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Die Kategorie des _Werdens_ bei Hegel

Maintainer: Annette Schlemm, Version 1, 17.02.2004
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1) Diese Fragen beziehen sich auf die Struktur des Hegelschen Kategoriensystems und speziell auf den Vortrag >>Kritik an D.Wandschneiders Werden-Kritik“ von M. Grimsmann.

Anfangsprobleme

(2) Vor dem Problem des >>Werdens<< müssten vielleicht die Erfahrungen der Diskussionen zum Anfang der Logik überhaupt zum Thema gemacht werden. Das Problem besteht hier darin, daß in der Seinslogik noch keine wesenslogischen Reflexionsbestimmungen verwendet werden können. (siehe Henrich 1964):
>>Der Gedanke der unbestimmten Unmittelbarkeit, zunächst als reines Sein genommen, kann als reflexionslose Gleichheit mit sich nur gedacht werden, wenn er statt dessen ebenso sehr als Nichts gefaßt wird. Die Natur dieser Beziehung weiter bestimmen zu wollen, führt mit Notwendigkeit dahin, daß ihr anfänglicher Charakter zerstört wird.<< (Henrich, S. 33)
Schon der Übergang >>Sein -> (Sein - Nichts) ->...<< ist deshalb sehr problematisch:
>>Der Übergang ineinander muß in der gleichen Unmittelbarkeit erfolgen, die ihnen selbst eigentümlich ist, also ohne jede Reflexion auf Form und Inhalt oder einen Gegensatz von Sein und Nichts gegeneinander.<< (ebd., S. 30, kursiv v. mir)
Dadurch unterscheidet sich dieser Übergang von den anderen, die durch inhaltliche Bestimmungen und deren Widersprüchlichkeit funktionieren und es ist deshalb problematisch, daß dieser Anfang oft als besonderes Beispiel zum Erklären der Methode verwendet wird (wobei das schematische >>Anwenden<< einer vom Inhalt getrennten Methode Hegel sowieso nicht angemessen ist).

(3) Wie erklärt sich der Wechsel von >>Werden<< zu >>Dasein<< in der 2. Tabelle bei Euch? (Das ist ja quasi ein >>Zwischenhopser<< zwischen den Triaden.) Es beginnt einfach der Zyklus neu, aber aus dem Resultat >>Werden<< des ersten Zyklus wird im zweiten einfach mit "Dasein" begonnen. D.h.: was motiviert den Übergang vom höchsten Dreieck einer Triade zur nächsten Triade?
Beim Werden wird da argumentiert, dass das Werden das Verschwinden von Sein und Nichts, ist aber gleichzeitig auf ihrem Unterschied (und damit ihrem Bestehen) beruht. Dieser Widerspruch wird schließlich durch das Dasein gelöst. (WdL I, S. 113). Naja... wie gehört so ein Übergang in die Systematik bei Hegel?

(3.1) "Zwischenhopser", 17.02.2004, 23:23, Annette Schlemm: 1. geht es darum, wie das im ersten Zyklus als Resultat Entstandene zum neuen Unmittelbaren des nächsten Zyklus wird. Es gibt da einen Bezug auf die Aussage Kesselrings dazu, daß Vermittlung und Unmittelbarkeit Hilfsbegriffe "Hilfsbegriffe" sind, die von Mal zu Mal in ihrem wechselseitigen Bezug bestimmt werden müssen (Kesselring; vgl. Hegel: VLRel. 156f)

(3.2) 17.02.2004, 23:25, Annette Schlemm: 2. Wie „verändert“ sich das dabei vom „Werden“ zum „Dasein“?
„Genau dann, wenn das Werden, im wechselseitigen Vergehen des Seins und des Nichts, in der Überwindung ihrer Differenz, seine wahre Natur findet, muß es sich zerstören; jener bewegliche Punkt der Indifferenz fixiert sich in einer statischen Einheit und bringt so eine neue Denkbestimmung hervor. In anderen Worten: Die beiden entgegengesetzten Richtungen des Werdens, Entstehen und Vergehen, koinzidieren in einer einzigen Einheit; die Koinzidenz zweier entgegengesetzter Richtungen in einer einzigen „Bewegung“ aber kommt ihrem Stillstand gleich.“ (Movia, S. 22)
Kann mir das mal jemand erklären...?

(3.3) 17.02.2004, 23:26, Annette Schlemm: Die Darlegungen von G.Günther haben mir dazu ganz gut gefallen: Er spricht von diskontexturelle Beziehungen zwischen Kontexturen. (Kontexturen = totaler systematischer Zusammenhang, der in sich geschlossen ist und an dessen Grenze alle in ihm möglichen logischen logischen Ketten abbrechen) (Günther, S. 38)
Nebenbei: Günther thematisiert hier explizit die besondere Struktur des dialektischen Systems (der in seiner Polykontexturalität besteht) gegenüber den klassischen (wo die ganze Welt eine einzige Kontextur ist) UND die Fragestellung des NEUEN im Hegelschen Denken.

>>Werden<< nicht zeitlich gemeint

(4) Dass die zeitliche Veränderung hier nicht schon hingehört, da sind wir uns doch mit Wandschneider einig, oder?
>>Das Ineinander-Oszillieren von Sein und Nichts trägt sich nicht in der Zeit zu: Die Vergangenheitsform wird zur Chiffre des Außerzeitlichen. Mit dem Werden ist bereits (>>an sich<<, wenn auch noch nicht explizit >>gesetzt<<) die Ebene des Wesens erreicht, des Seins, das sich in sich kehrt und das vergangen, aber zeitlos vergangen ist.<< (Movia,. S. 20)

Berechtigung der Kritik: Zeitlicher Aspekt

(5) Darauf kann man vielleicht einfach sagen: So wie Hegel >>Sein<< und >>Nichts<< völlig unbestimmt haben will, so auch >>Werden<< (im Unterschied zum >>Dasein<<, das ist dann das erste Bestimmte). Ein Hineininterpretieren zeitlicher Veränderung ist hier genau so falsch wie das Hineininterpretieren von Bestimmungen ins >>Sein" und >>Nichts<<.
Reicht das aus das zu sagen? Denn andererseits verwendet Hegel die Vorstellung, dass im >>Werden<< doch Sein und Nichts drin steckt und in der Vorstellung ist das auf jeden Fall von zeitlichen Veränderungen geprägt.

Vom Werden zum Dasein

(6) Wo gehört die letzte Tabelle (die mit der Auflösung des Werdens) hin?
Ich würde denken, genau zwischen Werden und Dasein, wonach ich eben gefragt hatte.
Die Reihenfolge würde dann so aussehen:
Sein -> (Sein - Nichts) -> Werden -> (Entstehen - Vergehen) -> Dasein...
(Dann wäre auch: 3. in einem Zyklus = 1. im nächsten Zyklus)

Dann fragt sich wirklich: Wozu wird das Werden gebraucht, wenn es nicht zeitlich gemeint ist??? Eigentlich nur zum >>Umformen<< der eher statischen Aspekte Sein und Nichts in die Bewegungsmomente Entstehen und Vergehen.

Was sind jeweils die >>Momente<< der Totalität?

(7) Einerseits könnte man denken, >>Nichts<< und >>Sein<< seien die Momente des >>Werdens<<. Andererseits werden als Momente bei Hegel >>Entstehen<< und >>Vergehen<< genannt (also Prozesse/Beziehungen/Bewegungen statt statischer Worte).
Beachte: >>Sein<< und >>Nichts<< können keine Momente sein (obwohl es Hegel mal so nennt), weil sie ja beide unmittelbar und nicht miteinander vermittelt sein sollen!

Berechtigung der Kritik: >>Dialektik<< der Unbestimmheit?

(8) An allen anderen Stellen wird die Dialektik eigentlich dadurch >>angetrieben<<, dass alles Bestimmte in sich widersprüchlich ist (entsprechend Spinozas Spruch, alles Bestimmte sei, weil endlich, eine Negation (des anders Bestimmten...).)
Genau dieser Antrieb funktioniert beim absolut abstrakten Sein und Nichts nicht!
Hier muss der >>Antrieb<< wohl doch durch einen >>Zug<< ersetzt werden - dadurch, das der sich selbst erkennende Geist eh schon weiß, wo er hinwill und von >>hinten<< her von einer höheren Einheit, hier dem >>Werden<<, ausgeht und dann schaut, wie er in diesem Unterschiede setzen kann, bis er beim Allerabstraktesten ist, von woher er wieder >>vorwärts<< gehen kann.
Ich denke, diese Situation führt zum Vorwurf des >>Erschleichens<< (zit. bei Wandschneider) bzw. des Vorwurfs der unzureichenden Stichhaltigkeit (Taylor).

Literatur

(9) Grimsmann, Martin (2002): Kritik an D. Wandschneiders Werden-Kritik. Vortrag anlässlich des Hegelkonkgresses in Jena 2002.
Günther, Gotthard (1971): Die historische Kategorie des Neuen. Hegel-Studien 1971. S. 34-61.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (WdL I): Wissenschaft der Logik I. Auf d. Grdl. der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 1990.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (VLRel): Vorlesungen über die Philosophie der Religion. In: G.W.F. Hegel Werke in 20 Bänden Suhrkamp Verlag 1970, Band 16.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (Enz.I): Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag.1986.
Henrich, Dieter (1964): Anfang und Methode der Logik. Hegel-Studien 1964. Bonn: Bouvier-Verlag., S. 19-35.
Kesselring, Thomas (1981): Voraussetzungen und dialektische Struktur des Anfangs der Hegelschen Logik. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 35, S. 563-584
Movia, Giancarlo (2002): Über den Anfang der Hegelschen Logik. In: Wissenschaft der Logik. Hrsg.v. A.F.Koch und F. Schick. Berlin: Akademie-Verlag. S. 11-26.
Taylor, Charles (1998): Hegel. Frankfurt am Main: Suhrkamp.


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