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Umweltschutz von unten - allgemein

Maintainer: Jörg Bergstedt, Version 1, 03.09.2000
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1) Zur Diskussion gestellt: Umweltschutz von unten! Emanzipatorische Entwürfe gegen das Kungeln mit der Macht!? Ein Thesenpapier des Instituts für Ökologie, Fachbereich Politik & Wirtschaft

Reale Situation: Umweltschutz von oben

(2) Große Teile des Natur- und Umweltschutzes sind immer VerfechterInnen eines starken Staates gewesen. Die Menschen, seien es die BürgerInnen im allgemeinen oder Hausfrauen und -männer, NaturnutzerInnen usw. im speziellen, stehen bei ihnen immer nur in der Rolle des Objektes, noch dazu eines dummen und unbelehrbaren. Die Menschen müssen per Bewußtseinsbildung, Gesetz oder Umweltbildung zu etwas gebracht werden, was sie scheinbar nicht selbst wollen und was sich »oben« irgendwelche Mächtigen oder deren BeraterInnen ausgedacht haben. NaturschützerInnen fordern immer wieder härtere Strafen oder Polizei- und Behördeneinsätze gegen UmweltzerstörerInnen. International gipfeln die Machtvisionen der NaturschutzstrategInnen in wilden Phantasien von Grünhelm-Kampfeinsätzen, Schuldenerlaß gegen Umweltschutzleistungen, Großschutzgebieten, wie sie im eigenen, zerstörten Land nicht mehr möglich sind usw.

(2.1) Re: Reale Situation: Umweltschutz von oben, 06.03.2001, 10:32, Edgar Kaufmann: Ich habe den Eindruck, daß "Umweltschutz von oben" rein reaktiv ist un vermutlich sogar eine Abwehrstrategie GEGEN Umweltschutz darstellt. Und zwar nach dem Motto: Wenn es Ärger/Proteste von Unten gibt, nehmen die Oben sich dem Thema an, tun so, als ob sie was tun, verwässern die Ziele und verhindern faktisch die Umsetzung. z.B. habe ich große Bedenken hinsichtlich der umweltfreundlichkeit von Toiletten-Altpapier: Es besteht aus Alt-Zeitungspapier mit der offenbar hochgiftigen Druckerschwärze. Unser Postbote war einige Wochen im Krankenhaus wegen Vergiftungserscheinungen und der Vermutung, daß dies von der Druckerschwärze der Zeitungen (per Daumenanfeuchtung durch Zunge zum Zweck des Briefsortierens) kam. Diese Druckerschwärze kommt MASSENHAFT durch die Benutzung als Toilettenpapier in den Wasserkreislauf und wird durch die verschiedenen Klärverfahren die in Benutzung sind SICHER NICHT wieder herausgefiltert UND gelangt übe Klärschlammdüngung auf die Äcker und so in die Pflanzen bzw. Lebensmittel. Die Industrie nutzt das Altpapierimage, treibt die Nutzung dieses vermutlich hochvergifteten Papiers noch voran. Ein wirklicher Umweltschutz von oben müsste die gesamten Kreisläufe von in Produkte eingebrachten Schadstoffe verfolgen und ändern.

(3) Kaum besser sind ihre theoretischen Entwürfe: Ob Nationalparkkonzepte, die Agenda 21 oder die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« - überall ist die Herrschaftsfrage ausgeklammert (im Film "Zukunftsfähiges Deutschland", beworben und vertrieben u.a. vom BUND, darf Ernst­Ulrich von Weizsäcker sogar für die Monarchie werben: "Die heutige Demokratie tut sich schwer mit einer Legitimierung für Langfristanliegen. Das war in religiösen Gesellschaften viel einfacher, das war selbst in der Monarchie einfacher"). Das »Oben« und »Unten« soll unangetastet bleiben, nur daß die NaturschutzfunktionärInnen gerne oben dabei wären. Statt vor Ort mit den Menschen um gemeinsame Regelungen zu ringen oder gegen steigenden Machtmißbrauch (wozu auch die Umweltzerstörung gehört!) zu kämpfen, fühlen sie sich an runden Tischen mit erlauchter Atmosphäre wohler. Sie hoffen, die Mächtigen für ihre Anliegen zu gewinnen, damit dann über deren Machtapparate die eigenen Ideen umgesetzt werden.

(4) Der Naturschutz hat zudem eine düstere Vergangenheit. Seine Instrumentarien stammen aus dem Kaiserreich oder der Nazizeit (z.B. die »moderne Naturschutzgesetzgebung«). Verändert wurde wenig. Emanzipatorische, d.h. die Mit- und Selbstbestimmung fördernde, Instrumente fehlen im Naturschutz fast ganz. Die betroffenen BürgerInnen bleiben außen vor, es ist mehr ein »Deal« zwischen zwei Mächtigen, der Obrigkeit und dem/der EigentümerIn der Fläche. Es wäre klug und, eben wegen der dunklen Vergangenheit, gerecht, wenn gerade der Natur- und Umweltschutz zu einem Vorreiter einer veränderten Strategie würde, in der die bisherige Logik politischer Entscheidungen auf den Kopf gestellt wird.

Alternative: Umweltschutz als Kampf gegen Ausbeutungsstrukturen

(5) Es gibt keine Alternative dazu, den Umweltschutz als Teil einer die Gesellschaft insgesamt verändernden Bewegung zu begreifen. Es sind die gleichen Mechanismen und Strukturen, welche die Natur (Tiere, Pflanzen und unbelebte Teile der Umwelt) ausbeuten und welche Menschen unterdrücken, ausbeuten, ausgrenzen oder für die Sache des Kapitals (als verbreitetste Machtform) bzw. anderer Mächtiger zu instrumentalisieren versuchen. Es wäre unsolidarisch, die eigenen Ziele mit genau denen erreichen zu wollen, die die Probleme der anderen und auch bisher die Umweltprobleme schaffen. Aber es ist auch unsinnig, denn die Ausbeutung der Umwelt ist eine der real existierenden Ausbeutungsstrukturen. Die VerursacherInnen können nicht gleichzeitig PartnerInnen bei der Rettung sein - auch wenn sie sich zwecks Tarnung selbst gerne dazu aufspielen. UmweltschützerInnen können sich entscheiden, ob sie einen Umweltschutz "von oben" oder "von unten" wollen.

(6) Der Weg "von unten" ist grundlegend anders als die aktuellen Strategien. Ziel ist hier der Abbau von Herrschaftsstrukturen. Nicht zu verwechseln ist das mit der Strategie, die VerbraucherInnen als Zielgruppe zu begreifen und in der Steuerung ihres Verhaltens die Lösung der Umweltprobleme zu sehen. "Unten" ist nicht Zielgruppe, sondern dort sind die AkteurInnen. "Unten" muß nicht belehrt oder gar gezwungen werden, sondern entscheidet selbstbestimmt. Natürlich geschieht Umweltschutz dann nicht automatisch (genausowenig, wie Umweltschutz in Parlamenten gesichert beücksichtigt wird - die Politik des letzten Jahrzehnts zeigt eher das Gegenteil!), sondern müßte aus der freien Willensentscheidung der Menschen heraus verwirklicht werden. Die Menschen werden allerdings die Verantwortung für ihr Handeln tragen und können keine Machtmittel einsetzen, um z.B. Umweltbelastungen in andere Regionen und damit zu anderen Menschen zu verschieben. Es spricht vieles dafür, daß selbstbestimmt lebende Menschen, deren Umwelt gleichzeitig ihre Lebensgrundlage darstellt, mit dieser anders umgehen als Menschen z.B. in Parlamenten, die Entscheidungen treffen, aber von den Konsequenzen in der Regel nie berührt werden.

(7) Um Umweltschutz durchsetzungsfähiger zu machen und weil die Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen Menschen den UmweltschützerInnen nicht gleichgültig sein dürfen, ist es notwendig, einen Umweltschutz von unten zu entwickeln. Der umfaßt alle die Menschen befreienden, Herrschaftsstrukturen abbauenden, d.h. emanzipatorischen Umweltschutzstrategien. Nicht Firmen, GrundeigentümerInnen und Regierungen bestimmen über die Nutzung der Umweltgüter, sondern die Menschen selbst. Der Flächen- und Rohstoffverbrauch muß zur Entscheidungssache auf unterster Ebene werden, die Gewinnung, Verarbeitung und der Handel mit ihnen ist Sache der Menschen selbst, nicht höherer Institutionen, Regierungen oder des "Marktes" mit seinen Institutionen. Die Utopie einer emanzipatorischen Gesellschaft muß auf dieser Grundlage des selbstbestimmten Umgangs der Menschen mit ihrer Natur aufbauen.

1. Ziele und konkrete Forderungen benennen

(8) Das Ziel eines emanzipatorischen Umweltschutzes muß zunächst benannt und der Ökologie von oben gegenübergestellt werden. Veranstaltungen, Diskussionen in der Öffentlichkeit oder in Umweltschutz- und anderen politischen Organisationen, symbolische Aktionen, Bildungsarbeit, Herausgabe von Schriften, Pressearbeit und vieles mehr können dazu dienen. Die Diskussion darf keine Nischendiskussion werden, sondern muß auch dort geführt, wo die PraktikerInnen der Umweltschutzarbeit sind. Zur Diskussion gehört das Formulieren der Ziele - Utopien für die gesamte Gesellschaft, für die Umweltschutzarbeit insgesamt oder für Teilfragen. Visionen bieten Zündstoff, können motivieren und bewegen.

(9) Strategien sind notwendig, das Visionäre in kleine Schritte zu zerlegen, um ihnen Stück für Stück näher zu kommen. Die kleinen Schritte wiederum müssen immer darauf untersucht werden, ob sie der Vision und den Grundsätzen emanzipatorischer Arbeit entsprechen. Selbst im heutigen, realpolitischen Raum lassen sich einzelne Schritte in diese Richtung einfordern oder schon konkret verwirklichen:

(10) - Dezentralisierung statt EU und Weltregierung Zur Zeit stellen viele Umweltschutzorganisationen hohe Forderungen an die EU, z.T. auch an die UNO, und erwarten von dieser die Durchsetzung von Umweltschutzstandards. Abgesehen davon, daß auf diesen Ebenen Umweltschutzinteressen besonders schwach sind, widersprechen solche Forderungen auch emanzipatorischen Zielen. Danach müßte eher eine Dezentralisierung politischer Entscheidungsbefugnisse und die Stärkung direkter Demokratie eingefordert werden.

(11) - Demokratisierung statt ökologischer Steuerreform Die Ökosteuer soll den Verbrauch in der Idealform den Rohstoff- und Flächenverbrauch, in der z.Zt. geforderten Variante nur Teile des Energieverbrauches über eine Verteuerung reduzieren. Dabei bedient sie sich allerdings marktwirtschaftlicher Mittel, d.h. in Zukunft entscheidet die Finanzkraft der Unternehmen und sonstigen EnergieverbraucherInnen, wer wieviel Energie verbrauchen bzw. durch Investitionen in neue Technik Vorteile erreichen kann. Der Einfluß der Menschen wird geschwächt. Gegenmodell wäre eine Demokratisierung des Rohstoff- und Flächenverbrauches weltweit, d.h. in Zukunft müßten die jeweils betroffenen Menschen in einer Region allen Nutzungen von Flächen und Rohstoffen zustimmen.

(12) - Verträge statt Verordnungen Wo die Menschen bzw. der Staat die UmweltnutzerInnen zu umweltgerechter Bewirtschaftung bringen will, gelten bislang bevorzugt Verordnungen, Grenzwerte - und die meist in für den Umweltschutz untauglicher Form. Künftig werden diese durch freiwillige Vereinbarungen abgelöst, z.B. durch Verträge, in denen NutzerInnen (z.B. LandwirtInnen) Flächen und Rohstoffe naturverträglich nutzen, dafür aber Gegenleistungen erhalten. Das können Fördergelder von Seiten des Staates (Vertragsnaturschutz) oder Abnahmegarantien der Menschen in einem Dorf, einer Stadt oder Region (ErzeugerInnen-VerbraucherInnen-Gemeinschaften) sein.

(13) - Direkte Demokratie statt NGOs Viele Umweltorganisationen fordern vor allem für sich selbst bzw. die Nichtregierungsorganisationen im allgemeinen mehr Rechte ein bis hin zu einer dritten Kammer neben Bundestag und Bundesrat oder gar die Idee des ökologischen Rates, eines demokratisch nicht legitimierten, nicht abwählbaren Exekutivrates aus Persönlichkeiten des Umweltschutzes. Ihr Interesse gilt nicht dem Machtabbau, sondern der Beteiligung an der Macht. Stattdessen sollte die Verbesserung der allgemeinen Beteiligungsrechte und der direkten Demokratie gefordert werden. Umweltschutzorganisationen sollten ihre Rolle darin finden, die Artikulation bzw. den Protest der Menschen zu organisieren, Informationen bereitzustellen usw. Direkte Demokratie ist allerdings kein feststehendes Konzept. Sie muß so organisiert bzw. eingefordert werden, daß es zu wirklicher und gleichberechtigter Bestimmung durch die jeweiligen Menschen kommt (siehe dazu das Diskussionspapier des Instituts für Ökologie).

2. Unabhängige Arbeitsstrukturen

(14) Neben den inhaltlichen Zielbestimmungen und Positionen müssen Naturschutzgruppen ihre Unabhängigkeit und Aktionsfähigkeit zurückgewinnen. Emanzipatorischer Umweltschutz ist (wie die meisten anderen Umweltschutzstrategien auch) nicht machbar über Machtstrukturen, d.h. über die, die zur Zeit die Umwelt zerstören. Umweltgruppen müssen öffentlichen Druck ausüben können, Widerstand leisten, Alternativen aufzeigen und Modelle entwickeln, in denen ökologische und emanzipatorische Ziele gleichermaßen zum Ausdruck kommen. Um das zu erreichen, wird es mehr bedürfen als kleiner Reförmchen in den verkrusteten, staats- und wirtschaftsnahen Umweltschutzstrukturen. Nötig sind eigene und unabhängige Wege in die Öffentlichkeit (Medien, Veröffentlichungen, Veranstaltungen), alternative Ansätze in der Bildungsarbeit, die Stärkung der Basisarbeit, die bessere Verbindung von Basisgruppen und Vernetzungsknoten sowie das Training in direkten Aktionsformen, um auch dann handlungsfähig zu sein, wenn öffentlicher Druck nicht entsteht oder die EntscheidungsträgerInnen in Politik und Wirtschaft diesen mißachten.

3. Modelle und Kristallisationspunkte schaffen

(15) Gesellschaftliche Bewegung entsteht nicht allein über theoretische Entwürfe, praktischen Widerstand oder politische Forderungen. Wichtig sind Modelle und Kristallisationspunkte, an dem Kritik, Alternativen und die Gegensätze gleichermaßen deutlich werden. Sie schaffen im günstigsten Fall Symbole für Kritik und Ziele der emanzipatorischen Umweltschutzarbeit. Sinnvoll ist der Widerstand gegen solche Projekte, in dem sich die herrschenden Verhältnisse oder die Zukunftspläne der Mächtigen besonders deutlich offenbaren: Gegen Großprojekte, vor und während Werbeveranstaltungen wie der Expo 2000 oder bei tiefgreifenden politischen Entscheidungen (z.B. dem MAI oder Weltwirtschaftsgipfeln) lassen sich nicht nur konkrete Positionen einbringen, sondern auch grundlegende Alternativen zu herrschenden Gesellschaftsformen und den Entscheidungsstrukturen benennen. Hier können Umwelt- und andere politische Bewegungen zusammenarbeiten, um gemeinsam wirkungsvoller in der Öffentlichkeit die Kritik an den herrschenden Verhältnissen und Zukunftsvisionen zu üben und eigene Alternativen vorzuschlagen. Auch im kleinen können solche Kristallisationspunkte oder eigene Gegenmodelle für selbstorganisiertes Leben, das Zurückdrängen der Ökonomie oder wirksamen Naturschutz gefunden werden.

Buchtipps, Infos usw.

(16) Unter dem Titel "Agenda, Expo, Sponsoring - Perspektiven radikaler, emanzipatorischer Umweltschutzarbeit" ist im April 1999 im IKO-Verlag der Band 2 erschienen, in dem die Ideen und Strategien ausgeführt werden (ISBN 3-88939-450-7, 39,80 DM). Band 1 enthält eine detaillierte Kritik an der Situation der Umweltschutzbewegung (ISBN 3-88939-613-5, 39,80 DM), zudem gibt es eine CD mit den dort verwendeten Quellen und Dokumenten (ISBN 3-88939-453-1, 49,80 DM). Bestelladresse für alles: Institut für Ökologie, Turmstr. 14A, 23843 Bad Oldesloe. Dort können auch weitere Diskussionspapiere z.B. zu den Themen "Direkte Demokratie" oder "Agenda 21" bestellt werden (gegen einmalig 3 DM Porto). Das Infopaket "Umweltschutz von unten" enthält alle Diskussionspapiere und weitere Information (gegen 6 DM in Briefmarken).

(17) Internetadressen: - Umweltschutz von unten (http://go.to/umwelt) - Anti-Expo (www.expo-no.de) - Aktionen, Termine usw. (www.aktionsinfo.de) - Infos zur Projektwerkstatt (http://come.to/projektwerkstatt) - Ökostrom von unten (http://move.to/oekostrom)


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