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Ums Mensch sein geht es... Fragen nach einem Seminar in Huetten

Maintainer: Annette Schlemm, Version 1, 13.03.2001
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Zur Begründung des Psychischen

(1) Wodurch unterscheiden sich stoffwechselvermittelte und signalvermittelte Lebenstätigkeit? (signalvermittelte Lebenstätigkeit gilt als Ur-/Grundform des Psychischen)

(1.1) Re: Zur Begründung des Psychischen, 30.04.2001, 19:47, Birgit Niemann: Den in diesem Absatz formulierten Gegensatz zwischen stoffwechselvermittelt und signalvermittelt kann ich nicht verstehen. Wenn biochemische Stoffe keinen Signalcharakter haben könnten, dann wäre Leben überhaupt nicht möglich. Jedes Hormon ist z.B. nichts anderes als ein Signalmolekül. So kann man die Frage meines Erachtens nicht angehen. Man muss vielmehr fragen, wovon ein Lebensprozess organisiert wird. Dafür gibt es in lebenden Wesen zwei grundlegende Systeme. Das ist einerseits das Genom und andererseits das Gehirn (samt Nervennetz, Sensoren und Exekutoren). Beide sind "Apparate" zum Sammeln, Speichern und Verarbeiten von Informationen, weshalb sie in Entscheidungsprozessen eine Rolle spielen. Selbstverständlich haben sie unterschiedliche Eigenschaften, woraus unterschiedliche Fähigkeiten resultieren. Bestehen Signale aus chemischen Verbindungen, ist meist das Genom als Organisator (oder auch Teil-Organisator) im Spiel. Das gilt sowohl für Moleküle aus dem Inneren des Körpers als auch für Moleküle, die der Umwelt entstammen (z.B. Pheromone bei Schmetterlingen). Aus meiner Sicht (der Sicht einer Molekularbiologin) sind alle Leistungen des Gehirns, die nicht durch Signal-Moleküle gesteuert werden, Kandidaten für ausschließlich umweltbedingte neuronale Interaktionen. Inwieweit in dem, was wir Psyche nennen, sich beides überlagert und verknüpft ist sicher Gegenstand intensiver wissenschaflticher Arbeit. Wenn ich z.B. Emotionen betrachte, sehe ich darin vor allem Nachrichten des Genoms an das Gehirn, das es entweder richtig (angenehmes Gefühl) oder auch falsch (unangenehmes Gefühl) gehandelt hat. Die entsprechenden Regelkreise werden durch Moleküle geschlossen. Die erzeugten Gefühle sind jedoch ganz eindeutig Bestandteil der Psyche.

(1.1.1) Re: Zur Begründung des Psychischen, 09.05.2001, 23:16, Annette Schlemm: Zuerst einmal: nicht jedes Aufeinandereinwirken wird hier Signalvermittlung genannt. In der Physik werden z.B. die spezifisch physikalischen Wirkungsfähigkeiten der hier betrachteten Körper als „Kräfte“ untersucht. Dabei wirken Körper auf spezifische Weise aufeinander ein, durch Druck, Stoß, durch Feld-Fernwirkung etc. – eben „physikalisch“. Wenn irgendwo ein Stern explodiert, beeinflusst das die nähere Umgebung zwar physikalisch, aber wir werden das nicht „Signal“ nennen. Wenn WIR dagegen diesen explodierenden Stern sehen, und wir in einen Bedeutungszusammenhang zu ihm treten, ist er für uns u.U. ein „Signal“. Das hat dann aber was mit der „Bedeutung für uns“ zu tun, nicht mit der rein physikalischen Kraftwirkung. Ebenso in der Chemie. In der Biologie entstehen dagegen neue Wechselwirkungszusammenhänge. In der Biologie geschieht nicht mehr alles durch unmittelbar physikalisch-chemisches Aufeinanderwirken von verschiedenen Stoffen. Ich bin auch keine Biologin oder Biochemikerin. Es hilft hier aber sicher, nicht die komplizierteren Beispiele zu nehmen, sondern sich das Ganze in ihrer einfachsten Form anzuschauen.
Soviel ich begriffen habe, wechselwirkt das Innere eines primitiven Einzellers direkt mit den umgebenden Stoffen. Der Stoff der Zellmembran reagiert direkt auf die stoffliche Eigenschaft der Umwelt, und durch die Bewegung der Scheinfüßchen erfolgt eine entsprechende Reaktion (Hindernis um fließen, Nahrung umschließen). Die umschlossene Nahrung wird dann richtiggehend physisch in die Nahrungsvakuole aufgenommen und stoffwechsel-biochemisch umgewandelt. Bis hierher haben wir noch kein „Signal“ und – mit Holzkamp – auch keine Psyche. Die ist etwas anderes: In Mehrzellern wird es zu einem Problem, dass die Nahrungsvakuolen weiter entfernt von den äußeren Nährstoffen sind und die direkte Aufnahme stößt an organisatorische Grenzen. Hierzu war es dann hilfreich, dass sich andere Agentien einschoben, die zwischen Wahrnehmung am Äußeren des Mehrzellers über das Vorhandensein von Nährstoffen und der inneren Stelle, wo die Stoffe gebraucht und umgesetzt werden, vermittelten. Diese Agenzien sind selbst nicht in den Stoffwechselumsatz einbezogen, sie sind selbst „stoffwechselneutral“. Diese Stelle ist meines Wissens nach von Biologen sehr schlecht dokumentiert, weil bisher noch niemand die richtige Frage gestellt hat (mit der Vermutung, dass genau dies ein wichtiger Entwicklungsschritt gewesen sein könnte). Aus diesen stoffwechselneutralen Agentien entwickelten sich dann die ersten Formen neuronaler Vermittlung. Wenn Du als Molekularbiologin mehr dazu weißt, würde es mich sehr interessieren. Manchmal braucht es ja nur eine geeignete Fragestellung, um frühere Informationen neu zu ordnen, anders zu verstehen... Du schreibst, dass es zur Organisation des Lebens„ in lebenden Wesen zwei grundlegende Systeme (gibt). Das ist einerseits das Genom und andererseits das Gehirn.“ Das ist viel zu wenig. Es hat sich herausgestellt, dass in der Biologie sehr vielfältige Faktoren auf biochemischer, organismischer und Populationsebene wirken, die man einfach nicht auf „Gen + Gehirn“ reduzieren kann. Als Physikerin kann ich verstehen, dass die Wissenschaft oft versucht, alles auf wenige Faktoren zu reduzieren (auch vom Versuch der Reduktion der Biologie auf Physik ist ja gerade die Molekularbiologie oft nicht weit entfernt). In meinen Studien zur Evolutionsbiologie (die in mein erstes Buch eingeflossen sind), habe ich mich von der durchaus strukturierten, aber doch faszinierenden Vielfalt biologischer Faktoren überzeugen lassen.

(1.1.1.1) Re: Zur Begründung des Psychischen, 16.05.2001, 08:09, Birgit Niemann: Natürlich ist nicht jede Wechselwirkung ein Signal, weil nur Informationen, die einem Empfänger eine Bedeutung vermitteln, Signale sind. Die Bedeutung ergibt sich aus den inneren Bedürfnissen des Empfängers. Bei Lebewesen stehen derartige Bedeutungen im weitesten Sinne so gut wie immer in Zusammenhang mit ihren Erhaltungs- und Vermehrungsbedürfnissen. Die Frage ist nur, mit was für einem Apparat registriert und verarbeitet der Empfänger die für ihn bedeutsamen Informationen (Signale). Aus der Struktur des Informations-Verarbeitungsapparates ergibt sich eben, welche Art von Signalen er überhaupt verarbeiten kann. Im übrigen muss ich mich dagegen verwahren, das ich falsch zitiert werde. An keiner Stelle habe ich irgend etwas auf Gen+Gehirn reduziert. Ich habe davon gesprochen, das es in Lebewesen zwei grundlegende Apparate gibt, die als Informations-Verarbeitungsapparate in Frage kommen und das es diese beiden Apparate sind, die entweder allein oder im Zusammenspiel alle Lebensprozesse steuern und organisieren. Diese beiden Apparate sind das Genom und das Gehirn. Genom ist nicht gleich Gen. Gene sind nichts als Programmsequenzen für den Bau von Proteinen. Ein Genom dagegen, als Gesamtheit der Gene eines Organismus, ist Wissens-Speicher, Wissenschaftler, Baumaterial-Erzeuger, Werkzeugbauer, Manager, Regelerfinder sowie Exekutor zugleich. Zumindestens für die Lebensprozesse, die das entsprechende Genom organisiert. Wenn Genome und Gehirne viel zuwenig sind und es noch andere grundlegenden Organisatoren von Lebensprozessen gibt, dann würde mich doch interessieren, welche das sein sollen. Ich kenne keine, aber das muss ja nichts heißen. Damit jetzt nicht die berühmten epigenetischen Prozesse kommen, weise ich vorsorglich darauf hin, das es wohl kaum epigenetische Prozesse gibt, an denen nicht Proteine beteiligt sind. Die Anwesenheit von Proteinen in der richtigen Konzentration, zur richtigen Zeit am richtigen Ort aber wird vom Genom gesteuert. Natürlich ist es klar, das es in einer Stoffwechsel-Kette mit jedem zusätzlichen Glied auch zusätzliche Eingriffsmöglichkeiten für weitere Modulatoren gibt, die den Ablauf modifizieren können, dass aber ist kein grundlegender Organisator für Lebensprozesse, weil die Proteine erst einmal da sein müssen, deren Aktivität dann durch Strukturveränderungen über Wechselwirkung mit anderen Molekülen modifiziert werden kann.

(2) Was war zuerst: die Sprache oder Bewußtsein?

(2.1) Sprache oder Bewusstsein, 30.04.2001, 18:57, Birgit Niemann: Diese Frage ist heute bereits beantwortet. Bewußtsein in Form von Ich-Bewußtsein ist per Spiegeltest bei unseren engeren Primatenverwandten Schimpanse, Bonobo, Gorilla und Orang-Utan nachgewiesen. Weitere biologische Kandidaten für Ich-Bewußtsein sind Delfine und Elefanten. Auch wenn alle genannten Arten ziemlich komplex kommunizieren hat doch keiner von Ihnen eine echte Sprache entwickelt. Wie die nicht mehr ganz neuen Experimente mit verschiedenen Zeichensprachen gezeigt haben, sind z.B. Schimpansen allerdings in Anfängen dabei. Es fällt auf, das alle betroffenen Arten Mitglieder komplexer sozialer Gemeinschaften sind. Auch spricht einiges dafür, das Ich-Bewußtsein die ursprünglichste Form von Bewußtsein ist. Es könnte in dem Augenblick entstehen, wenn ein Lebewesen mit großem Gehirn, das ja die Welt in Form von virtuellen "Abbildern" erfasst, auf die Idee kommt, sich selbst zu betrachten. So eine Art Rückkopplung des Gehirns auf sich selbst. Unter dieser Vorraussetzung stellt sich die Frage, was veranlasste unsere Vorfahren, sich selbst zu betrachten? Ein Versuch dieser Frage nachzugehen, ist die machiavellistische Hypothese zur Entstehung der Intelligenz. Auch unter dem Aspekt, das Wörter nichts weiter sind, als spezielle lautliche Symbole, scheint mir Bewusstsein und Denken älter als Sprache zu sein. Denn die Übersetzung von assoziierten Merkmalen der Realität in neuronale Symbole ist ja gerade die Arbeitsweise des Gehirns.

(2.1.1) Re: Sprache oder Bewusstsein, 09.05.2001, 23:15, Annette Schlemm: Nun, bei dieser Frage kommt es sehr darauf an, wie man „Bewusstein“ definiert („Sprache“ ist etwas weniger kompliziert – klar ist hier, dass nicht jegliche Kommunikation, z.B. im Tierreich, gemeint ist). Vom Wort her ist BeWUSStsein schon mal an so etwas wie „Wissen“ geknüpft. Was wird dabei ge-wusst? In Bezug auf die traditionelle Psychologie ist eine Empfindung dann bewusst, wenn sie „nicht nur erlebt, sondern zum Gegenstand der Selbstwahrnehmung erhoben wird“ . Daher kommt die Bindung ans „Ich“, auf die sich der Kommentar bezieht.
Eine der begrifflichen Präzisierungen, die aus der Kritischen Psychologie abgeleitet werden können, bezieht sich meines Erachtens auf das „Ich“ und das damit verbundene „Bewusstsein“.
Während es im physikalischen und chemischen Bereich noch keine „Individualität“ der Objekte/Subjekte gibt, ist die individuelle Unterschiedlichkeit, also die unterschiedliche qualitative Bestimmtheit der Organismen Grundlage des Lebensprozesses. Wenn diese Individualität im sozialen Leben auch wiedergespiegelt wird (in individuellen Identifikation von anderen Tieren, der Selbstwahrnehmung, der sozialen Gruppenstrukturen etc.) ist das schon eine hohe Stufe von psychischer Umweltverarbeitung. Meiner Meinung nach (ich folge hierin Holzkamp, möchte das aber nicht von Autoritäten her zitieren, sondern den Argumentationsgang selbst durchführen) aber ist aber nicht jede, auch nicht die höchstentwickeltste Form von Widerspiegelung der Individualität im Tierreich das, was wir unter „Bewusstsein“ verstehen. Ich hebe mir diesen Begriff für ein qualitativ völlig Neues Verhältnis des Individuums gegenüber seiner Umwelt, des menschlichen Individuums auf. Hier bezeichnet ein „bewusstes-Verhalten-zur-Welt“, dass das menschliche Individuum zwar durch die gegebenen Bedingungen seines Lebens bedingt – aber nicht bestimmt ist. Das meint: Der gesellschaftliche Reproduktionszusammenhang erfordert zwar, dass sich statistisch gesehen, genügend Individuuen an seiner Aufrechterhaltung beteiligen – aber das ist für den Einzelnen kein Zwang, keine Bestimmung, genau dies zu tun. Der Einzelne (genauer muß man sagen: der Besondere, weil das Individuum immer mit dem Allgemeinen vermittelt ist) hat eine spezifische Möglichkeitsbeziehung: Er hat immer die Alternative, „nicht oder anders zu handeln“ (Holzkamp, S. 236). Inwieweit das in der konkreten Gesellschaft, in der sie/er lebt, wie sanktioniert ist, ist eine andere Frage. Es geht hier um den spezifischen Unterschied des menschlich-Gesellschaftlichen gegenüber dem auch-tierisch-Sozialen. In tierischen Sozialbezügen hat jedes Individuum sozusagen eine „Funktion“, die es erfüllen MUSS, um physisch zu überleben. Auch dazu haben sich bereits hochentwickelte psychische Fähigkeiten entwickelt – die will ich nicht in Abrede stellen. Sich bewusst ins Verhältnis setzen zu den Bedingungen des eigenen Seins, das können nur menschliche Individuen – auf Grundlage ihres gesellschaftlichen Seins. Kein Experiment noch so „kluger“ Tiere kann dies wiederlegen. Dabei geht es – ich habe gerade wieder eine Fernsehsendung über die erstaunliche „Intelligenz“ von Tieren gesehen – immer nur darum, unmittelbar direkte Bedarfe zu befriedigen. Dabei können sie erstaunlich die gegebenen Bedingungen manipulieren. Menschen jedoch können – unabhängig vom unmittelbaren und direkten Bedürfnis, auf die Bedingungen selbst Einfluß nehmen. Das heißt z.B, dass menschliche Individuen für die individuelle Vorsorge über den direkten, unmittelbaren Bedarf und die direkte Interaktion oder soziale Kooperation „hinausdenken“ können, die Zusammenhänge zwischen der gesellschaftlichen Reproduktion und ihrem Beitrag bewusst reflektieren können usw. Wenn wir das Wort „Bewusstsein“ schon für psychische Fähigkeiten auf tierisch-sozialem Niveau „verbraten“, brauchen wir ein noch stärkeres Wort für das, was nur den Menschen eigen ist (und dass es das gibt, setze ich jetzt mal voraus, bzw. die Begründung dafür habe ich im Zusammenhang mit der spezifischen Möglichkeitsbeziehung hier und im Text http://www.opentheory.org/freiheit/v0001.phtml ausführlich beschrieben). Begriffshistorisch gesehen war es aber immer so, dass der Begriff „Bewusstsein“ das spezifisch Menschliche meint. Eine Übertragung aufs Tierreich ist der Unklarheit dessen geschuldet, was das spezifisch Menschliche ist.

(2.1.1.1) Re: Sprache oder Bewusstsein, 14.05.2001, 08:19, Birgit Niemann: Der Einzelne (genauer muß man sagen: der Besondere, weil das Individuum immer mit dem Allgemeinen vermittelt ist) hat eine spezifische Möglichkeitsbeziehung: Er hat immer die Alternative, „nicht oder anders zu handeln“ Ich weiß zwar nicht, was eine spezifische Möglichkeitsbeziehung ist, aber Entscheidungen zwischen Alternativen kann ich begreifen. Wenn z.B. ein Verhaltensbiologie mit einem Schimpansen experimentell arbeitet, dann ist er zum Beispiel auf die freiwillige Mitarbeit des Schimpansen angewiesen. Hat der Schimpanse keine Lust oder versteht es der Verhaltensbiologe nicht, die Neugier des Schimpansen zu wecken, dann zeigt dieser ihm die kalte Schulter und macht dem Experimentator dadurch folgende Mitteilung: "Du kannst mich mal". Wenn das keine freie Entscheidung zwischen den Alternativen: mitmachen oder es aber auch sein zu lassen ist, was dann? Nun könnte man sagen, ein Experiment ist eine künstliche Situation. Wenn aber ein Schimpanse in einer künstlichen Situation so reagieren kann, dann kann er das nur, weil er die prinzipielle Fähigkeit dazu hat. Die kann er aber nur haben, wenn er sich in seinem üblichen Schimpansen-Alltag in aller Selbstverständlichkeit ebenso verhält. In der Tat, kein Schimpanse ist zum Beispiel gezwungen, das Fleisch des eben erbeuteten Kolobus-Affen mit Anderen zu teilen. Er teilt auch bei weitem nicht mit jedem, sondern überlegt sich sehr genau, wem er etwas abgibt. Auch ändert er manchmal seine ursprüngliche Haltung, wenn der Andere nachhaltig bettelt. Noch viel interessanter ist die Tatsache, dass man Schimpansen durchaus zur Mitarbeit bestechen kann. Hier könnte man wiederum einwenden, dass es sich um eine Art Dressur dabei handelt. Dressur aber ist ein Ergebnis des Lernens am Erfolg, was häufiges Wiederholen des gleichen Vorgangs erfordert. Schimpansen aber erfassen den Sinn eines Bestechungsversuches sofort und ohne vorherige Übung. Auch funktioniert ein Bestechungsversuch nicht immer, weil sie sich frei entscheiden können, ob sie sich darauf einlassen oder auch nicht. Auch haben Schimpansen durchaus verschiedene Vorlieben, so dass man nicht jeden mit dem gleichen Gegenstand (z.B. Banane) bestechen kann. Auf irgendwelche Funktionen, die so und nicht anders ablaufen müssen, kann man bei der Erklärung solcher Ereignisse nicht zurückgreifen.

(2.1.1.2) Re: Sprache oder Bewusstsein, 14.05.2001, 09:02, Birgit Niemann: Sich bewusst ins Verhältnis setzen zu den Bedingungen des eigenen Seins, das können nur menschliche Individuenauf Grundlage ihres gesellschaftlichen Seins. Niemand bestreitet, das Menschen sich bewußt in Beziehung setzen können zu den Bedingungen ihres gesellschaftlichen Seins. Das können sie aber nicht wegen ihres gesellschaftlichen Seins, sondern weil ihr Gehirn die Ereignisse iher Welt reflektierend erfasst und bewußt macht. Dass das Verhalten des Einzelnen nach der Erfassung natürlich seine Handlungen bestimmen kann und damit wieder in die Gesellschaft zurückwirkt, was in der Art von Rückkopplungsprozessen diesen reflektierten Anteil mit jedem Zyklus erweitert, ist klar und muss nicht extra hervorgehoben werden. Was ich nicht begreifen kann ist, warum sich aus dem Handeln des Menschen ergeben soll, das alle anderen Organismen so etwas nicht können. Das bewußte gesellschaftliche Verhalten eines Schimpansen unterscheidet sich von dem eines Menschen allein in der Ausdehnung des Bereiches, der bewußt reflektiert wird. Der bewußte Gesichtskreis eines Schimpansen ist natürlich viel kleiner als der eines Menschen. Mit diesem kleineren bewußten Gesichts-Kreis geht der Schimpanse aber auf dieselbe Art und Weise um, wie der Mensch mit seinem Größeren. Auch zieht der Schimpanse dieselben Vorteile daraus. Er gewinnt größere Reproduktionssicherheit und erweiterte Entscheidungsfreiheit darüber, ob er eine Handlung, die eine Funktion absichert, gerade ausführen will oder nicht. Auch beim Schimpansen werden dadurch die Funktions-Beziehungen mit einer Schicht persönlichen Eigenwertes, der die Beziehung als Wert an sich betrifft, überzogen. Natürlich gleicht diese Schicht bei den Schimpansen eher einem dünnen Zuckerguß, während sie beim Menschen den Charakter einer im Verlauf der Menschwerdung immer dicker werdenden Sahneschicht erreicht. Wenn aber Menschen innerhalb von Systemen, die mit der Kapital-Akkkumulation einen eigenen Selbstzweck hervorgebracht haben, funktionalisiert werden, dann wird diese dicke Sahneschicht eigenwertiger sozialer Beziehungen ebenso wie ihre Entscheidungsfreiheit darüber, ob sie eine Funktion ausführen oder nicht, aber auch ganz schnell wieder abgeschleckt. Es bleibt übrig die nackte, kalte und unausweichliche Funktion. Ein Schimpanse und ein Mensch, der z.B. der Irokesen-Gesellschaft angehörte, sind sich daher trotz ihrer unterschiedlichen bewußten Gesichtskreise in ihren tatsächlichen gesellschaftlichen Möglichkeiten, Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheiten zu realisieren, ähnlicher, als Irokesen den heutigen Arbeits-Sklaven innerhalb der Einzel-Kapital-Systeme.

(3) Ab wann gibt es Bewußtsein? Schon bei Tieren?

(3.1) 11.05.2001, 23:54, Birgit Niemann: Bewußtsein ist, wie der Name schon sagt, bewußtes Sein. Das bedeutet nichts anderes, als das Bewußtsein in dem Augenblick entsteht, wenn ein Organismus sich seiner selbst bewußt wird, also sich selbst erkennt. So kommt es zu einem Ich, aus dem dann später in der Evolution mitunter ein "Ich denke, also ich bin" wurde. Bewußtsein ist eine Möglichkeit, die sich aus der Arbeitsweise des Gehirns ergibt, dass ja bekanntlich sein Wissen erwirbt, in dem es wahrgenommene Welteigenschaften in Nervenzell-Assoziate übersetzt, von denen einige als virtuelle Gestalten auch erfahren werden können. Das Augen-Tier Mensch bezeichnet diese virtuellen Gestalten mit einem akustischen Symbol aus Tönen als Abbilder. Solche Abbilder können jederzeit mit neuen Welteigenschaften, sowie auch untereinander beliebig rekombiniert werden. Weil die Rekombination der Abbilder im virtuell arbeitenden Gehirn grundsätzlich in alle Richtungen möglich sind, kann ein Gehirn Vergangenheit und Zukunft konstruieren, wodurch es prinzipiell eine, den tatsächlichen Aktivitäten vorausgelagerte, virtuelle Entscheidungsmöglichkeit zwischen Handlungsalternativen gewinnt. Das, und seine rasante Arbeitsgeschwindigkeit, ist der große Vorzug des Gehirns gegenüber dem Genom, dass andere Vorzüge hat. Ein Gehirn ist aber für einen Organismus auch ein riskantes Organ. Gerade weil es reale Welteigenschaften nicht nur in ihren tatsächlichen Beziehungen abbildet, sondern alle Merkmale prinzipiell beliebig miteinder vermischen kann, weiß das Gehirn nicht von allein, wann es Realität wiederspiegelt und wann es einfach spinnt. Kein Organismus, der nicht gefüttert und beschützt wird, kann sich aber ein beliebig vor sich in spinnendes Gehirn leisten. Tut er es doch, dann ist er bald nicht mehr da. Die meisten Gehirnträger programmieren daher ihr Gehirn durch ihr Genom. Das spielt auch beim Menschen eine beträchtliche Rolle. Nervenzell-Assoziationen, die nicht durch das Genom programmiert werden, müssen sich durch Rückkopplung an die reale Welt selbst programmieren. Besteht die reale Welt zum großen Teil aus Artgenossen, auf die sich unser Gehirnträger einstellen muss, heißt dieser Rückkopplungsakt Sozialisation. Hängt die handelnde Aktion noch dazu von dem Verhalten eines Artgenossen ab, der sich zwischen Alternativen entscheiden kann, ist es schwer, sein Verhalten vorrauszusehen. Da man dem Artgenossen leider nicht in's Gehirn sehen kann, bleibt unserem Gehirnträger nichts andres übrig, als sich selbst zu betrachten und das, was er da sieht auf den anderen zu übertragen. So kommt es überhaupt zur Selbsterkennung. Je besser ihm das gelingt, desto erfolgreicher wird er agieren. Besonders gut kann so etwas in der Geschichte an erfolgreichen Feldherren beobachtet werden. Natürlich treffen auch zahlreiche Tiere alternative Entscheidungen. Es geht auch in der Welt der außermenschlichen Gehirne nicht nur reflexartig zu. Den meisten Haustierbesitzern braucht man das nicht zu erzählen.

Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung

(4) Vollzieht sich die gesellschaftliche Entwicklung schneller als z.B. die emotionale?

(4.1) Re: Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung, 30.04.2001, 20:05, Birgit Niemann: Gesellschaftliche Entwicklung ist zweifellos ein Ergebnis der neuronalen Prozesse, die nicht mehr vom Genom gesteuert werden. Emotionen dagegen sind indifferente Bewertungszustände, die die Verständigung zwischen Genom und Gehirn absichern. Da sie einen genetischen Anteil haben, wird ihre Veränderungsgeschwindigkeit zweifellos vom "Lern-Tempo" des Genoms begrenzt. Da Genom bekanntermassen nur von Generation zu Generation lernen kann, ist die Frage damit eindeutig beantwortet.

(4.1.1) Re: Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung, 09.05.2001, 23:17, Annette Schlemm: „Gesellschaftliche Entwicklung ist zweifellos ein Ergebnis der neuronalen Prozesse, die nicht mehr vom Genom gesteuert werden.“ Ich denke nicht, dass die gesellschaftliche Entwicklung direkt und kausale Folge neuronaler Prozesse ist. Ein wenig könnte es zwar wie die Diskussion um das Primat von Henne und Ei erinnern, aber es berührt das Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung unmittelbar, wodurch man sie beeinflusst denkt.
Ja, die Entwicklung neuronaler Prozesse und die gesellschaftliche Entwicklung sind nicht ganz unabhängig voneinander. Aber z.B. sagt eine statistische Korrelation allein noch gar nichts über Ursache und Wirkung und Beziehungszusammenhänge!
Tatsächlich reicht gesellschaftliche Entwicklung über das Genomische hinaus – sie eröffnet jedoch auch über das Neuronale hinausgehend eine weitere Entwicklungsebene. Gesellschaftliche Strukturen existieren u.U. völlig unabhängig von neuronalen speziellen Gegebenheiten. Menschen, die neuronal die gleichen Fähigkeiten haben, können völlig unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen entwickeln!
Prinzipiell muß die neuronale Entwicklung für den Sprung der Hominiden zur Menschheit ausgereicht haben – die spätere gesellschaftliche Entwicklung (nach dem Dominanzwechsel, siehe http://www.thur.de/philo/kp/5_schritt.htm) braucht einfach keine weitere biologisch-neuronale Entwicklung mehr, sie hat sich von diesen biologischen Grenzen emanzipiert. „Emotionen dagegen sind indifferente Bewertungszustände, die die Verständigung zwischen Genom und Gehirn absichern.“ Nun ja, das ist eine Definition. Ich teile sie nicht. Um dem üblichen indifferenten Hin- und Herdefinieren zu entkommen, finde ich Holzkamps Methode, Begriffe an gegenstandshistorische Entwicklungszustände zu koppeln, ganz hervorragend. Der Ansatz, in Emotionen Bewertungszustände zu sehen, ist gut. Bloß wozwischen und wodurch... Bei Holzkamp heißt es dazu (begründet): „Emotionalität ist die Bewertung von in der Orientierung erfassten Umweltgegebenheiten am Maßstab der jeweiligen Zuständlichkeit des Organismus/Individuums“ (S. 98). Die Zuständlichkeit umfasst aber eben noch viel mehr als Genom und Gehirn!
Bei Menschen kommt noch etwas dazu: das mögliche bewusste-Verhalten-zu seiner eigenen Bedürfnisstruktur. Menschen sind nicht durch physiologische Bedarfe getrieben, sie können sich in geistige Distanz zu ihren eigenen Bedürfnissen begeben (müssen es sogar, denn menschlich-gesellschaftliche Produktionsweise bedingt z.B., dass das Saatgut nicht gleich aufgegessen wird, wenn Hunger da ist). Die gestellte Ausgangsfrage möchte ich hiermit nicht abhaken, ich möchte die Diskussion dazu offen lassen.

(5) Vollzieht sich nicht gerade ein destruktiver Selbstlauf des in sich selbstregulierten gesellschaftlichen Systems?

"Anwendungen"

(6) Wie ist das mit der Motivation?
Kommt der Mensch wirklich dazu, sich freiwillig irgendwo produktiv einzubringen; hat der Mensch das Bedürfnis, sich gesellschaftlich einzubringen

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus der kritischen Psychologie für den politischen und persönlichen Alltag?

(7) Ist eine revolutionäre Situation nötig, um die Gesellschaft grundlegend zu ändern (in Richtung Nicht-/Nachkapitalismus...)?

(7.1) Re: Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus der kritischen Psychologie für den politischen und persönlichen Alltag?, 20.03.2001, 18:17, katharina Löwen: Ich habe für mich mit genommen, dass jeder Schritt wichtig ist,d.h. bereits veränderung bringt. Warum warten auf die Revolution? Ist das nicht vielleicht eine: Kultur nicht als gegeben, mich nicht als "geworfen" und Welt als veränderbar verstehen und konsequent(er?) handeln.

(8) Wir haben ja schon Übergänge erlebt - über diese Erfahrungen sollten wir nachdenken.

(9) Wie gehen wir mit der "inneren Teilung" um?: Einerseits müssen wir für Geld arbeiten (restriktiv), andererseits will ich in der restlichen Zeit machen, was ich wirklich will (Projekte...).
Wir sollten das wenigstens gedanklich entkoppeln.

(9.1) 20.03.2001, 18:19, katharina Löwen: wie wär es nicht an das Geld, sondern an die eigenen Ziele, Projekte zu denken. klar das ich dafür die Lebensgrundlagen und "Mittel" brauche, aber nicht das Geld an sich als Wert an sehen.

(9.1.1) Wert an sich, 21.03.2001, 09:26, Stefan Meretz: Leider können wir die Widersprüche in der von Dir vorgeschlagenen Weise nicht wegschieben. Die Funktion des Geldes hängt nicht von unserer moralischen "Wertzuschreibung" ab, sondern ist objektiv unser Leben regulierender ökonomischer Wert. Wenn wir also Projekte machen, sollten wir uns die Widersprüche klar machen - etwa wenn der Projekterfolg ökonomisch definiert ist, der Projekt von öffentlichen Geldern abhängt, die individuelle Reproduktion mit dem Projekterfolg verknüpft ist usw. usf.

(9.1.2) 22.03.2001, 00:55, Uli Frömmer: Die gegenwärtige gesellschaftliche Situation, die wie besprochen objektiven Gesetzmäßigkeiten folgt, bedingt wohl die Vermittlung auch der individuellen Reproduktion durch Geld. Sie ist jedoch für den einzelnen Menschen sehr konkret und deshalb ist der Handlungsspielraum ebenso verschieden. Wichtige Fragen sind für mich deshalb auch konkret:
- Wie realisiere ich meine Reproduktion? Und welchen Teil davon muß ich über Geld vermitteln? Wieviel Geld ist dann (noch) nötig?
- Ist dieses Geld bei mir individuell verfügbar ohne besonderen Zeiteinsatz? Oder ein Teil davon?
- Welche - möglichst kurze - Zeit "opfere" ich dann der Beschaffung der ausstehenden Geldmittel? (Denn nur selten läßt es sich tatsächlich mit den Projekten verbinden.)
-Für welchen Zeitraum kann ich das planen und wie läßt sich eine solche Herangehensweise verstetigen?
- Wie gehe ich mit dem Unverständnis für dieses Abkoppeln vom herrschenden Verständnis im Umfeld um? Wo finde ich Gleichgesinnte und wie halte ich Kontakt zu ihnen und wodurch/von wem erhalte ich Solidarität/Sicherheit in diesem Konzept des "kreativen Scheiterns"?
Ja, ich stimme Dir voll zu: Weg vom Geld als "Wert an sich". Was gesamtgesellschaftlich (und auch im gesellschaftlichen Bewußtsein) unmöglich ist, kann durchaus für Einzelne realisierbar (konstruierbar?) sein. Außerdem gibt es natürlich eine ganze Schicht von Rentiers in unserer Gesellschaft, doch haben Sie eine neue und andere Gesellschaft zum Ziel? Der Kompromiß mit den bestehenden Verhältnissen (zur Beschaffung der Mittel für die Reproduktion) ist nur eine Seite der Medaille. Die Bestimmung der anderen "eigenen Ziele und Projekte", der Bedingungen für deren Realisierung sowie die nötige Motivation zu deren praktischer Umsetzung sind die andere. Schließlich gibt es noch den Konflikt der "inneren Teilung" (wie er in dieser Ausgangsfrage genannt wird), der sich ergibt zwischen bewußter Einordnung in bestehende Verhältnisse (und zur effizienten Geldbeschaffung muß ich mich gut einordnen),d.h. deren Erhalt befördernder Handlung/Verhalten, und gleichzeitiger (vielleicht zeitlich auch bewußt versetzter) Nichteinordnung mittels Handlung , die auf deren Überwindung gerichtet ist. Wie und wie lange kann man das gut aushalten?
Ich glaube, das Bewußtmachen dieser Situation ist der erste Schritt für ein Handeln in diesem Sinne. Ein weiterer ist die Suche von Gleichgesinnten, die jedoch ihrerseits den konkret möglichen Kompromiß finden müssen. Ein pauschales "geht nicht" halte ich für falsch. Der Primat der Suche muß jedoch auf der Bestimmung der möglichen Gestaltung anderer Verhältnisse liegen.

(10) Können wir auch im restriktiven Bereich dem Geld einen Funktionswechsel verleihen?

(11) Erfahrungen auflisten, wovon Menschen so leben, die ihre Freiräume mehr und mehr ausweiten - Erfahrungsaustausch, wie es gemacht werden kann.

(11.1) freiräume, 30.01.2005, 00:31, ilse reimann: 1.tauschbörsen gehen in die richtung, die mitglieder müßten aber auch ihre beruflich genutzten fähigkeiten anbieten 2. alternative projekte können ebenfalls diese freiräume ermöglichen wichtig ist die selbstfinanzierung des projektes die mitglieder müssen von der arbeit in diesen freiräumen leben können sonst stirbt das system 3. die vernetzung der tauschbörsen würde das system tragfähiger werden lassen

(12) Es gibt nicht "eine Antwort für alle und alles".

(13) Wichtig ist: praktische und geistige Freiräume besetzen/schaffen (für uns, nicht primär "für andere" ).

Zur Freien Kooperation

(14) Wie kann man eine freie Kooperation charakterisieren?
siehe: http://www.thur.de/philo/kooperation.htm

(15) Welchen Charakter haben die Beziehungen

(16) Müssen die Mitglieder einer solchen Kooperation (psychische) Voraussetzungen mitbringen, um Mitglied werden zu können

(17) Kann man eine Liebesbeziehung als freie Kooperation beschreiben? wie kann man erreichen, dass eine Kooperation für die Mitglieder frei und nicht erzwungen ist

(17.1) 15.07.2001, 13:13, Claudia van Beilen: Wenn eine Beziehung als Liebesbeziehung beschrieben wird, muss sie eine freie Kooperation zwischen zwei Lebewesen sein.Sonst wird der Begriff "Liebe" missbraucht. "Liebe" ich jemanden als "Objekt" in besitzergreifender Art (sublim oder offenbar) ist das keine Liebe sondern Selbstbefriedigung auf Kosten eines andern. "Liebe" ich einen anderen, indem ich ihn verehre und bewundere, gehe ich sozusagen im andern auf, aber verliere mich selbst. Auch das ist keine Liebe. Liebe ist die Kommunikationsform zwischen zwei Subjekten, die in sich selbst zentriert sind, aber aufeinander bezogen. Das trägt zum beidseitigen Wohl bei, fördert also das persönliche Wachstum und das des anderen. So bleibt die Beziehung auch spannend, weil eine Weiterentwicklung im Spiel ist.

(17.1.1) 04.08.2001, 20:15, Annette Schlemm: Literaturtip hierzu: Rudolph, Iris (1996): Die Sex-Arbeit. Hetero macht auch nicht froh, Hannover; Homepage der Autorin: http://www.iris-rudolph.de

(18) Kann die Gesamtgesellschaft den Charakter einer Freien Kooperation haben? (systemarer Selbstreproduktionscharakter mit Eigengesetzlichkeit)

(18.1) 15.07.2001, 13:03, Claudia van Beilen: Das wäre anzustreben. Bis jetzt in der (missratenen?) Geschichte der Menschheit(abgesehen von den maternalistischen Gesellschaften vor der neolithischen Zeit)ist dieser Zustand von Koexistenz gleichberechtigter Wesen noch nicht realisiert worden.Das schliesst aber nicht aus, dass die Menschheit heute vor dieser Chance steht!!Wenn wir wirklich lernen und lernen wollen aus der Vergangenheit und die neuen ERkenntnisse der Selbstorganisationsforschung dazunehmen, haben wir schon mal viel Wissenswertes. Die vielen Erfahrungen vergangener und leider noch gegenwärtiger Gesellschaftsformen und die theoretischen Erkenntnisse der Chaosforschung in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen. Noch nie zuvor haben wir so gute Dispositionen. Wir scheinen fast vor die Wahl gestellt zu sein, viel zu riskieren oder viel zu gewinnen. Der Verlust ist die Artenvielfalt, inklusiv die unsere, der Gewinn ein Zeitalter der Menschen- Tier und Pflanzenwürde.

(18.1.1) Gesellschaft als System, 04.08.2001, 20:12, Annette Schlemm: Meine Frage zielt auf ein anderes Problem:
Christoph Spehr meint auch, daß die gesamte Gesellschaft als Freie Kooperation funktionieren müsste.
Entsprechend meiner Zusammenfassung im Text „Jeder Mensch ist natürlich gesellschaftlich“ unterscheide ich im Punkt Ab) aber ganz bewusst zwischen Gesellschaft und Kooperation.
Gesellschaft entsteht nicht einfach als Summe aller Kooperationen. Sie hat einen eigenen Systemcharakter (auch wenn wir den spezifischen kapitalistischen Systemcharakter los sind). Um eine Charakterisierung dieses Systemcharakters geht es mir.
Zuerst noch mal, warum ist die Gesellschaft nicht einfach „große Kooperation“? Umgangssprachlich würde das vielleicht ausreichen. Es macht aber Sinn, unter Kooperation das zu verstehen, was Holzkamp herausgearbeitet hat: (was auch weit mit dem Begriff der Freien Kooperation bei Spehr zusammen passt, aber mit einigen Unterschieden: er ist allgemeiner – umfasst auch erzwungene Kooperationen – und unterscheidet zwischen Kooperationsebene und gesellschaftlicher Ebene ).
Bei der Kooperation erfüllen die Beteiligten einen gemeinsam angestrebten Zweck. Dieser kann von ihnen selbst gewählt sein – es kann aber auch beim Teamwork fürs Kapital auftreten. Die Art und Weise der Entstehung des Zwecks ist für die Bestimmung dessen, was Kooperation ist, unerheblich (auch wenn wir das dann mit einem hinzugefügten Adjektiv wie: „erzwungen“ oder „frei“ kennzeichnen). Beides ist eben Kooperation. Wir müssen also beim allgemeinen Fall bleiben (ob erzwungen oder frei, und nicht nur das weiterdenken, was wir uns wünschen). Der Zweck steht also außerhalb der Kooperation – woher kommt er? Genau aus dem noch umfassenderen, auf einer anderen Ebene sich befindlichen gesellschaftlichen Zusammenhang.
Was heißt es, wenn eine umfassendere (oft auch „höhere“ genannte) Systemebene im Spiel ist? Systeme bieten sich unserer Erkenntnis dadurch dar, daß die Beziehungen in ihnen auf eine spezifische Weise sich von anderen unterscheiden (die nicht räumlich von ihnen getrennt sein müssen – meist stellt man sich verschiedene Systeme aber räumlich getrennt oder ineinandergeschachtelt vor). Jeder Systembereich wird von bestimmten Zusammenhängen aufrechterhalten. Die Galaxis von den Gravitationswechselwirkungen der in ihr enthaltenen Materie; Zellen von ihrer Biochemie, die auch die Zellwände erzeugt; der Kapitalismus durch seine ökonomischen Gesetzmäßigkeiten... Da sind wir schon dabei, daß diese bestimmten Zusammenhänge erstens für das betreffende System typisch sind und es im Unterschied zu anderen kennzeichnen (sein Wesen ausmachen) und zweitens (in einer gewissen Zeit und für gewisse stabile Bereiche) sich ihre Muster in Form von gleichbleibenden Gesetzen zeigen. Systeme haben für sie (und nur für sie, das heißt sie kennzeichnende) wesentliche Zusammenhänge (d.h. Prozesse) und deren Muster werden auch Gesetze genannt. System, Wesen und Gesetz gehören begrifflich zusammen. Ein System hat eine Eigengesetzlichkeit. Es entsteht durch Prozesse und wird durch Prozesse aufrechterhalten, die nur für dieses System typisch, wesentlich sind und es gegenüber anderen unterscheidbar machen.
Warum ist nun die Gesellschaft ein anderes System als Kooperationen? Kooperationen entstehen direkt im Handeln der Menschen und sie sind eingebettet in die gesellschaftlichen Zusammenhänge. Die Direktheit der Kooperationen zeigt sich daran, daß sie nur alle aktuell beteiligten Menschen umfaßt. Wer sich nicht beteiligt, ist draußen. (Auch wer von den anderen nach Vereinbarung ohne eigenen Leistungsanteil mit getragen wird, ist insofern noch „drin“).
Gesellschaft dagegen ist ein umfassenderer Zusammenhang. Sie entsteht auch durch das Handeln der Menschen – aber viel vermittelter als bei der bloßen Kooperation. Gesellschaftliche Verhältnisse sind einerseits vorgefundene Voraussetzungen der individuellen Existenzsicherung, und jeder Mensch muß durch seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Lebensgewinnung diese Voraussetzungen seiner individuellen Existenz produzieren und reproduzieren helfen (Holzkamp, S. 192) - ABER: Diese beiden Momente treten stärker auseinander und verselbständigen sich: Die produzierten Lebensmittel/-bedingungen im Prinzip allen Gesellschaftsmitgliedern zur Verfügung, "unabhängig davon, ob sie an deren Produktion beteiligt waren" (ebd. S. 193).. Das heißt systemtheoretisch gesprochen: Die Gesellschaft reproduziert „sich“ – zwar über das Tun der Menschen – selbst unabhängig davon, ob Person A oder Person B sich beteiligt – nur durchschnittlich führen die Beiträge aller Menschen dazu, aber in einer vermittelteren Weise als bei Interaktion oder auch Kooperation.
Das ist der Knackpunkt. Natürlich könnte man auch Kooperationen so definieren („ich wünsche mir eine Kooperation, wo alles allen zur Verfügung steht“) – aber das erfasst dann eben nicht mehr den traditionellen Begriff von Kooperationen, der in seiner allgemeinen Form die anderen Möglichkeiten kooperativen Tuns noch enthält. Eine Kooperation, in der „die produzierten Lebensmittel/-bedingungen im Prinzip allen Gesellschaftsmitgliedern zur Verfügung stehen, unabhängig davon, ob sie an deren Produktion beteiligt waren" ist halt systemtheoretisch gesehen etwas anderes als eine beliebige andere Kooperation, sie hat ein eigenständiges, nur für sie typisches Wesensmerkmal – das sie dazu qualifiziert, Gesellschaft zu sein. (Nebenbei gesagt: das gilt für alle Gesellschaften, auch die kapitalistische!).
Was ich eben als „nebenbei“ erwähnte, ist der eigentliche Knackpunkt:
Diese Eigenschaft der Gesellschaft (im Unterschied zu einer beliebigen Kooperation) ist die Grundlage für das, was wir wesentlich aus der Kritischen Psychologie gelernt haben: die Grundlage für die spezifische prinzipielle Möglichkeitsbeziehung der einzelnen Menschen gegenüber der Welt (siehe http://www.thur.de/philo/kp/freiheit.htm).
Und für die Ableitung dieser wesentlichen Voraussetzung für alles, was wir dann wollen, brauchen wir ein angemessenes Verständnis des gesellschaftlichen Charakters im Unterschied zur bloßen Kooperation.

(19) Wie sollten Kooperationen die beiden Bereiche: a) Verwertung und b) Freie Kooperation teilen? (a) zur ökonomischen Reproduktion, IM Kapitalismus leider noch innerhalb dieses Rahmens notwendig; b) das Neue gegenüber a) mehr und mehr ausweiten...)

(20) Im Sinne von "Keimen einer zukünftigen Gesellschaft" gibt es bereits heute an verschiedenen Stellen sowohl materielle als auch geistige "Freiräume". Stellen diese Freiräume bereits heute eine wirkliche Alternative für alle dar?

(21) Muss man, um in einer zukünftigen freien Kooperation eine Waschmaschine nutzen zu dürfen, diese selber herstellen oder wird das (verlässlich) anders gelöst? (Frage nach der Funktion des gesamtgesellschaftlichen Austausches)

(22) Welche Kooperativen (mit welchen Spielregeln) gibt es bereits heute schon, vor allem in Bezug auf eine soziale Sicherung der Mitglieder? (Man sollte das mal auflisten)

(22.1) 22.03.2001, 01:10, Uli Frömmer: Vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch die Organisation der schon bestehende Künstlersozialkasse interessant?! (obwohl sie nicht auf bestehenden Kooperativen basiert)

Allgemein, zur Methode

(23) Wie kann man die logisch-historische Methode verstehen? Inwieweit werden nur die vollzogenen Entwicklungsschritte aufeinanderfolgend rekonstruiert und die aus der damaligen Situation heraus "auch möglichen" Entwicklungsabzweigungen vernachlässigt?

(24) Es wird gesagt, daß die jeweils verwendeten Kategorien bestimmen, wie die Welt analysiert wird. Inwieweit verändern sich die Kategorien auch mit, wenn sich die Gesellschaftstheorien verändern? (historischer Materialismus im Verständnis der 80er Jahre war Grundlage für Holzkamp)


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