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erste Diskussion über Empire

Maintainer: Uli Weiss, Version 1, 28.08.2002
Projekt-Typ:
Status: Archiv

21. August, Notizen zur ersten Diskussion des WAK über Hardt/Negri: Empire

(1) Obwohl versprochen, habe ich kein Protokoll produziert, sondern wieder nur ein Uli-Koll

(2) zur Methode: Einigkeit bestand: Hier handelt es sich nicht um das traditionelle marxistische bzw. akademische Herangehen an die Problematik. Die Methode wird sehr unterschiedliche bewertet:

Worte, Worte, Worte. Keine innere Logik ist erkennbar. Dem Leser muss es völlig unklar sein, warum wird hier hiervon, dort davon gesprochen. Das Buch gibt keine Möglichkeit, innere Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fakten, die so zu einfachen Behauptun

(3) Nach ihrem Selbstanspruch wollen Hardt/Negri eine materialistische Teleologie begründen, entsprechend Spinoza prophetisch wirken. Auch das ist mit wissenschaftlichen Anspruch nicht nachvollziehbar.

Dem Vorwurf des Eklektizismus, des Undialektischen wird widersprochen. Dieser Vorwurf versteht unter Dialektik vermutlich eher ein dualistisches Herangehen an die Analyse von Realitäten. Dies ist hier tatsächlich nicht zu finden. Empire sei vielmehr höchs

(4) Ein allgemein eingestandener Mangel unserer Interpretationen: Wir haben keine oder wenig Ahnung von der Kultur, aus der heraus etwa Negri schreibt: italienischen Verhältnis und Geschichte des Operaismus. Aus diesen ist erklärbar, wieso Negri/Hardt hier gegen den Begriff der Masse den der Vielheit/Menge setzen und was dieser Begriff enthält. Die Frage nach eventuellen Lohn der Mühe, sich auf diese Geschichte einzulassen und auf diese Weise auch die große Resonanz, die Empire findet, zu verstehen, wurde von den etwas Kundigeren bejaht. Das zeigt sich exemplarisch am Begriff Multitude.

(5) Was ist Multidude? Gegenbegriff zu Masse. Masse verweist im Gegensatz zu Multitude eher darauf, dass etwa Proletarier und andere große Menschengruppen als Objekt gesehen werden. In diesem verschwinden die Individuen. [Ich erinnere auch an den im Osten häufig gebrauchten Begriff MASSENPOLITISCHE ARBEIT - was war damit gemeint; welches Verständnis von den zu Bearbeitenden und welches Selbstverständnis der Akteure dieser Arbeit setzte das voraus?] Die tatsächlichen Formen gerade der deutschen Arbeiterbewegung machen deutlich, dass dem auch ein bestimmtes Selbstverständnis vieler Proletarier selbst entsprach bzw. noch entspricht. Dieses Selbstverständnis wieder wurzelt sowohl in allgemeinen Zügen des Kapitalismus (in dem der Arbeiter zum Objekt dressiert wird und sich selbst als ein solches dressiert) als auch in der spezifisch deutschen Form seiner Durchsetzung. In Italien dagegen spielte für eine andere Kultur in den proletarischen Klassenkämpfen auch die Tatsache eine große Rolle, dass in die bereits relativ entwickelte Industrie des Nordens massenhaft (noch nicht vom Kapitalismus geprägte) Arbeitskräfte aus dem Süden mit ihrer eigenen Kultur und Mentalität drängten. Das waren Leute, die etwa der in Deutschland höchst wirkungsvollen kapitalistischen Dressur nicht so zugänglich waren. Das waren Menschen, die dementsprechend auch mit den traditionellen Formen etwa der deutschen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung weniger kompatibel waren (und sind). Sie haben in die proletarische Widerstandsbewegung eine andere Kultur hineingebracht als die in der deutschen vorherrschende. Dies und vieles andere ist mitzudenken, wenn mit dem Begriff Multitude die Subjektivität vieler Individuen eben in einer Menge (und nicht in einer Masse) hervorgehoben wird. Mit diesem Begriff sind auch leichter Energien von Menschen zu erfassen, die - zwar eingebunden in die kapitalistische Produktions- und Lebensweise - immer wieder darüber hinaus drängen. Die zunehmende Aversion gegen politische Großstrukturen (überhaupt oder nur gegen solche in der traditionellen Form etwa von Parteien?) auch hier im Norden könnte darauf verweisen, dass wir es auch hier zunehmend mit einer Multitude und nicht mit sogenannten Massen zu tun haben. Dies wäre hier dann nicht einer Parallelität (und Vermischung) von entwickelten kapitalistischen Strukturen (die einstigen großen fordistischen Betriebe in Norditalien) und vor- oder frühkapitalistischen (italienischer Süden) geschuldet, sondern ein Produkt der inneren Entwicklung des fortgeschrittensten Kapitalismus selbst. Das hieße: mit Multitude wird nicht nur die italienische Vergangenheit und die daraus überkommene Gegenwart (sozusagen mit den angeblichen Resten einer Vormodernen) adäquat erfasst, sondern auch unsere Gegenwart und noch mehr unsere Zukunft.

Wir haben ein dringendes Bedürfnis, in diese Problematik tiefer einzusteigen, eben wegen ihrer Relevanz für unsere Frage nach möglichen Auswegen aus dem Kapitalismus. Willi Hajek versucht, hier kompetente Gesprächspartner zu gewinnen.

(6) Empire/Imperialismus Die Grundannahme der angeblichen Herrschaft eines nicht staatlich-national gebundenen oder sich nicht dieser Basis versichernden Empire wird angezweifelt. Der tatsächliche Grundzug von Globalisierung ist dagegen wesentlich die zunehmend uneingeschränktere imperialistische Herrschaft des US-amerikanischen Gorilla. Mit dem Hardt/Negrischen Begriff Empire kann dies nicht adäquat beschrieben werden.

(7) Maschine Was soll das sein? Es geht immer um die Charakteristik von sich verselbständigenden Strukturen gegenüber den persönlichen Handlungsmöglichkeiten von Individuen. Frage: Ist dies nicht viel tiefer erfasst und besser in die theoretische Diskussion eingeführt durch Marx, mit seinem Entfremdungsbegriff und seinem Verständnis von Warenfetischismus usw.?

(8) Vergleich Empire und Schwarzbuch des Kapitalismus (R. Kurz) Uli zieht Empire gegenüber dem Schwarzbuch in einem für die Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus entscheidenden Punkt vor: In Empire werden Kapitalverhältnisse nicht als ein von bösen Ideologen und teuflischen Mächten hervorgerufenes Verhängnis dargestellt, nicht als Irrtum der Geschichte, als Schwarzes Loch, das alles in sich hineinzieht, versteinert und handlungsunfähig macht. Beim R. Kurz des Schwarzbuches existiert im Kapitalismus nichts, das über ihn hinausweist. Wenn überhaupt, dann kann nur aus der totalen Katastrophe, dem vollkommenen Zusammenbruch, aus der Supernova heraus, eine (wünschenswerte) neue Welt entstehen. Über diese kann Kurz allerdings nach seiner Methode überhaupt nichts (mehr) sagen, auch nichts über Kräfte, die diese konstituieren und über Formen, in denen das geschehen könnte. Nun wird in Empire ebenso wie bei Kurz (völlig berechtigt) von Maschine sprechen. Doch Negri/Hardt haben einen wirklichen historischen Prozess auch und gerade innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft im Auge. Deren Entwicklung wird im Buch Empire nicht als eine bloße Entfaltung sozusagen des von vornherein bereits gegebenen bzw. vorausbestimmten (bösen) Wesens (der Wertvergesellschaftung) dargestellt. In Empire ist die innerkapitalistische Geschichte auch ein Prozess, der maßgeblich von den Subalternen geprägt wird, die sozusagen in den Kapitalverwertungsprozess Zivilisation hineingepresst haben. In dieser Sicht wird erkennbar, dass sich mit der innerkapitalistischen Entwicklung auch menschliche Qualitäten entfalten, die über die kapitalistische Gesellschaft hinausweisen. Diese Qualitäten geraten heute in einen inneren (nicht äußerlich gefassten) heftigen Widerspruch zur Maschine - also zu den sich immer wieder neu verselbständigenden kapitalistischen Strukturen. Bei Kurz sind etwa die lohnarbeitenden Menschen nur "verhausschweint" und sonst nichts. Und die wenigen Individuen, die sich davon trennen, können nur eine Wesensschau des Bösen betreiben, ansonsten sich verweigernd (und hungernd, wenn sie nicht vom Bösen alimentiert werden) auf die Katastrophe warten. Empire dagegen bietet einen solchen Blick auf Wirklichkeiten, der Interventionsmöglichkeiten suchen kann und auch sucht bzw. der schon längst vorhandene Bewegungen (für uns neuer Art) als solche Interventionen erkennbar macht, die bereits über den Kapitalismus hinausweisen.

In einem wesentlichen Punkt allerdings stehe ich aber ganz auf der Seite von Kurz/Krisis (richtiger von Marx): In Empire verschwindet die Dimension des notwendigen Bruchs mit der kapitalistischen Gesellschaft. Welche Möglichkeiten der Konstitution einer a

(9) Dies beachtend halte ich Hardt/Negris Frage, ob bzw. welche Elemente gerade auch in der neoliberalen Globalisierung stecken, die auch als günstige (wenn auch auf barbarische Weise produzierte) Voraussetzungen für die Begründung einer neuen, nichtkapitalistischen Gesellschaftlichkeit begriffen und genutzt werden können, für entschieden produktiver als Kurz' Katastrophen-Mystik. Dieser produktive Ansatz muss die Kritik der politischen Ökonomie einschließen und auf dieser Grundlage auch mit einer grundsätzliche Kritik der (bürgerlichen) Leben-, Arbeits- und Denkweise sowie mit der an der Staatlichkeit (überhaupt) verbunden werden. Ansonsten wird die ganze Dimension des unverzichtbaren Bruchs mit den bürgerlich-kapitalistischen Formen nicht sichtbar. So kann es beispielsweise in Empire geschehen, dass in der behaupteten Tendenz zum Entstehen einer Weltregierung (angesichts einer tatsächlichen gewissen Entstaatlichung auf nationalen Ebenen) irgendeine positive Tendenz gesehen wird. Diese ganz und gar antiemanzipatorische Auffassung stützt zum Beispiel die Anhänger eines gewissen Attac-Kapitalismus, die mit kapitalistischen Mitteln, etwa mit der Tobin-Steuer, die Ge- und Verbrechen des Kapitalismus bekämpfen wollen.

Ich gehe gerade mit dieser Kritik, die mich an der Seite von Krisis sieht, an das umfassende Material von Empire heran und nutze es für unsere Fragestellung: Welche Momente im tatsächlich verlaufenden Prozess der galoppierenden Kapitalisierung verweisen

(10) Von diesem Standpunkt aus eigene ich mir die interessanten und offenkundig populären Empire-Forderungen nach Wiederaneignung, Recht auf sozialen Lohn, Recht auf Weltbürgerschaft auf eine spezifische Weise an: Hinsichtlich der Forderung nach Wiederaneignung lege ich den Schwerpunkt auf Aneignung. Von "Wieder" kann ohnehin keine Rede sein. Es geht um Neuaneignung und zwar durch Aufhebung von Lohnarbeit auf der Höhe der Errungenschaften der bürgerlichen Epoche. Das kann nur durch Formen der Aneignung erfolgen, die in vorkapitalistischen Produktionsformen noch nicht vorhanden waren, sondern erst auf der Höhe des entfalteten Kapitalismus (dies als Weltprozess gesehen) möglich werden.

Recht auf sozialen Lohn. Dies hat für mich nur Sinn als Forderung nach einer allgemeinen Möglichkeit selbstbestimmten guten Lebens. Eine Orientierung auf Recht als eine an Rechtsinstitutionen, an staatliche Macht gebundene Form der Vergesellschaftung lehn

(11) Und das Recht auf Weltbürgerschaft hat für mich nur Sinn, wenn es um real wahrnehmbare Möglichkeiten von Menschen geht, unmittelbar und durch Gemeinschaften vermittelt, an regionalen und globalen zivilisatorischen Errungenschaften teilzuhaben, also nicht vermittelt von Rechts- und sonstigen bürgerlich- kapitalistischen Institutionen.


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