Du sehr schön von der "Macht und Ohnmacht der Freien vernetzten Projekte". Worin besteht denn aber diese Ohnmacht? Letzten Endes immer darin individuell immer noch auf die Verwertungsmaschine angewiesen zu sein. Um das zu überwinden braucht es der Schaffung einer kritischen_Masse, nach deren Schaffung sich der Prozeß von selbst trägt. Es reicht durchaus eine engagierte Minderheit um diesen Übergang zu schaffen, nur muss diese halt für die Zeit des Übergangs alimentiert werden (weil die Minderheit der engagierten Reichen nicht ausreicht) und das kann nur bedingungslos gehen, weil sie sonst nicht ihre Stärken, die ja gerade in der bedingungslosen Selbstentfaltung liegen, umsetzen kann.

Wenn ich Dich richtig verstehe sagst Du nun: Neue Arbeit schafft die kritische Masse durch "bewusste professionelle" Entfaltung. Das genau kann aber nicht gehen. Ich kann andere nicht befreien, ich kann ihnen nur die Rahmenbedingungen geben, dass sie sich befreien können. Das widerum kann dann aber durchaus auch bewusstlos geschehen.

(14.1.1.1.1.1) Re: Grundeinkommensdebatte, 17.11.2006, 11:00, Benni Bärmann: Durch diese Diskussion inspiriert hab ich mal ein paar Thesen angefangen: http://aymargeddon.de/laboratorium/index.php/Thesen_zur_Transformation Mitmachen erwünscht.

(14.1.1.1.1.2) Re: Grundeinkommensdebatte, 17.11.2006, 11:43, Franz Nahrada: Ich hab versucht diese Frage auch in den Kontext der Neue-Arbeit Denkwelt zu tragen: 4Fragen
Letztlich hast Du recht daß die produktive Zivilgesellschaft den Sozialstaat braucht, aber zugleich ist die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen eben eine, die den kompensatorischen Charakter des Sozialstaats sprengt. Sozialstaat war und ist eine flankierende Maßnahme, um die Akkumulation von Kapital nicht durch übermäßigen Ausfall des Arbeitsvermögens zu gefährden. Er steht unter dem Generalvorbehalt des Gelingens dieser Akkumulation. Das war eben zumindest bis jetzt so. Frithjof Bergmann ist meines Wissens der erste Mensch der zu den Politikern (in Südafrika) gegangen ist und gesagt hat: die Akkumulation lohnt sich nicht mehr, sie kommt Euch zu teuer. Ich halte das für den Kern der Argumentation, prinzipiell wirst Du aus meinen Bemerkungen schon gesehen haben daß ich genau auf diese Paradoxie "Produktive Zivilgesellschaft und Sozialstaat" abziele. Aber eben nicht so, als könnte man das einfach haben, ohne die Revision der Funktionsweise weiter Teile der Wirtschaft und ohne Beschränkung der Akkumulation (negative Arbeitsmarktpolitik hieße das oder auch geregeltes Konkursverfahren). Wenn Du so willst funktioniert so was überhaupt nur, wenn Du nicht nur staatlicherseits die Köpfe revolutionierst, sondern auch auf der Seite der Unternehmen. Es gibt weiterhin Akkumulation, aber sie funktioniert nicht unbeschränkt. Weil aber unbeschränkte Akkumulation nicht mehr funktioniert, ist das eine reale Alternative. Dazu müßten sich Politiker hinstellen und sich das sagen trauen. Ganz bewußtlos werden solche Rahmenbedingungen sicher nicht geschaffen.

(14.1.1.1.1.2.1) Re: Grundeinkommensdebatte, 18.11.2006, 12:48, Benni Bärmann: Es gibt halt unterschiedliche Vorstellungen darüber, wo der Sozialstaat herkommt. Du nennst die eine. Ich würde es eher so sehen, dass der Sozialstaat ein Ergebnis der Kämpfe der Arbeiterbewegung ist. Wenn diese erlahmt wird ja auch sofort jede Menge davon wieder kassiert (wie wir gerade aktuell erleben). Die Arbeiterbewegung ist nunmal nicht mehr allzu wirksam momentan, deswegen ist es wichtig ein Konzept zu haben, was die Reste von ihr mit den neuen Bewegungen (im weitesten Sinne), die näher an neuen sozialen Verhältnissen dran sind, verknüpfen könnte. Bedingungsloses Grundeinkommen scheint für mich der beste Vertreter im Rennen. Dass es dann nicht wieder so endet wie im ersten Anlauf (Fordismus, Massenarbeiter, Massenkonsum, ökologische Katastrophe) dafür wären dann die "Engagierten" (siehe Thesen) zuständig.

Mit dem "ganz bewusstlos funktioniert es nicht", hast Du wahrscheinlich recht. Nur funktioniert es halt auch nicht "nur bewusst". Das Stöckchen ist zu hoch.

(15) Noch sind diejenigen in den Gruppen, die »über den Tellerrand« hinaus denken und sich ortsübergreifend praktisch verbinden wollen, eine kleine Minderheit. Aber wenn die vielen einzelnen Gruppen sich entschließen, wegen ihrer »Besonderheit« ihres eigenen Ansatzes für sich zu bleiben, dann bleiben sie isoliert und sie können keinen Beitrag leisten zu einer gesellschaftsweit wachsenden, solidarischen Vereinigung, die den Namen verdient.

(15.1) oder anders gesagt, 13.11.2006, 14:26, Franz Nahrada: es muß gelingen, die "Besonderheit" der vielen einzelnen Gruppen positiv "aufzuheben". Dabei ist unter anderm ein Abgrenzungskriterium wichtig: wer sich nicht einmal vorstellen können will, daß die Dinge auch nichtwertförmig abgemacht werden können, der sollte wirklich draußen bleiben.

(15.1.1) Re: oder anders gesagt, 14.11.2006, 21:04, Benni Bärmann: Damit blieben dann sicherlich einige Freie-Software-Projekte draussen. Nur mal als Beispiel. Generell ist es vielleicht nicht so sinnvoll eine Aufforderung zur Vernetzung gleich mal wieder mit Abgrenzungsritualen zu verbinden. Stöckchen halten zum drüberspringen ist auch sowas, was wir überwinden sollten.

(15.2) Umsonst ist nicht genug, 12.12.2006, 14:33, Stefan Meretz: Eine kritische Reflexion der eigenen Praxis im Umsonstladen Hamburg Altona und der Gefahr, zur bloß karitativen Einrichtung zu verkommen, findet sich im Coforum.


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