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Geschlechtslos gut! (Das heute übliche Deutsch teilt die Welt in zwei Arten von Menschen ein: Frauen und Männer. Es geht auch anders! Eine Sprachkritik)

Maintainer: Benja Fallenstein, Version 2, 01.08.2001
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1)

I utterly refuse to mangle English by inventing a pronoun for "he/she." "He" is the generic pronoun, damn it. (Le Guin, 1979)

I dislike the so-called generic pronouns he/him/his which exclude women from discourse ... they/them/their should be restored ... and let the pedants and pundits squeak and gibber in the streets." (Le Guin 1987)

Einleitung

(2) Unsere Gesellschaft teilt die Welt in zwei Arten von Menschen ein: in "Frauen" und "Männer". Etwas anderes gibt es nicht, darf es nicht geben, kann es nicht geben. Dabei gibt es durchaus Menschen, die sich in keine dieser beiden Gruppen einordnen.

(2.1) Re: Einleitung, 11.01.2002, 11:00, Stefan Meretz: Ich habe einige Fragen: Weisst du etwas über die historische Genese der Zweigeschlechtlichkeit in der Sprache? Haben die Menschen zu allen Zeiten in allen Gesellschaften (nur) zweigeschlechtlich gesprochen? Wurde die Zweigeschlechtlichkeit als Frage in vormodernen (nicht-bürgerlichen) Gesellschaften aufgeworfen?

(2.1.1) Re: Einleitung, 19.01.2002, 15:33, Benja Fallenstein: (Ich wollte eigentlich erst was dazu lesen, bevor ich antworte, aber ich ich finde die beiden Bücher, Pusch 1984 und Feinberg 1996, nicht -- wenn sie wieder auftauchen und ich Ergänzungen finde, reiche ich sie nach.)

Meinst du mit "Zweigeschlechtlichkeit in der Sprache" grammatisch (Pronomen usw.) oder lexikalisch ("Mann"/"Frau")? Grammatisch: Über die Genese weiß ich nichts (ich werd' demnächst mal gucken, ob ich was finde). Ich weiß aber, dass grammatikalisches Geschlecht zwar in vielen, aber nicht in allen Sprachen vorkommt: die finno-ugrische Sprachfamilie, zu der v.a. Finnisch, Ungarisch und Estnisch gehören, kennt z.B. keinen Genus, also auch keine geschlechtsspezifizierenden Pronomen.

Lexikalisch: Mir ist nicht bekannt, das es eine Sprache oder Kultur ohne die Konstrukte "Frau" und "Mann" gäbe oder gegeben hätte. Es gibt und hat aber sehr wohl Kulturen gegeben, in denen diese nicht die einzigen geschlechtlichen Konstruktionen waren (sprachlich und gesellschaftlich). Die zwei Beispiele, die mir sofort einfallen, sind die indische und die Navajo-Gesellschaft. In Indien gab es außerhalb des Kastensystems so etwas ähnliches wie eine Kaste, deren Mitglieder keine Frauen oder Männer sind, die Hijra (sprich: Hitschra). Die Navajo kannten eine Geschlechtskategorie neben "Frau" und "Mann" (ich kann mich an den Namen nicht erinnern), mit ihrer eigenen Art, sich zu kleiden etc. In beiden Fällen haben diese zusätzlichen Kategorien bestimmte gesellschaftliche Funktionen.

Was meinst du mit "als Frage aufgeworfen"? Dass Zweigeschlechtlichkeit bewusst reflektiert worden ist, darüber ist mir nichts bekannt (aber, wenn nicht schriftlich festgehalten, wohl auch schwerlich herauszufinden). Kannst du deine Frage präzisieren?

(2.1.1.1) Re: Einleitung, 31.01.2002, 23:46, Stefan Meretz: Danke für die Ergänzungen zunächst. Ob ich meine Frage präzisieren kann, weiss ich. Ich versuche den Hintergrund zu skizzieren. Viele "Fragen" zur menschlichen Gesellschaft, die wir uns heute stellen, werden als oft als "Wesensfragen" gestellt. Dabei ist oft mindestens die Frage ein Produkt der modernen, bürgerlichen Gesellschaft, oft aber auch die Antwort. Gilt das auch für die Frage nach der Geschlechtlichkeit? - Vielleicht ist aber auch etwas abseitig.

(3) Hirschauer (1996: 44) beschreibt die Situation mit folgender Anekdote: Eine Kulturanthropologin habe ihm von einer Gesellschaft erzählt, deren Mitglieder bei Anderen "Hunden gleich" immer als erstes das Geschlecht wahrnähmen und dies noch wüssten, wenn sie alles andere über die Begegnung vergessen hätten. Auch in schriftlicher Kommunikation "schiene eine Norm zu herrschen, die aus der Geschlechtszugehörigkeit ganz selbstverständlich eine öffentliche Angelegenheit macht". Das Geschlecht werde bei der Geburt medizinisch und amtlich registriert, und die Gesellschaftsmitglieder würden sich ihr Leben lang "recht verlässlich" daran halten. "In den letzten Jahren," schreibt Hirschauer, "hat sich in verschiedenen Disziplinen ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass die Beschreibung jener Kulturanthropologin die Beschreibung einer modernen Industriegesellschaft ist, unserer eigenen."

(4) Dabei problematisiert er das Konzept, nach dem er seinen Text benannt hat: "Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit", also das gesellschaftliche Herstellen von zwei Geschlechtern, von "Frau" und "Mann", die wir doch so oft als einfach vorgegeben hinnehmen. In diesem Text also soll es um Menschen gehen, die sich weder dem einen noch dem anderen dieser beiden Geschlechter zurechnen, und darum, wie die deutsche Sprache mit ihnen umgeht.

(5) Kurz, nachdem es aus dem Mutterleib gekommen ist, wird das Geschlecht eines neugeborenen Kindes "festgestellt" und auf der Geburtsurkunde festgehalten. Zum einen wird hier eine Geschlechtsidentität vorausgesetzt, vom biologischen Geschlecht her abgeleitet. Zum anderen wird, wenn das biologische Geschlecht nach den Einteilungen nicht "eindeutig" ist-- das bedeutet: nicht eindeutig in eine Schublade geschoben werden kann-- dann werden die Geschlechtsteile zwangsumoperiert, um in eine der Kategorien zu passen. Ungefähr 60 Prozent der Intersexuellen hat nach Recherchen der AGGPG (Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie Psychologie und Genetik) Suizidversuche begangen; ungefähr 20 Prozent waren erfolgreich (Reiter 1998). Menschen, deren Körper weder weiblich noch männlich ist, heißen Hermaphroditen, Zwitter oder intersexuell.

(5.1) 10.01.2002, 17:56, Benja Fallenstein: Hierzu gibt es einen Kommentar von Thomas Sonnabend in einer älteren Version dieses Textes.

(6) Aber auch Menschen, die die Medizin ohne Operation als "Mädchen" oder "Jungen" bezeichnet, verstehen sich nicht unbedingt so. Transgender (im engeren Sinne) sind Menschen, die, obwohl vielleicht mit einem weiblichen oder männlichen Körper geboren, sich nicht als "Frau" oder "Mann", als "Mädchen" oder "Junge" verstehen. (Transgender im weiteren Sinne ist ein Oberbegriff, der z.B. Transvestiten, Menschen die zeitweise "das" andere Geschlecht leben, und Transsexuelle, Menschen, die sich "dem" anderen Geschlecht zuordnen, mit einschließt.) Feinberg (1996, 1998), selbst Transgender, diskutiert den Begriff näher.

(7) Wie sprechen wir im Deutschen über Intersexuelle und Transgender? Welche sprachlichen Mittel stehen uns zur Verfügung? Ist Leslie Feinberg nun "eine Transgender-Aktivistin" oder "ein Transgender-Aktivist"? "Er" oder "sie"? Feinberg selbst (1998: 1) schreibt: "I am a human being who would rather not be addressed as Ms. or Mr., ma'am or sir. I prefer to use gender-neutral pronouns like sie (pronounced like "see") and hir (pronounced like "here") to describe myself." (Ich bin ein Mensch das lieber nicht als "Frau" oder "Herr", als "mein Herr" oder "meine Dame" angesprochen werden möchte. Ich bevorzuge geschlechtsneutrale Pronomen wie engl. sie (ausgesprochen wie engl. "see") und engl. hir (ausgesprochen wie engl. "here"), um mich selbst zu beschreiben.)

(8) Entsprechungen zu solchen neugebildeten Pronomen sind in der deutschen Diskussion meines Wissens nach nicht üblich. Eher werden Kombinationen ("sie/er ist eine TransgenderaktivistIn") benutzt, die sich wiederum aus dem binären Geschlechtersystem heraus definieren. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Nicht nur ist es schwieriger, über Intersexuelle und Transgender zu sprechen. Wichtiger ist, dass unsere Perspektive durch die Mechanismen unserer Sprache geprägt wird. Das im Deutschen Menschen nur "sie" oder "er" sein können, fördert unser Denken in diesen Kategorien und sorgt dafür, dass es für Menschen, die in diese Kategorien nicht passen, schwieriger ist, sich selbst zu definieren.

(9) Dieser Text will Auswege aufzeigen.

(10) Wichtig: Dieser Text ist offensichtlich alles andere als fertig. Er ist hier nach dem "release early, release often" (veröffentliche früh, veröffentliche oft)-Prinzip zugänglich gemacht, mit dem ich in der Freien Software gute Erfahrungen gemacht habe. Über Kommentare in allen Stadien der Textentwicklung würde ich mich also freuen!

(10.1) 10.01.2002, 17:54, Benja Fallenstein: "Release often?" Von wegen. Fünf Monate seit der letzten Version. :-(

Ich hoffe, ich schaffe es bald mal, die fehlenden Teile zu schreiben...

Vorschläge

(11) Dieser Abschnitt soll später relativ weit am Ende des Textes stehen-- aber ich glaube, um diesen Text auch unfertig interessanter zu machen, ist es sinnvoll, jetzt daran zu arbeiten.

(12) Ich schlage vor, als geschlechtsneutrales Pronomen für Menschen das Pronomen "es" zu benutzen, d.h. nicht als Pronomen für "Menschen, die weder Frauen noch Männer sind", sondern als Pronomen für alle Geschlechter, Frauen und Männer eingeschlossen. (Ein solches Pronomen könnten wir auch beim Sprechen über Frauen und Männer gut gebrauchen.) Es ist in unserer Sprache bereits fest verankert, ähnlich we das geschlechtsneutrale Singular-"they" im Englischen, und hat deshalb bessere Chancen, sich durchzusetzen, als eine Neubildung. Auch haben wir die grammatischen Formen für Adjektive u.ä. automatisch bereit ("ein nettes Mensch").

(12.1) Soziale Intervention, 24.11.2001, 00:57, espi twelve: Es ist sicher verwirrend, subversiv, geschlechtsneutral zu sprechen, um Menschen vor den Kopf zu stossen. Eine geschlechtsneutrale Sprache ist wichtig! Ich halte es dennoch für einen falschen Ansatz, zu glauben, es reiche aus, Geschlecht aus der Sprache zu streichen: Es kann ruhig noch "er", "sie", "Mann", "Frau" geben - entscheident ist, dass sie ihre Bedeutung verlieren, das keine Zuschreibungen mehr daran haften. Dazu sind Soziale Prozesse notwendig, d.h. die Intervention gegen Geschlechterrollen - und Zuweisungen.

(12.1.1) diskursive konstruktion, 09.01.2002, 17:44, michelle meier: Das 'Denken der Differenz' zwischen identitären Gruppen wie 'Männern' und 'Frauen' funktioniert gerade dadurch, daß das andere, dasjenige außerhalb der Dualität, nicht benannt und dadurch auch nicht gedacht werden kann.
Worte zeichenen sich dadurch aus, daß sie Sinn zitieren und reproduzieren. Wenn er, sie, es zur Benennung der Menschen benutzt wird, wird also zwangsweise Bezug auf eine geschlechtliche Aufspaltung der Gesellschaft genommen.
Problematisch an es ist lediglich, daß die Benennung als Neutrum in einer heteronormalen Gesellschaft eine abwertenden Konnotation hat - nicht umsonst heißt es das Mädchen gegenüber dem Jungen.
In 'Science-Fiction-Roman, dessen Titel ich vergessen habe' wird 'per' als geschlechtsneutrales Personalpronom benutzt.

(12.1.1.1) Re: diskursive konstruktion, 10.01.2002, 17:43, Benja Fallenstein: Das die Einteilung in "Frauen" und "Männer" und nichts anderes durch die Worte reproduziert wird, finde ich einen wichtigen Punkt-- vor allem ist das so bei den Pronomen, bei dem es eben im üblichen Deutsch fast nicht möglich ist, über jemand zu sprechen, ohne diese Person als "Mann" oder "Frau" einzuordnen.

Auch wenn wir über Menschen als er, sie, es reden können, bleibt dabei die Vorstellung, dass zumindest einige Menschen in "Mann" und "Frau" eingeordnet werden können und dass das eine wichtige Einteilung ist, so wichtig, dass sie auf der Ebene der Grammatik transportiert werden muss. Letzteres finde ich zwar etwas übertrieben, ersteres aber völlig o.k., solange die Wahl, "er", "sie", keins oder beides zu sein, die Sache jedes einzelnen Menschen ist und nicht biologisch festgelegt (im Extremfall 'korrigiert') wird.

Das Pronomen 'es' wird gerade für Menschen, die die gesellschaftlichen Normen der 'Geschlechtspräsentation' nicht erfüllen, als Beleidigung benutzt ("iieh, was ist denn das?"). Ich finde, gerade deshalb eignet es sich gut als geschlechtsneutrales Pronomen, das auch für Intersexuelle und Transgender benutzt werden kann-- so wie Begriffe wie "lesbisch", "Black", "queer" usw.

Der SF-Roman ist (im engl. Original) Woman on the Edge of Time, stammt von Marge Piercy und steht in der vorläufigen Literaturliste am Ende des Textes. ;-)

Mein Eindruck ist, dass sich 'per' beim Aussprechen zu sehr 'in den Vordergrund schiebt', weil wir das Wort nicht als Pronomen kennen und daher wie ein Nomen aussprechen/betonen. Die echten Pronomen bleiben ja bei der Aussprache ziemlich 'im Hintergrund' und werden sehr verschliffen ausgesprochen 'da hattse' bzw. 'da hatta ja ma wieda Mist gebaut'. Dadurch stolpere ich bei der Benutzung von 'per' jedesmal über das 'starke' Pronomen. ('Es' hat da den klaren Vorteil, als bekanntes Pronomen so 'abgeschliffen' wie die anderen zu sein: 'da hattes' bzw. 'da hats ja ma wieda Mist gebaut', so wie 'da hats geregnet'.)

(Ich wünschte, ich würde es endlich schaffen, diesen Text zu vervollständigen... vielleicht komme ich ja bald mal dazu.)

(12.1.2) Re: Soziale Intervention, 10.01.2002, 17:52, Benja Fallenstein: Ich stimme dir völlig zu, dass es nicht ausreicht, die Sprache zu verändern. Ich stimme aber nicht zu, dass sich im Umkehrschluss die Sprache nicht verändern muss. "Er" und "sie" kann es meiner Meinung nach gerne weiter geben, aber solange wir neben "er" und "sie" kein allumfassendes Pronomen haben (ich verstehe dich so, dass du meinst, wir brauchen sowas nicht), müssen wir jedesmal, wenn wir über jemand reden, dasjenige als "Mann" oder "Frau" einordnen. Das hat zur Folge, dass 1. die sprachliche Sozialisation weiterhin vermittelt: Geschlecht ist etwas total wichtiges, was immer unbedingt bekannt sein muss; und 2. wir weiterhin nicht problemlos über Menschen reden können, die weder das eine oder das andere sein möchten.

Was, wie gesagt, natürlich nicht heißt, ich fände die soziale Intervention gegen Geschlechterrollen und Zuweisungen unnötig!

(13) Pusch (1984) schlägt die selbe Lösung vor-- in die Literatur eingegangen als "der verrückte Pusch-Vorschlag" (Pusch 1990)--, allerdings als Lösung für ein anderes Problem: den leidigen Einwand gegen die feministische Sprachkritik, dass "Wir suchen ein/e IngenieurIn, die/der Erfahrung mit..." zu kompliziert, zu schwer auszusprechen ist. Eine solche Anzeige würde also lauten: "Wir suchen ein Ingenieur, das...".

(14) An dem Beispiel mit dem Ingenieur wird auch schon das Hauptproblem dieses Vorschlages deutlich. Wenn es "das Ingenieur" heisst, wie sind denn dann die (immer noch existierenden) weiblichen und männlichen Formen? "Die Ingenieurin", "der Ingenieur"? In diesem Fall liegt "das Ingenieur" sehr nahe an "der Ingenieur", was durchaus die Auswirkung haben könnte, dass wir und bei "dem Ingenieur" speziell einen Mann vorstellen, was ja gerade überwunden werden soll (sowohl von Puschs Standpunkt als auch von dem dieses Textes).

(14.1) -a und -e waeren irgendwie vertraut?, 15.04.2003, 01:42, iu ??: Ich moechte mal ein beispiel aus der sehr genderistisch daherkommenden spanischen Hegemonialsprache, dem Kastilischen, bringen: da gibt es Woerter, die von der form her schon geschlechtsneutral sind, wie 'presidente' (Mehrzahl 'presidentes') der Praesident heiszt dort 'el presidente' (Mz 'los presidentes') und die Praesidentin 'la presidente' (Mz 'las presidentes') sicherlich schwant euch schon, dass das genau so ein Partizip ist wie 'der/die Studierende' und 'die/der Aus(zu)bildende' - also erstmal nicht verallgemeinerbar. Aus der unbetonten Endung, zu der sich das Bergstedt'sche '-i/-is' _nicht_ eignet, die jetzt beim maennlichen oft '-er' ist und beim weiblichen relativ oft '-a' (hier ist nicht nur das Deutsche betrachtet) - wuerde ich kurzerhand vorschlagen, dass '-a' eine Default-Endung wird, also 'die Dokta' 'ein weiblicha Arzte' waere und 'der Dokta' 'ein maennlicha Arzte'. Womit als Nicht-Default-Endung das '-e' benannt waere, dass dem Arzte im Dativ optional anhaengt und bei vielen deutschen weiblichen Substantiven ohnehin eine Default-Endung ist. Also Herr Meista und Frau Meista und lieba Meista geschlechtslos, dann gibt es jetzt noch die Bube und den Bube(n), die Knabe und den Knabe(n), aber auch das geschlechtsunspezifische Bube und Knabe, den Tante und die Onkle, aber auch das Onkle und das Tante, den und die und das Mutta, Vata, Papa und Mama. Oder wer sich da nicht binden mag kann ja auch zu 'Erwachsna' pauschalieren. Die Sohne und der Tochta alsodann, oder das Tochta/Sohne/Kinde und das Enkle. Das/die/der Eltre usw usf.

(15) Für Pusch ist es ein Teil ihres Vorschlags, das feminine Suffix "-in" abzuschaffen, so dass es "das, die, der Ingenieur" heißt. Daraus ergibt sich das Problem, dass etwa bei "Bäcker" die Mehrzahl nicht von der weiblichen Form unterschieden werden kann: "Die Bäcker". Pusch löst dieses Problem, indem sie ein "s" an die Pluralform anhängt: "ein Bäcker, zwei Bäckers". Nun ist natürlich die Frage, ob die so weitreichenden Änderungen Akzeptanz finden können, insbesondere auch in der Frauenbewegung, denn das "-in" hat sich schließlich zu einem Symbol und einem Signal für "Frauen sind wirklich mitgemeint" entwickelt (auch wenn mit der Neutrum-Form, also "das Ingenieur, das Bäcker", ja ebenfalls eine nicht-maskuline Form gegeben wäre).

(15.1) -a und -e haetten Mz -as und -en., 15.04.2003, 01:56, iu ??: Die Ärzten koennten jene die das wollen auch Doktas nennen. Die -e-endung wird also einem Partizip angeglichen wie bei der/die/das Beamte so jetzt auch der/die/das Studente/Arzte/Mause und die/die/die Studenten/Ärzten/Mäusen. So also der/die/das Dokta/Tischla/Magista/Professa/Krankenschwesta/Beichtvata und in der Tat da muessen wir konsequent sein, die/die/die Tischlas/Krankenschwestas/Beichtvätas. Vielleicht wäre es noch konsequenter, auch im Stamm keine Umlaute mehr zu bilden? (also Arzten/Mausen und Beichtvatas?)

(16) Mir scheint, das eine dem bisherigen Aufbau der Sprache angemessene Lösung wäre, ein Suffix an männliche Formen anzuhängen, und sie somit mit den weiblichen Formen auf eine Stufe zu stellen: "Das Bäcker, die Bäckerin, der Bäckerling" oder so ähnlich. [Hier soll mal eine Auflistung verschiedener möglicher, männlicher und sächlicher, Endungen hinkommen-- nach Weinrich (1993) und Hellinger (1990).] Allerdings glaube ich auch bei dieser Variante nicht, dass sie durchsetzungsfähig ist. Problematisch wäre vor allem, dass Männer das Gefühl entwickeln müssten, dass sie bei "Bäcker" zwar mitgemeint sind, ihr Geschlecht aber nur in (z.B.) "Bäckerling" explizit ist, so wie Frauen ihr Geschlecht nur in "Bäckerin" ausdrücklich gemacht finden.

(17) Aus diesen Gründen halte ich es zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die beste Lösung, die eine Chance hat, "das Ingenieur", "die Ingenieurin" und "der Ingenieur" zu sagen. Möglichst oft sollten Partizipien verwendet werden, also z.B. "das Teilnehmende" statt "das Teilnehmer", da diese die "-in"-Endung nicht haben und nach dem grammatischen Geschlecht konjugiert werden können ("eine Teilnehmende", "ein Teilnehmender", "ein Teilnehmendes"). Auf diese Weise zu verfahren ist (aus meinem Blickwinkel) immer noch besser, als bei dem bisherigen System zu bleiben, dass keinen Platz hat für Intersexuelle und Transgender.

(17.1) -In, 10.01.2002, 17:23, Benja Fallenstein: Inzwischen benutze ich lieber: "das IngenieurIn". Das lehnt sich an auch an einen Sprachgebrauch, den ich in Texten von Intersexuellen gesehen habe (bei denen es dann "die IngenieurIn" heißen würde). Bei der Aussprache kann (muss aber nicht) "IngenieurIn" als zwei Worte ausgesprochen werden: "Ingenieur in". "Das IngenieurIn" klingt zwar im ersten Moment etwas ungewöhnlich, wird dem Ziel der Geschlechtsneutralität aber wohl eher gerecht als "das Ingenieur".

(17.1.1) -i, 20.01.2002, 20:57, Benja Fallenstein: Jörg Bergstedt berichtet in einem Kommentar zum Unterprojekt "Seltener Besuch" von einer Diskussion auf der Hoppetosse-Mailingliste, in der verschiedene Vorschläge für eine geschlechtsneutrale Sprache gemacht wurden. Am besten, schreibt er, gefiel ihm "die "-is" Form, also Studis, Arbeitis, Schülis, Lehris, Politis, Aktivis usw."

Finde ich auch klasse! Die Einzahl wäre dann mit einem einfachen "-i" am Ende. Ich würde spontan übrigens "-ies" schreiben, was daran liegt, dass an meiner Schule die SchülerInnen als "Kollies" (kurz für KollegiatInnen) bezeichnet werden. (Also Studi und Studies, Politi und Polities usw.) Und zur -i-Form passt das Neutrum vieleicht doch besser als zur -In-Form ("das AktivistIn").

Ich werde es jedenfalls mal ausprobieren. ;-)

(17.2) wos nur geht Partizipien?, 15.04.2003, 02:03, iu ??: Finde ich auch! Vielleicht sollte noch eine Weile Zurückhaltung walten, was ungewohnte Anwendungen angeht. Ich plädiere also dafür, wo es geht die Mehrzahl zu benutzen, die nicht so gestelzt klingt. Hat natürlich den Vereinnahmungseffekt. 'die Teilnehmenden' geht auch nicht, wenn bloß eines, noch dazu ein bestimmtes, gemeint bzw angesprochen ist!

Literatur

(18) Bornstein, Kate: Gender Outlaw: on Men, Women and the Rest of Us. New York, 1995 [erste Ausgabe: New York, 1994].
Häberlin, Susanna, Rachel Schmid und Eva Lia Wyss: Übung macht die Meisterin. Ratschläge für einen nichtsexistischen Sprachgebrauch. München 1992.
Feinberg, Leslie: Stone Butch Blues. A Novel. Ithaca, NY, 1993.
Feinberg, Leslie: Transgender Warriors. Making history from Joan of Arc to Dennis Rodman. Boston, MA, 1996.
Feinberg, Leslie: Trans Liberation: Beyond Pink or Blue. Boston, MA, 1998.
Hellinger, Marlis: Kontrastive feministische Linguistik. Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im Englischen und im Deutschen. Ismaning, 1990.
Hirschauer, Stefan: "Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit", in: Haase, A. u.a. (Hg.): Auf und Nieder. Aspekte männlicher Sexualität und Gesundheit. Tübingen, 1996.
Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben: die Inszenierunng der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt a.M. und New York, 1992.
Le Guin, Ursula K.: "Is Gender Necessary?" In: The Languages of the Night: Essays on Fantasy and Science Fiction. New York, 1978. Zitiert nach Livia (2001).
Le Guin, Ursula K.: "Is Gender Necessary? Redux." In: Dancing at the Edge of the World. Thoughts on Words, Women, Places. New York, 1987. Zitiert nach Livia (2001).
Livia, Anna: Pronoun Envy. Literary Uses of Linguistic Gender. New York, 2001.
Müller, Sigrid, und Claudia Fuchs: Handbuch zur nichtsexistischen Sprachverwendung in öffentlichen Texten. Frankfurt a.M., 1993.
Piercy, Marge: Woman on the Edge of Time. 1976.
Pusch, Luise F.: Das Deutsche als Männersprache. Aufsätze und Glossen zur feministischen Linguistik. Frankfurt a.M., 1984.
Pusch, Luise F.: Alle Menschen werden Schwestern. Feministische Sprachkritik. Frankfurt a.M., 1990.
Reiter, Birgit-Michel: "it’s easier to make a hole than to build a pole". Genitale Korrekturen an intersexuellen Menschen. In: kassiber 34, Februar 1998.
Queen, Carol, und Lawrence Schimel (Hg.): PoMoSexuals: Challenging Assumptions about Gender and Sexuality. San Francisco, CA, 1997.
Volcano, Del LaGrace: Sublime Mutations. Tübingen 2000.
Walker, Barbara G.: The Women's Encyclopedia of Myths and Secrets. New York, 1983.
Weinrich, Harald: Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim u.a., 1993.


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