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Notizen über die Abschaffung des Dunkels

Maintainer: Benni Bärmann, Version 1, 07.07.2002
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Peter Høegs Roman ``Der Plan von der Abschaffung des Dunkels''

(1) Das Buch strotzt nur so vor Anspielungen und direkten Verweisen auf die Philosophie des 20. Jahrhunderts. Vielleicht ist das auch die Ursache dafür, dass das Buch für viele etwas Dunkel erscheint. Deswegen möchte ich im Folgenden versuchen etwas Licht ins Dunkel zu bringen und einige Interpretationen versuchen.

Die Moderne und die Dialektik der Aufklärung

(2) Ein zentrales Thema des Buches ist die Moderne und ihr Scheitern an sich selbst. Adorno und Horkheimer haben das schon in den 1930er Jahren in ihrem Buch ``Dialektik der Aufklärung'' beschrieben. Das Thema dort und im ``Plan'' ist, dass die moderne Gesellschaft und mit ihr die Dialektik der Aufklärung einen von Anfang an eingebautes Schema haben, dass ihre eigenen Ziele zu nichte macht.

(3) Die Ziele der Aufklärung bestehen in Vertreibung der Mythen und Erweiterung des Wissens durch Wissenschaft. Der Mensch soll ``mündig'' werden, wie Kant es nennt. Der mündige Mensch im Sinne der Aufklärung ist immer ein Erwachsener im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und historisch war es auch immer ein weißer Mann.

(4) Die ``Helden'' des Buches sind nun aber das genaue Gegenteil. Sie sind unmündig, zum Teil an der Grenze zur Schwachsinnigkeit und diejenige im Dreiergespann von Katharina, Peter und August, die die Ideale der Aufklärung (Das Laboratorium) am verbissensten hochhält ist ausgerechnet eine Frau.

(5) ``Das Licht'' und ``Das Dunkel'' können im Buch gelesen werden als Aufklärung und Mythos. ``Der Plan zur Abschaffung des Dunkels'' ist also das Programm der Aufklärung zur Abschaffung der Mythen. Und genau wie die Aufklärung nach Horkheimer und Adorno in ihrem Höhepunkt in ihr Gegenteil umschlägt (nämlich die faschistische Barbarei und den Holocaust), so erzeugt auch der ``Plan'' nur immer mehr von dem Dunkel, das abzuschaffen er angetreten ist.

(6) Das Buch spielt Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre sowie in einzelnen Abschnitten Anfang der 90er Jahre. In den Gesellschaftswissenschaften ist man sich mehr oder weniger einig, dass in dieser Zeit eine Umwälzung der gesellschaftlichen Strukturen stattgefunden hat. Diese neue Gesellschaft wird mal Postmoderne genannt, mal Postfordismus oder auch mal Kontrollgesellschaft. Diese unterschiedlichen Sichtweisen finden sich im Buch wieder, deswegen will ich kurz beschreiben, was damit gemeint ist.

Fordismus und Postfordismus

(7) Fordismus ist eine Gesellschaftsformation am Ende der Moderne die ihren Namen vom Erfinder der Fließbandproduktion, Henry Ford, hat. Gemeint ist damit aber nicht nur die Fließbandarbeit in der Fabrik sondern eine ganze Gesellschaft: Soziale Sicherungssysteme, Lebenslange Anstellung bei einem Arbeitgeber, vereinheitlichte Massenproduktion ("Sie können jede Farbe haben, solange es schwarz ist"). Es ist ein Deal zwischen Arbeit und Kapital, der darin besteht, dass massenhaft die Arbeiter am Wohlstand beteiligt werden und dadurch auch massenhafter Absatz entsteht.

(8) Anders der Postfordismus: Mangels eines besseren Wortes bezeichnet man so die dem Fordismus folgende Gesellschaftsformation. Tendendziel werden soziale Sicherungssysteme abgebaut, Produktion individualisiert, Eigenverantwortung in der Produktion gefördert, Hierarchien abgebaut. Den Postfordismus kann man verstehen als eine Folge der weltweiten 68er Bewegung und einer Krise des Fordismus, die gezeigt hat, dass so Herrschaft nicht mehr zu organisieren war, weil die Jugend nicht mehr bereit war sich ein Leben in solch starren Formen vorzustellen.

(9) Was hat das mit dem Buch zu tun? Das Buch beschreibt die ersten Erodierungserscheinungen des fordistischen Kompromisses. Am Rande kommen die Hippies vor, die Barfuß in die Schule kommen, ein Lehrerkind verstümmelt sich in einem Akt hilfloser Rebellion gegen die Disziplin. Der ``Plan von der Abschaffung des Dunkels'' wird auch an einer Stelle ``der große Plan von der Integration'' genannt. Das ist genau der Kern des Fordismus: Integration der Massen. Und es sind die zu Integrierenden die das Spiel nicht mehr mitspielen wollen, weil sie die Repression und den Stumpfsinn der damit verbunden ist nicht mehr ertragen wollen. Sie wollen die Furcht nicht länger ertragen, die Grundlage der Disziplin ist.

Disziplinar- und Kontrollgesellschaft

(10) Michel Focault beschreibt die Moderne als Disziplinargesellschaft. Das Individuum wird im Verlauf seines Lebens durch unterschiedliche Institutionen (Famile, Schule, Militär, Fabrik) diszipliniert. Jede dieser Institutionen ist abgeschlossen und bildet eine kleine Welt für sich und mit jeder Stufe wird die Herrschaft in Form der Disziplin in die Subjekte selbst eingeschrieben, so dass sie sich idealerweise schon von ganz alleine so verhalten wie es von ihnen erwünscht wird. Sollten sie sich doch einmal nicht wie gewünscht verhalten, sind nicht mehr die Körper direkt das Ziel der Repression, sondern die Seelen der Individuen sollen ``gebessert'' werden in extra dafür vorgesehenen speziellen Disziplinarinstitutionen allen voran Gefängnis und psychatrische Klink.

(11) Heute findet auch die Disziplinargesellschaft ihr Ende. Die starren Institutionen lösen sich auf, sie werden förmlich in die Gesellschaft exportiert. Die klassischen Institutionen der Disziplinargesellschaft befinden sich in der Krise. Schule wird abgelöst vom Ideal des lebenslangen Lernens, die Familie wird ersetzt durch vielfältige Formen des Zusammenlebens, das Militär übernimmt zunehmend Polizeiaufgaben, die disziplinierte Arbeit in der Fabrik wird abgelöst von der Arbeit in einem Unternehmen mit dem man sich identifizieren soll, Gefangene haben Freigang mit elektronischen Fußfesseln und Irre sieht man auch immer öfter auf der Straße. Dies alles wird jedoch begleitet von einer zunehmenden Kontrolle durch Polizei, private Sicherheitsdienste, Video- und Telefonüberwachung. Das Motto lautet: Möglichst viel Sicherheit nach Außen, möglichst viel Freizügigkeit nach Innen. Maximale Selbstregulierung bei fremdgesetzter Zielsetzung. Ein IBM-Vorstandsvorsitzender hat das einmal, an seine Untergebenen gewandt, auf den Punkt gebracht: ``Tut was ihr wollt, aber seid profitabel!''

(11.1) 08.07.2002, 11:29, Robert Halbhuber: Die Selbstregulation ist ein Selbstlauefer des Zwangs.Die Disziplinargesellschaft ist noch lange nicht am Ende-sie diszipliniert bis zur Euthanasie.Die Legitimaet des Zwangs durch das Prinzip der "abstrakten Arbeit" bleibt bestehen.Die Zwangsarbeit feiert froehliche Urstaende(siehe Australien) -am Amazonas geht sie gar in moderne Slaverrei ueber.Das Gewaltmonopol verlagert sich,ist dabei aber keineswegs weniger repressiv.Das angerissene deleuzsche Schema des "Chiffres" setzt ein verstaerktes sich anstrengen(lebenslanges Lernen=in diesem Fall Selbstoptimierung=Selstueberwachung) vorraus um ueberhaupt noch Ressourcenzugang zu ermoeglichen.Das Ubiquaere der Ohnmacht, stellt im verstaerkten Masse die Frage nach der Macht.Teilweise wuerde ich sagen,verstaerkt sich erst einmal der Einfluss bestimmter klassischen Institutionen,wie zb Militaer die durch zb uebernahme von polizeilichen Aufgaben ,immer mehr Bereiche des Lebens einwirken.Die Crux ist glaub ich die dass die Faehigkeit dieser Institutionen integrierend (im Sinne der In-Wert-Setzung)zu wirken schwinded-das heisst die sogenannte"Produktivitaet der Macht"(Foucault) verfaellt und der Kapitalismus integriet nur noch durch den Mangel, bis es ueberall so aussieht, wie in Somalia.Und dieses Profitabel- sein -muessen ,ist die Realitaet ihres Gegenteils.

(12) Auch die Krise der Disziplinargesellschaft wird im ``Plan'' thematisiert. Am Augenfälligsten vielleicht im Bild von den alten mechanischen Klingeln, die durch neue elektronische ersetzt wurden. Die neuen klingen viel angenehmer aber dafür kann man mit ihnen auch jedes Zimmer abhören! Die strenge Disziplin wird manchmal etwas gelockert. Immer wieder ist von ``neuen pädagogischen Konzepten'' die Rede und meistens sind diese verbunden mit zunehmender Kontrolle. Ein weiteres Bild für diese Veränderungen ist die Psychologin Hessen. Sie ist verständnisvoll wie sonst niemand an der Schule, fast sind die Stunden bei ihr eine Art Erholung, doch dabei wird man durch einen halbdurchlässigen Spiegel beobachtet und gnadenlos bewertet.

Laboratorium und Schule

(13) Die Schule in der der Großteil der Handlung spielt ist jedoch nicht nur Sinnbild für die gesamtgesellschaftliche Umwälzungen sondern auch direkt der Kritik ausgesetzt. Dabei kritisiert Peter (und mit ihm wohl auch Peter Heg) auf sehr radikale Weise die Institution Schule. Schule ist keine Lernanstalt, sondern eher eine Lernverhinderungsinstitution. Schule erzeugt nur Furcht. Die Lehrer beantworten keine Fragen, wie es ihre Aufgabe wäre, sie stellen Fragen und diese haben klar definierte, klar zu bewertende Antworten. Diese Kritik der Institution Schule findet sich auch ganz ähnlich in der kritischen Psychologie .

(14) An diesem Beispiel zeigt sich auch besonders schön, wie sich die Ideale der Aufklärung selbst verraten. Indem sie auf die Spitze getrieben werden und die gesamte Welt gleichsam als wissenschaftliches System umgestaltet wird, schlägt sie in ihr Gegenteil um. Aufklärung wird zu Barbarei. Biehl schlägt seine Schüler um sie zum Licht zu führen.

Individuum, Gesellschaft und Zeit

(15) Ein klassisches Problem der Philosophie mindestens seit Hegel ist die Paradoxie, dass der Mensch einerseits von den gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt ist, sie aber auch andererseits erst schafft. Genau dieses Thema wird am Beispiel der Zeit im Buch durchexerziert. Ausgangspunkt der Überlegungen Peters ist dabei Uexküll, einer der Vorläufer des Konstruktivismus und Begründer der theoretischen Psychologie.

(16) Konstruktivismus ist die Vorstellung, dass es im strengen Sinne keine externe Welt gibt, die wir nur zu erkennen bräuchten, sondern dass wir umgekehrt diese Welt durch unsere Wahrnehmungsakte erst konstruieren.

(16.1) kontra Konstruktivismus, 24.05.2004, 01:14, Erwin G. Kratschmann: Was in diesem Abschnitt geboten wird ist außerordentlich ge- fährlich. Und zwar deshalb, weil eine außerhalb vom menschlichen Bewußtsein ewistierende objektive Wirklichkeit geleugnet wird. Das ist " subjektiver Idealismus" und ist nach materialistischer Weltanschauung der kürzeste Weg ins Irren- haus. Vorschlag: W.I. Lenin, Werk, Materialismus und Empirio- kritizismuns, Diet-Verlag,Ost-Berlin studieren. hilfts.

(16.1.1) Der kürzeste Weg, 02.06.2004, 21:14, Uvvell:H:W:Berger ??: Wenn wir nichts am objektiven Idealismus ändern, dann wird die "objektive Welt" dieses Irrenhaus sein, erbaut von der materialistischen weltbeschauung. Das Leben ist Ausdruck und wenn die Objektive Masse das leugnet, um selbst beeindruckender zu sein, ...na, das werden wir ja sehen

(17) Peter kritisiert am Konstruktivismus, dass er die Menschen vereinsamt, weil jeder gleichsam in einer eigenen Welt lebt. Die Paradoxie von Individuum und Gesellschaft wird also einseitig zum Individuum hin aufgelöst. Menschen können aber nicht leben ohne andere Menschen, sie haben die Gesellschaftlichkeit immer schon eingebaut. Im Kontext des Buches ist damit auch eine Kritik an der Aufklärung gemeint und insbesondere an deren Vorstellung eines bürgerlichen Individuums, das gegeben ist und erst im nachhinein sich vergesellschaftet z.B. über einen ``Gesellschaftsvertrag''.

(18) Die Lösung der Paradoxie: Die Menschen können im Laboratorium ihre Vorstellungen von Zeit ändern und dadurch auch die gesellschaftliche Vorstellung von Zeit beeinflussen. Da macht es sich Peter etwas einfach, da ja auch das Laboratorium in der Zeit (also in der Gesellschaft) ist - auch wenn er das abstreitet.

Herrschaft und Befreiung

(19) Das ganze Buch ist durchzogen von einer Atmosphäre von Herrschaft und Gewalt. Schier übermächtige Institutionen kennen keine Gnade und erzeugen bei ihren Insassen die ganze Palette von Autoagressionen, sexualisierter Gewalt und Verzweiflung. Dies ist eine ebenso exakte wie schonungslose Beschreibung der Welt in der wir leben. Kapitalistische Konkurrenz, Rassismus, Sexismus und tausende andere Formen von Herrschaft und Gewalt stellen die Menschen als Feinde gegenüber. Sie zerstören sich und ihre Welt immer mehr und hinter allem steckt der ``Plan'' aus Geld mehr Geld zu machen.

(20) Dennoch ist dieses düstere Bild eines voller Hoffnung, weil in dem ganzen Wahnsinn, der uns umgibt, Liebe existiert und Befreiung möglich ist. Nur eines wird dabei auch klar gesagt, wenn Peter in der Schlußszene dutzende von Schlössern aufbohrt und Biehl erpresst: Ohne Überschreitung von Regeln und Gesetzen werden wir immer in der Hölle bleiben, die wir selber sind.


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