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Rezension von »Die Google-Falle« von Gerald Reischl

Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 29.04.2009
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

»Die Google-Falle« -- Rezension, erschienen in: »Das Argument«, 280/2009, S. 365f.

(1) Anmerkung: Es gehört zum Stil des »Argument«, Autor_innen in Rezensionen nicht namentlich zu nennen, sondern mit »Verf.« abzukürzen. Um der besseren Lesbarkeit willen habe ich ferner ein paar zusätzliche Absätze eingefügt, die es in der Printversion nicht gibt.

Reischl, Gerald, Die Google-Falle. Die unkontrollierte Weltmacht im Internet, Ueberreuter, Wien 2008 (190 S., geb., 19,95 Euro)

(2) Verf. wirbt für den 'Kommunismus' -- wenn der Kommunismus so wäre wie das Google-Plex: ein Paradies auf Erden. Google-Plex oder Google-Campus, das ist die Firmenzentrale von Google im kalifornischen Mountain View, ein »bunter Ikea-Kindergarten für Erwachsene«, so Verf., ein »technology playground« (11), wie Google selbst sagt. Wer wollte da nicht mitspielen? Doch für Reischl verbergen sich hinter schönen Fassaden üble Machenschaften. Jährlich bewerben sich 1,4 Mio Menschen für den Google-'Kommunismus', doch der Eintritt ist streng limitiert. Über acht Stufen geht das Auswahlverfahren: »Man will weder Karrieristen noch Ellenbogentypen« (15). Kreativität braucht freie Entfaltung, und dazu gehören freie Restaurants, freie Cafés und freie Getränke in Kühlschränken überall, sowie Fitnesscenter, Schwimmbecken, Massagesessel, Billardtische und Elektroroller zur freien Nutzung dazu. Wohl bemerkt: »frei« im Sinne von »Freibier« und nicht von »freier Information«.

(3) Denn die Informationen, die Google sammelt, sind geheim. Ebenso die Art und Weise, wie Google das tut. Wenn Googles eigene Services in der Ergebnisliste einer Suche weit oben stehen, wundert das kaum. Google strebt danach, weltgrößter Sammler und Händler von Informationen zu werden. Dazu bietet Google seinen Nutzern einen Tausch an: »Gratis gegen Privatsphäre«. Verf. nennt das den »Google-Trick« (30). Die meisten sind sich nicht bewusst, dass sie auf einen Tausch eingehen. Sie nutzen die vielfältigen Dienste von Google einfach und hinterlassen ihre Datenspuren, die Google speichert und nutzt.

(3.1) geniesse google!, 11.12.2009, 08:17, gerald antal gamauf: warum soll ich mich 'anstecken' lassen von diesem (anti)hype. nach einem leben mit 'alten' tools und tradiotioneller software hat google mit seinen angeboten mein eLeben seit fast vier jahren revolutioniert. alles ist bis ins kleinste detail durchdacht, mit riesigem abstand einfacher zu bnutzen als alles da gewesene. besonders schätze ich das festplatten'lose' arbeiten. auf jedem computer dieser welt kann ich dort weiter arbeiten, wo ich zu hause aufgehört habe. und ich spreche (natürlich) nicht nur von gMails.

(4) Verf. beschreibt eine Reihe von Google-Diensten und wie die »Datenkrake« Google die Nutzerinformationen gewinnt und nutzt. So wertet Google alle E-Mails aus, die über den GMail-Dienst gehen. Die Orte, die per Google-Maps angesteuert werden, werden gespeichert, ebenso alle Lesezeichen, die Google-History anvertraut werden. Mit der Google Desktop-Suche öffnet man den eigenen Computer für Einblicke. Dann ist es konsequent, gleich die kompletten persönlichen Daten auf Googles GDrive auszulagern. -- Anhand von Beispielen will Verf. die Gefährlichkeit der »Sammelleidenschaft« von Google aufzeigen. Ärgerlich sind die gewählten Beispiele: Eine Frau wird des Mordes überführt, da sie vorher nach Methoden zur Vergiftung von Menschen 'gegoogelt' hat. Die Datenspuren fand die Polizei allerdings auf ihrer lokalen Festplatte und nicht bei Google -- es hätte also auch ein anderer Suchdienst sein können.

(5) Die Sammlung der persönlichen Daten sind Grundlage des Geschäftsmodells, denn Einnahmen erzielt Google fast ausschließlich durch Werbung. Umso genauer diese auf Zielgruppen zugeschnitten sind, desto höher sind die Einnahmen. Dazu benötigt Google die Informationen über das Nutzerinteresse und -verhalten. Mit Hilfe von »AdSense« reicht Google einen Teil der eingeworbenen Werbung und damit der Einnahmen an andere Websites weiter. Auch diese Werbung ist auf die Zielgruppen der externen Websites abgestimmt. Die Strategie ist sehr erfolgreich: »Gib einen Teil des Profits ab und vergrößere deinen eigenen absolut«. Die jährlichen Werbeeinnahmen von Google betragen 17 Mrd $, von denen mehr als 4 Mrd als Nettogewinn bei Google verbleiben. Die brandz-Studie 2008 bescheinigt Google einen »Markenwert« von 86 Mrd $ -- Platz 1 vor General Electric, Microsoft, Coca-Cola, China Mobile und IBM.

(6) Leider nennt Verf. selten seine Quellen, und er hinterfragt Begriffe wie etwa »Markenwert« nicht. Der Markenwert ist eine Kombination aus aktuellen Bilanzen des Unternehmens und durch Umfragen ermittelte Erwartungen an das Wachstumspotenzial. Im Falle von Google haben wir es mit einem Paradebeispiel von aus unproduktiver Arbeit erzeugten Einnahmen zu tun. Google lebt von den Wertschöpfungen anderer Unternehmen, die zur Realisierung ihrer Profite einen Teil in Form von Werbung an Google abtreten. Solche Art von unproduktiven Werttransfers in Form von Informationsrenten spielt inzwischen eine wichtige Rolle in der Weltwirtschaft. Verf. ist der Meinung, dass Google »sein Geld nicht wert« (144) sei, allerdings nicht, weil Google sich nur anderswo geschaffene Wertmasse aneignet. In einer von Verf. eigens für das Buch in Auftrag gegebenen Studie kam heraus, dass alle Webdienste von Google leicht durch andere Gratisdienste zu ersetzen seien. Nutzer könnten schließlich mit einem Klick zu einem anderen Angebot wechseln. Was für eine Erkenntnis! Reischl zitiert die Studie: »Im Endeffekt ist Google eine große Marketingblase« (148). Doch warum sie funktioniert, bleibt im Dunkeln. Es interessiert Verf. auch nicht.

(7) Sind Alternativen denkbar? Nein: »Eine Suchmaschine in staatlicher Obhut würde die Gefahr eines Überwachungsstaats vergrößern. Die einzig sinnvolle Lösung sind Privatunternehmen, die sich an Gesetze halten«, so Verf. (158). Jenseits von Staat und Privatunternehmen ist nichts denkbar -- und das, obwohl Verf. etwa die gemeinschaftsbasierte Produktionsweise der Online-Enzyklopädie Wikipedia kennt. Sein Ziel beschränkt sich auf die »Entlarvung« der »Machenschaften« von Google. Verf. versucht Googles Leitspruch »Don't be evil« zu wenden und dem Unternehmen das Gegenteil zu beweisen. Diese Botschaft wird dem Leser auf nahezu jeder Seite aufgedrängt.

(8) Mit Argumenten und Moral will er aufklären. Hätte er die Moral beschränkt und hätte ein technisch versierter Lektor die teilweise haarsträubenden inhaltlichen Fehler korrigiert, dann hätte ein gutes Sachbuch daraus werden können.

(9) Stefan Meretz (Berlin)


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