Home   Was ist ot ?   Regeln   Mitglieder   Maintainer   Impressum   FAQ/Hilfe  

Was ist Oekonux?

Maintainer: Stefan Merten, Version 2, 14.01.2003
Projekt-Typ:
Status: Archiv

Was ist Oekonux?

(1) Die Frage "Was ist Oekonux?" ist gar nicht so leicht zu beantworten, da sie mehrere Facetten hat. Am wichtigsten sind sicher die Inhalte, für die Oekonux steht. Aber auch die Frage, was das Projekt Oekonux ist und wie es sich zusammensetzt, dürfte von Interesse sein. Aber der Reihe nach.

(1.1) Re: Was ist Oekonux?, 14.01.2003, 03:13, Thomas Uwe Grüttmüller: Der Punkt "Was ist das Thema der Diskussion?" wäre IMHO auch sehr wichtig...

Projekt Oekonux

Gründung

(3) Im Juli 1999 fand in Berlin die erste WOS-Konferenz [http://www.mikro.org/Events/OS/] statt. Im Anschluss an das Panel "Neue Ökonomie?" organisierte Stefan Merten eine spontane Diskussionsrunde zu diesem Thema. Die TeilnehmerInnen diese Diskussionsrunde wurden kurz darauf die ersten TeilnehmerInnen der ersten Mailing-Liste, die kurz darauf als liste@oekonux.de bekannt werden sollte.

(4) Der Name Oekonux, der damals gewählt wurde, ist eine Zusammensetzung aus den Worten Ökonomie und GNU/Linux. Das "Oe" am Anfang des Namens ist dabei als kleiner Hinweis auf den virtuellen Charakter des Projekts gedacht und ist nicht durch ein "Ö" zu ersetzen.

Virtueller Charakter

(5) Schon bald besorgte Stefan Merten die Web-Domain www.oekonux.de. Dort sind Texte [http://www.oekonux.de/texte/] aus dem Oekonux-Bereich zu finden, einige Links zu anderen Stellen im Web, an denen Oekonux-Leute ihre Beiträge ablegen - insbesondere die OpenTheory [http://www.opentheory.org]-Projekte -, eine umfangreiche Link-Sammlung [http://www.oekonux.de/projekt/links.html] zu Web-Sites, die für den Oekonux-Kontext Interessantes anbieten sowie umfangreiche Archive für die verschiedenen Mailing-Listen.

(6) Auch heute noch bilden Mailing-Listen das Rückgrat von Oekonux. Zu der ersten Mailing-Liste, die im Kern unverändert seit 1999 besteht, gesellte sich ein Jahr später projekt@oekonux.de, auf der sich die Oekonuxis, die sich dafür interessieren, sich Gedanken über den Fortgang des Projekts machen. Hier werden organisatorische Fragen behandelt und Entscheidungen getroffen.

(7) Zusammen mit der internationalen Site www.oekonux.org wurde kurz darauf eine internationale Mailing-Liste list-en@oekonux.org eingerichtet. Allerdings hat auch heute der internationale Teil des Projekts bei weitem nicht den Umfang, den der deutschsprachige Teil hat.

(8) Alle Oekonux-Web-Sites erreichen im Monat zusammen 150,000-200,000 Hits. Täglich sind dies um die 500-700 Besuche. Das Projekt ist über die Web-Sites also relativ gut sichtbar.

(9) Die Mailing-Listen zur inhaltlichen Diskussion erleben recht unterschiedliche Phasen. Schießen die Mails schon mal auf über 300 im Monat hoch, so gibt es auch ruhigere Phasen, in denen nur 50 Mails über die deutschsprachige Liste gehen. Die Anzahl der SubskribentInnen nimmt seit der Gründung der Liste mit wenigen Ausreißern ziemlich linear zu und hat mittlerweile die Marke von 250 SubskribentInnen auf der deutschsprachigen und 90 auf der internationalen Liste erreicht. Zwar gibt es wie auf vielen Mailing-Listen einige wenige, die sich ziemlich regelmäßig beteiligen, aber immer wieder schreiben auch Leute ihre erste Mail an die Liste. Die Beiträge auf den Mailing-Listen sind nicht selten ziemlich anspruchsvoll und das Listenklima ist in aller Regel freundlich. Dies ist auch Sinn der Sache, denn nur in einer freundlichen Atmosphäre, in der auch Dinge geäußert werden können, die nicht hieb- und stichfest sind, kann gemeinsames Lernen gedeihen. Dieses gemeinsame Lernen ist wohl das tiefste Anliegen von Oekonux.

Leute

(10) Nun ist es bei einem virtuellen Projekt wie Oekonux es ist, nicht ganz einfach rauszukriegen, wer die Leute sind, die auf einer der Mailing-Listen sind. Gar nicht zu erfassen ist, wer sich über die Web-Sites informiert. Immerhin gibt es gelegentlich auch Gelegenheit mehr voneinander kennen zu lernen als die Mail-Adresse. Dort stellt sich heraus, dass Oekonux Leute ganz unterschiedlicher Altersstufen anspricht. SchülerInnen sind genauso vertreten wie Menschen jenseits der 60.

(11) Aus den Mails, die die Leute an die Liste schreiben, geht manchmal hervor, aus welchem Hintergrund die SchreiberIn kommt. Es ist verblüffend, welch weites Spektrum Oekonux hier überspannt. Keineswegs ist es so, dass nur Leute aus der Freien-Software-Szene sich für Oekonux interessieren. Vielmehr kommen viele auch aus eher politischen Zugängen zu den Themen, die bei Oekonux diskutiert werden. Auch Leute, die ihren Schwerpunkt in der Kultur oder in einer Ingenieurrichtung haben, fühlen sich von Oekonux angezogen. Dieses breite Spektrum an Hintergründen, das sich nicht selten mit einem fundierten Wissen über das entsprechende Gebiet paart, bildet ein äußerst fruchtbares Amalgam, in dem alle die Möglichkeit haben, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

Veranstaltungen und Konferenz

(12) In der weniger virtuellen Welt tritt Oekonux durch einige Oekonuxis in Erscheinung, die zu Vorträgen eingeladen werden. Vorträge oder auch Workshops bilden einerseits eine gute Möglichkeit die Gedankenwelt von Oekonux auch den Menschen nahezubringen, die nicht im Web auf uns gestoßen sind. Andererseits ist es immer wieder spannend, die Rückmeldungen und auch Ideen von Leuten zu bekommen, die sich nicht schon länger mit den Oekonux-Themen befassen.

(13) Als Projekt haben wir im April 2001 die 1. Oekonux-Konferenz [http://erste.oekonux-konferenz.de/] in Dortmund und im November 2002 die 2. Oekonux-Konferenz [http://zweite.oekonux-konferenz.de/] in Berlin organisiert. Dort haben wir vor allem ReferentInnen eingeladen, die uns aus dem einen oder anderen Grund für unser Themenkreis interessant erschienen. Die 2. Oekonux-Konferenz hatte dabei eine deutlich internationalere Ausrichtung als dies auf der 1. Oekonux-Konferenz der Fall war. Beide Konferenzen wurden von ca. 160 Leuten besucht, die jeweils gut 25 Einzelveranstaltungen in drei Tracks besuchen konnten.

e.V.

(14) Während der Betrieb der virtuellen Einrichtungen des Projekts mit sehr wenig Geldmitteln zu bewältigen ist und daher lange aus Privatmitteln geleistet wurde, hat eine Konferenz doch einen erheblichen Finanzierungsbedarf. Auch damit externe Sponsoren einen rechtlich angemessenen Ansprechpartner haben, wurde daher der Projekt Oekonux e.V. [http://www.oekonux.de/projekt/verein/] gegründet. Dieser übernimmt jetzt formal die Web-Sites und trat als Ausrichter für die 2. Oekonux-Konferenz auf.

(15) Allerdings spielt der Verein für das Projekt keine zentrale Rolle. Wichtige Entscheidungen werden nach wie vor über projekt@oekonux.de getroffen. Der Verein dient vielmehr bei Bedarf als juristische Hülle. Auch die (wenigen) Finanzmittel des Projekts werden vom Verein verwaltet.

Oekonux-Inhalte

(16) Die zahlreichen Hintergründe, aus denen die verschiedenen TeilnehmerInnen kommen, spiegelt sich unter anderem in recht unterschiedlichen Meinungen im Projekt. Eine einheitliche Meinung gibt es nicht - abgesehen vom Interesse an den Fragen des Projekts. Eine solche einheitliche Meinung würde auch das zerstören, was das Projekt eigentlich erst interessant macht: Die Spannung zwischen verschiedenen Positionen auszuhalten und wo irgend möglich als Impuls für eine Weiterentwicklung der je eigenen Position zu verstehen.

(17) Die Diskussion auf der Hauptliste ist dabei in erster Linie an einer Theoriebildung interessiert. Elemente einer Bewegung sind beim Projekt Oekonux bisher nicht oder nur schwach ausgeprägt. Die Themen, die auf der Liste behandelt werden, sind daher zuweilen ziemlich anspruchsvoll und drehen sich nicht selten um die Klärung von Begriffen, die ein Verständnis bestimmter Phänomene wiederspiegeln. Einige zentrale Begriffe sollen hier erläutert werden.

Freie Software

(18) Wenn es einen zentralen Begriff im Projekt Oekonux gibt, so ist es der der Freien Software. Immerhin ist das Phänomen Freie Software und seine vielfältigen Aspekte der Ur-Ausgangspunkt von Oekonux. Das Hauptinteresse gilt dabei der Art und Weise wie Freie Software entwickelt wird. Es geht hier also nicht oder nur am Rande um technische Details, sondern es geht in erster Linie um die sozialen Prozesse, die Freie Software hervorbringen und die Freie Software ihrerseits hervorbringt.

(19) Dazu wird versucht, Freie Software als Phänomen zunächst einmal mit den vorhandenen Mitteln möglichst genau zu untersuchen. Dazu werden verschiedenen Quellen genutzt, um darüber im Bilde zu sein, wie die Erstellung Freier Software funktioniert und welche Phänomene sich dort zeigen. Daneben wird auch im Auge behalten, wie die Welt auf Freie Software und auf vergleichbare Phänomene reagiert, die durch das Internet und die Möglichkeiten der digitalen Kopie ermöglicht werden. In gewisser Weise wird die Entwicklung der Informationsgesellschaft beobachtet mit einem Schwerpunkt auf der Freien Software.

Produktivkraftentwicklung

(20) Eine der wichtigen Gedankengänge in Oekonux - und auch der Grund dafür, warum es politisch anschlussfähig ist - ist der, dass es sich bei dem, was wir bei der Freien Software beobachten können, um eine qualitativ neue Form von Produktivkraftentwicklung handelt. Freie Software ist eine Form produktiven Handelns, die im Kern nicht nur jenseits des Geldes und der Wertform, sondern auch jenseits des Tausches schlechthin gedeiht. Auch wenn es im Rahmen Freier Software einen Güterfluss gibt, so ist er eben nicht durch Tausch bestimmt. Vielmehr ist es bei der Freien Software möglich, dass alle, die ein Bedürfnis an einer bestimmten Software haben, diese Software einfach zu nehmen. Dafür muss nichts gegeben werden.

(21) Dass die digitale Kopie und das Internet hier eine erhebliche Rolle spielen, ist im Projekt durchaus klar. Gleichzeitig wird des öfteren darauf verwiesen, dass der Schwerpunkt der gesamten Produktion im Kapitalismus sich immer weiter von der Bearbeitung von Materie hin zum Umgang mit Informationen verlagert. Insofern - so eine These - besteht eine nicht unerhebliche Chance, dass sich die Prinzipien, die bei der Entwicklung Freier Software erfolgreich sind, auch auf andere Informationsgüter übertragen lassen. Dies begründet einen generellen Wechsel in der Produktivkraftentwicklung und würde somit ein Tor zu einem generellen Wechsel in der Vergesellschaftungsform aufstoßen.

Keimform

(22) Freie Software kann - so die These - in diesem Sinne als eine Keimform verstanden werden. An der Keimform Freie Software lassen sich in zahlreichen Aspekten Ansätze finden, die Elemente einer einer neuen Form der Vergesellschaftung andeuten. Diese Aspekte herauszuarbeiten, zu analysieren, zu verstehen und auf andere gesellschaftliche Formen weiter zu denken, ist Anliegen vieler Oekonuxis.

(23) Ein Teil dieser Überlegungen begründet sich mit der Theorie des Fünfschritts, der allgemein Veränderungsprozesse beschreibt. In dieser, aus der Kritischen Psychologie stammenden Theorie wird davon ausgegangen, dass sehr viele Veränderungsprozesse in fünf Schritten ablaufen. Der erste Schritt ist durch die Entstehung der Keimform gekennzeichnet. Während dieses Schrittes ist die Keimform nur eine von vielen möglichen Formen innerhalb der dominanten Form und ihr Potenzial ist nur schwer erkennbar. Der zweite Schritt besteht darin, dass die dominante Form in eine Krise gerät. Ohne diesen Krisenschritt würde die Keimform der dominanten Form untergeordnet bleiben. Im dritten Schritt wird die Keimform zu einer wichtigen Entwicklungsdimension innerhalb der noch dominierenden alten Form. Wichtig hieran ist, dass die Keimform sich also innerhalb der noch dominierenden alten Form quasi bewähren muss. Erst im vierten Schritt wird die Keimform zur dominanten Größe und im fünften Schritt ordnet sich die jetzt dominant gewordene Keimform den Gesamtprozess unter.

(24) Im Rahmen dieses fünfschrittigen Modells wird das Phänomen Freie Software als im dritten Schritt befindlich angesehen. Tatsächlich wird ja seit einigen Jahren Freie Software auch im Kapitalismus eine immer wichtigere Größe. Diese Schrittfolge alleine stellt aber selbstredend noch keinen Automatismus dar. Bis ein Schritt auf den anderen folgt können sehr lange Zeiten vergehen und es ist nicht mal klar, dass der nächste Schritt überhaupt kommt. Dennoch ist dieses Modell hilfreich, um Veränderungsprozesse zu verstehen.

Selbstentfaltung

(25) All dies erklärt aber noch nicht, warum Freie Software eigentlich entsteht. Immerhin strengen sich hier erheblich viele Menschen auf diesem Planeten an, um Freie Software in hoher Qualität zu erzeugen, bekommen dafür aber keinen Gegenwert im Sinne der Tauschökonomie. Im Projekt Oekonux wird daher die These vertreten, dass die Selbstentfaltung der Beteiligten der zentrale Motor für die Produktion ist. Die Beteiligten strengen sich an, weil es in je ihrem eigenen Interesse liegt, dies zu tun - es ist ihr Leben.

(26) Die Tätigkeiten, die für die Erstellung Freier Software notwendig sind, beschränken sich dabei durchaus nicht auf die reine Programmierung, sondern andere Tätigkeiten wie die Erstellung von Web-Seiten oder Dokumentation, aber auch die sozialen Fähigkeiten, um die kleinen Teams zusammenzuhalten, die Freie Software im Allgemeinen schreiben, sind Teil dieser Selbstentfaltung. Dazu gehört es auch, Tätigkeiten zu übernehmen, die weniger spannend, interessant oder anspruchsvoll sind. Sind solche Tätigkeiten im Interesse der Weiterentwicklung des Projekts notwendig, so werden auch sie erledigt.

Technologie allgemein

(27) Um die Ebene der digitalen Produkte zu verlassen, gibt es im Projekt Oekonux Bemühungen, die allgemeine technologische Entwicklung unter den genannten Gesichtspunkten zu betrachten. Einer der untersuchten Aspekte ist, inwiefern sich der Faktor der Selbstentfaltung in den heute sich entwickelnden Technologien verwirklichen lässt und ob bzw. wo die Unterschiede zu älteren Maschinentypen liegen.

(28) Ein weiterer Aspekt der Diskussion befasst sich mit hochmodernen Maschinen, die aus digitalen Daten direkt dreidimensionale, anfass- und praktisch einsetzbare Güter herstellen. Solche Materialisatoren verschieben ganz praktisch den Schwerpunkt der materiellen Produktion auf die Produktion von Informationen: Um ein bestimmtes Werkstück herzustellen, ist vor allem der Bauplan, also ein Informationsprodukt von Interesse. Ein solcher Materialisator ist dann in der Lage, aus amorphen Grundstoffen mit Hilfe von Lasern oder anderen Technologien beliebige Formen herzustellen. In solchen Maschinen spiegelt sich in gewisser Weise die Universalität der digitalen Kopie wieder. Es scheint daher denkbar, dass diese Maschinengeneration beim Übergang in eine neue Vergesellschaftungsform eine ähnlich wichtige Rolle für materielle Güter spielen wird, wie es die durch das Internet vernetzten Computer für die Freie Software gespielt haben.

Utopie

(29) Die heutigen Phänomene werden in sehr weit reichenden Extrapolationen auf eine Utopie hin verdichtet, in der alle diese Entwicklungslinien voll ausgebaut sind. In einer solchen Utopie ist die Selbstentfaltung jedeR Einzelnen Bedingung für die Selbstentfaltung aller genauso wie die Selbstentfaltung aller die Bedingung für die Selbstentfaltung aller Einzelnen ist.

(30) Wie in der Freien Software keimförmig sichtbar ist es nur unter den Bedingungen der individuellen Selbstentfaltung möglich, das erreichte Niveau der Produktivkräfte weiter zu steigern. Die in der durch Information dominierten Gesellschaftsformation notwendige Kreativität ist nicht unter entfremdeten Bedingungen zu haben, die die Kreativität der Menschen einschränken. Entfremdungszusammenhänge wie Arbeit oder Geld sind daher in einer solchen gesellschaftlichen Formation schädlich für alle und würden daher verschwunden sein.

(31) Gleichzeitig schafft diese Kreativität der Einzelnen - egal ob alleine oder in Gruppen - ganz praktisch die Bedingungen der Selbstentfaltung aller, indem die Produkte, die alle für ihre Selbstentfaltung benötigen, quasi Nebenprodukt der Selbstentfaltung der Einzelnen sind.

Weites Themenspektrum

(32) Neben Themen wie diesen werden auf Oekonux aber auch unter Berücksichtigung des Listenthemas viele weitere Gedanken entwickelt. Ein wichtiger Komplex beleuchtet beispielsweise den Begriff der Knappheit, der als gesellschaftliche Konstruktion verstanden wird, und setzt ihn in Beziehung zu dem Begriff der Begrenztheit. Auch klassisch linke Themen wie Gender haben auf der Liste ihren Platz. Ein umfangreicher Thread befasst sich mit dem Begriff der Herrschaft und versucht diesen Begriff zu verstehen.

(33) Ein vollständiger Überblick kann hier nicht gegeben werden. Bei Interesse hilft aber ein Blick ins (umfangreiche) Archiv [http://www.oekonux.de/liste/archive/] der deutschen Diskussionsliste.

Was Oekonux nicht ist

(34) Tatsächlich ist Oekonux in vielerlei Hinsicht nicht eindeutig festzulegen. Das macht es nicht immer leicht, das Projekt wirklich ganz zu begreifen - was aber auch nicht notwendig ist, wenn mensch nur etwas lernen will. Dennoch zum Schluss noch ein paar Überlegungen dazu, was Oekonux nicht vertritt. Daran wird ganz gut sichtbar, in welchen Spannungsfeldern Oekonux sich bewegt.

Geschichtsautomatik

(35) Manche KritikerInnen lesen aus den Oekonux-Ansatz eine platte Geschichtsautomatik heraus. Wichtige Leute bei Oekonux betonen aber immer wieder, wie wichtig das politische Handeln für jedes emanzipatorische Projekt ist. Von einer Automatik, die die Menschheit ohne ihr Zutun in eine bessere Welt führt, kann also gar keine Rede sein.

Geschichtslosigkeit

(36) Gleichzeitig versucht Oekonux aber auch die aktuelle Phase der geschichtlichen Entwicklung zu verstehen. Einige vertreten, dass die Produktivkraftentwicklung mittlerweile an einem historischen Punkt angekommen ist, der Möglichkeiten für eine bessere Welt bietet, die früheren Generationen nicht zur Verfügung standen.

(37) Diese Möglichkeiten, die täglich stattfinden, zu erforschen und auf emanzipatorische Weise neu zu denken, ist sicher ein wichtiges Anliegen von Oekonux. Diese Erkenntnisse in politisches Handeln umzusetzen bzw. bereits stattfindendes Handeln als politisches zu erkennen ein weiteres.

Technikfetischismus

(38) Manche KritikerInnen werfen Oekonux vor, die Technik und insbesondere die Freie Software zu fetischisieren. Nun ist aber auf den Oekonux-Listen über Technik nur auch die Rede. Viele Diskussionsfäden befassen sich vielmehr mit sozialen Aspekten der Freien-Software-Bewegung und versuchen diese zu verstehen. Die Technik spielt dabei zwar eine Rolle, aber eben nur eine von mehreren.

Sozialfetischismus

(39) Genauso wenig ist Oekonux Sozialfetischismus vorzuwerfen, wie er in der Linken so häufig anzutreffen ist. Wichtige Leute bei Oekonux betonen immer wieder, wie wichtig auch die technische Entwicklung einerseits für ein umfassendes Verständnis aktueller Phänomene ist und andererseits Möglichkeiten bietet, neue soziale Formen zu finden.

(40) Im Spannungsfeld zwischen technischer und sozialer Innovation versucht Oekonux so herauszufinden, was für eine emanzipatorische Überwindung der heutigen Verhältnisse spricht und wo das alte, kapitalistische Regime versucht, seine Dominanz zu bewahren.

Revolutionsromantik

(41) Auch wenn es Überlegungen zu einer groß angelegten gesellschaftlichen Änderung gibt, auch wenn manche Oekonuxis von einer solchen Vision mehr oder weniger euphorisiert sind, so gibt es doch wenig Tendenzen bei Oekonux, eine solche Revolution romantisch zu verklären. Vielmehr weisen wichtige Leute immer wieder darauf hin, dass gerade Übergangszeiten zwischen zwei dominanten gesellschaftlichen Systemen schwer kalkulierbar sind. Zudem ist noch längst nicht ausgemacht, dass eine positive Veränderung der Welt wirklich kommt.

(41.1) Re: Revolutionsromantik, 14.01.2003, 14:33, Ano Nym: Nach nun dem dritten Mal der Betonung "wichtiger Leute" bei Oekonux scheint sich mir hier eine 2-Klassen-Gesellschaft aufzutun, die der "wichtigen Leute" und die der unwichtigen Leute. Dabei fühlte ich mich so richtig angesprochen: ich bin ein unwichtiger Leut. Viele Grüße vom Unwichtigen!

Negation pur

(42) Andererseits nimmt sich Oekonux auch nicht durch einen rein negatorischen Ansatz selbst die Möglichkeit, neue und mit Blick auf eine emanzipatorische Vision spannende Phänomene aufzuspüren und ihre Potentiale kritisch aber nicht destruktiv abzuklopfen. Damit wird die konkrete Überwindung des Kapitalismus denkmöglich.

(43) In diesem Spannungsfeld ist sowohl das Warten auf den großen, alles verändernden Knall, der in negatorischer Aussichtslosigkeit praktisch nur noch übrig bleibt, genauso wenig notwendig, wie die Erwartung, dass die Revolution am nächsten Wochenende endlich statt finden wird.

Reine Utopie

(44) Unbestritten gibt es utopische Elemente in Oekonux. Oekonux allerdings auf eine reine Utopie zu reduzieren, geht allerdings weit an der Breite der Debatte vorbei. Die utopischen Elemente in Oekonux sind zudem oft Extrapolationen bereits laufender Entwicklungen und somit in der Regel an konkret Überprüfbares gebunden.

Realpolitik

(45) Andererseits beschränkt sich Oekonux aber auch nicht auf das gerade eben Mach- und Denkbare. Eine generelle Beschränkung auf das aktuell mögliche ist das Ende jeder politischen Unternehmung, die eine Veränderung der Welt zum Ziel hat. Vielmehr beobachtet Oekonux das aktuelle Geschehen und versucht es zu begreifen.

(46) Im Spannungsfeld zwischen utopischen Elementen und konkretem Geschehen wird es möglich, Potenzen und Gefahren zu erfassen und so Handlungsorientierung für politisches Handeln zu finden. Die gegenseitige Rückbindung von Realität und Utopie verhindert einerseits sowohl ein Abheben von der als auch ein Versinken in der Realität.

Im Besitz der Wahrheit

(47) Wie schon mehrfach betont, versteht Oekonux sich als ein lernendes Projekt. Eine irgendwie geartete, überindividuelle Wahrheit kann nicht das Ziel sein. Vielmehr geht es darum, dass die Menschen, die mit Oekonux in Berührung kommen, für je sich Interessantes lernen und für ihr eigenes Denken und Handeln nutzbar machen.

Theoriefrei

(48) Theoriebildung ist andererseits ein wichtiges Element des Oekonux-Diskurses. Im Fluss von Gedanken, Ideen und Argumenten über die Mailing-Listen versuchen die TeilnehmerInnen Entwicklungen einzuschätzen und theoretisch zu fassen.

(49) Die eine Entwicklung einer (neuen) Theorie bildet mit dem Wunsch zum ständigen Lernen eine Spannung, die die zentrale Dynamik des Projekts ausmacht.


Valid HTML 4.01 Transitional