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Schlußbemerkungen

Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 14.02.2004
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1) In der Sparte der Informatik, die sich mit »Neuronalen Netzen« beschäftigt, herrscht ein ziemliches Durcheinander der verschiedenen Begriffe. Das stört solange keinen, wie alle Beteiligten ungefähr wissen oder ahnen, was der/die jeweils Andere meint. Das Durcheinander hat also System, das heißt, es gibt so etwas wie eine unausgesprochene und unreflektierte Übereinkunft in der Informatik. Wir meinen, diese unausgesprochene Übereinkunft, die wir Paradigma genannt haben, in Form der Zuweisungshypothese identifiziert zu haben. Die irrige Annahme, daß Bedeutungen nur durch einen Akt der Zuweisung von Bedeutungen zu Zeichen entstehen können und umgekehrt durch einen Akt der Interpretation der Zeichen wieder als Bedeutungen entschlüsselt werden, ist kennzeichnend für die Informatik insgesamt. Erklärlich ist das stillschweigende Einverständnis über diese Annahme, denn schließlich hat die Informatik andauernd mit Zeichen zu tun. Das Bit ist sozusagen das Urzeichen par excellence. Auf der anderen Seite möchte die Informatik modellieren - alles was ihr in die Finger kommt: Fabrikprozesse, Bürokommunikation, Gehirnvorgänge, Klimavorgänge etc. Andere sprechen vornehmer von Gestaltung (etwa Rolf, 1992). Die Spanne reicht von physikalischen, chemischen und technischen über physiologische bis hin zu psychischen und sozialen Prozessen. Für die Informatik ist alles zugänglich! Turkle (1986) sprach angesichts dessen vom "Imperialismus" der Informatik. Das Problem ist jedoch nicht absichtsvolles, böses Streben, sondern theoretische Unklarheit. Ein Knackpunkt ist dabei die Bedeutung, denn hat man es mit psychischen oder sozialen Prozessen zu tun, so geht es um Bedeutung. Da die meisten Anwendungen für einen bestimmten Zweck in einem sozialen Zusammenhang gemacht werden, steht die Frage der Modellierung der Bedeutungen im Gegenstandsbereich in der Regel auf der Agenda - implizit. Die Leitfrage der Entwicklung ist dabei: Wie kriege ich die Bedeutungen ins System rein? In der Regel verschwinden dann mit den Bedeutungen auch die NutzerInnen der informatischen Produkte im Modell - so sind jedenfalls fast alle Softwareentwicklungsmethoden angelegt (von Strukturierter Analyse bzw. Strukturiertem Design bis hin zu Objektorientierter Analyse/Design: Das wäre in einem Folgeband genauer auszuführen).

(2) Das theoretisch-methodische Eindiffundieren der Nutzenden und ihrer Bedeutungen in das System wird dann auch sprachlich deutlich: »Das System kann jenes«, »das System reagiert soundso«, »das System merkt sich dieses« etc. Der/die NutzerIn ist weg, im System verschwunden, das System an die Stelle getreten. Das wäre gewiß nur eine sprachliche Ungenauigkeit, so ungenau, aber kommunikativ, wie Alltagssprache eben ist - würde diese Ungenauigkeit nicht mit einer konzeptionellen Unklarheit korrespondieren. Genau das ist aber der Fall. Als die Menschen noch mit dem Hammer sinnlich erfahrbar auf den Nagel einschlugen (oder daneben), war das Nutzenden-Werkzeug-Verhältnis noch völlig klar: Die/der Nutzende stand »draußen« und benutzte eben das Werkzeug, und war nicht »im« Hammer und war auch nicht »der« Hammer. Genau das »Verschwinden« des Subjekts »im« System ist bei vielen Theorien oder Beschreibungen von Systemen beobachtbar. Wir haben das in großer Zahl in diesem Buch dargestellt. Was soll beim Computer oder allgemeiner bei informatischen Systemen grundsätzlich anders sein als beim Hammer? Gewiß, sie sind komplexer. Aber sie sind doch genauso wie ein Hammer dafür gemacht worden, um Zwecke zu erfüllen. Eigentlich. Ob sie wirklich die angestrebten Zwecke erfüllen, steht auf einem anderen Blatt - auf dem Blatt der Systementwicklung. Der Kreis schließt sich.

(3) Das Bedeutungsproblem hat der Konnektionismus mit der übrigen Informatik gemein. Etwas besonderes ist das »Lernen«, das »Neuronalen Netzen« als Eigenschaft zugeschrieben wird. Was dabei in derart konstruierten Netzen geschieht, ist die Modellierung einer Alltagsvorstellung von Lernen in Form eines informatischen Systems. Die Überlegung ist: Wenn man Bedeutungen ins System stecken kann, warum nicht auch Lernen? Dieser Alltagslernbegriff läuft verkürzt darauf hinaus, daß Vorgegebenes mehr oder weniger selbständig aufgenommen, geschluckt wird. Das kennt man ja aus der Schule: das, was »gelernt« wird, ist das, was gelehrt wird. Andere wissen schon vorher, was gelehrt werden muß, damit »gelernt« wird. Ich muß mich dem nur noch »lernend« anpassen. »Lernen« als Adaption, als Anpassung an Vorgegebenes ist in vielen »Neuronetz«-Algorithmen abgebildet. Die Algorithmen spiegeln zwar wider, was in dieser Gesellschaft über Lernen gedacht wird, nicht aber, was Lernen von Subjekten wirklich bedeutet. Menschliches Lernen geht nicht ohne Subjekte, die im eigenen Interesse lernen (oder es lassen). Wir haben dies ausführlich und auch in ihrer Widersprüchlichkeit dargestellt.

(4) Häufig ist die Vorstellung anzutreffen, daß man als InformatikerIn ja nicht alles wissen kann. Daher müsse man sich die Ergebnisse aus anderen Disziplinen - wie etwa der Psychologie - besorgen oder direkt mit diesen Disziplinen zusammenarbeiten. Dieser Anspruch ist vom Ansatz her berechtigt, in der Praxis jedoch wenig fruchtbar. Eine solche Haltung übersieht den gewaltigen konzeptionellen Einfluß, den die Informatik als methapherngebende Disziplin auf z.B. die Psychologie ausübt. Wenn die Informatik sich die Psychologie anschaut (jedenfalls in ihrer Mehrheit), dann schaut sie in einen Spiegel. Sie findet dann dort wunderbar kompatible Konzepte, was ihre gehegten Alltagsvorstellungen von psychischen Phänomenen nur bestätigt oder gar noch »fruchtbar« ergänzt. So wie wir über das paradigmatische Grundproblem der Informatik sprachen, müssen wir auf ein entsprechendes Grundproblem der Psychologie hinweisen: die konzeptionelle Ausgrenzung des Individuums, des Subjekts aus der Wissenschaft. Weder der Mainstream der Informatik noch der der Psychologie besitzt einen Subjektbegriff. Beide haben jedoch mit Subjekten zu tun: die Psychologie in Form der Psyche der Menschen, mit denen sie sich - eigentlich - beschäftigt, und die Informatik in Form der Nutzenden der Systeme, die sie gestaltet.

(5) Es gibt Alternativen. Die gibt es immer, schließlich gehört das zum Raum menschlicher Möglichkeiten. Darüber wird auch nachgedacht, wie zum Beispiel die Veröffentlichungen in der Reihe "Theorie der Informatik" oder die Initiative zur Initiierung eines Forschungsprojektes "Ökologische Orientierung in der Informatik" zeigen. Um die Richtung von Alternativen wird und muß gestritten werden. Wir verstehen dieses Buch als Beitrag dazu. Wir haben uns hier nicht explizit mit Theorien der Selbstorganisation auseinandergesetzt. Wie aber deutlich geworden sein sollte, stehen wir diesen Ansätzen skeptisch gegenüber. Unserer Auffassung nach wird den Defiziten in der Informatik nicht dadurch begegnet, daß man einer beobachteten und kritisierten Außendetermination, die auch als Maschinensicht bezeichnet wird (Fischbek, 1995), eine Sicht einer strukturgesteuerten Innendetermination (etwa als "Kybernetik zweiter Ordnung" oder dgl., vgl. von Foerster, 1993) entgegensetzt.

(6) Keil-Slawik und Brennecke (1995) fordern:

"Die Anerkennung des Prinzips der Selbstorganisation bedingt die Einsicht in unsere eigene Ohnmacht der Beherrschung selbstorganisierender Prozesse und erfordert, uns gegenüber Lernprozessen immer wieder neu zu öffnen."
Genau darum kann es nicht gehen. Wichtig ist unserer Auffassung nach die Rekonstruktion des Mensch-Welt-Verhältnisses dergestalt, daß Subjekte als handlungsfähige Menschen begriffen werden können. Oder, um eine Idee von C. Floyd (1995) voranzutreiben: Es geht nicht um Selbstorganisation als abstraktem kybernetischem Prozeß, sondern es geht darum, daß wir uns selbst organisieren.

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