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Was und wer hat Möglichkeiten?

Maintainer: Annette Schlemm, Version 1, 14.11.2000
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1)

Die Frage nach dem Verhalten des objektiv Moeglichen zum Sein
kann als Grundfrage allen Philosophierens ueberhaupt aufgefasst werden. (R.E.Zimmermann)

Gliederung:

(2) 1. Auf der Suche nach Freiheit in der Naturnotwendigkeit
2. Die Traegheit hinter der Kategorie der Moeglichkeit
2.1. Zufaelliges und Notwendiges auf der Ebene der Existenz
2.1. Wirklichkeit und Moeglichkeit
2.1.1. Die Existenz und die Wirklichkeit
2.1.2. Die Moeglichkeit
3. Zurueck zur existierenden Welt
3.1. Es gibt keine MoeglichkeitEN
3.2. Historizitaet der Moeglichkeiten
3.3. "Moeglichkeiten" als Spielraum von Elementen in Systemen
3.4. Moeglichkeitsfelder
3.4.1. Beispiele Physik
3.4.2. Beispiele Biologie
3.4.3. Besonderheit der menschlichen Gesellschaft
4. Gesetze und Moeglichkeiten
5. Moegliches, Gesetzmaessiges und unser Handeln

(3) Ausgeloest wurde die obige Frage durch eine Debatte darueber, ob Tiere einen "aehnlichen Moeglichkeitsraum wie wir Menschen haben", oder ob den Menschen eine spezifische Form von Moeglichkeit zukommt.

(3.1) Moeglichkeitsraum, 24.01.2003, 04:34, Uwe Berger: Die spezifische Möglichkeit des Menschen ist: sich von den anderen IndiviDuen abzugrenzen Auszugrenzen. Jeder lernt von seinen "Erziehern" den "Zugangscode" (lies auch Zug-Angst-Kot) [hier würde ich gerne zu "Das UtoKlo" verlinken. Ich weiß aber nicht, ob und wie das ginge? auch wie ich einen absatz zum kommentieren mache? also an dieser Stelle meine Bitte: uwe !hier Schlau machen!]. Die Baby!lonische Sprachverwirrung ist eine Vereinbarung: Wer darf in unseren Gefühls- oder Gedankenraum hineingehen. Tiere können dies (z.B.: Katzen, Hunde)und wir kommen nur nicht mehr so einfach heraus, in den allem lebenden gemeinsamen Mitgefühl- und Körpersprach-bewußtseins (wie verhält sich der Körper zur Erdanziehung?, was meint das Andere damit?, wo hab´ich das schon mal gefühlt(bedeutet; mit dem Finger berührt; oral ertastet) und was gab´s dabei dann immer auf die Finger, daß wir aus Angst immer enger wurden. Das Schlimmste ist hierbei die (sich täuschende)Gewissheit, je weniger ich die anderen zugänglich finde, desto weniger finden sie auch den Zugang zu mir. Ich bin mir sicher, daß bei geeigneter Entschlüsselung von Hieroglyphen und Keilschriffttexten, die Entwicklung des Menschen zum Arbeitstier(, daß mit dem Namen gerufen werden kann) zurück zu verfolgen und die Kenntnis des Zugangs wiederzufinden. Damals wurde dies Möglicherweise auch zur Manipulation benutzt und deshalb als Herrschaftswissen verschlüsselt weitergegeben. Schrittweise rückwärts führt uns hier die Metaphorik der Alchemie. Eventuell ist ein Geheimes in uns, jedem ohne Worte entschlüsselbar (Einsicht!) und die Herrschaften können da nicht ran, weil, da ist ihr ganzes nicht-gefühltes Leben (wie ein Stein vor einem leeren Grab) erstmal davor (Na dann, Frohe Ostern), á suivre... www.kleinekapellecoethen.de

1. Auf der Suche nach Freiheit in der Naturnotwendigkeit

(4) Der Handlungsspielraum der Menschen unterlag lange Zeit den Regelmaessigkeiten und auch den Unbilden der natuerlichen Umwelt.
Dem gegenueber setzte sich in der Neuzeit der Wille durch, "die wahre Auffassung und die unbeschraenkte Macht" ueber die Natur (Bacon 1870, S. 207) zu gewinnen. Das bedeutete, die gegenseitigen Abhaengigkeiten der natuerlichen Erscheinungen, ihre gegenseitige Bedingtheit und Bestimmtheit immer besser zu verstehen. Letztlich liessen sich fuer fast alle Erscheinungen Erklaerungen, oft sogar eindeutig kausale finden. Waehrend am Ausgangspunkt der Suche nach eindeutigen Bestimmungen (Determinationen) die Suche nach Gewissheiten, nach der Moeglichkeit, das vorher als chaotisch und gesetzlos angesehene Reich der Natur zu verstehen und in ihm vernuenftig leben zu koennen, stand - fuehrte dieser Weg einerseits in Richtung der Knechtung der Natur (vgl. Kritik dazu in Merchant) und andererseits auch dazu, dass man sich selbst verfing in der "Kette der strengen Notwendigkeit" (Fichte 1800/1976, S. 18). Johann Gottlieb Fichte litt darunter, dass Freiheit anscheinend nur darin bestehen kann, "alles zu tun, was die Natur fordert" (ebd., S. 22).
Fichte jedoch unterwarf sich dem nicht. Er vollzog einen Paradigmenwechsel, indem er - durch die Philosophie Kants angeregt und methodisch gestuetzt - gegen die Naturkraft das ICH setzte. "ICH bin ICH und setze alles Nicht-Ich!". Er war ueberzeugt: Fuer Intelligenzen gibt es "mannigfaltige Handlungsmoeglichkeiten, unter denen allen,... ich auswaehlen kann, welche ich will...". (mehr zu Fichte: http://www.thur.de/philo/as222.htm).
Dieser Impuls war die Geburtsstunde der Klassischen Deutschen Philosophie und der Ruf nach Freiheit kennzeichnet auch das philosophische Bemuehen von Schelling (siehe http:// www.thur.de/philo/as221.htm ) und Hegel.

(4.1) Re: 1. "Wille und wahre Auffassung der unbeschraenkten Macht über die Natur", 24.01.2003, 05:35, Uwe Berger: Anders gesagt (s.o. KommenTar 1.1)wird eben nur die unbeschraenkte Macht des "Herrschenden" über den ->in_seine_Schranken_Gesetzten (und damit von seinem Mitgefühl getrennten), vollbracht. Und diese Einschränkung des "Herrschenden", von dieser Tradition noch Kenntnis zu haben und durch eigene Abgrenzungen keinen Zugang in den, sagen wir ruhig, "Telephatischen Raum" zu haben, trennt ihn von der "unbeschränkten Macht". Diese hat nämlich der, der diesen Raum in sich entdeckt, da kann er vom Außen nochsosehr geschränkt sein.

2. Die Traegheit hinter der Kategorie der Moeglichkeit

(5) Wenn Wissenschaft darauf orientiert, moeglichst viele Erscheinungen zu erklaeren, d.h. auf allgemeine Zusammenhaenge und konkrete Bedingungen zurueckzufuehren - bleibt tendenziell kaum noch ein Spielraum. Schauen wir uns einmal an, wie die den Spielraum kennzeichnenden Begriffe (Zufälligkeit, Möglichkeit) - in Wechselseitigkeit mit den sie begrenzenden Begriffen (Notwendigkeit) - bestimmt sind:

2.1. Zufaelliges und Notwendiges auf der Ebene der Existenz

(6) Zufaelligkeit bzw. Notwendigkeit sind dadurch gekennzeichnet, inwieweit die Zusammenhaenge durch Bedingungen festgelegt sind. Notwendige Erscheinungen sind auf Grund einer Gesamtheit der Bedingungen bestimmt - fuer zufaellige Erscheinungen ist eine Bedingungsgesamtheit nur partiell gegeben.
Bedingungsgesamtheiten beziehen sich auf jeweils konkrete Bereiche der Welt - Notwendigkeit und Zufaelligkeit sind immer auf genau diese konkreten Bereiche bezogen. Bedingungsgesamtheiten koennen - grob gesprochen - auch als systemkonstituierend betrachtet werden. Notwendigkeit und Zufaelligkeit beziehen sich deshalb immer auf das Verhaeltnis zwischen Element und System (Hoerz 1980, S. 138).

(6.1) Re: 2.1. Zufaelliges und Notwendiges auf der Ebene der Existenz, 26.10.2008, 07:09, Wolfgang Borchardt: M.E, kann die Gesamtheit der Bedingungen zum Zeitpunkt der Entstehung von Etwas nie gegeben sein; das kann nur von bereits existierenden Entitäten behauptet werden, denn mindestens im Geltungsbereich quantenphysikalischer Effekte gilt die Unschärferelation. Insofern ist schon die Realität von Notwendigkeit als "durch eine Gesamtheit aller Bedingungen bestimmt" zu hinterfragen. Ich sehe hier bestenfalls einen quantitativen Unterschied zum Zufall.

Notwendigkeit

(7) Die Notwendigkeit ist in zweierlei Hinsicht relativ:
a) Die Bedingungsgesamtheit ist in Hinsicht auf den als System erfassten Bereich relativ - das System (wahrscheinlich sogar das Universum) ist selbst Element eines umfassenderen Systems.
b) Die gegebenen Umstaende gehen in der Entwicklung als Bedingungen zugrunde (Hegel 1830/1986, S. 289).

Zufaelligkeit

(8) Auf Grund der Bereichsspezifizierung existiert fuer jedes einzelne System jeweils nur eine reduzierte Bedingungsgesamtheit - also eine Bedingungsoffenheit, die den Zufall begruendet. Zufaelle sind jedoch nicht "schlecht-vermittelt-Beliebiges" (Bloch 1959/1985 S. 269), sondern selbst gesetzmaessig bedingt (Hoerz 1980, S. 135).
Das Zufaellige enthaelt einen inneren Widerspruch: Es existiert ohne Ruecksicht auf die Sache (Hegel 1830/1986, S. 292), enthaelt aber nichtsdestotrotz die Bestimmungen der Sache (ebd., S. 293). Oder anders ausgedrueckt:
Die Existenz ohne Ruecksicht auf die Sache bringt einen Ueberschuss an Umstaenden mit sich. Die konkrete Sache und deren Bedingungsgesamtheit ist bestimmt/begrenzt - das Zufaellige traegt ein Mehr an Umstaenden an sie heran.
Dass das Zufaellige dem Inhalt der Sache gemaess ist/seine Bestimmungen enthaelt, bedeutet, dass nur das "Zufaelliges" fuer die Sache wird, was ueberhaupt fuer sie Bedeutung hat (was nicht auf die Sache wirkt, hat gar keinen Bezug zu ihr, auch keinen "zufaelligen". Dies wird gegenwaertig z.B. neu formuliert in den Erkenntnissen zur Selbst-Referenz der Wahrnehmung).

2.1. Wirklichkeit und Moeglichkeit

(9) 2.1.1. Die Existenz und die Wirklichkeit

(10) Hegel trennt sauber zwischen den Begriffen: Sein, Dasein, Existenz, Wirklichkeit. Das klingt zwar etwas haarspalterisch, hat aber seinen begruendeten Sinn. Existenz und Wirklichkeit unterscheiden sich dabei durch folgendes:
Existierende Sachen und Prozesse ("Dinge") entstehen und vergehen. Alles Existierende ist eine "Welt gegenseitiger Abhaengigkeit und eines unendlichen Zusammenhangs von Gruenden und Begruendeten" (Hegel 1830/1986, S. 253). Wir bewegen uns hier auf der Ebene der uns vertrauten gegenstaendlichen Welt - in ihr manifestiert sich/ erscheint auch jeweils das Wesen- aber nicht in direkter Form.
Die Wirklichkeit dagegen ist mehr als das erscheinend Existierende. Entsprechend der klassischen Definition ist das Wirkliche "der Inbegriff des wahrhaft Seienden, Wesentlichen im Gegensatz zum Erscheinenden, Unwesentlichen, nur Empirischen, Zufaelligen" (Hoffmeister 1955, S. 672). Im Deutschen entspricht ihm die Werktaetigkeit (von mhd. werkelicheit) - also eine von den Ergebnissen des Werkens, den existierenden Dingen, durchaus berechtigt gedanklich unterscheidbare Sphaere. Im "wahrhaft Seienden" stecken die Potenzen des Zukuenftigen.

(10.1) Existenz und die Wirklichkeit, 26.10.2008, 07:46, Wolfgang Borchardt: Die Frage ist, ob die "berechtigt gedanklich unterscheidbare Sphaere" auch wirklich existiert? Oder handelt es sich bei dem Wesen um eine rein gedankliche Konstruktion? Bilden Wesenheiten keine "Welt gegenseitiger Abhaengigkeit"? Wenn das Wesen mehr ist, als die erscheinende Existenz, was kommt dazu und woher? Die "vollständige Bestimmtheit" kann es nicht sein (s. meine Anmerkung zur Notwendigkeit).#Ich würde die Wirklichkeit eher an der Wirkung auf andere "Dinge" fest machen, wie das ja auch in der These erfolgt.#Die Unterscheidung zwischen Sein, Dasein, Existenz, Wirklichkeit könnte dann in Anlehnung an Hegel verkürzt folgendermaßen erfolgen:#SEIN - völlig unbestimmt, leer, NICHTS#DASEIN - einzige Bestimmung: gewordenes (SEIN)#EXISTENZ - konkrete Existenz (weitere Bestimmungen)#WIRKLICHKEIT - "Existierende Sachen und Prozesse", die eine Wirkung hervorbringen (oder -gebracht haben ??? - das Problem "Gegenwart - nur eine subjektive Illusion?")#Die "Potenzen des Zukünftigen", nämlich etwas zu bewirken oder sich selbst zu verändern, stecken sowohl in der Existenz als auch in der Wirklichkeit.

Alles Wirkliche ist vernuenftig

(11) Bekannt und oft kritisiert wurde Hegels Spruch:

Was vernuenftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernuenftig.
Hegel weiss selbst, dass die Welt nicht danach aussieht: "Wer waere nicht so klug, um in seiner Umgebung vieles zu sehen, was in der Tat nicht so ist, wie es sein soll?" (Hegel 1830/1986, S. 49). Der Begriff der Wirklichkeit ist bei Hegel gerade so definiert, dass er eben nur das Vernuenftige (und vernuenftig Werdende) umfasst - alles andere gehoert "nur" auf die Ebene der Existenz.
Hegel warnt vor einer Verwechslung dieses Wirklichen "mit dem Handgreiflichen und unmittelbar Wahrnehmbaren" (ebd., S. 281). Die Ebene der Wirklichkeit ist auch dem Entstehen und Vergehen enthoben. Es gibt nur jeweils "die Wirklichkeit". Was einander zeitlich folgt, sind dem gegenüber existierende Dinge. Mit dem Begriff des Wirklichen umfasst Hegel auch die Ideen, das Wollen und das Sollen als Wirkende. Diese sind dadurch nicht mehr der "Welt" vielleicht hilflos Gegenueberstehende. Fuer Hegel ist die Wirklichkeit ein "emphatischer" Begriff. Die Philosophie hat eben nicht nur das Gegebene, Existierende zu beschreiben, sondern ihr Inhalt ist die Wirklichkeit in dem eben angedeuteten umfassenden Sinne. Philosophie steht dadurch dem jeweils Gegebenen, Faktischen, "nur" Existierenden gegenueber immer kritisch gegenueber - es vertritt immer das Wirkliche, zur Vernunft Kommende.

2.1.2. Die Moeglichkeit

(12) Der Begriff Moeglichkeit bezieht sich in exaktem Sinne lediglich auf die Ebene der Wirklichkeit, nicht die der Existenz.
Moeglichkeit und Wirklichkeit sind dabei zwei Momente jedes existierenden Dinges/Prozesses - jedoch nicht selbst entstehende oder vergehende "Zustaende".
Die Redeweise: "Die Moeglichkeit verwirklicht sich" ist deshalb auf keinen Fall als zeitliche Aufeinanderfolge zu verstehen!
Dann bleiben immer noch mehrere Moeglichkeiten :-) , Moeglichkeiten zu verstehen:
Zuerst einmal stellen wir einen Begriff der "Moeglichkeit" beiseite und betrachten ihn nicht weiter: naemlich den, der auf einer unzureichenden Kenntnis einer Sachlage beruht ("ich weiss nicht, ob dies oder jenes der Fall sein koennte...- beide sind moeglicherweise der Fall...").

Formelle Moeglichkeit

(13) Die "einfachste" Form der Moeglichkeit ist die der formellen Moeglichkeit.
Formell moeglich ist alles, was sich nicht widerspricht (Hegel 1814/1986, S. 203). Alles, was in der Welt existiert, sollte zwar einerseits formell moeglich sein - andererseits wissen wir, dass es dialektische Widersprueche enthaelt, also wird diese Form der formellen Moeglichkeit fuer uns recht kompliziert. Ausserdem ist die Aussage "es ist moeglich" in diesem Sinne recht "flach und leer" (ebd.).

Reale Moeglichkeit

(14) Interessanter wird es schon, wenn man inhaltliche Bestimmungen hinzunimmt.
Die inhaltsvolle Wirklichkeit ist real - ebenso ist die dazugehoerende Moeglichkeit nicht mehr nur eine formelle, sondern die reale. Diese reale Moeglichkeit einer Sache haengt von den konkreten Umstaenden/Bedingungen der Sache ab. "Wenn alle Bedingungen einer Sache vollstaendig vorhanden sind, so tritt sie in Wirklichkeit" (Hegel 1814/1986, S. 210). Fuer diese vollstaendige Bedingungsgesamtheit geht die reale Moeglichkeit also in die Notwendigkeit ueber. Den jeweiligen konkreten Umstaenden entsprechend ist notwendig bestimmt, was real moeglich ist.
"Was daher real moeglich ist, das kann nicht mehr anders sein; unter diesen Bedingungen und Umstaenden kann nicht etwas anderes erfolgen" (Hegel 1814/1986, S. 211).

Relativitaet der Bedingungsgesamtheit

(15) Auf dieser Ebene des Wirklichen und Moeglichen waere nicht mehr dazu zu sagen - wie es auch Hegel tut. Allerdings ist das Wirkliche nichts Abstraktes, sondern konkret inhaltlich bestimmt. Und alles Bestimmte ist auch beschraenkt - jede konkrete Wirklichkeit ist nur beschraenkt. Anders ausgedrueckt: fuer Jedes gibt es in gewissem Sinne eine Bedingungsgesamtheit, die es als notwendig bestimmt - in anderer Hinsicht ist die Bedingungsgesamtheit nur partiell gegeben - es bleibt zumindest Raum fuer das Zufaellige. Dies ist aber ein Thema der Ebene der Existenz und bleibt deshalb im System Hegels nur marginal (erwaehnt z.B. in 1814/1986, S. 212). Moeglichkeit gibt's nur in der Einzahl.
Wenn etwas Bestimmtes moeglich ist, dann heisst das auch, dass es anders sein kann (unter anderen Bedingungen).
Die Moeglichkeit ist dann die "vergleichende Beziehung" der jeweils die Moeglichkeit feststellenden Saetze. "Dies ist moeglich" - "Das andere ist moeglich". Im Umgangssprachlichen werden aus den Inhaltsbestimmungen "Dies" und "Das andere" dann "Moeglichkeiten".

3. Zurueck zur existierenden Welt

(16) 3.1. Es gibt keine MoeglichkeitEN

(17) Hegel lehnt eine Mehrzahl der Moeglichkeit ab. Er meint, dass "der ueble Wille und die Traegheit sich hinter der Kategorie der Moeglichkeit (verstecken)... und "der Scharfsinn des leeren Verstandes ... sich am meisten in dem hohlen Ersinnen von Moeglichkeiten und recht vielen Moeglichkeiten (gefaellt)" (Hegel 1830/1986, S. 282f.).
Er kennt nur eine Moeglichkeit fuer die Wirklichkeit. Die logische Beziehung zwischen Moeglichkeit und Wirklichkeit hat fuer ihn:

W1(M2) -> W2(M3) -> ...

"Diese Wirklichkeit, welche die Moeglichkeit einer Sache ausmacht, ist daher nicht ihre eigene Moeglichkeit, sondern das Ansichsein eines anderen Wirklichen; sie selbst ist die Wirklichkeit, die aufgehoben werden soll, die Moeglichkeit als nur Moeglichkeit." (Hegel 1814/1986, S. 209).
Um die Verzweigungsstruktur evolutionaerer Prozesse abzubilden, koennte man dieses Bild erweitern:
W{M1 (W1)...Mn(Wn)} -> Wreal´ {M...´},

wobei keine, eine oder mehrere "neue Wirklichkeiten" aus den Moeglichkeiten M1 bis Mn entstehen. Jedoch ist es nicht sinnvoll, das Verzweigungsbild auf diese Ebene zu transportieren und die Wirklichkeiten zu vervielfachen - die Verzweigung findet auf einer anderen Ebene, naemlich derjenigen der existierenden Systembereiche statt.
Wenn ueblicherweise von "Moeglichkeiten" gesprochen wird, werden "moegliche Bestimmungen des Existierenden" gemeint. Frueher ersetzte ich dieses Wort fuer die Ebene des Existierenden mit dem Wort "Kontingenzen" (Mass an Freiheitsgraden, in http://www.thur.de/philo/asmoeg.htm).
Auch das "Zufaellige" waere eine angemessene Umschreibung, denn es ist bestimmt als "Wirkliches, das als nur moeglich bestimmt ist" (Hegel 1814/1986, S. 205). Beim Nachlesen in Aristoteles wurde mir jedoch bewusst, dass damit noch nicht das eigentlich Gemeinte, naemlich das in die jeweilige Zukunft weisende Latente, Potentielle erfasst ist. Angemessener waere deshalb das Wort "Vermoegen" bzw. "Potenzen" (lat. potentia = das Koennen). Um die Untersuchungen nicht zu verkomplizieren bleiben wir bei der ueblichen Sprechweise. Wir verstehen jetzt aber unter "Moeglichkeiten" -> "Vermoegen/Potenzen" und unter "Verwirklichen" -> "Aktualisieren".

3.2. Historizitaet der Moeglichkeiten

(18) Bezueglich der so verstandenen Moeglichkeit"en", d.h. Zufaelligkeiten und Potenzen ist es wichtig, die verschiedenen Zeithorizonte zu beruecksichtigen. Historizitaet haengt zusammen mit der Veraenderung von Bedingungen. Bedingungen sind jene Umstaende, die im Verlauf der Zeit durch den Prozess selbst veraendert werden und vergehen. Sie "gehen in die Sache ein".
Nehmen wir einen konkreten Zeitpunkt "Jetzt" heraus (und vergessen fuer den Zeitraum unserer Ueberlegung, dass er sich auch weiterschiebt auf der Zeitlinie). Wir befinden uns dabei eigentlich auch gar nicht auf einem Zeitpfeil, denn nicht alle uns gleichzeitig umgebenden Dinge haben die gleiche historische Entwicklung unter gleichen Bedingungen gehabt wie wir, die wir an unserem "Jetzt" stehen. Fuer Elefanten sieht die (eigene) Vergangenheit ganz anders aus. Auch fuer Menschen anderer Gegenden, und fuer Menschen verschiedener sozialer Rollen, Geschlechter etc. Auch Du und ich stehen an unterschiedlichen Stellen des evolutionaeren Verzweigungsbaums. Die weiter in der Vergangenheit liegenden Zweige umfassten groessere Einheiten, z.B. alle Saeugetiere.

Die Vergangenheit

(19) Historische Untersuchungen koennen fuer fast jedes Ereignis genuegend Gruende und Ursachen angeben, die es bewirkten. Man kann dann noch zwischen wesentlichen und unwesentlichen Ursachen unterscheiden und feststellen, dass es Einfluesse eine Rolle spielten, die ihren Grund nicht im untersuchten Prozess selbst haben - die also zufaellig waren. Trotzdem zeigt sich im Nachhinein, dass insgesamt genau all jene Bedingungen vorhanden gewesen sind, die zu genau dem gefuehrt haben, was geschehen ist.
Klaus Holzkamp verwendet bei der Untersuchung der Entstehung und Entwicklung des Psychischen bsw. die "funktional-historische Methode" (Holzkamp 1985, S. 66). Bei ihr wir dem Zusammentragen von empirischem Material eine logisch-historische Rekonstruktion (ebd., S. 68) vorgeordnet, in der genau untersucht wird, welche Voraussetzungen logisch fuer die Entwicklung der aufeinanderfolgenden funktionalen Prozesse notwendig sind. Dann wird geschaut, ob diese entwicklungsnotwendigen Voraussetzungen auch empirisch real moeglich gewesen sind ("Es spricht nichts dagegen..." (ebd., S. 73)). Es wird also vom Standpunkt des gerade Untersuchten aus die je eigene Vergangenheit zurueckgeschaut. Von jedem Zweigende aus laesst sich ein eindeutiger Weg zurueck zur Wurzel erkennen. Aber von der Wurzel her gibt es viele verschiedene "Zukuenfte" fuer verschiedene Evolutionsprodukte. Bei historischen Untersuchungen wird i.a. der eindeutige Weg rekonstruiert. Es darf hier keine "zweigleeren" Stellen geben, alles muss wohlgeordnet aufeinander folgen - wenn auch mit qualitativen Spruengen. Aber auch diese benoetigen Voraussetzungen aus der jeweils vorherigen Phase, die man untersuchen kann.
Trotzdem waere es ein verhaengnisvoller Irrtum, diesen einen eindeutigen Weg auf alle anderen Zweite zu projizieren. Es ist sorgfaeltig zu unterscheiden, welche Bereiche wirklich gemeinsame Evolutionsschritte vollzogenhaben.
"Mit der Heraushebung der allgemeinen Prinzipien ... der Entwicklung ist weder "normativ" ausgesagt, dass ein solcher Entwicklungsprozess stattfinden muss, noch ist behauptet, dass die eine ... Entwicklungsprogression tatsaechlich ueberall stattgefunden hat bzw. stattfinden wird, sondern es soll lediglich fassbar gemacht werden, nach welchen Prinzipien die ... Entwicklung, sofern sie stattfindet, begriffen werden muss, was auch das Begreifen der Bedingungen der Stagnation bzw. des Verfalls ... einschliesst." (Holzkamp 1985, S. 184).

Die Zukunft

(20) In die jeweilige Zukunft nimmt jede Sache/jeder Prozess die Geschichte seines Zweigs mit, also gewisse Voraussetzungen, von denen aus nicht mehr "alles beliebige" moeglich ist. Die Moeglichkeiten seiner Zukunft sind dadurch bedingt, wenn auch nicht hundertprozentig festgelegt.
Hier ist die Stelle, bei der ich schon laenger mit Hegel unzufrieden war (Mir war noch nicht klar, dass Hegel sich im Verlauf seines Denkens laengst von der nur existierenden Ebenen zur Ebene des Wirklichen heraufgeschwungen hatte und ihn erstere einfach nicht mehr interessierte.) Fuer die Ebene des Wirklichen gibt es tatsaechlich nur EINE Moeglichkeit als Moment der Wirklichkeit. Die Potenzen/Zufaelligkeiten/Moeglichkeiten auf der Ebene der Existenz sind nicht mehr sein Thema. Daher ruehren die Differenzen, die ich beim Umgang mit den Moeglichkeiten zwischen Hegel und Ernst Bloch entdeckte (vgl. Schlemm 1999, S. 118, http:// www.thur.de/ philo/vortragdresden.htm):

Im Prinzip kann man Hegel fuer den Bereich der Untersuchung der Vergangenheit in Anspruch nehmen - und fuer die Bedingtheit der Evolution auf jedem einzelnen Zweig - waehrend fuer die Zukunft auf der Ebene der Existenz (und die interessiert uns ja vorwiegend) die Blochsche Ansicht adaequater ist.

3.3. "Moeglichkeiten" als Spielraum von Elementen in Systemen

(21) System-Element-Verhaeltnisse

(22) Wir hatten oben schon erwaehnt dass es von den jeweiligen Bedingungen abhaengt, ob Ereignisse oder Zusammenhaenge notwendig oder zufaellig, moeglich oder unmoeglich sind. Diese Bedingungen verweisen auf eine notwendige Konkretisierung. Die reale Welt ist kein Durcheinander unentwirrbarer Wechselbeziehungen - sondern in sich strukturiert. Es gibt in ihr Bereiche, in denen bestimmte Wechselbeziehungen ihre konkreten Strukturen wesentlich bestimmen - sie werden dadurch auch unterscheidbar von den typischen Strukturen in anderen Bereichen. Bereiche mit qualitativ (!) unterscheidbaren wesentlichen und fuer diese Bereiche notwendig-allgemeinen Zusammenhangsformen werden auch Systeme genannt. Sie sind niemals vollstaendig voneinander isoliert, sondern wechselwirken mit ihre Umwelt (anderen Systemen). Die sie bildenden Zusammenhaenge beruhen auf Wechselwirkungen jeweils elementarer Objektstrukturen, hier "Elemente" genannt. Auf ihrer eigenen Ebene stellen sie selbst Systeme dar - und Systeme sind Elemente umfassenderer Systeme. Das bezieht sich auf unterschiedliche Systeme innerhalb einzelner Wissenschaftsbereiche - aber auch deren verschiedene Ebenen.

3.4. Moeglichkeitsfelder

(23) Die jeweilige Vielfalt der Verhaltensmoeglichkeiten von Elementen in Systemen befindlichen Moeglichkeiten/(Potenzen) wird erfasst im Moeglichkeitsfeld/(Potenzfeld). Es umfasst "die mit der Tendenz des Systemverhaltens verbundenen wesentlichen Moeglichkeiten des Elementverhaltens, die sich bedingt zufaellig mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit verwirklichen" (Hoerz/Wessel 1983, S. 110). Das Moeglichkeitsfeld ist nicht statisch, sondern selbst veraenderlich. Durch innere Wechselwirkungen der Elemente entstehen auch die Potenzen fuer Neues - Zufaelligkeit allein ist dafuer nicht ausreichend. Moeglichkeiten werden durch die vorhergehende Entwicklung bestimmt - ihre Verwirklichung durch die Bedingungen (Hoerz/Wessel 1983, S. 116).

3.4.1. Beispiele Physik

(24) Physikalische Systeme existieren auf Grund der unterschiedlichen Reichweiten und Staerken der vier physikalischen Wechselwirkungen (Kraefte). So lassen sich aufgrund der durch die Entfernung gegebenen relativen Isolierung Sternensysteme voneinander unterscheiden. Ebenfalls Galaxien etc. Auch die Sterne selbst existieren und entwickeln sich auf Grund der jeweiligen Bedingungen (Gasdichte, Temperatur, Druck, Vorliegen von Atomen und Ionen spezifischer chemischer Elemente) nach einem gemeinsamen Entstehungsprozess eher relativ isoliert und als System betrachtbar.

3.4.1.1. Klassische Mechanik

(25) Als System betrachten wir z.B. eine Gesamtheit von Messungen an Planeten, die einzelnen Messungen sind die Elemente.
Es wird vorausgesetzt, dass sich ein Koerper zu jedem Zeitpunkt an einem bestimmten Raumpunkt aufhaelt und dieser beliebig genau gemessen werden kann. Dann ist das Moeglichkeitsfeld reduziert auf einen beliebig genauen Messwert fuer die Koordinaten. Diese Form wurde i.a. verallgemeinert als "wissenschaftliche Determination" und fuehrte zum deterministischen Mechanizismus. Die Klassische Mechanik waere auch statistisch interpretierbar, wie Max Born zeigte (nach Roeseberg 1975). Er nahm statistische Verteilungen fuer die Anfangswerte an, so dass seine Groessen Aufenthaltswahrscheinlichkeiten, keine exakten Koordinaten wurden. Dann existiert fuer die einzelnen gemessen Messgroessenwerte ein objektives Moeglichkeitsfeld.

3.4.1.2. Statistische Physik

(26) Die statistische Thermodynamik verbindet zwei Strukturniveaus. Dabei wird die makroskopische Teilchenbewegung als Folge der Waermebewegung der Molekuele der Loesung gedeutet (Roeseberg 1975, S. 87). Der makrophysikalische Bereich wird charakterisiert durch messbare physikalische Groessen wie Temperatur und Entropie. Diese erweisen sich als Funktionen von mikrophysikalisch moeglichen Groessen, fuer die es Verteilungsfunktionen gibt (Temperatur als Funktion der durchschnittlichen Teilchengeschwindigkeit). Die mikrophysikalischen Groessen (Geschwindigkeit der einzelnen Teilchen) jedoch fluktuieren und die Fluktuationen sind damit zu wesentlichen/konstituierenden Elementen der Theorie geworden. Das Moeglichkeitsfeld besteht aus den individuellen Schwankungen der mikrophysikalischen Groessen.

(27) 3.4.1.3. Quantentheorie Im Quantenbereich kann nicht mehr von der Vorstellung isolierter "Koerperchen" ausgegangen werden, die zu einem Zeitpunkt an einem bestimmten Ort auffindbar waeren. In der Quantentheorie wird das Verhalten des Systems durch Bewegungsgleichungen fuer den Zustandsvektor ( im Hilbertraum erfasst. Das Moeglichkeitsfeld ist durch das diskrete Eigenwertspektrum der Observablen, - das sich auf sich auf wiederholte Messungen bezieht - gegeben.
Ein anderes Beispiel aus der Elementarteilchentheorie betont eine andere Art des Moeglichkeitsfelds und betrachtet alle Zerfallskanaele fuer den Zerfall instabiler Elementarteilchen als Moeglichkeitsfeld (vgl. Hoerz/Wessel 1983, S. 111).

3.4.1.4. Kosmologie

(28) Im Bereich der Evolution kosmischer Objekte werden die Verzweigungsmoeglichkeiten der Evolution als Moeglichkeitsfeld fuer das jeweilige System betrachtet. Beispielsweise stellen die verschiedenen Sternevolutionen Moeglichkeiten des Moeglichkeitsfeldes der Galaxien dar (vgl. Hoerz/Wessel 1983, S. 111).
Fuer Sterne verschiedener Massen gibt es prinzipiell unterschiedliche Entwicklungswege, die von Umgebungsparametern noch zusaetzlich variiert werden.
Allerdings erfolgt letztlich die Evolution innerhalb der durch das Herztsprung-Russell-Diagramm gegebenen Aufeinanderfolge die stark von wenigen Parametern determiniert wird.
Unklar ist, ob es fuer das gesamte Universum, z.B. im Bereich der "Urknall" genannten Singularitaet Prozesse gegeben hat, bei der die weitere Entwicklung nicht schon "vorherbestimmt" war, sondern sich verschiedene neue Wechselwirkungstypen/Kraefte haetten auspraegen koennen, bzw. ihre Parameter und typischen Konstanten anders gewesen sein koennten.

3.4.2. Beispiele Biologie

(29) In der Biologie haben Systeme prinzipiell einen anderen Charakter als in der Physik. Es wechselwirken nicht nur die vier physikalischen Kraftformen und bilden voneinander unterscheidbare Systembereiche - sondern die Systeme sind durch Selbstreproduktion und Selbstreferenz (Autopoiese) gekennzeichnet. Sie sind gegenueber Stoffwechsel offen, erhalten aber ihre spezielle Strukturiertheit, ihre Organisation stabil. Die Aufrechterhaltung der "dynamischen Ordnung" (v. Bertalanffy) fuer das Ganze bestimmt die Funktion der im System enthaltenen Teile, der Elemente des Systems. Mit der Funktion, die den Zweck des Systemerhalts und seiner Entwicklung erfuellen, erhalten wir hier neue Faktoren. Diese "organismische" Sicht wird oft auch auf die Gesellschaft und zumindest auf die oekologische Einbindung der menschlichen Gesellschaft in die natuerliche Welt betont.
Wenn nur der Erhalt des gegebenen Systems die Funktion bestimmen wuerde, waere diese organismische Funktionsorientierung einseitig verstanden - letztlich geht es um die Entwicklung, die Ko-Evolution der beteiligten Momente. Das Lebendige ist ein Prozess, in der die "Glieder sich ebenso gegenseitig Mittel als Zweck" (Hegel 1830/1986, S. 141) sind.
Moeglichkeiten innerhalb des Systems beziehen sich deshalb immer auf die Funktion der Elemente fuer den Erhalt und die Entwicklung des Systems und der Elemente.

3.4.2.1. Mutationen

(30) Fluktuationen im Bereich der Genomstruktur erweisen sich in der biotischen Evolution als notwendig - solange sie ein gewisses Mass nicht ueberschreiten. Eine grosse Rolle spielen sog. "neutrale Mutationen", die nicht sofort wirksam als Potential fuer spaetere guenstige Anpassungen bereit stehen.

3.4.2.2. Evolutionaere Vielfalt

(31) Waehrend in der physikalischen Evolution aus den jeweils konkret gegebenen Bedingungen nur jeweils eine Moeglichkeit zur Weiterentwicklung gibt (z.B. in der Sternevolution), sieht es in der Biologie differenzierter aus. Es gibt an vielen Stellen der Evolution sogenannte "sensible Phasen", wo das jeweils zu einer konkreten Zeit Gegebene nicht "praeformiert" ist fuer den weiteren Entwicklungsweg, sondern offen gegenueber verschiedenen zukuenftigen Entwicklungs-"Zweigen".
Beispielsweise haetten andere, als die das Licht in linke Richtung polarisierenden Zuckermolekuele der Nukleinsaeuren in die weitere Evolution eingehen koennen. Es gibt biologisch keinen Grund, warum es nicht die rechtsdrehenden haetten sein koennen (Diskussion dazu in Schlemm 1996a, S. 99). Auch die grundsaetzliche Struktur des genetischen Codes haette anders sein koennen.
Im Einzelorganismus und auch bezueglich der Organisation der Lebewesen in der Populations- und Artenentwicklung erwies sich eine gewisse "Plastizitaet" aller Strukturen als Voraussetzung fuer die weitere Evolution (Schlemm 1996a, S. 115, nach Cimutta).
Die Artenvielfalt nahm vor allem nach grossen Aussterbeperioden immer wieder geradezu explosionsartig zu - "Radiation" wird dies in der Evolutionsbiologie genannt. Gerade diese Zeiten waren davon gekennzeichnet, dass viele oekologische Nischen frei geworden waren, und sich Organismen mit den verschiedensten Bauplaenen und Prinzipien entwickeln konnten, die jeweils ihre Form und Lebensweise nicht direkt von der Umwelt "aufgepraegt" bekamen.

3.4.2.3. Verhaltensdifferenzierung

(32) Zusaetzlich zur aeusseren Form und der Biochemie gehoert zur Bestimmung einer Tierart auch ihr jeweils arteigenes Verhalten. Differenziertes Verhalten der Einzelorganismen ist im Bereich des Biologischen populationsstabilisierend.
Bei den Insekten differenzierte und koordinierte sich ihr Verhalten i.a. ueber eine genauere Differenzierung der einzelnen genetischen Programme der Individuen.
Die Wirbeltiere dagegen vergroesserten gerade die Flexibilitaet des einzelnen Individuums.

3.4.2.4. Grenzen des Moeglichen - Aktivitaetsdetermination bei Tieren

(33) Ein Tier kann jedoch nicht "selbst entscheiden", was es wann tut. Die Aktivitaet eines Tieres (Hinwendung zu Nahrung, Fressen) wird nicht unmittelbar und direkt durch die aeusseren Gegebenheiten (Futter vorhanden) bestimmt. Zusaetzlich muss ein innerer Bedarf danach vorhanden sein (Hunger). Dieser Bedarf haengt von inneren Zustaenden ab und wird entsprechend den jeweiligen inneren Ungleichgewichtszustaenden "gewertet". Diese Wertungen der in der Orientierung vorgefundenen aeusseren Tatsachen sind die ersten und niedersten Formen von Emotionalitaet. Sie stehen dem Tier aber nicht frei, sondern sind eine "zwangslaeufige Folge der Zustandsaenderung" (Holzkamp 1985, S. 97). Diese psychische Komponente verweist darauf, dass das Tier nicht lediglich eine biochemische Fabrik ist. Der Zusammenhang von aeusseren Stoffen und innerem Bedarf wird nicht direkt ueber biochemische Reaktionen vermittelt - sondern ueber andere Signalformen, aus denen das Psychische entsteht - wodurch eine gegenueber der Biochemie neue Ebene aufgespannt ist. In der Emotionalitaet werden verschiedene Teilwertungen zu einer Gesamtwertung kombiniert, so dass in der Umsetzung ein gewisser "Spielraum" (Holzkamp 1985, S. 107) gegeben ist.
Durch die individuelle Lern- und Entwicklungsfaehigkeit ergeben sich weitere Differenzierungen. Die Aktivitaetsablaeufe (was nacheinander getan wird), sind nicht mehr nur genetisch-instinktiv "angeboren", sondern koennen entsprechend den Erfahrungen mit der Umwelt zuerst in ihrer Reihenfolge - spaeter noch weitergehender - veraendert werden. Gewoehnung, durch Erfahrung modifizierbare "angeborene ausloesende Mechanismen" (Lorenz), Lernen aus Fehlern, die Antizipation von Situationen etc. gehoeren dazu. Im Zusammenhang mit den Sozialverbaenden entwickelte sich vor allem bei den Jungtieren ein Spielverhalten. Aber auch hier ist das Lernen nicht beliebig. "was auf welche Weise gelernt werden kann, ist bestimmt durch die "Lebensnotwendigkeiten" einer bestimmten Spezies in ihrer artspezifischen Umwelt" Holzkamp 1985, S. 128). Dadurch ist die Lernfaehigkeit fuer jede Tierart auch begrenzt, was Dompteure wohl wissen.

3.4.3. Besonderheit der menschlichen Gesellschaft

(34) Die Entstehung der natuerlichen "Kultuerlichkeit" der Menschen

(35) Menschen enthalten die biotische Evolution - sind aber in ihrer eigenstaendigen Qualitaet durch eine voellig neue Moeglichkeitsbeziehung gegenueber der Welt bestimmt.
In der Evolution zum Menschen vollzog sich ein qualitativer Sprung. Ausgehend von sozialem und werkzeuggebrauchenden Verhalten primatenartiger Vorfahren entsteht die Arbeit.
Bei ihr werden nicht erst angesichts des primaeren Bedarfsziels ("Hunger") Werkzeuge hergestellt und benutzt, sondern sie werden in verallgemeinerter Weise zur Erreichung einer bestimmten Art von Bedarfszielen ueberhaupt, sozusagen "fuer den Fall"... ausgewaehlt und zugerichtet... quasi als "Selbstzweck" bereitgestellt und aufgehoben (Holzkamp 1985, S. 173). Diese Verallgemeinerung des Verhaltens fuehrt zu neuen sozialen Beziehungen, die ueber das unmittelbare praesente Verhalten in der Gruppe hinausgehen. Der gemeinschaftliche Reproduktionsprozess ueberschreitet die Unmittelbarkeit, fuehrt zur arbeitsteiligen Handlungskoordination, die nicht nur genetisch, sondern auch kulturell weiter "vererbt" wird und auch nicht mehr instinktiv, individuell lernend - sondern sozial-kulturell organisiert wird. Aus der sozialen Gruppe (die es auch schon bei Tieren gibt) wird die menschliche Gesellschaft. Die ersten so lebenden und arbeitenden Vor-Menschen wurden in ihrer Evolution noch von biotischen Prozessen bestimmt - immer wieder starben Gruppen aus. Aber es zeigte sich, dass die gesellschaftliche Reproduktionsweise letztlich auch biotische Selektionsvorteile hatte und schliesslich auch auf die genomische Information der Vorfahren der Vor-Menschen zurueckwirkte, sich in sie einschrieb.
Erst nach vielen Jahrhunderttausenden hatte dieser biotische Prozess sich so weit fortgesetzt, dass jedes menschliche Wesen schon von seinen Genen her zu einem gesellschaftlichen Leben - nicht mehr bloss zu einem tierisch-sozialen - bestimmt ist. "Der Mensch gewinnt auf phylogenetischem Wege... seine gesellschaftliche Natur..." (Holzkamp 19085, S. 180). Ab jetzt bestimmten nicht mehr die biotischen Evolutionsprinzipien, sondern gesellschaftlich-kulturelle Prozesse dominieren die Entwicklung der Menschen.

Das Wesen der Menschen

(36) Es hat nicht viel Sinn, irgendwelche Eigenschaftszuschreibungen an ein festes "Wesen des Menschen" zu binden. "DER Mensch" ist jeweils ein Individuum, ein Subjekt. Gerade das unterscheidet ihn von jedem Tier. Allerdings kann man bezueglich der Unterscheidung von anderen lebenden Organismen schon einen wesentlichen Unterschied aller Menschen gegenueber den Tieren festhalten:
Es ist biologisch (genetisch) festgelegt, dass der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist.
Er ist "natuerlich" gesellschaftlich. Jede/r Einzelne!
Es hat kein Sinn, Natur und Gesellschaft voneinander isoliert zu betrachten: Aus einem Organismus-Umwelt-Verhaeltnis ist ein Mensch-Welt-Verhaeltnis (Holzkamp 1985, S. 190) geworden. Die aktive Anpassung des gesellschaftlichen Lebensprozesses an die Aussenweltanforderungen (ebd. S. 180) wurde zum Evolutionsprinzip.
Es hat auch keinen Sinn, Mensch und Gesellschaft voneinander isoliert zu betrachten: Jedes Individuum ist gesellschaftlich vermittelt und Individualisierung bedeutet, seine (besondere) gesellschaftliche Vermitteltheit zu leben.
"Wenn ich lebe, alle Ausdrucksformen meiner ganz einzigartigen Individualitaet sind zugleich gesellschaftlich Relevante, so halte ich der Menschheit ihre eigene Grossartigkeit vor Augen... " (Rudolph 1998, S. 10).
Das Individuum ist aber auch nicht durch die Gesellschaft "gepraegt" - sondern hat ihr gegenueber eine besondere Moeglichkeitsbeziehung.

Die besondere Moeglichkeitsbeziehung des Menschen

(37) Schon in der Biologie ist das System nicht Selbstzweck und seine Elemente funktionieren zu dessen Selbsterhaltung - sondern das System ist auch Mittel zur Existenz der einzelnen Organismen. Umso mehr ist in der menschlichen Gesellschaft das Ziel "die Existenzerhaltung der Einzelindividuen ..., das allerdings nur ueber die Beitraege des Einzelnen zur Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens, das die je individuellen Lebensmittel und -bedingungen einschliesst, erreicht werden kann" (Holzkamp 1985, S. 190).
Dass in der gegenwaertigen Gesellschaft ein Element zur Erhaltung und Entwicklung des Systems, das Kapital, tatsaechlich Selbstzweckcharakter angenommen hat, ist eine spezielle Frage - und verdeutlicht in diesem Zusammenang nur die "Unvernuenftigkeit" des Gegebenen.
Auf der prinzipiellen Ebene muss jedoch Folgendes betont werden:
Aufgrund der nicht mehr vorhandenen Unmittelbarkeit der Kooperation bei der Erlangung der Lebensmittel, d.h. der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit der individuellen Existenzsicherung kann der Einzelne kann auch dann prinzipiell in seiner Existenz erhalten werden, wenn er sich nicht an der Erhaltung des "Systems" beteiligt (Holzkamp 1985, S. 235).
Das, was sich in gesamtgesellschaftlicher Kombination als Handlungsnotwendigkeit darstellt, hat für den Einzelnen keineswegs apriori "zwingenden" Charakter (ebd., S. 235).

(37.1) Re: Die besondere Moeglichkeitsbeziehung des Menschen, 06.01.2001, 14:38, Bertram Köhler: Diese Differenz zwischen gesamtgesellschaftlicher Handlungsnotwendigkeit und individueller Handlungsfreiheit ist aber eine Quelle gesellschaftlicher Widersprüche und bedarf theoretischer Analyse und praktischer Auflösung. Erfolgt diese Analyse und Auflösung nicht, so kann die Nichtrealisierung der gesellschaftlichen Handlungsnotwendigkeiten zur Destabilisierung des gesellschaftlichen Systems, zu der oben kritisierten, unvernünftigen Ausbildung des Kapitalverhältnisses zum Selbstzweck und letztlich zur Zerstörung der Gesellschaft führen, was gleichzeitig auch den Individuen ihre Lebensgrundlage und damit auch ihre Handlungsfreiheit zerstören würde. Insofern besteht zwar apriori kein direkter zwingender Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Handlungsnotwendigkeit und individueller Existenzsicherung, aber indirekt ist dieser Zusammenhang sehr wohl vorhanden. Nun haben die Individuen zwar die Möglichkeit zwischen verschiedenen Alternativen bewußt zu entscheiden, aber das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten wird durch die gesellschaftlichen Notwendigkeiten eingeschränkt und damit unterliegt auch die Freiheit des Einzelnen gewissen Bedingungen. Umgekehrt wirken aber auch die getroffenen Entscheidungen auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Notwendigkeiten zurück, infolge des Verlustes der Unmittelbarkeit dieser Rückkopplung ergibt sich aber ein nicht ohne weiteres durchschaubarer Zusammenhang, der den einzelnen Individuen in unterschiedlichem Maße und oft gar nicht bewußt wird. Zur Sicherung der Stabilität des gesellschaftlichen Systems müssen somit gesellschaftliche Instanzen geschaffen werden, die diese undurchschaubaren Zusammenhänge allen Individuen bewußt machen können. Eine Möglichkeit wäre z.B. die in der Evolution bewährte Methode von trial and error. Damit würden aber die intelligenten Potenzen der Spezies Mensch bei weitem nicht optimal eingesetzt. Deshalb denke ich, muß man bedeutend mehr Kräfte in die Ausarbeitung der theoretischen Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Notwendigkeit und individueller Entscheidungsfreiheit einbringen als dies gegenwärtig der Fall ist. Mit der bloßen Feststellung, "der Einzelne kann auch dann prinzipiell in seiner Existenz erhalten werden, wenn er sich nicht an der Erhaltung des "Systems" beteiligt", ist es jedenfalls nicht getan, denn diese Alternative kann apriori nicht allen Mitgliedern der Gesellschaft zugestanden werden, aber welchen und welchen nicht? Das "prinzipiell" muß also ins konkrete untersetzt werden. Dabei werden aus den gesellschaftlichen Notwendigkeiten sicher auch Anforderungen an das bewußte Verhalten der Individuen zu stellen sein, die von diesen nur widerwillig entgegengenommen werden. Die Menschheit hat sich mit der Annahme aller Erkenntnisse schwer getan, die den Menschen aus seiner Bedeutung als Urgrund der Schöpfung mehr an die Peripherie gedrängt haben, wie es z.B. bei der Versetzung der Erde aus dem Mittelpunkt der Welt in das Sonnensystem als 3.Planet und bei der Erniedrigung des Menschen von einem unter der besonderen Obhut seines Schöpfers stehendem Wesen zum bloßen Endpunkt einer mehr zufälligen biologischen Evolution der Fall war. Aber dieser Prozeß wird fortschreiten. Das Individuum wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass das gesellschaftliche System nur dann seinen Zweck zur Existenzsicherung des Einzelnen erfüllen kann, wenn letzterer in seinen bewußten Entscheidungen die Notwendigkeiten des Systems berücksichtigt und vom liberalen, freien Bürger zum Mitglied des Gesellschaftssystems und Gestalter seiner Notwendigkeiten wird. Sicher ist das ein langer Weg, aber er muß gegangen werden.

(38) "Da hier die Existenzsicherung nicht mehr unmittelbar von der Bedeutungsumsetzung abhaengt, ist das Individuum aber durch die jeweils konkreten vorliegenden Bedeutungsbezuege in seinen Handlungen keinesfalls festgelegt, es hat im Rahmen der globalen Erfordernisse der eigenen Lebenserhaltung hier immer auch die "Alternative", nicht oder anders zu handeln, und ist in diesem Sinne den Bedeutungen als blossen Handlungsmoeglichkeiten gegenueber "frei"." (Holzkamp, S. 236)

Die zweite Moeglichkeit

(39) Natuerlich gibt es - auf anderen Ebenen analysierbare - konkret gegebene individuelle Lebenslagen und Position innerhalb der arbeitsteiligen Gesamtstruktur. Aber jeder Mensch kann und muss sich in jeder Situation den gegebenen Bedingungen gegenueber bewusst verhalten. Er kann sie, so wie sie sind, akzeptieren, sie annehmen und sein Verhalten ihnen gegenueber anpassen - er kann sie aber auch in Frage stellen, sich kritisch ihnen gegenueber verhalten, sie letztlich veraendern, indem er selbst die Bedingungen veraendert.
Es gibt immer die erste Moeglichkeit, sich zu verhalten - aber immer auch die zweite. Wird sie nicht gewaehlt, war es immerhin eine bewusste Entscheidung.

(39.1) Re: Die zweite Moeglichkeit, 06.01.2001, 14:40, Bertram Köhler: Die hier gewählte Betrachtungsweise bleibt m.E. der Sicht des Individuums auf die Gesellschaft als etwas äußeres verhaftet. Der Mensch bleibt Mittelpunkt und sieht die Gesellschaft als äußere Bedingung seines Lebens. Nur dadurch behält er die Freiheit der Entscheidung, ob er sich anpassen oder etwas verändern will. Vollzieht er aber den nächsten Schritt, der aus der Evolutionsgeschichte gefolgert werden müßte, und sieht sich nicht als Mittelpunkt und die Gesellschaft als seine äußere Umgebung, sondern sich selbst als Mitglied und Gestalter des gesellschaftlichen Systems, so hat er diese Entscheidungsfreiheit nicht mehr. Nur wenn er diesen Schritt vollzieht, erwirbt er auch die Kompetenz, nicht nur Individuum sondern auch Gestalter des gesellschaftlichen Systems zu sein. Ich halte deshalb die aus der "Grundlegung der Psychologie" von Holzkamp gezogenen Schlußfolgerungen für zu einseitig. Es fehlt die komplementäre Perspektive aus Richtung des Gesellschaftssystems. Möglicherweise gehört diese Perspektive nicht in dieses Kapitel "Die besonderen Möglichkeitsbeziehungen des Menschen", aber sie gehört auf jeden Fall zum Thema "Was und wer hat Möglichkeiten", vielleicht unter einer Überschrift "Möglichkeiten gesellschaftlicher Systeme". Was ich mir unter Wirkungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Systeme vorstelle, hat z.B. Willke im Buch Systemtheorie (Soziale Systeme) Bd 1-3, Gustav-Fischer-Verlag 1993/94/95 dargestellt, dessen wesentliche Aussagen auf meinen Webseiten http://home.t-online.de/home/Bertram.Koehler/SYS1.htm bis .../SYS5.htm zusammengefaßt sind. Was dann dabei herauskommt, müßte nicht unbedingt im Widerspruch zu den Inhalten stehen, die Christoph Spehr in seiner Schrift: Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation, dargelegt hat, im Gegenteil könnte es daraus abgeleitet werden.

4. Gesetze und Moeglichkeiten

(40) Gesetzesaussagen sind keine Beschreibungen von Ereignissen oder Prozessen, sondern erfassen allgemein-notwendige, wesentliche innere Zusammenhaenge. Sie gelten jedoch - bis die letzte Weltformel gefunden sein sollte - nicht "fuer die ganze Welt", sondern bestimmte durch typische Bedingungen bestimmte Bereiche. Diese Bedingungen gehoeren zum Gesetz dazu. Insofern sind Gesetze immer schon auf diese Bereiche konkretisiert.
Fuer diese Bereiche gilt:
"Das Gesetz sagt, was moeglich ist, nicht, was realisiert wird" (Havemann 1990a, S. 129).
Das Newtonsche Grundgesetz beispielsweise beinhaltet die moeglichen Bahnen von Koerpern - eine reale Bahn ergibt sich erst durch zusaetzliche konkrete Anfangsbedingungen. Die moeglichen Bahnen gehen jedoch "mit Notwendigkeit aus der Wirklichkeit hervor" (Havemann 1990a, S. 126). Bloch sagt dazu: "Auch das Kann-Sein ist gesetzlich" (Bloch 1962/1985, S. 172). Die als Anfangs- und Randbedingungen einwirkenden Faktoren sind nicht allgemein, deshalb nicht selbst Inhalt des Gesetzes.
"Fuer die strenge Gesetzmaessigkeit der Natur genuegt es immer, dass die in ihr liegenden Moeglichkeiten und Chancen ihrer Verwirklichung gesetzmaessig sind... Vorherbestimmt sind nur die immer neu sich entwickelnden gesetzmaessigen Moeglichkeiten des Geschehens"(Havemann 1990a, S. 41).
Im Gesetz selbst sind jedoch nicht nur die abstrakten formellen Moeglichkeiten (das, was keinen Widerspruch enthaelt) enthalten, sondern physikalische Gesetze beziehen sich auf die Realitaet in dem Sinne, dass ihre Groessen und Relationen immer einen Bezug zu konkreten Wirklichkeitsbereichen haben. Schon ihn ihnen steckt ja z.B. die Messbarkeit. Gesetze vermitteln zwischen Moeglichkeit und Wirklichkeit.
Gesetze stellen keine konkreten Prozesse oder Erscheinungen dar, sondern deren wesentliche und allgemein-notwendige Struktur-, Bewegungs- und Entwicklungszusammenhaenge. Diese bestimmen nicht das Verhalten der Prozesse, sondern stecken den Rahmen von Verhaltensmoeglichkeiten ab, bzw. halten ihn offen.
In diesem Sinne sind sie auch ahistorisch - eben allgemein, nicht auf ein konkretes historisch verortbares Ereignis bezogen.

Der Statistische Gesetzesbegriff

(41) Angesichts der oben ausgefuehrten Bezugnahme auf das System-Element-Verhaeltnis koennen wir die "innere Struktur" Gesetz von Gesetzen genauer untersuchen. Im Statistischen Gesetzesbegriff nach Hoerz wird das Systemverhalten auf die Gesamtheit der Bedingungen bezogen, das Elementverhalten auf dieser Ebene als nur partiell bedingt betrachtet.
Das statistische Gesetz wird bestimmt als "allgemein-notwendiger und wesentlicher Zusammenhang, der

5. Moegliches, Gesetzmaessiges und unser Handeln

(42) Das Gesetz erfasst nicht den konkreten Prozess mit jeweils konkreten Bedingungsgesamtheiten, sondern zeigt nur das unter bestimmten Bedingungen Moegliche. Diese Beschraenkung eroeffnet uns die Moeglichkeit, Bedingungen und Moegliches in Bezug zu setzen und in unserer Praxis bewusst zu veraendern. Wir koennen die Bedingungen veraendern - wir koennen bestimmen, welche Bedingungen wir (im Rahmen umfassender Moeglichkeiten) setzen und welche gesetzmaessig gegebenen Moeglichkeiten dadurch realisiert werden koennen oder nicht.
Die Aufgabe der Wissenschaft besteht dabei darin, Moeglichkeitsfelder theoretisch zu begruenden (Richter 1988, S. 25).
Unser Tun wird uns von ihr dann nicht vorgeschrieben. Die Welt zu veraendern, bleibt unsere Tat - "Wir gestalten und veraendern die Welt, indem wir ihre Moeglichkeiten aendern" (Havemann 1990b, S. 72).

Literatur:

(43) Bacon, F. (1870), Franz Baco's Neues Organon. Uebersetzt, erlaeutert und mit einer Lebensbeschreibung des Verfassers versehen von J. H. von Kirchmann, Berlin: L. Heimann
Bloch, E., (1959/1985), Das Prinzip Hoffnung, 3 Baende, Frankfurt am Main 1985
Bloch, E., (1962/1985), Subjekt-Objekt. Erlaeuterungen zu Hegel, Frankfurt am Main 1985
Fichte, J. G. (1800), Die Bestimmung des Menschen. Leipzig 1976
Havemann, R., (1990a) Dialektik ohne Dogma? Aufsaetze, Dokumente und die vollstaendige Vorlesungsreihe zu naturwissenschaftlichen Aspekten philosophischer Probleme, Berlin, hrsg.v. D. Hoffmann
Havemann, R. (1990b), Die Stimme des Gewissens. Texte eines deutschen Antistalinisten, Hamburg
Hegel, G., W., F., (1807/1988), Phaenomelogie des Geistes, Hamburg
Hegel, G., W., F., (1814/1986) , Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, Frankfurt am Main
Hegel, G., W., F., (1830/1986), Enzyklopaedie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Teil, Frankfurt am Main
Hoffmeister, J. (1955), Woerterbuch der philosophischen Begriffe, Hamburg Holzkamp, K. (1985), Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/New York
Hoerz, H., (1980) Zufall - eine philosophische Untersuchung, Berlin
Hoerz, H., Wessel, K.-F., (1983) Philosophische Entwicklungstheorie, Berlin
Merchant, C.(1994) Der Tod der Natur. OEkologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft, Muenchen
Roeseberg, U., (1975) Determinismus und Physik, Berlin
Rudolph, I. (1998), Umbrueche und ein drittes Kind, Frankfurt
Schlemm, A. (1996a), Dass nichts bleibt, wie es ist... Philosophie der selbstorganisierten Entwicklung. Band I: Kosmos und Leben, Muenster, siehe http://www.thur.de/philo/asbu1.htm
Schlemm, A. (1996b), Ich bin Ich! Johann Gottlieb Fichtes Schrift "Die Bestimmung des Menschen" In: http://www.thur.de/philo/as222.htm
Schlemm, A. (1996c), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. In: http://www.thur.de/philo/as221.htm
Schlemm, A. (1997/98), Zufaelliges, Ganzheitliches und Gesetzmaessiges http://www.thur.de/philo/asmoeg.htm
Schlemm, A.(1999), Utopien nach den Bomben auf Jugoslawien? Philosophische Dialektik im Spannungsfeld zwischen militantem Pessimismus und militantem Optimismus. In: Naturwissenschaftliches Weltbild und Gesellschaftstheorie. Evolution in Natur und Gesellschaft - Gemeinsamkeiten und Gegensaetze, Leipzig, S. 103-123, und in: http://www.thur.de/philo/vortragdresden.htm

(44) Als vollständiger Text auch im Internet unter: http://www.thur.de/philo/asmoeg2.htm


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