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Eigentum und Produktion am Beispiel der Freien Software

Maintainer: Stefan Merten, Version 3, 11.08.2002
Projekt-Typ:
Status: Archiv

Eigentum und Produktion am Beispiel der Freien Software

(1) ToDo: Neue Rechtschreibung

(2) ToDo: "Geldbasiert" durch "warenproduzierend" ersetzen?

(2.1) 13.08.2002, 20:24, Stefan Merten: Das habe ich mir nochmal überlegt. Eigentlich ist "warenproduzierend" auch nicht besser als "geldbasiert", da Warenproduktion auch schon lange vor dem Kapitalismus stattgefunden hat. Im Römischen Reich läßt sich meines Wissens so etwas nachweisen. Allerdings waren diese Gesellschaftsformen genausowenig warenbasiert, wie sie geldbasiert waren.

(2.1.1) 16.08.2002, 08:12, Stefan Meretz: Wie auch immer: du solltest auch diesen Begriff einführen. Ich mache unten nochmal einen Vorschlag.

(2.1.1.1) 17.08.2002, 13:54, Stefan Merten: Offengestanden: Eigentlich verwende ich den Begriff immer nur, um nicht dauernd kapitalistisch sagen zu müssen. Das ist mir zu sehr ein Kampfbegriff und wird daher meinem Anspruch an den Text nicht gerecht. Ich hoffe einfach mal, daß die LeserInnen dies auch so verstehen.

(2.1.1.1.1) 18.08.2002, 09:46, Stefan Meretz: Oh, das war mir nicht klar. IMHO ist der Begriff allgemeiner. - Vielleicht sollten wir diese interessante Diskussion auf die Oekonux-Liste bringen.

(2.1.1.1.1.1) 19.08.2002, 17:04, Stefan Merten: Ich hätte mir gewünscht, daß die Diskussion auf der Oekonux-Liste längst ist. Aber ich habe da auch nicht genügend angestoßen :-( . Jedefalls sollten wir diese ganze interessante Diskussion definitiv auf die Oekonux-Liste bringen. Kann ich aber jedenfalls erst, wenn die Abgabe rum ist.

(3) Vorbemerkung: Der vorliegende Text versteht sich als Teil einer Work in Progress. Er versucht bestimmte Gedankengänge, die im Projekt Oekonux gewachsen sind, auf das in der Überschrift genannte Thema zu fokussieren und einige neue Gesichtspunkte herauszuarbeiten. Er kann einige Aspekte kann der Text nicht erschöpfend behandeln, teilweise nur anreißen und er versteht sich keinesfalls als abgeschlossen. Ziel wäre vielmehr die Anregung einer Diskussion, die im OpenTheory-Projekt zu diesem Text http://www.opentheory.org/eigentum/text.phtml geführt werden kann.

(4) ToDo: Bemerkungen zu Durchkapitalisierung und Machtlosigkeit: Freie Software als transkapitalistisch; Freie Software als Chance für die III. Welt; Empowerment durch Freie Software (Für EntwicklerInnen; Für NutzerInnen); Wichtig: Gegenbewegung spielt untergeordnete Rolle (Damit nicht strukturell konservativ (wie z.B. attac) sondern progressiv); Überschrift: Freie Software als politisches Phänomen

1. Begriffsklärungen

(5) Vor einer direkten Befassung mit dem Thema dieses Textes möchte ich gerne die Begriffe klären, die verwendet werden. Damit soll einerseits ein gemeinsames Verständnis dieser Begriffe geschaffen werden. Andererseits bietet eine solche Klärung die Möglichkeit, diese teils sehr alten Begriffe unter einem neuem Blickwinkel zu betrachten, der für eine emanzipatorische Vision von Nutzen ist.

1.1. Entfremdung

(6) ToDo: Überdenken

(6.1) Re: 1.1. Entfremdung, 13.08.2002, 20:34, Stefan Merten: Hier muß noch Butter bei die Fische. Bitte helft mir hier nochmal. Ich bin ja auch nicht wirklich glücklich mit der Definition - ist halt nicht diskutiert :-( . Gleichzeitig hilft es mir rauszuschälen, worum es mir eigentlich wirklich mit diesem Begriff geht. Ich versuche nochmal ein paar Dinge zu ergänzen / ändern um das klarer zu machen. Vielleicht ist ja auch die Bezeichnung einfach falsch - glaube ich aber nicht.

(6.1.1) Re: 1.1. Entfremdung, 16.08.2002, 08:24, Stefan Meretz: Mit deiner harschen Reaktion auf mein Bemühen machst du es mir nicht gerade leicht. Ich war erstmal demotiviert. Deine platonische Defintion (Bennis Charakterisierung trifft es IMHO) sticht den versammelten SozialwissenschaftlerInnen in der Jury sofort ins Auge. Und - das ist meine Ergänzung - sie ist auch in der Informatik sehr verbreitet (und nicht bloß meine Interpretation). Du tust dir keinen Gefallen, wenn du das einfach alles wegschiebst. - Inhaltlich sollten/können wir das ja mal anderenorts intensiver diskutieren.

(6.1.1.1) Re: 1.1. Entfremdung, 17.08.2002, 12:03, Stefan Merten: Da Konfliktbearbeitung vorgeht, erst nochmal kurz zu meinen Wahrnehmungen. Dein Bemühen konnte ich gerade nicht erkennen. Stattdessen hatte ich das Gefühl, du hast dir schnell eine Schublade gesucht, die dich dann auch gleich vom weiteren Nachdenken darüber befreit, was ich eigentlich gemeint haben könnte. Und dann hast du noch schnell (schulmeisterlich war glaube ich Bennis Wort für diesen Tonfall) was hingeworfen, was an dem, was ich versuche zu bilden, meilenweit vorbei geht. Vielleicht verstehst du jetzt meine etwas harsche Reaktion. Und glaube mir: Ich war auch demotiviert - aber ich wollte dennoch weiterkommen. Und ich freue mich, daß du es doch noch nicht aufgegeben hast :-) .

(6.1.1.1.1) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 09:49, Stefan Meretz: Gut akzeptiert, mein Bemühen - was weder schulmeisterlich noch völlig an deinen Ansätzen vorbeigehend sein sollte - ist gescheitert. Ich wollte möglichst konstruktiv (Kritik und Alternativvorschläge) den Text voranbringen.

(6.1.1.1.1.1) Re: 1.1. Entfremdung, 19.08.2002, 17:06, Stefan Merten: Und ich könnte lernen, daß ich das demnächst sage und ich nicht einfach entsprechend reagiere ;-) .

(6.1.1.2) Re: 1.1. Entfremdung, 17.08.2002, 12:12, Stefan Merten: Nochmal zum Kampfbegriff "platonisch". Wenn ich es richtig weiß, dann schreibt Plato den Dingen eigene Qualitäten zu, die erstmal von den Menschen unabhängig sind. Nun gibt es die in Form von materiellen Eigenschaften natürlich in gewisser Weise auch. Was ich aber versucht habe zu beschreiben - und hoffentlich nochmal deutlicher machen konnte - geht es mir um diese nur am Rande. Es geht vielmehr darum, was Menschen in einer realexistierenden historisch-gesellschaftlichen Situation damit anfangen. Die Dinge kommen da nur noch als Hintergrundfolie vor, die aber von den menschlichen Folien völlig überformt sind. Was daran noch platonisch sein soll, das ist mir nicht klar und solche Zuschreibungen - gerade von euch - empfinde ich als Beleidigung.
Andersherum halte ich Bennis Ansatz von wegen "alles symbolisch" für wenig tragfähig und höchst arrogant - wie meine Anmerkung mit der konkreten Qualität von Wasser andeutet.
Es käme aus meiner Sicht darauf an, diese konkreten, stofflichen Qualitäten mit den gesellschaftlichen Qualitäten irgendwie zusammenzubringen. Das halte ich für eine emanzipatorische Vision für unabdingbar, da sie ansonsten den menschlichen Bedürfnissen schlicht nicht gerecht wird.

(6.1.1.2.1) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 10:02, Stefan Meretz: Der Begriff "platonisch" ist für mich so wie etwa "postmodern" (den du verwendet hast) kein Kampfbegriff, keine Zuschreibung und erst recht nicht beleidigend gemeint, sondern er ist eine Bezeichnung einer bestimmten Denkrichtung. Wenn du es als Beleidigung empfindest, dann will ich ihn nicht mehr verwenden.

(6.1.1.2.2) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 10:06, Stefan Meretz: Inhaltlich glaube ich, dass dein Immanenz-Versuch und dein Konkret-Abstrakt-Versuch deinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden, weil die "gesellschaftliche Seite" dann doch rausfällt und die "Sache-an-sich" übrigbleibt. IMHO ist es auch nicht damit getan, der "Sache-an-sich", der "Hintergrundfolie", noch die "menschliche Folie" hinzuzufügen, die erstere dann noch "überformt". Es handelt sich IMHO nicht um ein Überformungsverhältnis, sondern um ein "Formungsverhältnis", um das mal so zu sagen. Die Sachen sind nicht da, und werden dann noch "überformt", sondern die Sachen werden im Akt der Herstellung "geformt" und kommen so auf die Welt. Und dies nicht als individueller, sondern gesellschaftlicher und deswegen allgemeiner und verbindlicher Prozess - im Kapitalismus gar noch als "Vermittlung im Nachhinein".

(6.1.1.2.2.1) Re: 1.1. Entfremdung, 19.08.2002, 17:09, Stefan Merten: Geschenkt. Ich hätte das im Grunde auch so sagen können.

(6.1.1.2.3) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 10:15, Stefan Meretz: Um es deutlich gegen "postmoderne" Sichten (keine Beleidigung für irgendwen) abzugrenzen: Eine beliebige Bedeutungszuweisung an beliebige Dinge ist zwar möglich, aber nur auf der Ebene der "Brauchbarkeit" (auf der etwa der zum Nageleinschlagen verwendete Fotoapparat angesiedelt ist). Die gesellschaftlich verbindliche Ebene ist die der "Hergestelltheit": Gesellschaftlich wird etwas hergestellt, um einen intendierten Zweck zu erfüllen, sozusagen eine gesellschaftlich verallgemeinerbare Brauchbarkeit, von der andere, indiviuelle Brauchbarkeiten abweichen können.

(6.1.1.2.3.1) Beliebige Brauchbarkeit, 19.08.2002, 17:11, Stefan Merten: Ist für's Erste wahrscheinlich nicht mehr so wichtig, aber dennoch kann ich dir hier nicht folgen. Du kannst den berühmten Wackelpudding eben nicht an einen Nagel hängen und genausowenig einen damit einschlagen. Die Zuweisung von Brauchbarkeit ist nicht völlig beliebig sondern hängt von gewissen stofflichen Qualitäten ab.

(6.1.1.2.3.1.1) Re: Beliebige Brauchbarkeit, 20.08.2002, 12:43, Stefan Meretz: Ich schrieb von "Bedeutungszuweisung".

(6.1.1.2.3.2) Hergestelltheit, 19.08.2002, 17:15, Stefan Merten: Ich hatte schonmal gefragt, warum dir dieser Faktor der bei der Herstellung intendierten Brauchbarkeit so alles entscheidend zu sein scheint. Ich will ihn ja nicht bestreiten, aber ich sehe nicht, daß der alles dominiert.

(6.1.1.2.3.2.1) Re: Hergestelltheit, 20.08.2002, 12:56, Stefan Meretz: Weil durch die gesellschaftliche Produktion intendierter Brauchbarkeiten (bei uns in Form von Gebrauchswerten) gesellschaftliche Verbindlichkeit hergestellt wird: Dieses Ding ist zu dem-und-dem da, weil es dazu hergestellt wurde. Durch die Hergestelltheit kommt die gesellschaftliche Dimension rein. Dieser Faktor ist entscheidend und dominiert - wenn auch nicht "alles". Die (ggf. abweichende) Dimension der Brauchbarkeit spielt dagegen in der Regel auf der individuellen Ebene: Einen Fotoapparat zum Nageleinschlagen zu verwenden, ist gesellschaftlich absolut "unverbindlich", gleichwohl kann man ihn aufgrund seiner stofflichen Eigenschaften dazu (begrenzt) nutzen. Einen Wackelpudding kann man dagegen in der Tat nicht an die Wand nageln - völlig richtig. Ergo: Die Hergestelltheit ist für ein Ding bestimmend und gesellschaftlich verbindlich, die Benutzbarkeit hingegen nicht (auch nicht die postmoderne Umkodierung durch voluntaristische Bedeutungszuweisungen).

(6.1.1.2.4) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 10:25, Stefan Meretz: Auf der Ebene der Hergestelltheit kommt nun das ins Spiel, was dir so wichtig ist: Die Ding-Qualitäten. Diese ergeben sich nur aus ihrem Verhältnis zur gesellschaftlich verallgemeinerten Brauchbarkeit, also zu dem Aspekt der Hergestelltheit. Es gibt keine "an-sich" konkrete Qualität von Wasser, sondern nur im Verhältnis zur ihrer gesellschaftlich verallgemeinerten Brauchbarkeit. So ist etwa besonders reines Wasser (H2O schlechthin) als Trinkwasser gebraucht ziemlich ungeeignet. Andererseits hat sich historisch stark verändert, was als "mineralisiertes" ("verunreinigtes") Wasser noch durchgeht und was nicht. Das alles aber wieder nicht in einem beliebigen willkürlichen Rahmen (wir könnten das Elbewasser nicht zum Trinkwasser "erklären"), sondern selbstredend bezogen auf unsere Körperlichkeit. Entscheidend ist: Wir stellen Wasser und anderer für uns in gesellschaftlich verallgemeinerter Weise her. "Für uns" heisst: in Bezug auf unsere (unterschiedliche) Physis, unsere Bedürfnisse und unsere Ressourcen.

(6.1.1.2.4.1) Trinkwasser und Mond, 19.08.2002, 17:23, Stefan Merten: Mit "Trinkwasser" bewegst du dich aber wieder auf der symbolischen Ebene. Die ist dem Cholera-Erreger aber egal - und meinem Körper auch (in gewissen, aber recht engen Grenzen).
Den Mond - also den Steinbrocken, der vermutlich für Ebbe und Flut bewirkt - haben die Menschen nicht "hergestellt". Was ist bei ihm entscheidend?
Nee, ich schnalle nicht, worauf du raus willst - oder es ist (mir) so selbstverständlich, daß ich's deswegen nicht sehen kann. Jedenfalls erkenne ich nicht, warum das die entscheidende Größe sein soll.

(6.1.1.2.4.1.1) Re: Trinkwasser, 20.08.2002, 13:12, Stefan Meretz: Das Trinkwasser ist doch keine "symbolische Ebene"! Trinkwasser ist eine gesellschaftlich hergestellte Sache und in ihrer Verbindlichkeit sogar durch Gesetze geregelt. Aber auch diese Gesetze sind nicht irgendwie "wasserimmanent", sondern in Bezug auf die Bedürfnisse, Kenntnisse und Ressourcen definiert. Und beim Cholera-Erreger ist das auch klar, da gibt es festgelegte Grenzwerte (x Erreger auf y Mio Kubikmeter Wasser ist noch tolerabel etc.).

(6.1.1.2.4.1.1.1) Re: Trinkwasser, 20.08.2002, 17:04, Stefan Merten: Ich breche hier mal ab. Ich habe nicht im leisesten das Gefühl, dass du begriffen hast, was ich sagen will. Mag sein, daß ich es selbst noch nicht begriffen habe, aber dein ständiges Nur-Insistieren auf deinem Punkt - so nehme ich es wahr - hilft mir momentan zumindest nicht.

(6.1.1.2.4.1.2) Re: Mond, 20.08.2002, 13:48, Stefan Meretz: Der Mond und andere unbearbeitete (wenngleich nicht unbeeinflusste) Dinge sind in ihrer Bedeutung für uns in Relation zu dem bereits Bearbeiteten, Hergestellten oder noch Herzustelltem wichtig. Etwa bei der Herstellung von Strom als Umwandlung von gespeicherter Gezeiten- in elektrische Energie.

(6.1.1.2.5) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 10:30, Stefan Meretz: Deinen Anspruch "Es käme aus meiner Sicht darauf an, diese konkreten, stofflichen Qualitäten mit den gesellschaftlichen Qualitäten irgendwie zusammenzubringen" finde ich völlig richtig. Ich konnte hoffentlich ansatzweise darstellen, wie so ein "Zusammenbringen" aussehen kann, nicht im Sinne eines "Zusammenbringens im Nachhinein", sondern "sui generis", nicht als "Überformung", sondern als "Formung".

(6.1.1.3) Re: 1.1. Entfremdung, 17.08.2002, 12:17, Stefan Merten: Und nochmal zur Jury. Mag sein, daß du da anders ausgerichtet bist als ich, aber mich interessiert zunächst mal der Text hier. Ich schreibe das hier nicht für eine Jury sondern zunächst mal für mich und natürlich für Oekonux. In gewissem Sinne lasse ich hier diesen dritten Zweck soweit wie möglich beiseite und versuche mich auf den konkreten Nutzen des Textes zu beziehen. Wenn es der Jury gefällt, dann freut's mich. Wenn nicht, habe ich halt - mit eurer Hilfe - nur mal wieder einen längeren Text geschrieben, der mal wieder ein paar Dinge hinschreibt und hier und da einen neuen Gedanken entwickelt.

(6.1.1.3.1) Jury, 18.08.2002, 10:33, Stefan Meretz: Gut. War mir auch nicht klar, da du ja schon so sicher mit dem Preis rechnetest.

(6.1.1.3.1.1) Re: Jury, 19.08.2002, 17:26, Stefan Merten: Nun, wenn ich permanent Unentfremdetheit als positiv gerade auch in Bezug auf die Ergebnisse predige, wäre ich ja doof, wenn ich mich ausgerechnet dann entfremden sollte, wenn Qualität auch entfremdet positive Effekte haben könnte.

(6.1.1.4) Re: 1.1. Entfremdung, 17.08.2002, 12:19, Stefan Merten: Und noch zur Informatik. Wir sind uns glaube ich einig, daß deine Sicht der Informatik nicht die allgemeinverbindliche ist - weswegen ich mir hier mehr Vorsicht bei solchen Zuschreibungen wünschen würde. Wo du in der Informatik das zu erkennen glaubst was du hier monierst, ist mir als Informatiker jedenfalls nicht erkennbar.

(6.1.1.4.1) Informatik, 18.08.2002, 10:47, Stefan Meretz: IMHO mache ich keine Zuschreibungen. Ich versuche auf den Begriff zu bringen, was in der Informatik passiert. Das schiebe ich ihr nicht unter, sondern es passiert ja wirklich. Was ich mache, ist ein Versuch des begrifflichen Verstehens. Andere verwenden andere Begriffe. Und dann geht's darum, welche angemessener sind. - Ich gebe allerdings zu, dass ich ca. 10 Jahre aus der systematischen Beschäftigung der Informatik raus bin. Kann sein, dass sich etwas wesentliches geändert hat. Würde mich allerdings sehr wundern. Die damaligen Forschungen geschahen im "Projekt begriffliche Fundierung der Informatik" an der TU Berlin. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass die Informatik keine ausgewiesene einheitliche begriffliche Grundlage hat, sondern ein (oder mehrere) dutzend konkurrierende, meist aber gar keine (explizite). Ich kann dir gerne anderenorts näher erläutern, was (nicht nur) ich da in der (damaligen) Informatik zu sehen glaub(t)e.

(6.1.1.5) Re: 1.1. Entfremdung, 17.08.2002, 12:26, Stefan Merten: Mir läge sehr an einer weiteren Diskussion zu diesem Thema, das es mir wichtig ist. Momentan tendiere ich dazu, den ganzen Abschnitt wieder rauszunehmen und doch lieber ein bißchen Nebel wallen zu lassen.

(6.1.2) Re: 1.1. Entfremdung, 16.08.2002, 09:08, Stefan Meretz: Mein Vorschlag lautete: »Entfremdung liegt vor, wenn dritte Zwecke das individuelle Handeln bestimmen. Solche "dritten Zwecke" können religiöse Vorschriften, gruppenbezogene Regeln oder gesellschaftliche Pinzipien sein. "Dritten Zwecken" kann nicht ohne erhebliche Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten entgegen gehandelt werden. So kann im Kapitalismus nicht ohne den Erwerb von Geld die individuelle Reproduktion sichergestellt werden.« Den wolltest du nicht nehmen, da nur das "Gegenteil von Selbstentfaltung" und "nicht positiv". - Ja, aber darum geht es doch genau: Selbstentfaltung ist das Gegenteil von Entfremdung! Und den Einwurf "nicht positiv" kann ich nicht nachvollziehen. Der Vorschlag ist ein "positive Bestimmung" des Begriffs, wenngleich der Inhalt "negativ" ist. Demm kannst du aber doch nicht entkommen - oder ich verstehe dich nicht.

(6.1.2.1) Re: 1.1. Entfremdung, 17.08.2002, 12:36, Stefan Merten: Also ich habe mir das nochmal genau angeguckt. Wenn ich mir überlege, was wohl vorliegt, "wenn dritte Zwecke das individuelle Handeln bestimmen", dann komme ich auf Domination. Und tatsächlich legen auch deine Illustrationen genau dieses Verständnis von Entfremdung nahe: Es handelt sich um Dominationsphänomene, die Teil eines Herrschaftsbegriffs sind, bzw. genau dem üblichen verkürzten Herrschaftsbegriff entsprechen. Das paßt auch dazu, wenn du sagst, daß (dein Begriff von) Herrschaft nicht mit Selbstentfaltung zusammenpaßt, ja ihr Gegenteil ist. Ja, es ist tatsächlich eine positive Bestimmung - aber m.E. eben nicht von Entfremdung.

(6.1.2.1.1) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 10:54, Stefan Meretz: IMHO trifft das nicht zu. Wir müssten uns nun über das Wort "bestimmen" unterhalten, was in der Dialektik einen wichtigen Status hat. Damit ist weder "Determination" noch "Domination" gemeint. Es ist eher im Sinne von "angeben" oder "vorgeben", allerdings in einem sehr starken Ausmaße: Ich kann nur bei Strafe der Einschränkung meiner Handlungsfähigkeit der "Vorgabe" zuwiderhandeln. Die grundsätzliche Handlungsfreiheit ist nicht suspendiert, aber da die "Fremd-Bestimmung" mit der eigenen Reproduktion verknüpft und über die gesellschaftlichen Denkformen (Ideologien) abgesichert ist, sind Abweichungen faktisch super schwer. Umso erstaunlicher ist, das es sowas wie Freie Software gibt.

(6.1.2.1.1.1) Re: 1.1. Entfremdung, 19.08.2002, 17:32, Stefan Merten: Ich sehe nicht den Widerspruch zu meiner Aussage. Vielleicht ist der Begriff der Domination das Problem. Dazu später mehr.

(6.1.2.1.2) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 11:18, Stefan Meretz: Eine Verbindung von Entfremdung und Herrschaft gibt es natürlich schon (sie fallen nur nicht in eins). Grob würde ich sagen, dass es eine auf Entfremdung bauende und eine auf physisch/psychisch-personale Vormacht bauende Herrschaft gibt. Ich nenne diese beiden grundsätzlichen Typen "abstrakt-entfremdete" und "personal-konkrete" Herrschaft, wobei die Grundtypen jeweils Elemente des anderen in sich aufnehmen können. Daran wird IMHO auch deutlich, dass abstrakt/konkret überhaupt nicht geeignet sind, sich von Entfremdung abzusetzen. Zum Herrschaftsbegriff sonst noch mehr unten.

(6.1.2.1.2.1) Herrschaftsformen und Verhältnis zur Entfremdung, 19.08.2002, 17:47, Stefan Merten: Ja, die Unterscheidung der Herrschaftsformen würde ich teilen.
Das Problem ist nur, daß "dritte Zwecke das individuelle Handeln bestimmen" in beiden Formen vorkommt und daher nicht als Abgrenzung der Entfremdung gegenüber anderen Herrschaftsformen funktioniert.

(6.1.2.2) Verhältnis von Entfremdung und Herrschaft, 17.08.2002, 12:44, Stefan Merten: Wobei mir just heute morgen beim Wachwerden - noch vor der Lektüre der neuesten Kommentare - der Gedanke kam, daß es ein Verhältnis von Entfremdung und Herrschaft gibt und es wichtig wäre, das zu klären. Wenn ich von abstrakten Qualitäten schreibe, die zur Entfremdung neigen, dann gibt es da eine Verbindung zum Abstraktum der Sozialeinheit, die durch Herrschaft(seinrichtungen) repräsentiert wird. Problematisch wird Herrschaft ja vor allem dann, wenn sie sich von dieser abstrakten Sozialeinheit entfremdet - oder die Sozialeinheit von ihr. So herum könnte vielleicht irgendwie was draus werden.
Abstrakte Qualitäten von Dingen schienen mir auch erst eher zur Domination geeignet, aber das ist Quatsch: Die konkrete Qualität einer Schußwaffe ist dazu genauso gut geeignet.

(6.1.2.2.1) Re: Verhältnis von Entfremdung und Herrschaft, 18.08.2002, 10:56, Stefan Meretz: Dein Schusswaffenbeispiel zeigt: Mit abstrakt vs. konkret kommst du IMHO nicht weiter.

(6.1.2.3) Re: 1.1. Entfremdung, 17.08.2002, 13:28, Stefan Merten: Natürlich ist Domination den Menschen fremd und somit beschreibt sie immer ein Entfremdungsverhältnis. Wäre das Ziel von Domination den davon betroffenen nicht fremd sondern ihr eigenes bedürfte es ja gerade keiner Domination.
So gesehen ist Domination immer Entfremdung - aber umgekehrt wird daraus m.E. noch lange kein Schuh. Wenn Entfremdung deckungsgleich mit Domination wäre, dann bräuchten wir den Entfremdungsbegriff aber nicht mehr und könnten uns ganz auf Domination beschränken. Das halte ich aber für meinen Teil für reichlich platt.

(6.1.2.3.1) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 11:00, Stefan Meretz: Ich verstehe dich unten im Herrschaftsteil aber so, dass es eine "gute" Domination gibt: der gute Maintainer. Da liegt doch aber keine Entfremdung vor, oder doch?

(6.1.2.3.1.1) Domination und MaintainerInnen, 19.08.2002, 17:52, Stefan Merten: Wie ich im Macht-Thread ausführlich dargestellt habe, halte ich Macht in der Freien Software für ein vernachlässigbares Phänomen. Ohne Machtmittel ist Domination aber de facto unmöglich. Es bleibt aber dennoch der Repräsentationsanteil von Herrschaft - und den führen MaintainerInnen selbstredend aus. So gesehen gibt es natürlich auch Herrschaft in der Freien Software.

(6.1.2.3.1.1.1) Re: Domination und MaintainerInnen, 20.08.2002, 13:53, Stefan Meretz: Ohne den Dominationsanteil ist die Herrschaft keine mehr. So gesehen gibt es keine Herrschaft in der Freien Software. Dass es faktisch doch an der einen oder anderen Stelle Herrschaft in der FS gibt, hat eben damit zu tun, dass es aufgrund reingemischter dritter Zwecke auch Dominationsformen gibt.

(6.1.2.3.1.1.1.1) Re: Domination und MaintainerInnen, 20.08.2002, 17:01, Stefan Merten: Nun, wenn du dir die kleine Mühe gemacht hast, den Teil nochmal zu lesen, auf den ich hingewiesen habe, dann hättest du lesen können, daß danach Herrschaft letzlich immer auf die Abschaffung der Domination hinwirken muß. Nach meinem Bezug ist Herrschaft ohne Domination also sogar das Ziel von Herrschaft.

(6.1.2.4) Re: 1.1. Entfremdung, 17.08.2002, 13:42, Stefan Merten: Wichtig wäre es m.E. das fremd in Entfremdung genauer zu bestimmen: Wann wird eine Sache (im weiten Sinne) einem Menschen fremd? Dies wirft natürlich sofort die umgekehrte Frage auf: Wann ist eine Sache einem Menschen vertraut?
Mein etwas ungelenker, erster Ansatz läßt sich auf diesen Achsen so fassen: Konkrete Qualitäten können nicht fremd sein, während abstrakte Qualitäten einer Sache einem Menschen fremd werden können. Das ist natürlich schon ein bißchen seltsam. Warum sollte eine konkrete Qualität einer Sache einem Menschen nicht auch fremd sein können? Also auch aus dieser Sicht kein sehr gelungener erster Versuch. Wie gesagt: Ich tendiere momentan dazu, das ganz wegzulassen, weil ich da einfach noch nichts wirklich Befriedigendes sagen kann.

(6.1.2.4.1) Re: 1.1. Entfremdung, 18.08.2002, 11:02, Stefan Meretz: Ja, konkret/abstrakt ohne deinen IMHO richtigen Anpruch des gesellschaftlichen Zusammenhangs bringen nicht weiter.

(6.1.3) Noch ein Alternativvorschlag, 16.08.2002, 09:31, Stefan Meretz: Ich versuche mal deine Intention, dem Entfremdungproblem über das Begriffpaar "konkret/abstrakt" beizukommen, mit meinem Plädoyer, den Begriff als gesellschaftstheoretischen zu fassen, zu verbinden und gleichzeitig noch die fehlende "geldbasierte Gesellschaft" mitzufassen. Whow;-) Ich formuliere mal mit "ich" (also du): »Eine Gesellschaft bezeichne ich als geldbasiert, wenn die Vermehrung von Geld in dieser Gesellschaft Hauptzweck ist und sich in aller Regel die Bedürfnisse der Menschen nur über den Weg der Erfüllung des Hauptzwecks erreichen lassen. In einer solchen Gesellschaft kommt es zur Entfremdung, weil sich der Hauptzweck "Geldvermehrung" gegenüber den Bedürfnissen der Menschen verselbstständigt hat und somit als abstraktes Prinzip der Vielheit der konkreten Bedürfnisse der Menschen gegenübersteht. Da die konkrete individuelle Reproduktion notwendig über das abstrakte Prinzip erfolgt, gibt es nur zwei grundsätzliche Handlungsoptionen: Ich kann mich dem abstrakten Prinzip unterordnen und mich von meinen konkreten Bedürfnissen entfremden oder ich kann versuchen, meine konkreten Bedürfnisse gegen das Abstraktum zu behaupten, was meine Möglichkeiten der Reproduktion einschränkt oder gar unmöglich macht. Am Beispiel Freier Software zeige ich, wie dieses Dilemma perspektivisch aufgehoben werden kann« - Das ist doch positiv;-)

(6.1.3.1) Re: Noch ein Alternativvorschlag, 17.08.2002, 13:53, Stefan Merten: Das ist sicher gut und das teile ich auch - bis auf den für meinen Geschmack etwas zu apodiktischen Schluß mit den zwei Handlungsoptionen: Die Zwischentöne scheinen mir da so wichtig, daß sie nicht unter den Tisch fallen dürfen.
Das Problem ist aber auch hier, daß du ein Beispiel für Entfremdung angibst. Schön und richtig - aber eben nur ein Beispiel.

(6.1.3.2) Re: Noch ein Alternativvorschlag, 17.08.2002, 14:06, Stefan Merten: Neu bringst du hier die Verselbstständigung des Zweckes (m.E. allgemeiner: von Etwas) ein, die sich dann gegen die Menschen richtet. Hier gibt es auch wieder Parallelen zur Verselbstständigung (und damit: Delegitimierung) von Herrschaft. Ist Entfremdung vielleicht die Delegitimierung eines abstrakten Zweckes?
Wenn ich es richtig sehe, dann geht es hier auch Richtung Fetisch, der dann quasi die verselbstständigte Einheit repräsentiert. Haut das hin?

(6.1.3.2.1) Re: Noch ein Alternativvorschlag, 18.08.2002, 11:04, Stefan Meretz: Ja, das mit dem Fetisch haut hin. Keine Entfremdung ohne Fetisch (Fetisch auch als gesellschaftstheoretischer Begriff gemeint). Auch Verselbstständigung ist zentral: Wenn sich Zwecke verselbstständigen, kann ich eigene Zwecke (Bedürfnisse) nicht mehr zur Geltung bringen. Es gibt nur eine "positive Verselbstständigung", eine "Verselbstständigung höherer Ordnung" sozusagen: Das zur Geltung bringen der je eigenen Zwecke/Bedürfnisse hat sich verselbstständigt und bringt die gesellschaftliche Reproduktion hervor. Anders formuliert: Statt Verselbstständigung eines ("fremden") Zwecks dritter Person, Verselbstständigung der ("vertrauten") Zwecksetzung erster Person.

(6.1.4) Alternativvorschlag, 16.08.2002, 10:52, Stefan Meretz: Wenn du auf meinen Alternativvorschlag eingehst, müsstest du die entsprechenden Abschnitte streichen oder umformulieren, in denen noch deine "platonische" Fassung steht. Deswegen schreibe ich dazu jetzt nichts weiter.

(6.1.4.1) Zusammenfassung, 17.08.2002, 14:10, Stefan Merten: Anstatt einer Neufassung - zu der ich noch nicht substantiell in der Lage bin - versuche ich mal zu sammeln, was uns bisher wichtig für eine Definition zu sein scheint:
Entfremdung als Domination bzw. Herrschaft
Entfremdung als Gegenteil von Selbstentfaltung
Fremd vs. vertraut
Abstrakt vs. konkret
Verselbstständigung von Etwas führt zur Entfremdung
Da ich im Laufe der Woche die Abgabeversion abschließen möchte, möchte ich mich auf diesen Teil hier konzentrieren. Das kann bedeuten, diesen Abschnitt nochmal ganz neu zu machen oder ihn ganz wegzulassen. Der Rest des Textes ist sicher auch noch ausbaufähig, aber substantiell kann ich da nichts mehr kohärent einbinden.

(6.1.4.1.1) Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 19.08.2002, 12:49, Stefan Merten: Weil die Zeit drängt, schreibe ich das mal schnell hierhin. Heute Abend noch mehr Kommentare zu deinen Beiträgen, StefanMz.
Ich hatte gestern Gelegenheit, mich nochmal in Stereo und 3D mit jemand über das Thema zu unterhalten. War recht ergiebig. Quintessenz des Gesprächs hinsichtlich des hier verhandelten Thema war der Begriff Verantwortung. Der kurze Satz lautet ungefähr so: Entfremdung liegt dann vor, wenn ich in einem Verhältnis zu einer Sache nicht verantwortlich handeln kann. Sehr knapp - und auch noch nicht richtig ausgereift, aber hier habe ich (endlich) das Gefühl, daß es in die richtige Richtung zeigt. Dazu einige Erläuterungen.

(6.1.4.1.1.1) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 19.08.2002, 12:59, Stefan Merten: Doch vorher noch: Obacht! Die Redeweise verantwortlich handeln und alles was damit zusammenhängt hat mehrere Lesarten. Es geht mir hier nicht um die Lesart, die du, StefanMz, vermutlich als normativ bezeichnen würdest. Es geht mir vielmehr um eine Lesart, die den Verantwortungsbegriff an das Individuum bindet. Selbstverantwortung ist Grundlage für diesen Verantwortungsbegriff. Ich versuche im Folgenden also nicht von Außen eine Verantwortung an jemenschen heranzutragen, die man doch gefälligst zu übernehmen habe. Ich meine vielmehr die Verantwortung, die zur Selbstentfaltung dazu gehört.

(6.1.4.1.1.2) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 19.08.2002, 16:04, Stefan Meretz: Ja, langsam bekommt es eine gute Richtung:-) Wenn ich jetzt ein paar Bedenken anmelde, dann sollen diese die grundsätzlich positive Bewertung nicht entwerten. Spontan fallen mir zwei Bedenken ein: (1) Die Last der Klärung verschiebt sich auf den Verantwortungsbegriff, das heisst der Durchbruch ist noch nicht geschafft; (2) die Fassung von Entfremdung als Nicht-(mehr)-verantwortlich-handeln-können ist super scharf, vielleicht zu scharf. Gibt es wirklich Bedingungen unter denen ich nicht mehr verantwortlich handeln kann? Das hängt nun wieder vom Verantwortungsbegriff ab;-) Nach meinem Gefühl gibt es zwischen nicht und voll verantwortlich handeln viele Varianten des unter den je gegebenen Bedingungen noch relativ verantwortlich Handelns. Oder anderes formuliert: Zu jeder Entfremdung - Entzug der vollen Verantwortungsübernahmemöglichkeiten - kann ich mich wiederum verantwortlich verhalten. Ein Verhalten zur Un-Verantwortlichkeit gewissermaßen, eine Meta-Ebene.

(6.1.4.1.1.2.1) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 19.08.2002, 21:06, Stefan Merten: Schön, daß dein Gefühl mit meinem übereinstimmt :-) . Dann wird es wohl schon richtiger sein :-) . Hast du noch mehr Anmerkungen? Dann heraus damit. Ich werde mich dann wohl morgen mal an eine komplette Neugestaltung des Abschnitts machen. Wird sicher wieder mit der heißen Nadel gestrickt sein - na ja, wenigstens ein bißchen kühler ;-) .

(6.1.4.1.1.2.2) Verschiebung auf den Verantwortungsbegriff, 19.08.2002, 21:09, Stefan Merten: Ja, diese Verschiebung ist mir auch schon aufgefallen. Aber letztlich hast du dieses Problem immer irgendwie und Verantwortung scheint mir jedenfalls aus dem Alltagsverständnis heraus nicht ganz so schwer zu fassen zu sein, wie Entfremdung - mit den erwähnten Einschränkungen bzgl. normativ.
Ich tendiere dazu, das nicht wirkich auszuführen über das hinaus, was hier schon steht. Aber vielleicht fällt mir bei der Neufassung noch mehr ein.

(6.1.4.1.1.2.3) Verantwortung als Kontinuum, 19.08.2002, 21:20, Stefan Merten: Diesen Punkt hatten wir gestern in dem Gespräch auch schon. Da stellte sich dann heraus, daß sich Verantwortung immer auf ein gesellschaftlich geprägtes, aber dennoch individuelles (vielleicht ist das auch die Formulierung um das nicht-normative reinzukriegen?) Normen- und Wertesystem bezieht. Und Normen- und Wertesysteme kann's natürlich viele geben.
Meine These gestern war dann ungefähr so, daß ich zwar im Rahmen eines mir fremden Wertesystems handeln kann, es aber möglich ist, daß ich gleichzeitig meiner (eigenen, individuellen) Verantwortung (aka Gewissen?) nicht gerecht werde. Das Wort "unverantwortlich" will hier leider überhaupt nicht passen, weil es zu viele Konnotationen mit sich herumschleppt. Aber eigentlich müßte es so heißen.
Dann kann ich mich aber in der Tat auf mein Verantwortungsgefühl beziehen und mich zu dem unverantwortlichen Verhalten verhalten. Da wird's in der Tat Meta und da fängt's auch an individuell konkret schwierig zu werden, wenn der Soldat das Töten von Menschen eben nicht mit seinem Verantwortungsgefühl in Übereinstimmung bringen kann.
Was mir noch kommt: Vielleicht kann mensch ja auch verschiedene Grade von Entfremdung unterscheiden. Wäre ja eigentlich auch nicht zu erwarten, daß der Begriff digital ist.

(6.1.4.1.1.4) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 19.08.2002, 22:55, Benni Bärmann: Von mir wieder nur eine kurze Anmerkung. Leider komm ich grad nicht dazu, mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Deshalb nur kurz: Ich hab Probleme damit das Ganze auf "Verantwortung" abzulenken. Und zwar aus folgenden Gründen. Diese Aufzählung ist gedacht quasi als Illustration meines Unbehagens:

(6.1.4.1.1.5) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 19.08.2002, 22:58, Benni Bärmann: 1. Verantwortung ist ein geradezu klassischer Begriff in der Ethik. Nicht umsonst spricht man auch von "Verantwortungsethik". Ich kann mit dem Gekerchel was unter diesem Begriff fungiert nicht viel anfangen, vielleicht kommt daher ein Teil meines Unbehagens. Du versuchst das ja auch ein bisschen abzuwiegeln, indem Du einfach sagst, "ich meine Verantwortung minus normativ". Ich bin mir nur nicht sicher, ob da dann noch viel übrig bleibt und das Problem ist vielleicht ganz ähnlich gelagert wie das, was wir schon hatten, nämlich "Herrschaft minus Beherschung (Domination)".

(6.1.4.1.1.5.1) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 20.08.2002, 17:18, Stefan Merten: Bei "Verantwortung minus normativ" kommt Selbstentfaltung raus. Danke. Durch deine Anmerkung habe ich das jetzt superklar.

(6.1.4.1.1.6) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 19.08.2002, 23:04, Benni Bärmann: 2. Ich hab mal meinen Lieblingssport betrieben und im "Ethym" nachgeschlagen, wo das Wort herkommt. Ergebnis: "Sich als Angeklagter verteidigen". Natürlich bedeutet das Wort heute mehr als nur das, dennoch hat das mich auf die Spur eines weiteren Unbehagens, dass ich mit "Verantwortung" habe, gebracht, nämlich, dass es ein Begrifff ist, der aus einer Verteidigungsstellung heraus operiert. Ich muss mich verantworten. Vor wem denn? Du wirst sagen, vor Dir selbst, nur denke ich dass in diesem "vor Dir selbst" sehr viel von Zurichtung drinsteckt.

(6.1.4.1.1.6.1) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 20.08.2002, 17:25, Stefan Merten: Mir ist der zentrale Wortbestandteil der "Antwort" hier wesentlich wichtiger. Auch im englischen "responsibility" kommt das sehr schön raus. Die "Antwort" an der Verantwortung stellt nämlich gerade den Bezug her (das ist jetzt nicht geschliffen ausformuliert) zwischen Individuum und Gesellschaft indem sie den (selbstentfalteten) Bezug des Selbst zur Außenwelt herstellt. Dies auch deshalb, weil Verantwortung ohne zumindest ein gewisses Maß an Einlassen nicht möglich ist. Einerseits.
Andererseits stellt Verantwortung den (selbstentfalteten) Bezug zwischen Handeln und innerem Wertesystem her.

(6.1.4.1.1.7) Re: Neuer Erklärungsversuch (was: Zusammenfassung), 19.08.2002, 23:07, Benni Bärmann: 3. Du hast Dich sehr gewehrt, als Stefan Mz. vorgeschlagen hat, Entfremdung negativ über Selbstentfaltung zu bestimmen, weil Du eine positive Bestimmung von Entfremdung wolltest. Jetzt machst Du aber selbst das selbe. Ist ja per se nix gegen einzuwenden, nur wirst Du Deinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Und ich muss auch sagen, dass es zur Lösung des Problems was ich wie gesagt mit "Entfremdung" habe, nix beiträgt, wenn man sie einfach als negative Selbstentfaltung oder Abwesenheit der Möglichkeit von Verantwortung definiert. Das klingt dann zwar schön, aber "Entfremdung" ist dann nix, was mein Verständnis irgendwie befördern würde. Ich könnts dann auch weglassen.

(6.1.4.1.2) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 12:54, Stefan Merten: Eine sofort aufpoppende Frage ist natürlich: Wann kann den ein Mensch in einem Verhältnis nicht verantwortlich handeln? Dazu fallen mir zwei Kategorien ein.
a) Wenn es strukurell nicht geht. Das Geldsystem wäre das naheliegende Beispiel: Dafür kann ein Mensch nicht verantwortlich sein und es soll ja auch von einer Definition von Entfremdung eindeutig erfaßt werden. Natürlich kann ein Mensch aber im konkreten Verhältnis zu einer bestimmten Sache im Zusammenhang mit Geld verantwortlich handeln.
b) Strukturell wäre es zwar möglich, aber einer realexistierenden Individuum ist es nicht möglich - aus welchem Grund auch immer.

(6.1.4.1.3) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 13:02, Stefan Merten: Mein Eindruck ist, daß zumindest ich um die "richtige" Begriffsbildung kreise und wir bisher nur Punkte auf dem Kreis ausmachen konnten, aber seinen Mittelpunkt noch nicht bestimmten konnten. Daher möchte ich die Zusammenfassung der gefundenen Beschreibungen, quasi die Punkte auf dem Kreis nochmal durchgehen.

(6.1.4.1.4) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 13:05, Stefan Merten: "Entfremdung als Domination bzw. Herrschaft" - Da paßt es m.E. sehr gut mit zusammen: Verantwortlich handeln kann ich nicht, wenn mir etwas per Domination aufgeherrscht wird. Dabei ist es für das verantwortliche Handeln unerheblich, ob mir das personal-konkret oder irgendwie abstrakt aufgeherrscht wird.

(6.1.4.1.5) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 13:06, Stefan Merten: "Entfremdung als Gegenteil von Selbstentfaltung" - Na ja, wenn (Selbst)verantwortung ein integraler Bestandteil von Selbstentfalstung ist, dann können Verhältnisse, in denen mir verantwortliches Handeln nicht möglich ist, keine selbstentfalteten sein.

(6.1.4.1.6) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 13:09, Stefan Merten: "Fremd vs. vertraut" - Hier würde ich inzwischen "Fremd vs. verantwortbar" (!nicht normativ, die Sprache scheint hier leider wenig differenzierende Mittel zu bieten :-( ) setzen. Aber auch "vertraut" paßt hier noch hin: Wenn ich verantwortlich handele, dann muß ich ein Verhältnis auch angenommen haben. Insofern ist eine Vertrautheit gewissermaßen Voraussetzung für verantwortliches Handeln.

(6.1.4.1.7) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 13:13, Stefan Merten: "Abstrakt vs. konkret" - Sogar das paßt noch rein - wenn auch nicht so platt, wie mein erster Versuch war. Und zwar können wir hier (gesellschaftlich-historisch bestimmte - laß ich jetzt beiseite) verschiedene Abstraktions-Level in Bezug auf eine Person feststellen. Abstraktionen können einer Person relativ nah sein (Sprache; vielleicht sogar das, was ich mit konkreten Qualitäten bezeichnet hatte), oder sie können ihr relativ fern sein (Geldsystem; Nation; Krieg; Gott). Je ferner eine Abstraktion ist, desto weniger kann ich im Verhältnis zu dieser Abstraktion verantwortlich handeln. Das Ganze natürlich individuell verstanden, wo einzelne Menschen natürlich auch ein sehr nahes Verhältnis z.B. zu Gott empfinden können.

(6.1.4.1.8) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 13:15, Stefan Merten: "Verselbstständigung von Etwas führt zur Entfremdung" - Auch das paßt sehr gut: Wenn sich etwas verselbstständigt hat, dann ist es Essig mit dem verantwortlich Handeln.

(6.1.4.1.9) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 13:21, Stefan Merten: Was meint die geneigte LeserIn? Kann eine Definition des Entfremdungsbegriffs damit hinhauen? Mir scheint es ein ziemlich genialer "Trick" zu sein, auf diesem Weg das Individuum mit den Dingen wieder zu verbinden. Über den Begriff der Verantwortung bindet es sich auch wieder an die Gesellschaft (Ein Bewußt-Sein von Verantwortung fällt ja nicht vom Himmel).

(6.1.4.1.9.1) Re: Zusammenfassung, 19.08.2002, 16:07, Stefan Meretz: Wie schon geschrieben: Wenn du nun noch "Verantwortung" als "gesellschaftsbezogenen" Begriff ausführst, dann ist das ein großer Fortschritt - IMHO:-)

(7) Da der Begriff der Entfremdung für diesen Text von zentraler Bedeutung ist, soll er gleich als erstes eingeführt werden. Dies scheint gerade bei diesem Begriff besonders notwendig, da er mit verschiedenen Bedeutungen verwendet wird.

(7.1) 13.08.2002, 20:30, Stefan Merten: Hier entschärfe ich noch ein bißchen den Anspruch der Definition ;-) .

1.1.1. Entfremdung und immanente Qualitäten

(8) Als Kurzdefinition für den Begriff der Entfremdung wie er in diesem Text verwendet wird, mag der Satz gelten: Entfremdung liegt dann vor, wenn das Verhältnis zu einer Sache nicht von ihren immanenten Qualitäten geprägt ist.

(8.1) Re: 1.1.1. Entfremdung und immanente Qualitäten, 13.08.2002, 21:38, Stefan Merten: Hier habe ich nochmal drüber nachgedacht, was ich mit immanent eingentlich genau meine. Wahrscheinlich könnte ich überall auch von konkreten Qualitäten schreiben und abstrakte Qualitäten davon abgrenzen. Abstrakte Qualitäten - wie der Wert oder ein Gott - haben zur Folge, daß die Träger dieser abstrakten Qualitäten austauschbar werden. Das zeigt sich auch bei den Symbolen, die sich ja gerade durch diese Eigenschaft der abstrakten Qualität auszeichnen.
Ok, ich ersetze überall mal immanent durch konkret.

(8.1.1) Re: 1.1.1. Entfremdung und immanente Qualitäten, 16.08.2002, 08:39, Stefan Meretz: Das macht es nicht besser. Wodurch kommt es zu den jeweiligen Eigenschaften? Wodurch kommt es zur "Konkretheit" oder "Abstraktheit"? Das ist weder Ergebnis einer Sachen-immanten Eigenschaft (so die "platonische" Überlegung) - nicht das "Ding" ruft das hervor -, noch ist es Resultat einer "willkürlichen sozialen Übereinkunft" oder "Zuschreibung" - wer sollte das warum und wie getan haben? Es ist Resultat der jeweiligen historischen Form der Vergesellschaftung. D.h. es ist zwar einerseits ein sozialer Prozeß, dieser ist aber nicht intentional/willkürlich, sondern selbst wiederum Resultat der jeweiligen Art und Weise der Reproduktion (in warenproduzierenden Gesellschaften eben über den Wert). IMHO brauchst du also einen gesellschaftlich begründeten Begriff von Entfremdung. Siehe mein Vorschlag oben.

(8.1.1.1) Re: 1.1.1. Entfremdung und immanente Qualitäten, 17.08.2002, 17:42, Stefan Merten: Wodurch es zu den jeweiligen Eigenschaften kommt? Indem Menschen diese Eigenschaften in einer Sache sehen. Klar ist dieser Prozeß des so oder anders sehens auch gesellschaftlich determiniert - Menschen sind das immer. Aber jenseits dieser gesellschaftlichen Grundbestimmtheit gibt es schon noch Dinge, die eben nicht beliebig setzbar sind. Sauberes Wasser kann ich gefahrlos trinken, von dreckigem kriege ich Cholera. Davor schützt mich keine noch so heftige gesellschaftliche Bestimmung. Oder: Mit Freier Software habe ich bestimmte (technische) Möglichkeiten, die ich mit proprietärer nicht habe. Das hängt natürlich auch alles damit zusammen, wie er hergestellt wurde - klar, tut es bei Produkten immer. Aber dennoch gibt es eben auch Eigenschaften, die nicht nur gesellschaftlicher Natur, nicht im Grunde beliebig austauschbar sind.
Wenn ich dich jetzt richtig verstehe, dann sagst du: "Spielt für Entfremdung alles keine Rolle, sondern Entfremdung ist ein gesellschaftlich begründeter Begriff." Na ja, wenn du da nur die Domination meinst, die ich oben erkannt zu haben glaube, dann hast du natürlich recht. Oh je, hier gibt es noch viel zu klären...

(8.1.1.1.1) Re: 1.1.1. Entfremdung und immanente Qualitäten, 18.08.2002, 11:25, Stefan Meretz: Warum sehen die Menschen die Eigenschaften in einer Sache? Weil diese Sache in gesellschaftlich verallgemeinerter Weise genau mit diesen Eigenschaften hergestellt wurden. Das ist der Schlüssel. Gerade die gesellschaftliche Bestimmung legt verbindlich fest, was als Trinkwasser gilt - natürlich in Bezug auf die Physis, also gerade nicht willkürlich (eben weder besonders sauberes (reines) Wasser, noch heutzutage Elbewasser - früher schon). Nicht also die gesellschaftliche Bestimmung enthält die Beliebigkeit, sondern im Gegenteil die Verbindlichkeit. Bei der Software sagst du das ganz klar (nur das dort im Unterschied zum Wasser die Variationsbreite, was noch als Software "verdaubar" ist, größer ist).

(9) Die Sache ist hier weit gefaßt zu verstehen und umfaßt neben materiellen Dingen auch immaterielle Dinge wie Ideen oder Bedürfnisse. Da auch Menschen immanente Qualitäten haben, können sie ebenfalls Sachen im Sinne dieser Definition sein und also Entfremdung unterliegen.

(9.1) 13.08.2002, 22:16, Stefan Merten: Neu: "Die Sache ist hier weit gefaßt zu verstehen und umfaßt neben materiellen Dingen auch immaterielle Dinge wie Ideen oder Bedürfnisse. Menschen verfügen über eine großes Potential konkreter Qualitäten in körperlichen, psychischen und geistigen Da Bereichen. Da auch Menschen konkrete Qualitäten haben, können sie ebenfalls Sachen im Sinne dieser Definition sein und also Entfremdung unterliegen."

(9.1.1) 16.08.2002, 08:44, Stefan Meretz: Was ist der Unterschied zwischen geistig und psychisch? (ausserdem ist da ein "Da" zuviel.)

(9.1.1.1) 17.08.2002, 13:56, Stefan Merten: Grob vereinfacht: Der Unterschied zwischen unbewußt und bewußt. Ich fürchte, daß dir das nicht gefallen wird. Diese Setzung wird aber wohl häufig gemacht.

(9.2) 13.08.2002, 22:18, Stefan Merten: Zusätzlich: "Konkrete Qualitäten einer Sache sind dabei so zu verstehen, daß sie einer Sache zwar in gewisser Weise eigen sind. Die je gerade relevanten konkreten Qualitäten einer Sache sind jedoch nicht überhistorisch, sondern werden aufgrund der gesellschaftlich-historischen Entwicklungsstufe von den Menschen "entdeckt" - oder auch wieder vergessen. Sie sind aufgrund der Beschaffenheit der Sache aber nicht beliebig austauschbar und im Umkehrschluß ist auch eine Sache bezüglich einer konkreten Qualität nicht beliebig austauschbar."

(9.3) 13.08.2002, 22:19, Stefan Merten: Zusätzlich: "Abstrakte Qualitäten einer Sache abstrahieren dagegen gerade von der Sache. Die entsprechende Sache wird damit austauschbar und es besteht die Gefahr, daß die in einer emanzipatorischen Vision i.d.R. entscheidenden konkreten Qualitäten einer Sache durch ihre abstrakten Qualitäten in den Hintergrund gedrängt werden."

(9.3.1) 16.08.2002, 08:56, Stefan Meretz: Abstrakte Qualitäten einer Sache abstrahieren nicht von der Sache, sondern von der konkreten Seite der Sache. - Wörtlich heisst Abstraktion "Absehung". Zur Absehung von etwas Konkretem kommt es, weil es jemand tut oder weil sich "hinter unserem Rücken" ein Prozeß durchsetzt, der in der Praxis zur Absehung von bestimmten Konkreta führt. Und um das zweite geht es hier IMHO. Deswegen kann man auch im engeren Sinne nicht von "abstrakten Qualitäten einer Sache" sprechen: Eine Sache "hat" keine abstrakten Qualitäten (nämlich: "an-sich" / "immanent" / "sui generis" - da gibt es viele Formulierungen). Denn, wie du bei der letzten Version zutreffend angemerkt hast, handelt es sich immer um ein Verhältnis von Mensch und Sache.

(9.3.1.1) 17.08.2002, 17:48, Stefan Merten: Ja, die Formulierung ist auf jeden Fall schief: Sie abstrahieren von den konkreten Qualitäten - um in der Begriffswelt zu bleiben.
"Eine Sache "hat" keine abstrakten Qualitäten" Das ist auch in meiner Interpretation richtig. Abstrakte Qualitäten werden einer Sache immer nur zugeschrieben. Da ist was Wahres dran. Wahrscheinlich kommt auch genau aus dieser Zuschreibung die Beliebigkeit.
Auf einer sehr niedrigen Ebene sind z.B. auch die Naturgesetze lediglich Zuschreibungen, weil sie nicht "da" sind, sondern nur ihr Wirken über Messungen sichtbar gemacht werden kann. Aber das nur BTW.

(9.3.2) 16.08.2002, 09:46, Stefan Meretz: Du tendierst mit dem Begriffspaar "konkret/abstrakt" stark zu einem "nicht-entfremdet/entfremdet"-Schema: Weil x eine konkrete Qualität hat/ist, tritt im Absehungsfall "Entfremdung" auf. So hier in Abs. (9). Da aber keine Abstraktion ohne Konkretes, ist jede Abstraktion nach dieser Logik Entfremdung. Und das ist Quatsch.

(9.3.2.1) 17.08.2002, 14:00, Stefan Merten: Diese Tendenz liegt einfach noch an der unklaren Begriffsbildung. Wie ich im Abschnitt zu den Symbolen ja schon selbst deutlich gemacht habe, gibt es abstrakte Qualitäten (Sprache) einer Sache (Laute), die nicht entfremdet sind. Da fiel mir auch auf, daß es so einfach nicht ist :-( ... Ich bin ja schon vorsichtig - aber befriedigen tut mich das alles leider gar nicht :-( :-( .

(9.4) 13.08.2002, 22:19, Stefan Merten: Zusätzlich: "Allgemein bekannt ist das Beispiel der Waren, deren konkrete Qualität in einer Geldgesellschaft gegenüber ihrer abstrakten Qualität des Werts viel zu häufig zurücktritt. An der Ware ist gut zu studieren, wie die abstrakte Qualität des Werts zu einer Entfremdung von der Sache selbst - in diesem Fall von ihrem konkreten Nutzen - führen kann. Waren werden für die abstrakte Qualität Verkaufbarkeit hergestellt und der Nutzen der Ware spielt dabei nur insofern eine Rolle, insofern er für die Verkaufbarkeit relevant ist. Da für eine emanzipatorische Vision aber der konkrete Nutzen einer Sache für die Menschen von großer Bedeutung ist, sind abstrakte Qualitäten oft hochproblematisch."

(9.5) 13.08.2002, 22:20, Stefan Merten: Zusätzlich: "Ein weiteres bekanntes, noch drastischeres Beispiel für die entfremdende Wirkung abstrakter Qualitäten bezieht sich direkt auf den Menschen, der in der Geldgesellschaft nur noch abstrakter Behälter von Arbeitskraft bzw. Kaufkraft ist. Die konkreten Qualitäten eines Menschen, sein gesamtes Sein wird von diesen abstrakten Qualitäten nachhaltig deformiert. Der Mensch wird sich selbst fremd, weil sein eigenes Wesen durch die entfremdeten Qualitäten des Tausches bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und verdeckt wird."

(10) I.d.R. können einer Sache mehrere immanente Qualitäten zugeordnet werden. Ein Holztisch hat aufgrund seiner stofflichen Eigenschaften eine immanente Qualität als Tisch, kann aber auch aufgrund seiner stofflicher Eigenschaften als Brennholz verwendet werden. Selbst eine Münze hat beim Münzwurf stoffliche Qualitäten als Zufallsgenerator oder einfach als kleine, harte Metallscheibe, die als behelfsmäßiges Werkzeug eingesetzt werden kann. Die Qualität als Zahlungsmittel ist der Münze dagegen nicht immanent.

(11) Eine immanente Qualität einer Sache spannt gewisse Gesetzmäßigkeiten auf, die der innereren Logik der Qualität entsprechen. So hat der Holztisch sowohl eine bestimmte Höhe als auch einen bestimmten Brennwert. Auch die stoffliche Seite der Münze verfügt über solche Größen, die einen eigenen, unhintergehbaren Raum von Gesetzmäßigkeiten aufspannen. Die zugeordnete Qualität als Zahlungsmittel ist dagegen nicht durch immanente Qualitäten fixiert, sondern wird ihr durch einen formalen, letztlich gesellschaftlichen Akt zugeordnet. Da diese Gesetzmäßigkeit gesellschaftlich gesetzt und keine immanente Eigenschaft ist, unterliegt sie den je geltenden gesellschaftlichen Bedingungen und kann sich mit ihnen verändern. Bei Münzen kennen wir diesen Vorgang als Veränderung ihrer Kaufkraft.

(11.1) 13.08.2002, 20:34, Stefan Merten: s/formalen, letzlich//; s/Kaufkraft/Tauschwert/

1.1.2. Entfremdung und Nutzung

(12) Von besonderer Bedeutung in diesem Text ist das Verhältnis zu einer Sache, das wir mit Nutzung der Sache bezeichnen. Dieser Schwerpunkt ergibt sich daraus, daß Eigentum eine Menge mit Nutzung von Sachen zu tun hat. Unter entfremdeter Nutzung einer Sache können wir also solche Nutzungen verstehen, die nicht oder nicht in erster Linie an die der Sache immanenten Qualitäten gebunden sind. Die Grenze zum Mißbrauch wird hier in vielen Fällen fließend sein. Sie unterliegt letztlich den je gültigen gesellschaftlichen Vorstellungen.

(12.1) Re: 1.1.2. Entfremdung und Nutzung, 13.08.2002, 20:36, Stefan Merten: s/Die Grenze ... Vorstellungen.//

(13) Aufgrund der unterschiedlichen immanenten Qualitäten, die eine Sache haben kann, können sich verschiedene Nutzungsarten ergeben, die für unterschiedliche Menschen von unterschiedlichem Interesse sind. Hier ist aber streng zwischen entfremdeten und solchen Nutzungsarten zu unterscheiden, die sich auf immanente Qualitäten einer Sache beziehen.

(13.1) 13.08.2002, 20:37, Stefan Merten: s/streng//

1.1.3. Entfremdung und emanzipatorische Vision

(14) Eine emanzipatorische Vision muß kurz gesagt dem Menschen maximal gerecht werden, da nur dann die maximalen Entfaltungsmöglichkeiten erreichbar sind. Dies impliziert, daß alle immanenten Qualitäten eines je konkreten Menschen in allen Fällen beachtet werden müssen. Insbesondere dürfen Menschen nicht als Teil eines entfremdeten Verhältnisses vorkommen, da sie in solchen Fällen eines Teils ihres Menschseins beraubt sind. Dies gilt beispielsweise auch für ihre eigenen Bedürfnisse, zu denen Menschen in einem entfremdeten Verhältnis stehen können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Bedürfnis nicht befriedigt sondern aus dem einen oder anderen Grund verdrängt wird.

(15) Wie wir im weiteren Text sehen werden, sind aber auch entfremdete Verhältnisse zu Dingen durchaus problematisch. Für eine emanzipatorische Vision muß in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ein entfremdetes Verhältnis der Vision dient oder ihr schadet.

(16) Eine besondere Klasse von Verhältnissen zu Sachen, die nicht in erster Linie Bezug auf ihre immanenten Qualitäten nehmen, sind symbolische Bedeutungen, die nach obiger Definition ebenfalls als entfremdet gelten müssen. Jede Sprache bildet beispielsweise syntaktische (auch lautliche) auf eine bestimmte eine semantische Bedeutung ab, die der syntaktischen Struktur keineswegs immanent sind. Ob ein Symbol einer emanzipatorischen Vision nützt oder schadet, kann nicht allgemein entschieden werden. Als Indikator für die Nützlichkeit kann die Tatsache dienen, ob die symbolische Bedeutung, die einer Sache zugeordnet wird, den Menschen als nützlich erscheint und somit gerne übernommen wird (wie z.B. Sprache) oder ob die symbolische Bedeutung gegen die Menschen durchgesetzt werden muß - notfalls mit Gewalt.

(16.1) 13.08.2002, 20:40, Stefan Merten: Der Absatz sollte evt. raus, da er die Verwirrung eher noch steigert - auch wenn er inhaltlich richtig ist. Oder?

(16.1.1) 16.08.2002, 09:36, Stefan Meretz: Ja, den ganzen Absatz 1.1.3 raus, weil er vorgreift und deswegen verwirrt (und mir eh zu normativ formuliert ist - erst recht am Anfang).

(16.1.1.1) 17.08.2002, 17:54, Stefan Merten: Nun, ich finde du schüttest hier das definitorische Kind mit dem normativen Bade aus. Zur Bedeutung des "Müssens" hatten wir es anderswo schon. Ich nehme aber diesen Absatz raus. Der Rest ist mir aber wichtig. Wo greift er d.E. vor?

(16.2) 13.08.2002, 22:20, Stefan Merten: Zusätzlich: "Für diesen Text soll angenommen werden, daß abstrakte Qualitäten dann Entfremdung sind, wenn sie für eine emanzipatorische Vision wünschenswerte konkrete Qualitäten verzerren, verdecken oder sonstwie behindern. Dies ist oft der Fall, wenn die abstrakte Qualität Sachen austauschbar macht, die im Interesse einer emanzipatorischen Vision besser nicht austauschbar wären."

1.2. Individuelles Eigentum

1.2.1. Eigentum als formales Konstrukt

(18) Der Begriff Eigentum ist sehr vielschichtig. Eine eingehende Betrachtung seiner Bedeutung kann im Rahmen dieses Textes nicht geleistet werden. Wichtig ist jedoch, daß Eigentum eine soziale Form ist, die nicht ohne eine formale Festlegung auskommt, die in der bürgerlichen Gesellschaft i.d.R. in Verträgen festgehalten wird. Die Notwendigkeit einer formalen Festlegung deutet aber schon an, daß es sich beim Eigentum nicht um eine selbstverständliche soziale Praxis handelt, sondern vielmehr notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden muß.

(19) ToDo: Verhältnis Eigentum / Herrschaftsmodell?

(20) Mit Blick auf eine emanzipatorische Vision ist es sinnvoll, dem Begriff Eigentum vom Begriff Besitz zu unterscheiden. Im Gegensatz zum Eigentum beschreibt Besitz ein Verhältnis zwischen Menschen und Dingen, das einer bestimmten sozialen Praxis entspricht: Ein Mensch be-sitzt genau dann etwas, wenn eine direkte Nutzung des Dings durch die BesitzerIn erfolgt.

(21) Aus diesem kleinen Unterschied ergeben sich erhebliche Konsequenzen. So ist die Menge von Dingen, für die ein einzelner Mensch als EigentümerIn auftreten kann grundsätzlich unbegrenzt. In der Praxis ergeben sich aus unbegrenztem Eigentum schnell Probleme mit der Anerkennung der Legitimität von Eigentum. Besitz dagegen ist immer durch eine bestimmte soziale Praxis begrenzt und durch die konkrete Nutzung ergibt sich eine allgemein nachvollziehbare Legitimität. Weiterhin ist Eigentum auch jenseits vertraglicher Festlegungen nicht unbedingt ersichtlich. Dagegen ist Besitz im sozialen Kontext vergleichsweise einfach erkennbar.

(22) Ein Beispiel aus unserer alltäglichen Lebenspraxis macht diese Unterscheidung augenfällig: Die MieterIn einer Wohnung ist deren BesitzerIn, da sie die Wohnung direkt nutzt. Die VermieterIn ist hingegen die EigentümerIn der Wohnung, die nur indirekten Nutzen aus der Wohnung zieht - eben die Miete.

(23) Da es sich beim Eigentum um ein formales Konstrukt handelt, ist auch die Menge der Sachen nicht eingeschränkt, die zu Eigentum gemacht werden können. So kann neben mobilen materiellen Gütern auch Land bis hin zu entfernten Planeten zum Eigentum erklärt werden. In unserer gibt es Bestrebungen, die Gruppe der immateriellen Sachen - Ideen, Software, Musik, etc. - unter dem Begriff geistiges Eigentum immer stärker unter das Eigentumsregime zu nehmen.

1.2.2. Vorkommen, Begrenztheit, Knappheit

(24) ToDo: Überarbeiten

(25) Sprechen wir über Eigentum an Gütern, so müssen wir immer auch über die Begriffe Vorkommen, Begrenztheit und Knappheit sprechen. Das Konzept des Eigentums macht wenig Sinn für Güter, die sowieso unbegrenzt zur Verfügung stehen: Das allgemeine Eigentum an Luft macht - bislang zumindest - noch keinen Sinn. Das Eigentum an Luft macht aber schon eher Sinn, wenn es sich um begrenzt vorhandene, spezielle Luft handelt - sei es Preßluft oder die gute Luft in einem Kurort. Aber wie sind die Verhältnisse genau?

(26) Zunächst können wir das Vorkommen eines Guts betrachten. Hier ist das absolute Vorkommen gemeint, das jenseits menschlicher Existenz auf der Erde existiert. Die genaue Größe des Vorkommens eines Guts - insbesondere von Naturstoffen - kann dabei in den seltensten Fällen exakt bestimmt werden.

(27) Tritt der Mensch hinzu, so ist die Nutzung eines Vorkommens begrenzt durch technische, soziale und andere Faktoren. Diese Begrenzungen, sind dabei nicht überhistorisch, sondern durch historische und gesellschaftliche Entwicklungen bestimmt. So ist z.B. Erdöl die meiste Zeit in der Geschichte des Menschen lediglich als Unrat betrachtet worden, während heute die begrenzte Menge an Erdöl zur Überlebensfrage eines bestimmten Zivilisationstyps wird. Das Verhältnis von Begrenztheiten zum absoluten Vorkommen ist einerseits durch die technischen Mittel bestimmt, die das Vorkommen real nutzbar machen (z.B. bestimmte Abbauverfahren bei Naturstoffen), andererseits kann es politische Entscheidungen geben, die die Nutzung erkannter Vorkommen verhindern (z.B. Schutz von Naturschutzgebieten).

(28) Die Begrenztheit von materiellen Produkten ist wesentlich dadurch bestimmt, wieviele Produkte hergestellt werden können. In einer konkreten Situation spielt es weiterhin eine Rolle, ob die jeweils benötigten Produkte auch am gewünschten Ort zur Verfügung stehen. Da die Verfügungsmöglichkeit über Güter - der Besitz - für die Handlungsmöglichkeiten eines Menschen von erheblicher Bedeutung ist, ist die Begrenztheit verfügbarer Produkte ein wichtiges Problem. Eine emanzipatorische Vision hat also das Problem zu lösen, wie Produkte in ausreichender Menge zu den Menschen kommen, die sie für ihre Selbstentfaltung benötigen. Die dem erreichten gesellschaftlichen Niveau angemessene Existenzsicherung muß hierbei als Voraussetzung von Selbstentfaltung gesehen werden.

(29) Knappheit ist dagegen ein Begriff, der - zumindest in diesem Text - ein Entfremdungsverhältnis zum Nutzen des verknappten Guts beschreibt. Knappheit ist im Gegensatz zu Begrenztheit also ein Konzept, das in einer emanzipatorischen Vision keinen Platz hat. Folglich muß ein emanzipatorisches Projekt also die Knappheit beseitigen und Formen finden, wie mit weiter bestehenden Begrenztheiten umgegangen wird.

(29.1) 13.08.2002, 20:52, Stefan Merten: Neu: "{{1:Knappheit}} ist dagegen ein Begriff, der - zumindest in diesem Text - eine Situation beschreibt, in der ein Gut über seine Begrenztheiten hinaus denen vorenthalten wird, die ein Bedürfnis danach haben. Es ist klar, daß solche Verhältnisse letztlich nur mit Gewalt gefestigt werden können. Ob die Gewalt dabei unmittelbar geschieht oder tief in ein Herrschaftssystem eingebaut ist, ist für die Frage einer emanzipatorischen Vision unerheblich.
Knappheit beschreibt also immer ein Entfremdungsverhältnis zum Nutzen des verknappten Guts und ist damit im Gegensatz zu Begrenztheit also ein Konzept, das in einer emanzipatorischen Vision keinen Platz hat. Folglich muß ein emanzipatorisches Projekt also die Knappheit beseitigen und Formen finden, wie mit weiter bestehenden Begrenztheiten umgegangen wird.

(29.1.1) 16.08.2002, 09:53, Stefan Meretz: Was ist der Nutzen eines verknappten Guts?

(29.1.1.1) 17.08.2002, 14:03, Stefan Merten: Na derselbe wie von jedem Gut: Das, was ich damit anfangen kann.

(29.1.1.1.1) 18.08.2002, 11:31, Stefan Meretz: Meine Frage bezog sich auf die Genetiv-Konstruktion des Satzes ("wessen Nutzen..."), die aus dem Gut "das Nutzende" (das Subjekt) macht.

(29.1.1.1.1.1) 19.08.2002, 17:59, Stefan Merten: Oh, Sprache ist schon manchmal ein mühsam Vehikel ;-) . Du hast wohl gelesen, "zur Nutzung des Guts". Gemeint war aber nicht die Nutzung (das Nutzen) des Guts sondern die Brauchbarkeit (der Nutzen) des Guts.

1.2.3. Eigentum wozu?

(30) Wollen wir den Begriff Eigentum in einer emanzipatorischen Vision verwenden, so ist zu klären, welchen konkreten Nutzen Eigentum eigentlich hat. Nur wenn dies geklärt ist, können die wünschenswerten Teile eines solchen Begriffs in eine neue Vergesellschaftungsform hinübergenommen werden.

(31) Ein naheliegender Nutzen von Eigentum ist die Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten. Per Definition vergrößert Eigentum die Handlungsmöglichkeiten der EigentümerIn, weil es ihr mehr oder weniger unbeschränkte Verfügungsmöglichkeiten über die Sache gewährt - bis hin zu ihrer Zerstörung. Eine Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten ist aber zunächst stets eine Erweiterung von Freiheit, so daß diese Qualität von Eigentum für eine emanzipatorischen Vision erhalten bleiben muß.

(32) Auf der anderen Seite schränkt Eigentum natürlich auch Handlungsmöglichkeiten und damit Freiheit ein - nämlich gerade für die Nicht-EigentümerInnen. Wenn eine EigentümerIn die Verfügungsgewalt über eine Sache hat, so hat sie damit selbstverständlich auch die Möglichkeit andere von der Nutzung dieser Sache auszuschließen.

(33) Dieser Ausschluß der Nutzung durch andere kann einerseits inhaltliche Gründe haben. Dies ist inbesondere dann gegeben, wenn die direkte Nutzung des Eigentums - der Besitz also - nicht anders als durch Ausschluß anderer gewährleistet werden kann. Ein einfaches Beispiel für solche inhaltlichen Gründe liefert das oft vorgebrachte Brötchen, das durch Konsum verbraucht wird und somit nur von einem Menschen genutzt werden kann. Ein weiteres Beispiel bilden Geheimnisse, die per Definition ihren Nutzen verlieren, wenn sie anderen zugänglich gemacht werden.

(34) Andererseits gibt es aber auch nicht-inhaltliche Gründe, die einen Nutzungsausschluß der Nicht-EigentümerInnen für die EigentümerIn attraktiv machen. Die bürgerliche Gesellschaft ist geradezu darauf gegründet, durch Ausgrenzung der Nicht-EigentümerInnen deren Bedürfnisbefriedigung unter Bedingungen zu stellen. Bei Waren schlägt sich dies in der Entrichtung des Kaufpreises nieder, die als Bedingung für die Übertragung des Eigentums gestellt wird.

(35) ToDo: Klärung: Lizenzen oder Miete stellen keine Eigentumsübertragung dar, sondern räumen lediglich ein Nutzungsrecht ein; Verhältnis Eigentum, Besitz, Lizenzen, Miete, Nutzungsrechte?

(36) Die mit Gewalt bewehrte Unbegrenztheit von Eigentum zusammen mit der Möglichkeit des Nutzungsausschlußes prädestiniert Eigentum dazu, neben einer direkten Nutzung auch indirekte, entfremdete Nutzungsarten zu ermöglichen.

(37) Das Beispiel der Mietswohnung zeigt dies: Während die MieterIn eine direkte Nutzung der Wohnung betreibt, hat die VermieterIn nur ein entfremdetes, nämlich geldförmiges Interesse an der Wohnung. Dieses entfremdete Interesse ist aber der zentrale Antrieb für den Erwerb von Eigentum.

(38) Mit dem Entfremdungspotential von Eigentum geht ein erheblicher Teil der negativen Eigenschaften einher, die in einer emanzipatorischen Vision überwunden werden müssen.

(39) In der bürgerlichen Gesellschaft wird Eigentum insbesondere dazu eingesetzt, um Knappheit zu erzeugen. Besonders augenfällig wird dies heute in den Debatten um geistiges Eigentum. Während durch die historisch neue Möglichkeit der digitalen Kopie Informationen heute praktisch zum Nulltarif beliebig reproduzierbar sind, müssen sie zur Erhaltung der Wareneigenschaft künstlich verknappt werden - denn nur knappe Güter können verkauft werden und nur durch Knappheit kann die Wareneigenschaft eines Guts erhalten werden. Scheint bei Gütern mit nennenswerten Produktionskosten eine Verknappung noch durch die stofflich gegebene begrenzte Verfügbarkeit nachvollziehbar, so ist im Fall der Verknappung digitaler Kopien offensichtlich, daß die künstlich herbeigeführte Knappheit ausschließlich entfremdeten Geldinteressen dient.

(40) ToDo: Wenn Knappheit überwunden wird, wird Eigentum überflüssig.

(41) Neben der Verknappung begünstigt die durch Eigentum mögliche Entfremdung aber noch einen weiteren, subtileren Aspekt. Die EigentümerIn ist nicht primär an den stofflichen Qualitäten der Sache interessiert; vielmehr dienen diese nurmehr als Vehikel für die entfremdete Nutzung als Ware. Auf einem Markt, auf dem sich nur WarenanbieterInnen treffen, wird also tendenziell nicht die maximal mögliche, sondern nur noch die für eine Vermarktung gerade eben nötige stoffliche Qualität von Gütern erreicht. Für eine emanzipatorische Vision ist aber die Orientierung auf eine maximale Güterqualität wünschenswert, so daß auch von dieser Perspektive her eine Überwindung der Entfremdungspotentiale von Eigentum angezeigt ist.

(42) Steht der direkte Nutzen eines Gutes zur Debatte, so ist die direkte NutzerIn zweifellos diejenige, die den Nutzen letztendlich am besten beurteilen kann. Ob sie die entsprechenden Gütereigenschaften selbst erzeugen kann oder ob sie ohne die Hilfe von ExpertInnen eine günstige Wahl treffen kann, ist davon unabhängig.

(43) Auch die Verantwortung gegenüber einer Sache ist bei Eigentum nur insofern gegeben, insofern die entfremdeten Nutzungsmöglichkeiten in Frage gestellt sind. Besitz dagegen konstituiert eine selbstverständliche Verantwortung für das besessene Gut, solange eine weitere Nutzung des Gutes angestrebt wird.

1.2.4. Besitz als emanzipatorische Form von Eigentum

(44) Verstehen wir Besitz also als das, was der direkten Nutzung durch die BesitzerIn unterliegt, so beinhaltet es die positive Eigenschaft von Eigentum (Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten), während es die negativen Qualitäten (Einschränkung von Bedürfnisbefriedigung der Nicht-EigentümerInnen, Entfremdungspotential mit Tendenz zu Verknappung, suboptimaler Qualität und Unverantwortlichkeit) vermeidet. In der Konsequenz können wir also unter emanzipatorischem Blickwinkel Eigentum als das verstehen, was wir heute als Besitz kennen.

(45) Ob es sich bei solchem Eigentum um individuelles oder kollektives Eigentum handelt, ist nach diesen Definitionen unerheblich. Wenn von einer direkten Nutzung ausgegangen wird, dann unterscheidet sich kollektives Eigentum von individuellem dadurch, daß es der direkten Nutzung einer Gruppe von Menschen unterliegt anstatt eines einzelnen Individuums.

(46) Allerdings tritt bei kollektivem Eigentum Konfliktpotential auf, da die Individuen des Kollektivs unterschiedliche Ansichten über die bezogen auf die kollektive Nutzung je angemessene Behandlung des kollektiven Eigentums haben können. Diese Frage liegt im Bereich der Konfliktlösung in Kollektiven und ist eine eigene Diskussion wert. Festzuhalten bleibt aber, daß das Konfliktpotential in den meisten Fällen erheblich entschärft sein dürfte, wenn entfremdete Nutzungen des kollektiven Eigentums gar nicht erst möglich sind, sondern es nur noch um eine Optimierung des konkreten Nutzens geht.

(47) Im Sinne einer emanzipatorischen Vision ist es also zunächst sinnvoll, auf den aus der bürgerlichen Gesellschaft tradierten Begriff Eigentum zu verzichten, und stattdessen vielmehr auf den aus einer sozialen Praxis gewachsenen Begriff Besitz einzugehen. Dies fällt deswegen leicht, weil Besitz die für eine emanzipatorische Vision wesentlichen Qualitäten des Begriffs Eigentum umfaßt, während es andere, eher hinderliche Qualitäten vermeidet.

1.3. Vergesellschaftete Produktion

(48) Ist Eigentum ein recht vielschichtiger Begriff so scheint der Begriff Produktion wesentlich leichter greifbar zu sein: Vorgänge, in denen Naturstoffe oder Vorprodukte in andere Produkte umgewandelt werden. Dabei ist es von einem sachlichen Standpunkt aus unerheblich, wer bestimmte Teile einer Produktion konkret zuwege bringt (Maschine, Mensch oder auch ein Naturprozeß). Weiterhin ist es unerheblich, ob es sich bei dem Produkt um ein stoffliches oder geistiges Produkt handelt. Im Zusammenhang dieses Textes soll der Begriff der Produktion auf solche beschränkt sein, bei der Menschen in irgendeiner Form beteiligt sind.

(49) Wenn Menschen an Produktion beteiligt sind, so hat dies immer schon gesellschaftlichen Charakter. Allein die Produktionsmittel sind immer schon gesellschaftlicher Natur - und sei es nur das Wissen um ihre Herstellung. Eine vergesellschaftete Produktion liegt also im engeren Sinne immer schon vor und somit macht es wenig Sinn, über vergesellschaftete Produktion als solches zu sprechen.

(50) Sinnvoll ist es dagegen, unterschiedliche Produktionsformen zu betrachten und damit die unterschiedliche Form ihrer Vergesellschaftung. Verschiedene Produktionsformen unterscheiden sich nämlich stark voneinander und da sie erheblich die Vergesellschaftungsform bestimmen, haben sie für eine emanzipatorische Vision höchst unterschiedliche Auswirkungen.

(51) Für diesen Text wollen wir Produktionsformen betrachten, bei denen nicht einzelne Menschen oder kleine Gruppen autonom die Produktion je ihrer Gütern regeln (Subsistenzproduktion), sondern bei denen der Produktionsprozeß arbeitsteilig und damit über die Gesellschaft verteilt ist. Ziehen wir uns auf diesen Begriff zurück, ist die Vergesellschaftungsform noch nicht festgelegt. Insbesondere ist nicht festgelegt, inwieweit die Vergesellschaftungsform staatliche Anteile enthält.

(52) Bei der Betrachtung arbeitsteiliger Produktionsformen gilt es mehrere Aspekte zu unterscheiden.

1.3.1. Ausführung der Produktion

(53) Die Produktion komplexer Produkte, wie sie auf dem erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung die Regel sind, wird nicht von einzelnen Menschen oder kleinen Gruppen zuwege gebracht. Vielmehr fließt in komplexen Produkten eine Vielzahl elementarer Produktionsprozesse zusammen, die von ganz unterschiedlichen Akteuren beigesteuert werden. Heute sind die Akteure dabei durchaus über den gesamten Globus verteilt.

(54) Die hohe Arbeitsteiligkeit moderner Produktion ist ein unmittelbares Ergebnis einer ständig steigenden Komplexität des Gesamtproduktionsprozesses. Diese steigende Komplexität ist ihrerseits ein Ausfluß der technischen Entwicklung, die immer zahlreichere und immer differenziertere technische Vorgänge ermöglicht, die für die Produktion relevant sind.

(55) Ein mögliches Ergebnis dieser Technikentwicklung ist eine Steigerung des Automatisierungsgrads, bei der Produktionsprozesse von Menschen auf Maschinen verlagert werden. Automatisierung kann überall dort stattfinden, wo die spezifischen Fähigkeiten von Menschen durch maschinelle Prozesse ersetzt werden können. Dieses Potential von Automatisierung erhöht die Handlungsmöglichkeiten von Menschen, da diese dann die Wahl haben, ob sie den automatisierbaren Prozeß selbst ausführen, oder ob sie ihre Zeit und Energie lieber mit anderen Dingen zubringen wollen. Daher ist eine weitere Steigerung des Automatisierungsgrads in einer emanzipatorischen Vision von zentraler Bedeutung.

(56) Weiter ist festzuhalten, daß die hohe Arbeitsteiligkeit eine ungeahnte Menge an Gebrauchswerten hervorbringt, die mit geringerer Arbeitsteilung nicht erreicht werden kann. Die Arbeitsteilung ist dabei auch eine Folge der ständig steigenden Komplexität der gesamtgesellschaftlichen Produktion sowohl hinsichtlich der Vielzahl von Produktionsprozessen als auch hinsichtlich ihrer inneren Differenziertheit und Kompliziertheit. Aus diesem Grund kann eine emanzipatorische Vision einer vergesellschafteten Produktionsform nicht ohne guten Grund hinter den erreichten Grad an Arbeitsteiligkeit zurückfallen.

(57) ToDo: Spezialisierung und Zentralisierung

1.3.2. Organisation der Produktion

(58) Findet die Produktion eines Guts nicht in einer sozialen Einheit (z.B. Betrieb) statt, so benötigen die über die Gesellschaft verstreuten ProduzentInnen eine Organisationsform, mit deren Hilfe der konkrete Ablauf und das möglichst reibungslose Ineinandergreifen verschiedener Produktionen geregelt wird.

(59) In geldbasierten Gesellschaft geschieht diese, in einer arbeitsteiligen Produktionsweise objektiv notwendige Organisation durch die "unsichtbare Hand des Marktes", die sich allerdings bekanntlich nicht an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, sondern vielmehr an der abstrakten Geldvermehrung orientiert ist. Folgerichtig funktioniert diese Organisationsform überhaupt nicht, wenn in einer geldbasierten Gesellschaft der Faktor Geld aus dem einen oder anderen Grund herausgenommen wird. Tauschringe belegen z.B. eindrucksvoll, wie nach wie vor auf Tausch fixierte Geldmonaden eine Güterproduktion in der Regel gar nicht und wenn dann nur auf niedrigstem Niveau hinbekommen.

(60) Eine emanzipatorische Vision hätte also Lösungen für dieses Organisationsproblem zu benennen, günstigstenfalls Organisationsformen vorzuschlagen.

1.3.3. Entscheidung über die Produktion

(61) Der dritte Aspekt einer arbeitsteiligen Produktionsform, der mit der Frage der Organisationsform zwar zusammenhängt, aber dennoch getrennt davon zu betrachten ist, ist die Frage, wer darüber entscheidet, was wann produziert werden soll. In einer emanzipatorischen Vision ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Produktion sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, da nur unter solchen Bedingungen die maximale Entfaltung der Menschen gewährleistet sein kann. Entscheidungen über die Produktion müssen sich daher einerseits an den Nutzungsbedürfnissen der Menschen orientieren. Andererseits müssen sie die Bedürfnisse der Menschen in der Produktion selbst berücksichtigen.

(62) Fallen entfremdete Interessen wie das Geldinteresse weg, so reduzieren sich die möglichen Konflikte in solchen Entscheidungsprozessen auf unterschiedliche Einschätzungen sachlicher Aspekte. Die Entscheidungen über den Einsatz z.B. von Naturressourcen wird dadurch sicher nicht wirklich leicht, aber sicher wäre schon viel gewonnen, wenn immer auf einer sachlichen Ebene von Entscheidungsprozessen geblieben werden könnte und nicht sachfremde, entfremdete Interessen inhaltlich sinnvolle Lösungen blockieren würden.

1.4. Universelle Entwicklung der Individuen

(63) Schnell beantwortet werden kann die Frage, was unter der universellen Entwicklung der Individuen zu verstehen ist: Selbstentfaltung.

(63.1) Re: 1.4. Universelle Entwicklung der Individuen, 17.08.2002, 18:13, Stefan Merten: Neu: "In diesem Text soll die Frage, was unter der universellen Entwicklung der Individuen zu verstehen ist mit dem Begriff {{1:Selbstentfaltung}} beantwortet werden. Selbstentfaltung wird dabei aufgefaßt, als die individuelle Entwicklung und das Leben der eigenen Subjektivität, der eigenen Persönlichkeit. Selbstentfaltung bedeutet die schrittweise und zunehmende Realisierung menschlicher Möglichkeiten auf dem jeweils aktuell erreichten Niveau. Sie ist damit also strukturell unbegrenzt und nur im gesellschaftlichen Kontext denkbar."

(63.2) Re: 1.4. Universelle Entwicklung der Individuen, 17.08.2002, 18:14, Stefan Merten: Zusätzlich: "Sind andere im gesellschaftlichen Kontext meine Konkurrenten oder gar Feinde, so habe ich ein Interesse daran, deren Entfaltung zu behindern. Deren Entfaltung bedeutet ja aufgrund der Konkurrenzsituation gerade die Einschränkung meiner Entfaltung. Damit werde ich aber strukturell mein eigener Konkurrent und begrenze also strukturell meine eigene Selbstentfaltung. Der Wunsch nach eigener Selbstentfaltung beinhaltet also zu Ende gedacht auch immer den Wunsch nach der Selbstentfaltung aller."

(64) Der Begriff der Selbstentfaltung geht dabei über den individualisierenden Begriff der Selbstverwirklichung hinaus, indem er ständig das gesellschaftliche Sein eines Menschen im Blick behält. Gleichzeitig ist Selbstentfaltung ein Wachstumsprozeß, der erst mit dem Tod des Individuums endet.

(64.1) 17.08.2002, 18:15, Stefan Merten: Neu: "Der Begriff der Selbstentfaltung geht dabei über den individualisierenden Begriff der Selbstverwirklichung hinaus, der lediglich die Realisierung einer persönliche Anlage oder Neigung zum Ausdruck bringt. Selbstentfaltung behält dagegen immer das gesellschaftliche Sein des Menschen im Blick. Gleichzeitig ist Selbstentfaltung ein Wachstumsprozeß, der erst mit dem Tod des Individuums endet."

(65) Die Inhalte von Selbstentfaltung - was also ein Individuum als Selbstentfaltung begreift - sind dabei so verschieden wie die Individuen selbst. Insbesondere ist es durchaus möglich, daß Aktivitäten, die einem Menschen zuwider sind, anderen Freude bereiten und damit Teil ihrer Selbstentfaltung sind.

(66) Ein integraler Bestandteil von Selbstentfaltung ist die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln, da eine entfaltete Persönlichkeit ohne ein Bewußtsein von Verantwortung undenkbar ist. Aus einer solchen Übernahme von Verantwortung wird auch die Erledigung ungeliebter Notwendigkeiten ein Teil von Selbstentfaltung - wobei dann die Abschaffung solcher Notwendigkeiten ebenso ein Ziel von Selbstentfaltung sein wird.

(67) ToDo: Ausführlicher

(67.1) 13.08.2002, 20:54, Stefan Merten: Ich habe auch mal in anderen Texten geschaut, aber eine richtig brauchbare und befriedigende Definition von Selbstentfaltung habe ich nicht wirklich gefunden. Schade, daß dieser zentrale Begriff so kurz kommt. Ich habe allerdings nichts Holzkamp'sches gelesen.

(67.1.1) 16.08.2002, 10:13, Stefan Meretz: Im Gegenbilderbuch steht dazu eine Menge, z.B. in Kap. 2.1, Abschnitt C, in Kap. 2.2, auch Abschnitt C und im Glossar. Nimm doch aus Kap. 2.1, Abschnitt C die Absätze (35) und (36) nimmst und passe sie ggf. etwas an.

(67.1.1.1) 17.08.2002, 17:59, Stefan Merten: Ja, (35) ist gut. Sorry, da war es zu gut versteckt. Ich hatte mit Google in OpentTheory gesucht und es da leider nicht entdeckt. Ich hab's eingebaut. Thanks.

1.5. Universelle Entwicklung der Gesellschaft

(68) Individuelle Selbstentfaltung so verstanden eröffnet in einer emanzipatorischen Vision die Möglichkeit einer Gesellschaft, die um ihres Funktionierens willen ihre Mitglieder nicht mehr strukturell oder unmittelbar zwingen muß, sondern wo sich die individuelle Unterschiedlichkeit der Menschen zu einem komplexen Ganzen verwebt. In einer solchen gesellschaftlichen Formation wird die individuelle Selbstentfaltung genauso die Voraussetzung für die Entfaltung der Gesamtgesellschaft, wie die Entfaltung der Gesamtgesellschaft Lebensgrundlage und Mittel für die individuelle Selbstentfaltung bietet und somit zu ihrer Voraussetzung wird.

(69) Beschäftigen wir uns näher mit der Gesellschaft als Ganzes, so kann argumentiert werden, daß wie jede Sozialeinheit auch eine Gesamtgesellschaft mit Herrschaft verknüpft ist. Herrschaft zerfällt in dieser Sicht in zwei Anteile. Im Anteil der Repräsentation fällt Herrschaft die Aufgabe zu, das ansonsten unsichtbare Ganze der Sozialeinheit, die verbindenden Prinzipien gegenüber Mitgliedern und Außenstehenden wahrnehmbar zu machen. In dieser Funktion übt Herrschaft einen wichtigen integrativen und klärenden Beitrag für die Sozialeinheit aus, der aufgrund seiner nützlichen Funktion in der Regel von den Mitgliedern der Sozialeinheit auch nicht als problematisch empfunden wird.

(69.1) 18.08.2002, 11:44, Stefan Meretz: Woher stammt diese Definition der "zwei Teile"? Lassen sich diese Teile trennen? Ist Repräsentation überhaupt notwendig, wenn ja, ist sie es durch besondere Einzelne - die "Herrschaften"? - Wenn dir der Inhalt der Repräsentation wichtig ist, würde ich ihn nicht mit dem Begriff "Herrschaft" belegen. Schon der Wortstamm "Herr" ist denkbar unangenehm und eindeutig mit dem zweiten Teil der Beherrschung (Domination) verknüpft.

(69.1.1) Definition Herrschaft, 19.08.2002, 18:02, Stefan Merten: Ich habe mir den Gebrauch angewöhnt, der in http://www.oekonux.de/liste/archive/msg05029.html expliziert ist. Besonders wichtig für alle, die Herrschaft == Domination behaupten, scheint mir Abschnitt 7.3.3.
Ich finde das dort Geschriebene nicht deswegen nützlich, weil es irgendwer gesagt hat, sondern weil ich das als Spiegel der Realität erkennen kann und daher - bis auf weiteres - für eine gute Analyse und Begriffsbildung halte. Sicher mit Haken und Ösen, die auf der Liste zu besprechen wären. Aber einfach vom Tisch zu wischen ist es m.E. keineswegs.
Aber du hast Recht, das ich die Quelle vielleicht noch genauer angeben sollte. In der Tat ist bei fast jedem Publikum nicht damit zu rechnen, daß es Klick macht - wie Siebel ja explizit erwähnt.

(69.2) 18.08.2002, 11:47, Stefan Meretz: Das liest sich wie eine bürgerliche Rechtfertigung einer (natürlichen) Verknüpfung von Repräsentation und Beherrschung. Du tust dir keinen Gefallen, wenn du die Verknüpfung bestreitest und den einen Teil mit dem gleichen Begriff belegst. In der Freien Software (selbst dort: es ist ja "nur" eine Keimform) gibt es keine Beherrschung (IMHO).

(69.2.1) 19.08.2002, 18:12, Stefan Merten: Die Verknüpfung zwischen Repräsentation und Domination besteht über den gemeinsamen Zweck (der Herrschaft): Das Wirken für die Sozialeinheit. Das ist keine Ideologie sondern eine Definition - die ich jedenfalls brauchbarer finde, als die Reduktion von Herrschaft auf Domination. Ganz einfach, weil diese Definition die Realität - meine, die des Projekts und auch bei Freier Software, zumindest real-existierend tausend Mal besser trifft. Wie gesagt: Ich wollte das alles längst auf der Liste haben :-( .

(69.2.1.1) 20.08.2002, 14:05, Stefan Meretz: Jeder Ideologe behauptet, seine Ideologie sei keine, sondern "nur" eine Definition. "Das Wirken für eine Sozialeinheit" - das ist pure bürgerliche Apologetik. Das ist - sorry - einfach Unfug. Herrschende wirken nicht für ihre Sozialeinheit, sondern - das ist ja gerade die Erkenntnis aus dem Fetischismus bzw. dem Begreifen des sozialen Zusammenhangs als entfremdet - für den allgemeines dritten Zweck außer mir und der Sozialeinheit. Das positiv aufzugreifen, bedeutet Ideologie zu reproduzieren. Bitte tue es nicht. Lass uns das lieber nochmal diskutieren. Ich habe mich damals nicht beteiligt, weil ich es einfach nur schlecht fand. Das war vielleicht ein Fehler.

(69.2.1.1.1) 20.08.2002, 16:43, Stefan Merten: Zunächst mal habe ich das behauptet. Dann bin ich also nach deiner Meinung der Ideologe. Gut. Kann ich nehmen.
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß IdeologInnen andere gerne ideologisch nennen. Was sagt uns das wo wir schon so schön nur noch Vorwürfe verteilen?

(69.2.1.1.1.1) 20.08.2002, 16:56, Stefan Merten: Ah, ich wollte was lernen. Ok, here it is.
Die Behauptung, daß etwas ideologisch motiviert sei, ist für mich kein Argument. Es zeigt höchstens, daß diejenige, die das sagt, kein wirkliches Argument hat bzw. sich nicht Einlassen will - aus welchen Gründen auch immer.
Nebenbei halte ich es auch - zumindest zwischen uns - wieder mal für relativ beleidigend, weil mir das letztlich unterstellt, daß ich so blind in die (angebliche) ideologische Falle getappt bin. Nun, ich halte mich ehrlich gesagt nicht für ganz so minderbemittelt. Diesen Stil halte ich allerdings nicht für produktiv. Ich hatte das letzte Mal darauf harsch reagiert - diesmal versuche ich es zu lassen.

(69.2.1.1.2) 20.08.2002, 16:50, Stefan Merten: "Herrschende wirken nicht für ihre Sozialeinheit, sondern - das ist ja gerade die Erkenntnis aus dem Fetischismus bzw. dem Begreifen des sozialen Zusammenhangs als entfremdet - für den allgemeines dritten Zweck außer mir und der Sozialeinheit." - Ich habe nicht die leiseste Ahnung wovon du da schreibst. Es hört sich für mich auch reichlich konfus an - mir liegt auf den Fingerspitzen etwas von Krisis-Ideologie aus der Niedergangszeit zu schreiben, aber das kann ich nur vermuten. Na ja, jedenfalls deutet dein öfter wenig argumentierender und mehr "demaskierender" Stil ebenfalls darauf hin.
Der soziale Zusammenhang muß als entfremdet begriffen werden? Häh? Das hört sich für mich aber höchst bürgerlich atomisiert an...

(69.3) 19.08.2002, 18:08, Stefan Merten: Neuer Anfang: "In der systematischen Soziologie gibt es den Standpunkt, daß jede Sozialeinheit auch mit {{1:Herrschaft}} verknüpft ist. Herrschaft besteht in dieser Sicht, die in diesem Text verwendet werden soll, aus zwei Anteilen."

(70) Der andere Anteil von Herrschaft ist in dieser Sichtweise die Domination, die oft als einzig maßgeblicher Anteil von Herrschaft angenommen wird. Domination wird als Herrschaftsfunktion eingesetzt, um Interessen der Sozialeinheit gegenüber Mitgliedern wie Außenstehenden gegen deren Widerstand durchzusetzen. Um Domination wirksam auszuüben, muß die Herrschaft mit Machtmitteln, mithin also mit Gewalt ausgestattet sein.

(70.1) 19.08.2002, 18:09, Stefan Merten: Neuer Anfang: "Der andere Anteil von Herrschaft ist in dieser Sichtweise die {{1:Domination}}, die in anderen Sichtweisen oft als einzig maßgeblicher Anteil von Herrschaft angenommen wird."

(71) Unter emanzipatorischer Fragestellung kann der repräsentative Anteil von Herrschaft als weniger problematisch, ja sogar als wünschenswert betrachtet werden. Dieser Anteil ermöglicht nämlich überhaupt erst die Entfaltung von Sozialeinheiten in größerem Rahmen, indem er hilft sie als wahrnehmbare Einheiten sowohl nach Innen als auch nach Außen zu konstituieren. Repräsentative Herrschaftsfunktionen werden von den Mitgliedern der Sozialeinheit um so mehr akzeptiert, desto enger sie an die Praxis der Sozialeinheit gebunden sind, aus ihr heraus wachsen. Lösen sich die repräsentativen Herrschaftsfunktionen dagegen von der Realität der Sozialeinheit ab, so werden sie nicht mehr als legitim bzw. nützlich für die Mitglieder der Sozialeinheit angesehen.

(72) Unter emanzipatorischer Fragestellung ist selbstredend der dominative Anteil von Herrschaftsfunktionen problematisch. Domination ist ja der Kern dessen, was eine emanzipatorische Vision abschaffen möchte, da Domination per se individuelle Selbstentfaltung verhindert. Ist Domination an sich schon problematisch, so ist der Mißbrauch der zur Domination notwendigen Machtmittel endgültig indiskutabel. Kommt eine emanzipatorische Vision aus dem einen oder anderen Grund nicht ohne Domination aus, so sollte sie aber wenigstens sicherstellen, daß der Mißbrauch der Machtmittel strukturell verhindert wird. Dies tritt dann ein, wenn Machtmißbrauch sich nicht nur gegen die Mitglieder der Sozialeinheit und somit letztlich gegen die Sozialeinheit selbst richtet, sondern auch gegen diejenigen, die Macht mißbrauchen.

(73) Unter emanzipatorischer Fragestellung muß weiterhin diskutiert werden, inwiefern eine Gesamtgesellschaft überhaupt als eine Sozialeinheit betrachtet werden muß, die einem einheitlichen Herrschaftsmodell, letztlich also einem Staat unterliegen muß. Es wären vielmehr auch Gesellschaftsformationen vorstellbar, in der die Gesamtgesellschaft über keine eigene Repräsentation, geschweige denn globale Dominationsinstanzen verfügt. Die Sozialeinheiten einer solchen Gesellschaft würden sich direkt als handelnde Entitäten gegenübertreten anstatt sich staatlicher Vermittlungsinstanzen zu bedienen. Es ist zu erforschen, wie Bedingungen einer solchen Gesellschaftsformation aussehen könnten.

1.6. Freie Software

(74) Ein zentraler Begriff dieses Textes ist Freie Software. Deswegen hier zunächst einige Erläuterungen zum Begriff und anschließend zur möglichen Bedeutung dieses Phänomens für eine emanzipatorische Vision als hier und heute existierende Keimform.

1.6.1. Zum Begriff Freier Software

(75) ToDo: Füllen

1.6.2. Zur Geschichte Freier Software

(76) ToDo: Füllen

1.6.3. Freie Software als Keimform

(77) Wenn von dem Phänomen Freie Software als Keimform einer neuen Vergesellschaftungsform gesprochen wird, so ist zu betonen, daß an diesem Phänomen Aspekte studiert werden können, die in ihrer Tendenz auf eine Überwindung überkommener Formen der Geldgesellschaft verweisen. Damit ist weder ausgesagt, daß Freie Software als solche die Geldgesellschaft überwinden kann, noch daß es einen irgendwie gearteten historischen Automatismus gibt, der die Menschen von eigenem politischem Handeln befreit.

(78) Als Keimform zeigt Freie Software allerdings Formen menschlichen Handelns auf, die auf eine emanzipatorische Weise die Geldgesellschaft in einigen Bereichen ganz praktisch hinter sich lassen. Zwar gibt es viele historische Beispiele für Vorgänge, die ebenfalls die Geldgesellschaft hinter sich ließen, jedoch keines, das so unerwartet so erfolgreich geworden wäre und auch sonst so viele interessante Aspekte aufzuweisen hat:

(79) Nützlichkeit .

(80) Freie Software hat als Produkt einen hohen gesellschaftlichen Nutzen, sowohl was die Verfügbarkeit für viele Menschen betrifft, als auch die konkrete Qualität, die in Freier Software oft steckt. Dies erhöht die Handlungsmöglichkeiten vieler Menschen erheblich.

(81) Selbstentfaltung .

(82) Freie Software wird von ganz normalen Menschen hergestellt, weil es zu ihrer unmittelbarer Selbstentfaltung gehört. Ideologische Überlegungen gehören dazu nur selten. Die Handelnden in diesem Prozeß sind also keine besseren, weiseren oder sonstwie übermäßig begnadeten Menschen. Oft sind sie aber auf ihrem Gebiet hervorragend.

(83) Selbstorganisation .

(84) Die ProduzentInnen Freier Software organisieren sich nach je eigenem Gusto in verschiedenster, je ihren Bedürfnissen angepaßter Weise. Hier wird ganz selbstverständlich ein soziales Experimentierfeld genutzt, auf dem unterschiedlichste Formen nebeneinander existieren können.

(85) Wertfreiheit .

(86) Ganz praktisch unterläuft Freie Software die Geldform - nicht aus karitativen Gründen sondern unter anderem weil die Geldform die Effizienz der Produktion schmälern würde. Hier ist deutlich zu erkennen, wie die Entwicklung der Produktivkräfte beginnt über die Produktionsverhältnisse hinauszuwachsen.

(87) Erfolg .

(88) Freie Software kann sich in wichtigen Bereichen gegen einen etablierten Warenmarkt durchsetzen und die Entwicklung auf diesem Sektor ist noch lange nicht abgeschlossen. Insbesondere dieser Erfolg dürfte bislang noch keinem Produkt vergönnt gewesen sein, das auf ähnlichen Grundlagen wie Freie Software hergestellt wurde.

(89) Produktivkraftentwicklung .

(90) Freie Software wird mit hochmodernen technischen Mitteln erstellt, die die Spitze der Produktivkraftentwicklung darstellen. Immer öfter wird die Produktivkraftentwicklung selbst sogar von Entwicklungen in der Freien Software vorangetrieben.

(91) Globale Vernetzung

(92) Die ProduzentInnen Freier Software kooperieren ganz selbstverständlich auf internationaler Basis. Dabei übertreffen sie die Bemühungen der mächtigsten Firmen der Geldgesellschaft, die mit der Zusammenführung unterschiedlichster Kulturen nach internationalen Übernahmen trotz teilweise erheblichem Mitteleinsatz oft riesige Schwierigkeiten haben.

(93) Synthese .

(94) Trotz des transkapitalistischen Gehalts Freier Software engagieren sich große Firmen wie IBM erheblich für dieses Entwicklungsmodell und staatliche Stellen von ganz unten (Kommunen) bis ganz oben (Bundestag) beginnen sich auf breiter Front für den Einsatz Freier Software zu interessieren. Gerade dieses, auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Phänomen, scheint ein Hinweis auf die Keimformeigenschaft, da in ihr die ansatzweise die Synthese sichtbar wird, die eine Keimform aus These und Antithese der vorherigen Formation bilden muß, um erfolgreich als Muster für ein neues Modell gelten zu können.

(95) Integrität .

(96) Da Freie Software fundamental auf einer transkapitalistischen, insbesondere nicht wertbasierten Produktionsweise beruht - nämlich der Selbstentfaltung der ProduzentInnen - kann Freie Software von der Geldgesellschaft höchstens durch Unterwerfung unter das Wertregime zerstört, nicht aber vereinnahmt werden.

2. Bedingungen einer emanzipatorischen Vision

(97) Nach diesen Begriffsklärungen möchte ich nun eingehender zum Thema des Textes Stellung nehmen, wie individuelles Eigentum und vergesellschaftete Produktion - genauer: arbeitsteilige Produktionsformen - in einer emanzipatorischen Vision zusammenspielen. Dabei ist unter anderem zu erörtern, ob die oft angenommene Widersprüchlichkeit "von individuellem Eigentum und vergesellschafteter Produktion" überhaupt sein muß. Es wird sich vielmehr zeigen, daß auf dem erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung Verhältnisse, die gerade auf der Vereinbarkeit von individuellem Eigentum und arbeitsteiliger Produktionsform gründen, die Voraussetzung einer emanzipatorischen Vision sind.

(98) Als ständig wiederkehrendes Beispiel für ein modernes Phänomen, das einige dieser Verhältnisse keimförmig zeigt, soll in diesem Text die Freie Software dienen.

2.1. Eigentum

(99) In den folgenden Betrachtungen spielt die Unterscheidung zwischen individuellem und kollektivem Eigentum eine untergeordnete Rolle. Ich lasse sie daher beiseite.

(100) Ich unterscheide im folgenden dagegen zwischen Informationsgütern und materiellen Gütern. Diese Unterscheidung kann zwar getroffen werden, seit die Menschheit existiert, jedoch ist die Bedeutung von Informationsgütern erst in unserer Zeit in ein entscheidend neues Stadium getreten.

(101) Der eigenständige Charakter von Informationsgütern ergibt sich daraus, daß Informationsgüter zwar immer an ein materielles Substrat gebunden sind (z.B. Bücher, CDs, Gehirne), das Wesen des Guts aber nicht auf dieses materielle Substrat reduzierbar ist. Dies bedeutet insbesondere auch, daß das je verwendete Substrat austauschbar ist, solange die Information nur darauf repräsentiert werden kann. Mit der modernen Technikentwicklung entmaterialisiert dieses Substrat immer mehr. Beim Surfen durch das World Wide Web (WWW) ist - abgesehen von kurzlebigen Platten-Caches - spätestens nach dem Ausschalten des Surf-Computers die abgerufene Information wieder vollständig von jeglichem lokalen materiellen Substrat verschwunden. Selbst bei den alltäglichen Mobiltelefonen ist das Substrat der Informationsübertragung nur noch mit aufwendigen Messungen überhaupt sichtbar zu machen.

2.1.1. Eigentum an Informationsgütern

2.1.1.1. Geistiges Eigentum in der Geschichte

(103) Historisch ist das Konzept des Eigentums an Informationsgütern - besser bekannt unter der Bezeichnung geistiges Eigentum - relativ neu. Tatsächlich deutet vieles darauf hin, daß dieses Konzept erst entstanden ist, als Informationsgüter an materielle Güter nicht nur gebunden wurden, sondern diese auch auf einem Markt verkauft werden konnten. Hierzu gibt es Beispiele sowohl aus dem Bereich der Bücher als auch der Musikmedien (Schallplatten und ihre Vorläufer).

(104) Das Interesse an dem Konzept des geistigen Eigentums liegt daher damals wie heute nicht so sehr bei den ProduzentInnen des Informationsguts - der AutorInnen, MusikerInnen, Software-EntwicklerInnen - sondern vielmehr bei den Verlagen, die dieses geistige Eigentum aufbereiten, auf ein materielles Substrat übertragen und dieses Substrat vertreiben. Das Interesse der Verlage folgt unmittelbar daraus, daß dieses materielle Substrat als verkaufbare Ware dienen soll und daher sowohl das Substrat selbst als auch die auf ihm repräsentierte Information knapp sein und bleiben muß. Ist diese Knappheit nicht mehr gewährleistet, da es entweder von jedermensch leicht selbst produzierbar ist oder das Informationsgut auf solche Substrate übertragen werden kann, so ist die Verkäuflichkeit der Informationsware und damit die Profitgenerierung der Verlage bedroht.

(105) Die ProduzentInnen hatten und haben dagegen im allgemeinen kein besonderes Interesse an einer Verknappung. Sie stellen ja im Gegenteil das Informationsgut im allgemeinen vielmehr zur allgemeinen Benutzung her. Besonders deutlich wird dies in der Wissenschaft, wo seit jeher der Fluß von Informationen in der Wissenschaftsgemeinschaft als Fundament für die Weiterentwicklung angesehen wurde. Jede Verknappung behindert diesen Fluß und damit die Weiterentwicklung der Wissenschaft. Eine Verknappung von Information ist auch nicht durch eine Begrenzung begründet, da Information im Gegensatz zu materiellen Gütern die Eigenschaft hat, durch Verbreitung nicht weniger zu werden: Das Wissen, daß in meinem Kopf ist, wird nicht dadurch weniger, daß ich es anderen mitteile, sondern im günstigen Falle durch einen Reflexionsprozeß sogar vermehrt. Genausowenig wird die Information auf einer CD dadurch weniger nützlich, daß eine Kopie von ihr angefertigt wird. Ausnahmen bilden alle Arten von Geheimnissen, Informationsgütern also, die ihren Nutzen verlieren, wenn sie über einen bestimmten Kreis hinaus bekannt werden.

(106) Natürlich müssen in der Warengesellschaft auch WissenschaftlerInnen und z.B. KünstlerInnen ein Einkommen haben. Es ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, daß dieses Einkommen unmittelbar an die Erzeugung von Informationsgütern gebunden ist. Tatsächlich werden WissenschaftlerInnen in der Regel nicht für bestimmte Einzelleistungen bezahlt, sondern werden für ihre wissenschaftliche Arbeit im Ganzen entlohnt. Historisch ähnelt dies den Mönchen, deren Versorgung durch das Kloster sichergestellt war. Deren individuelle Leistung bei der Erzeugung von Informationsgütern wurde dagegen als so irrelevant betrachtet, daß heute oft nicht mal mehr zu ermitteln ist, wer bestimmte künstlerische Leistungen tatsächlich vollbracht hat.

2.1.1.2. Geistiges Eigentum heute

(107) Betrachten wir die technische Seite der Entwicklung der Produktivkräfte, so läßt sich feststellen, daß die Bedeutung von Information immer stärker steigt. Dieser Trend, der von Marx als Verwissenschaftlichung bezeichnet worden ist, läßt sich in der Realität vielfach verorten: Eine moderne industrielle Produktionsstätte ohne Computer ist heute kaum noch vorstellbar - nicht zu reden von dem vielfältigen Geflecht von Lieferbeziehungen zwischen den Produktionsstätten.

(108) Konsequenterweise verschiebt sich auch der Fokus bei den Eigentumsverhältnissen. Dabei verliert das Eigentum an materiellen Produktionsmitteln zunehmend an Bedeutung. Dies wird z.B. im Franchising sichtbar, bei dem nicht mehr konkrete Produktionsmittel im Vordergrund stehen, sondern nur noch Marken verkauft werden. Das Eigentum an Informationsgütern - und dies bedeutet hier nur noch die Möglichkeit der Verknappung - bzw. Informationswaren wird dagegen immer wichtiger. Es ist kein Zufall, daß die WIPO (World Intellectual Property Organization, http://www.wipo.org/) 1970 gegründet wurde, aber erst anläßlich des Copyright Treaty [http://www.wipo.int/treaties/ip/wct/] 1996 sowohl an Bedeutung als auch an öffentlicher Wahrnehmung gewann.

(109) Mit der digitalen Kopie betritt in dieser Situation eine technologische Entwicklung die Bühne der Geschichte, die mit ihren Möglichkeiten die Verbreitung (digitaler) Information so einfach macht wie nie zuvor. Auf der Grundlage der in den industrialisierten Staaten vorhandenen Infrastruktur ist das verlustfreie Erstellen von Kopien, mithin also die Reproduktion von Informationsgütern, mit vernachlässigbaren Kosten verbunden. Die besondere Eigenschaft von Informationsgütern durch Verbreitung nicht weniger zu werden, wird durch die digitale Kopie von einer grundsätzlichen Möglichkeit zur manifesten und alltäglichen Tatsache.

(110) Dazu kommt, daß die digitale Kopie universell gegenüber den Inhalten ist, da immer nur gleichförmig Bits kopiert werden. Sie läßt sich hier mit dem Elektromotor als einer der entscheidenden Erfindungen der industriellen Ära vergleichen. Wie der Elektromotor maschinelle Bewegungsenergie überall da für jeden beliebigen Zweck verfügbar macht, wo Strom zur Verfügung steht, so ist mit der digitalen Kopie überall da die Reproduktion von Informationsgütern möglich, wo die entsprechenden Kopiereinrichtungen - d.h. Computer und ggf. Netzwerke - zur Verfügung stehen.

(111) Es liegt auf der Hand, daß hier ein Konfliktpotential entsteht. Auf der einen Seite sind die, die Verknappung von Informationsgütern benötigen, um die Wareneigenschaft der von ihnen gefertigten Informationsträger zu sichern. Diese Konfliktpartei braucht die durch geistiges Eigentum sichergestellte Verknappung überlebensnotwendig. Ein derzeit besonders öffentlichkeitswirksamer Konflikt spielt sich im Bereich der Musik ab, wo die Musikindustrie versucht ein vitales Interesse daran glaubwürdig zu machen, die überkommenen Formen von Erzeugung, Herstellung und Vertrieb von Musikwaren zu erhalten.

(112) Auf der anderen Seite stehen einerseits die (potentiellen) NutzerInnen der Informationsgüter, die die Verknappung durch die Anbieter von Informationswaren als Preis erleben, der durch die Möglichkeiten der digitalen Kopie erheblich gesenkt werden könnte. Ein weiteres Beispiel sind hier die Raubkopien, die Software-Waren praktisch zum Nulltarif reproduzieren.

(113) Andererseits stehen auf der anderen Seite aber auch die ProduzentInnen der Informationsgüter selbst, die aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse an der Verbreitung der Informationsgüter haben. In der Wissenschaft gibt es mittlerweile vielfältige Initiativen, die Ergebnisse wissenschaftlicher Tätigkeit allgemein zugänglich zu machen (s. z.B. die Public Library of Science [http://www.publiclibraryofscience.org/]).

(114) Doch auch in Bereichen, in denen die digitale Kopie nicht unmittelbar eine Rolle spielt, gibt es Bewegungen, die die künstliche Verknappung von Information durch Patente und/oder Copyright-Regelungen zunehmend in Frage stellen. Bekannt geworden ist insbesondere das Beispiel der Herstellung von Generika (s. z.B. http://www.genericsnow.org oder http://www.accessmed-msf.org/). Hier wird die Information über die stoffliche Zusammensetzung eines Medikaments direkt für die Produktion des materiellen Guts eingesetzt, deren Kosten im Einzelfall relativ niedrig sein können.

2.1.1.3. Freie Software und geistiges Eigentum

(115) An vielen Stellen wird heute also die Legitimität geistigen Eigentums zunehmend in Frage gestellt - kein Wunder, daß die entsprechenden Machtgruppen um so aggressiver auf einer Einhaltung des geistigen Eigentums bestehen. Gab es schon bei Einführung des Patentregimes im 19. Jahrhundert heftige Diskussionen um diese Frage, so ist in der Tat heute immer weniger klar, inwieweit geistiges Eigentum einen positiven Beitrag zur Entfaltung der Menschheit leistet. Die heute durch technische Begrenzungen immer weniger begründete Verknappung dient allerdings der Sicherung der Profite einiger weniger.

(116) Bei genauerem Hinsehen stellt sich auch das oft vorgebrachte Anreizargument als Scheinargument heraus: Wirklich innovative geistige Leistungen werden in aller Regel aus ganz anderen Motiven heraus vollbracht, als der Aussicht auf eine Vermarktung der in Warenform gegossenen Ergebnisse. Untersuchungen zeigen, daß entfremdete Anreizsysteme wie Geld Motivation und damit kreative Leistung tendenziell sogar gefährden (s. z.B. http://www.gnu.org/philosophy/motivation.html).

(117) Mit der Freien Software ist seit knapp zwanzig Jahren nun ein Phänomen in der Entstehung begriffen, daß all diese Linien aufgreift und zu einer erfolgreichen Synthese vereinigt. Das staatliche Copyright-Regime wird bei Freier Software nur noch dazu benutzt, um es in sein Gegenteil zu verkehren: Copyleft. Das Konzept geistigen Eigentums ist für Freie Software insofern nicht mehr relevant, wie es zur Durchsetzung von Knappheit dient. Freie Software kann und soll vielmehr frei und ohne Behinderung fließen können. Dies umfaßt sowohl die direkt benutzbaren Programme als auch deren menschenlesbaren Quellen.

(118) Neben der Verfügbarkeit für potentielle NutzerInnen ist mit diesem Vorgehen auch ein maximaler Nutzen für die ProduzentInnen gewährleistet. Diese können auf freiwilliger Grundlage miteinander kooperieren und durch Code-Inspektion voneinander lernen, ohne daß sie durch eine künstliche Verknappung behindert würden. Sie tragen so gemeinsam zu einem ständig größer werdenden Pool Freier Informationsgüter bei, dessen gemeinsamer Nutzen ständig steigt.

(119) Dadurch, daß künstliche Verknappung ausgeschaltet ist, gibt es auch keinen entfremdeten Nutzen mehr, der aus Freier Software gezogen werden könnte. Dies schlägt sich unmittelbar in der Produktqualität nieder, die gerade im Vergleich mit als Ware produzierter proprietärer Software oft in vielfältiger Weise höher ist. Augenfällig wird demonstriert, daß wenn entfremdete Gründe für eine Produktion nicht mehr existieren, der unmittelbare Nutzen eines Produkts der wichtigste Grund für seine Produktion wird.

(120) Auf dem erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung sind also sowohl die Handlungsmöglichkeiten von Individuen als auch eine überindividuelle Entfaltung maximal gewährleistet, wenn Informationsgüter allen Frei zur Verfügung stehen. Freie Software zeigt also keimförmig, wie im Bereich der Informationsgüter das Eigentum einer emanzipatorischen Vision aussehen muß: Es darf nicht existieren. Das Eigentumsregime in einer emanzipatorischen Vision hat im Bereich der Informationsgüter lediglich die künstliche Verknappung zu verhindern.

2.1.2. Eigentum an materiellen Gütern

(121) Nun steht der Replikator, der beliebige materielle Güter auf Wunsch reproduzieren kann, im Gegensatz zur digitalen Kopie noch nicht zur Verfügung. Die technische Entwicklung auch auf diesem Sektor ist zwar teilweise nur noch schwer von Science Fiction zu unterscheiden - Maschinen, die Materie auf Atomebene gezielt manipulieren, gibt es immerhin schon -, bis zum universellen Materiekopierer ist aber noch ein weiter Weg.

(122) Bis dahin unterliegen materielle Güter also anderen Gesetzen als Informationsgüter, da sie nicht mit wenig Aufwand aufgrund einer Vorlage reproduziert werden können. Könnten sie es, so wäre die Frage nach dem Eigentum an materiellen Gütern nicht mehr davon abhängig, wieviele Güter konkret zur Verfügung stehen. Vielmehr würden dann andere Faktoren wie Umweltverbrauch und ggf. Ressourceneinsatz entscheidende Faktoren werden.

2.1.2.1. Eigentum und Automatisierung

(123) Eine in der industriellen Phase sehr wichtige Größe für die Produktion war die Verfügbarkeit menschlicher Arbeitskraft. Daß diese Größe täglich unwichtiger wird, zeigen uns die epochalen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, bei dem menschliche Arbeitskraft auf historisch so hoher Stufenleiter durch Maschinen ersetzt wird, daß das gesamte, auf der Verwertung von Arbeitskraft gegründete System ins Wanken gerät.

(124) Die Automatisierung von Produktion hebt also eine wesentliche Begrenztheit der industriellen Phase tendenziell auf. Eine emanzipatorische Vision wird sie daher als Aspekt mit zentraler Bedeutung enthalten müssen, will sie nicht Gefahr laufen, in die gesellschaftlichen Mechanismen zurückzufallen, die zur Geldgesellschaft geführt haben. Spielt die Begrenztheit von Produkten eine immer kleinere Rolle, so spielt das Eigentum an ihnen ebenfalls eine immer kleinere Rolle. Dadurch wird ein Konfliktpotential entschärft, daß die bürgerliche Gesellschaft bis in ihre Wurzeln geprägt hat.

(125) Tatsächlich stehen schon heute im Bereich des Rapid Prototyping zunehmend Maschinen (Fabber) zur Verfügung, die eine Automatisierung materieller Produktion auf einem ganz neuen Niveau ermöglichen. Diese Maschinen materialisieren mit verschiedenen Verfahren direkt aus digitalen Daten materielle Werkstücke. In ihrer Unmittelbarkeit und Universalität übertreffen sie dabei CNC-Maschinen und Industrieroboter, die ja ebenfalls aufgrund digitaler Daten materielle Werkstücke fertigen. Die Losgröße Eins ist hier das Prinzip.

(126) Schon heute gibt es zahlreiche Firmen, die auf der Grundlage solcher Maschinen Lohnproduktion betreiben (siehe z.B. http://www.rpd-news.de/). Es wäre denkbar, daß solche Maschinen zukünftig so einfach bedienbar werden, daß ihr Betrieb auch für Privatpersonen oder Gruppen von Privatpersonen attraktiv wird. Damit würden sie dezentral über die Möglichkeit verfügen, Produkte herzustellen, die exakt auf ihren Zweck zugeschnitten sind.

(127) ToDo: Verhältnis zur Spezialisierung / Zentralisierung / Arbeitsteilung?

(128) Bei diesem Typ der Produktion verschiebt sich der Schwerpunkt endgültig auf den Sektor der Information. Die Produktionsmaschinen sind lediglich noch ausführendes Organ der sie steuernden Computer und ihre Bedeutung ist gegenüber der Maschinerie der industriellen Ära wesentlich reduziert.

(129) Damit verschiebt sich aber der Schwerpunkt auch der materiellen Produktion auf die Produktion von Informationsgütern, deren spezielle Eigenschaften wir oben untersucht haben. Konkret wäre im obigen Szenario vorstellbar, daß die BesitzerInnen der Fabber sich Freie Baupläne für ein gewünschtes Produkt über das Internet besorgen, ggf. mit Hilfe der heimischen Freien Simulations-Software eine individuelle Konfiguration vornehmen, und die Produktion dann veranlassen.

(130) Der verbreitete Besitz solcher Produktionsmittel wäre also in einer emanzipatorischen Vision ein wichtiges Ziel.

2.2. Arbeitsteilige Produktionsformen

(131) Wie bereits festgestellt ist eine arbeitsteilige Produktionsform auch in einer emanzipatorischen Vision von großer Bedeutung, da nur sie in der Lage ist, die Güter zu erzeugen, die auf dem erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung möglich und wünschenswert geworden sind.

(132) Das Beispiel der Freien Software zeigt in großartiger Weise, wie eine gesellschaftliche Produktion jenseits staatlicher oder geldförmiger Eingriffe nicht nur funktionieren kann, sondern auch heute schon bemerkenswert erfolgreich ist. Hierin hebt sich die Freie Software als Produktionsweise entscheidend von anderen Versuchen ab, Produktion jenseits der Tauschgesellschaft zu organisieren.

2.2.1. Ausführung der Produktion

(133) Freie Software wird von sehr vielen Leuten produziert, die irgendwo auf diesem Planeten leben und typischerweise einen Zugang zum Internet haben. Es handelt sich dabei durchaus nicht nur um ProgrammiererInnen, sondern eine Vielzahl von Fähigkeiten ist hier gefragt (z.B. für Dokumentation incl. Übersetzung, Gestaltung von Web-Sites oder Design von Benutzeroberflächen).

(134) Die Motivation für diese ja durchaus auch anstrengende Tätigkeit entspringt verschiedenen Quellen. So wird in eher seltenen Fällen die Entwicklung bestimmter Freier Software bezahlt, in anderen Fällen ist Freie Software das Nebenprodukt beispielsweise einer wissenschaftlichen Arbeit, die ihrerseits nicht nur aus selbstentfalteten Motiven begonnen wurde. Das Gros Freier Software wird aber auf der Grundlage verschiedener Sorten von Selbstentfaltung geschaffen. Die Freude daran, ein gutes Produkt zu schaffen, dürfte dabei eine der wichtigsten sein.

(135) Deutlich ist hier zu sehen, wie bei einer veränderten Grundlage von Produktion sich die Ziele von Produktion verschieben. Während bei marktorientierter, mithin also entfremdeter Produktion lediglich die Verkaufbarkeit zählt, ist bei Freier Produktion wie z.B. Freier Software das unter emanzipatorischen Gesichtspunkten zu fordernde Ziel einer maximalen, allseitigen Produktqualität direktes Ziel der Produktion. Dies muß nicht verordnet werden, sondern stellt sich offensichtlich ein, wenn enthusiastische Menschen (Hacker), die Freie-Software-EntwicklerInnen oft sind, genügend Spielraum haben.

(136) Vielen ProduzentInnen Freier Software ist gemeinsam, daß sie Art und Umfang ihrer Tätigkeit frei bestimmen. Niemand sagt ihnen, wann oder wo sie sich beteiligen sollen oder können. Da hier weder direkte noch strukturelle (z.B. geldförmige) Zwänge vorliegen, führt das natürlich auch dazu, daß für Außenstehende wünschenswerte Entwicklungen unter Umständen nicht oder nicht wunschgemäß stattfinden. Allerdings kann aufgrund der offenen Struktur der Projekte, vor allem aber aufgrund der vorliegenden Quellen jedeR dazu beitragen, daß ihre Wünsche erfüllt werden. Dazu kann jedeR entweder selbst tätig werden, oder falls sie selbst nicht dazu in der Lage ist auch strukturelle Zwangsmittel wie Geld einsetzen, um von anderen das Gewünschte zu kaufen.

(137) Das Beispiel Freie Software zeigt, wie Produktion funktioniert, wenn deren Ausführung denen überlassen wird, die diese ohnehin übernehmen wollen und wie eine solche Produktionsweise noch zusätzliche Potentiale freisetzt, die für eine emanzipatorische Vision wünschenswert sind. Aufgrund der individuellen Unterschiedlichkeit der Menschen und damit auch der individuell unterschiedlichen Arten ihrer Selbstentfaltung, sollten erhebliche Teile von bedürfnisbefriedigender Produktion auf diese Weise abzuwickeln sein. Das Ergebnis einer solchen Produktionsweise ist eine allseitige Emanzipation, da einerseits die Selbstentfaltung der ProduzentInnen zur Voraussetzung ihres Handelns wird, andererseits die Produkte die Selbstentfaltung anderer auf verschiedene Weisen fördern.

(138) Die restlichen Anteile an Produktion, für die sich nicht ohne weiteres Menschen finden, die sie übernehmen wollen, die aber für die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse als notwendig erachtet werden, müssen möglichst beseitigt werden. Hierzu bietet es sich einerseits an, nach alternativen Wegen der Bedürfnisbefriedigung zu suchen, andererseits sollte die offensichtlich unangenehme Produktion so weit wie möglich automatisiert werden. Insbesondere letzteres ist wiederum eine Aufgabe mit erheblichem Selbstentfaltungspotential.

(139) ToDo: Verbessern

2.2.2. Organisation der Produktion

(140) Die Aufgabe der Organisation eines großen Software-Projekts ist nicht zu unterschätzen. Software erreicht leicht eine Komplexität, die anderen hochkomplexen industriellen Gütern wie z.B. Autos nicht nachsteht. Nun haben gerade die bekannten Freien-Software-Projekte wie Linux (der Kernel des Betriebssystems GNU/Linux), Apache (ein Web-Server) oder Gimp (ein Bildbearbeitungsprogramm) eine erhebliche Dimension und die einhergehende Komplexität ist nicht einfach im Griff zu behalten. Da Freie Software wesentlich unter Bedingungen der Selbstentfaltung entwickelt wird, ist es für die Entwicklung einer emanzipatorischen Vision daher spannend zu betrachten, wie die notwendige Organisationsleistung vollbracht wird.

(140.1) Re: 2.2.2. Organisation der Produktion, 16.08.2002, 10:43, Stefan Meretz: In dem Abschnitt fehlt völlig der Begriff der Selbstorganisation, obwohl du die Inhalte ja schon nennst.

(141) Zunächst muß festgehalten werden, daß die aktive Organisation eines solchen Projekts eine Herausforderung an sich bedeutet, die Menschen durchaus als Teil ihrer Selbstentfaltung begreifen können. In der Freien Software werden Menschen mit solchen Funktionen innerhalb eines Projekts als MaintainerInnen bezeichnet. Sie kümmern sich um den Zusammenhalt des Projekts und treffen auch schon mal Entscheidungen. Im allgemeinen sind die Entscheidungen allerdings keine Ergebnisse einsamer Geistesblitze der MaintainerIn, sondern spiegeln das Ergebnis einer Diskussion wieder, die unter den EntwicklerInnen und anderen Interessierten zum Thema stattgefunden hat.

(142) Da alle an einem Freien-Software-Projekt Beteiligten in der Regel freiwillig an dem Projekt teilnehmen, muß die MaintainerIn auch zumindest dafür sorgen, daß die EntwicklerInnen nicht einfach gehen. Sie muß also aus strukturellen Gründen dafür sorgen, daß die in einem Projekt getroffenen Entscheidungen einem möglichst großen Konsens entsprechen. Tut sie es nicht, so steht sie bald alleine da und dies ist für große Projekte das Aus. Ist die MaintainerIn also selbst an dem Erfolg des Projekts interessiert - wovon auszugehen ist, denn warum sollte sie sonst dabei sein -, so hat sie ein natürliches Interesse daran eine Führungsfunktion, die sie im Projekt wahrnimmt, zur maximalen Zufriedenheit aller auszuführen.

(143) Neben dem MaintainerInnen-Prinzip gibt es aber auch eine Reihe produktionstechnischer Hilfsmittel, die die Organisation einer verteilten Produktion vereinfachen. Diese sind durchaus nicht auf Software beschränkt, sondern sind für alle Produktionsprojekte von Interesse, die am Nutzen des Produkts interessiert sind und bei denen entfremdete Interessen wie Profit keine Rolle spielen. Besonders erwähnt werden sollen drei ineinandergreifende Methoden.

(144) Eine Möglichkeit Komplexität zu reduzieren ist die Modularisierung. Damit wird die Komplexität, die ein monolithisches Ungetüm darstellen würde, aufgebrochen in viele kleine Teile, die für sich überschaubar sind. Dadurch reduziert sich die Gesamtkomplexität eines großen Projekts auf die je einzeln zu betrachtende Komplexität eines Moduls einerseits und die Verbindung der Module untereinander andererseits. In der industriellen Technik können wir solche Entwicklungen ebenfalls seit längerem beobachten, wo zugelieferte Teile zwar eine hohe innere Komplexität besitzen, aber nur über einfache Schnittstellen in ein Ganzes eingebettet sind.

(145) Eine Voraussetzung für Modularisierung ist die Existenz möglichst klarer Schnittstellen, die desto nützlicher sind, je stabiler sie sind. Die Schnittstellen bilden die Verbindung zwischen den einzelnen Modulen und beschreiben die technischen Parameter für die Kommunikation der einzelnen Module untereinander.

(146) Auf einer etwas anderen Ebene dienen offene Standards ähnlichen Zwecken wie Vereinbarungen über Schnittstellen. Sie ermöglichen es ganz verschiedenen Projekten, sich mit ein und demselben Inhalt auf gleiche oder unterschiedliche Weise zu befassen.

(147) Das bekannteste Beispiel für solche offenen Standards dürfte die Sprache des Web HTML sein. Exemplarisch ist hier zu verfolgen, wie das internationale Gremium W3C (World Wide Web Consortium [http://w3.org]) sich um eine möglichst große Offenheit des Standards bemüht, so daß die NutzerInnen des Standards auf möglichst einheitliche Bedingungen treffen, auf deren Grundlage sie dann ihre Anwendungen aufsetzen können. Im Gegensatz dazu stehen Bemühungen kommerzieller Anbieter von Web-Software wie Microsoft oder Netscape den W3C-Standard mit eigenen Erweiterungen quasi zu verseuchen, um so über Alleinstellungsmerkmale einen Vorteil in der Konkurrenz herauszuschlagen. Es wird deutlich sichtbar wie das entfremdete Konkurrenzinteresse sich direkt bis in die Produktentwicklung niederschlägt und Nützlichkeitserwägungen eine untergeordnete Rolle spielen.

(148) Den NutzerInnen von Microsoft Office dürfte ein weiteres Beispiel bekannt sein, wie offene Standards dem entfremdeten Geldinteresse zuwider laufen. Denn während sich inhaltlich seit langem kaum noch etwas verändert, gestaltet Microsoft mit (fast) jeder neuen Version seines Office-Pakets das Dokumentenformat inkompatibel um. Ziel ist es, daß die gesamte Microsoft-Kundschaft zum Kauf der neuen Office-Version genötigt wird, da die neuen Formate mit den alten Versionen desselben Pakets nicht zu lesen sind. Daß dies nicht so sein muß, hat Microsoft im Bereich der Textformate sogar selbst mit der Entwicklung des RTF-Formats bewiesen, das von vorneherein als kompatibel erweiterbar ausgelegt war und bereits in seiner Grundform so reichhaltig war, daß es die allermeisten Anforderungen an ein modernes Textformat erfüllte.

(149) Ein Vorteil dieser Produktionstechniken Modularisierung unter Verwendung von klaren Schnittstellen und offenen Standards ist neben der Komplexitätsreduktion, das verschiedene Gruppen von EntwicklerInnen relativ unabhängig voneinander an einem gemeinsamen Großprojekt arbeiten können. Die Ergebnisse ihres Tuns sind über Schnittstellen und Standards miteinander verbunden, während die Interna ihres Moduls nach Außen hin nicht von Interesse sind und somit autonom in dem jeweiligen Teilprojekt entschieden werden können.

(150) ToDo: Software-Entwicklung als Versions-Management; komplexe Produkte werden nie "fertig"; bei entfremdeten Produkten ist Modellpflege lästig

(151) Neben der technischen Organisation ist aber auch interessant, wie sich Freie-Software-Projekte sozial organisieren. Der bei weitem größte Teil dieser sozialen Organisation findet über das Internet statt, wo vor allem Mailing-Listen (eMail-Verteiler, mit Hilfe derer sich angemeldete InteressentInnen mit einem gegebenen Thema befassen), Newsgroups (thematisch begrenzte Foren auf einer eMail-artigen Basis, zu denen der Zugang allerdings allen Internet-NutzerInnen jederzeit offen steht) und Chat-Möglichkeiten (gleichzeitige Kommunikation mehrerer Interessierter über IRC (Internet Relay Chat) oder Web-Interfaces). Allen Kommunikationsformen gemeinsam ist der lockere Ton, der nicht durch eine formale Steifheit oder hierarchische Abgrenzungen gebremst wird. Das gemeinsame Interesse an der Sache führt zu einer nicht immer emotionsfreien, im wesentlichen aber ergebnisorientierten Vorgehensweise, in der Kreativität gefördert wird.

(152) Eine emanzipatorische Vision kann vom Beispiel der Freien Software also lernen, wie eine arbeitsteilige Form von Produktion auf einer emanzipatorischen Grundlage aussehen kann. Die Mittel und Techniken, die sich in der Freien Software als Folge eines Bedürfnisses nach Kooperation einerseits und Produktqualität andererseits ausgebildet haben, sind richtungweisend.

(152.1) 17.08.2002, 11:52, Stefan Merten: s/Mittel und Techniken/Mittel und Techniken der Selbstorganisation/

2.2.3. Entscheidung über die Produktion

2.2.3.1. Bedürfnisorientierte Produktion

(154) In den Randbereichen Freier Software, in denen sie sich mit proprietär erstellter Software zu überschneiden beginnt, gibt es das Phänomen, das EntwicklerInnen aus entfremdeten Gründen Freie Software entwickeln. Diese Gründe können dabei neben dem Gelderwerb z.B. auch in der Erstellung von Studienarbeiten o.ä. bestehen. In diesen Randbereichen kann die Entscheidung über die Produktion indirekt von Leuten gesteuert werden, die kein direktes Interesse an der Software selbst haben, sondern z.B. an deren Verkaufbarkeit interessiert sind. Es gibt in diesem Bereich viele unterschiedliche Phänomene und die Diskussion darüber hat gerade erst begonnen. Eine der vertretenen Thesen ist, daß die Qualität der so erstellten Freien Software tendenziell unter den entfremdeten Bedingungen ihrer Produktion leidet.

(155) Im Kernbereich der Entwicklung Freier Software liegt die Entscheidung darüber, wer was wann produziert letztlich einzig bei den Individuen selbst. Dies ist eine unmittelbare Folge davon, daß es im Kernbereich der Freien Software kein (strukturelles) Zwangssystem wie z.B. Geld gibt, mit dem eine EntwicklerIn zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden könnte. Die Mühe, die in eine bestimmte Entwicklung gesteckt wird, muß letztlich immer auf eine Motivation direkt bei der EntwicklerIn stoßen, muß letztlich immer in irgendeiner Weise ihrer Selbstentfaltung dienen.

(156) Da die Inhalte der individuellen Selbstentfaltung sehr vielfältig sein können, können auch die Motive für eine EntwicklerIn sehr vielfältig sein. Der persönliche Bedarf nach einem bestimmten Stück Software, die Lust daran, ein bestimmtes Programmierproblem zu lösen, der Wunsch, zum Pool Freier Software etwas beizutragen, aber auch das Interesse daran, ein für andere möglichst nützliches Produkt zu erstellen, sind mögliche Motive für die EntwicklerIn. Durch diese Vielfalt an Motivationslagen ist gewährleistet, daß in vielen Fällen nach und nach die bestehenden Bedürfnisse nach Freier Software gedeckt werden.

(157) Eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Entwicklung der Benutzeroberflächen von GNU/Linux. Galt GNU/Linux vor ein paar Jahren noch als kommandozeilenbasiertes Monster, so gibt es inzwischen mit KDE und Gnome zwei Desktop-Oberflächen, die proprietären Desktops in nichts nachstehen, sie vielmehr oft übertreffen. Bestechend dabei auch, daß die umfangreichen Möglichkeiten, die die Kommandozeile unter Unix-Systemen bietet, nicht etwa verschwunden sind. Diese sind vielmehr nach wie vor für die zugänglich, die die höhere Leistungsfähigkeit dieses Instruments für ihre Zwecke weiter nutzen wollen.

(158) An diesem Beispiel wie an vielen anderen ist erkennbar, daß die wichtigste Motivation für die Entwicklung Freier Software die Befriedigung von Bedürfnissen ist. Der Entscheidung über eine bestimmte Produktion liegt daher immer eine Bedürfnisbefriedigung zu Grunde, die aufgrund der Abwesenheit entfremdeter Motivationslagen sich lediglich aus dem konkreten Nutzen der Produkts oder aus der dafür notwendigen Tätigkeit selbst beziehen kann.

(159) Die emanzipatorische Forderung nach einer bedürfnisorientierten Produktion ist also bei Freier Software sowohl hinsichtlich der ProduzentInnen als auch der NutzerInnen der Produkte vorbildlich erfüllt.

2.2.3.2. Materieller Ressourcenverbrauch

(160) Ein Problem, daß bei der Produktion Freier Software nur eine äußerst untergeordnete Rolle spielt, ist der materielle Ressourcenverbrauch. Als am Computer erstelltes Informationsgut ist Software allgemein mit relativ wenig materiellen Ressourcen herzustellen - die notwendige Infrastruktur einmal voraus gesetzt. Die bei weitem wichtigste Ressource ist vielmehr die menschliche Kreativität gepaart mit einerseits Motivation und andererseits den sozialen Fähigkeiten, die eine Team-basierte Tätigkeit begünstigen.

(161) Bei einer Produktion materieller Güter ist die Frage des Ressourcenverbrauchs aber durchaus nicht so einfach vom Tisch zu wischen und eine emanzipatorische Vision muß diesen Komplex zumindest thematisieren. Der Verbrauch von Energie soll hier unter den materiellen Ressourcenverbrauch gerechnet werden, obwohl er im engeren Sinne getrennt betrachtet werden müßte.

(162) Wie schon bemerkt ist einer der fundamentalen Unterschiede zwischen Informationsgütern und materiellen Gütern der, daß letztere nicht ohne weiteres kopiert werden können. Während die Nutzung von Informationsgütern vielleicht deren materielles Substrat, nicht aber das Informationsgut selbst in Mitleidenschaft zieht, hat die Verwendung materieller Güter vielmehr zur Folge, daß deren Nutzen nach und nach vermindert wird - sie verbrauchen sich.

(163) Letztlich reduziert sich die Frage nach der Entscheidung über den für eine bestimmte Produktion notwendigen materiellen Ressourcenverbrauch auf die Situationen, in denen Konflikte durch den Verbrauch materieller Ressourcen entstehen können. Neben allgemeinen Konfliktlösungsstrategien gibt es für Konflikte im Bereich des materiellen Ressourcenverbrauchs einige spezielle Lösungsstrategien. Steht eine materielle Ressource im Überfluß zur Verfügung, so gibt es darum keine Konflikte. Unter Beachtung ökologischer Ressourcen ist Überfluß an materiellen Ressourcen also konfliktmindernd und von daher für eine emanzipatorische Vision sinnvoll.

(164) Eine wesentliche Forderung wäre also zunächst ganz einfach, das Konfliktpotential schon dadurch möglichst klein zu halten, daß die vorhandenen begrenzten Ressourcen nicht mit dem Bedarf kollidieren. Dies bedeutet nichts anderes, als daß vorhandene Begrenzungen möglichst soweit gedehnt werden müssen, daß jeder vorhandene Bedarf gedeckt werden kann. In einer emanzipatorischen Gesellschaftsform sollte dies wesentlich leichter möglich sein, als in einer geldbasierten Gesellschaftsform, die auf der Verwertung von Knappheit beruht. Hierbei muß natürlich für jede Ressource eine umfassende Betrachtung ihrer Begrenzungen durchgeführt werden, die insbesondere auch ökologische Begrenzungen berücksichtigt.

(165) Eine weitere konfliktmindernde Strategie ist der Versuch, die Bedürfnisse auf eine Weise zu lösen, die nicht an die bestehenden Ressourcenbegrenzungen stößt. Dies kann durchaus möglich sein, da neben der gesellschaftlichen Bestimmung des Bedürfnisses selbst auch die nahegelegte Form seiner Befriedigung gesellschaftlich bestimmt und somit also änderbar ist. So ist ein Bedürfnis nach Mobilität zwar einerseits selbst schon gesellschaftlich bestimmt - u.a. durch die Notwendigkeit zur Mobilität zur Erreichung z.B. beruflicher Ziele - andererseits ist seine nahegelegte Befriedigung weitgehend durch gesellschaftliche Größen determiniert: Ob Auto oder öffentlicher Verkehr verwendet werden, hängt auch maßgeblich von der Verfügbarkeit der jeweils notwendigen Infrastruktur ab. Von den bestehenden Bedürfnissen selbst hat eine emanzipatorische Vision dagegen einfach auszugehen, denn eine Vision, die den Menschen ihre zulässige Bedürfnisstruktur vorschreibt, kann nicht emanzipatorisch sein.

(166) Sind diese Strategien nicht dazu in der Lage, einen Konflikt aufgrund materieller Ressourcenbegrenzungen zu umgehen, so muß der Konflikt auf emanzipatorische Weise mit allgemeinen Konfliktlösungsstrategien bearbeitet werden.

2.2.3.3. Konfliktlösung

(167) Auch wenn durch z.B. die genannten Maßnahmen Konfliktpotential reduziert werden kann und auch wenn der gesamtgesellschaftliche Hintergrund eher auf (konfliktreduzierender) Kooperation statt (konfliktfördernder) Konkurrenz aufbaut, selbst dann sind im Zusammenleben zwischen Menschen Konflikte unvermeidlich. Eine emanzipatorische Vision muß sich also mit der Frage nach Konfliktlösungsstrategien befassen, die dem emanzipatorischen Anspruch gerecht werden. Solche Konfliktlösungsstrategien müssen eine Reihe von Eigenschaften haben.

(168) Emanzipatorische Konfliktlösungsstrategien müssen problemangemessen und lösungsorientiert sein. Dazu ist es notwendig, den Konflikt möglichst genau herauszukristallisieren, denn nur so ist es möglich, problemangemessene Mittel zu definieren und sich auf eine Lösung des Konflikts zu orientieren. Um den Sachverhalt, um den sich ein Konflikt dreht, möglichst gut einschätzen zu können ist eine möglichst hohe inhaltliche Kompetenz auf diesem Sektor überaus nützlich. Ist diese bei den Konfliktparteien nicht vorhanden, so sollte sie von Außen dazugeholt werden.

(169) Zur Analyse eines Konflikts gehört es, die unterschiedlichen Interessen der von dem Konflikt Betroffenen offen zu legen. Je weniger entfremdete Motive (Geldinteressen, Machtkämpfe) in einen Konflikt hineinspielen, desto einfacher ist eine Konfliktlösung zu erreichen. Alle Arten von Störungen, die u.a. aufgrund von entfremdeten Interessen auftreten können, sollten getrennt von der eigentlich anstehenden Konfliktlösungen geregelt werden. Dadurch können neue Konfliktfelder identifiziert werden, die dann in einem ähnlichen, aber getrennten Prozeß bearbeitet werden können.

(170) Möglichst gute Lösungen können nur dann erzielt werden, wenn der Konfliktlösungsprozeß ergebnisoffen ist. Wenn nur noch zwischen verschiedenen Alternativen entschieden werden kann, dann brauche ich keine Konfliktlösung mehr, sondern kann per einfachem Abstimmungsverfahren zwischen diesen Alternativen entscheiden. Zu unterscheiden sind hier Situationen, in denen schon vor dem Konfliktlösungsprozeß die Alternativen vorgegeben sind von solchen, wo Alternativen während eines Konfliktlösungsprozesses identifiziert werden. Während im ersten Fall eine wirkliche Konfliktlösung tendenziell verhindert wird, kann der zweite Fall das Ergebnis eines ausführlichen Konfliktlösungsprozesses sein, bei dem sich diese Alternativen herauskristallisiert haben.

(171) Emanzipatorische Konfliktlösungsstrategien müssen gewaltfrei sein, denn wenn ich den Einsatz von Gewalt fürchten muß, dann bin ich in meinen Möglichkeiten von vorneherein beschränkt und damit schränkt sich auch der mögliche Lösungsraum automatisch ein. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß diese Forderung nach Gewaltfreiheit eine Verantwortung sowohl für das Kollektiv gegenüber dem Individuum, als auch dem Individuum gegenüber dem Kollektiv bedeutet. Gewaltfreiheit bedeutet hier auch, daß ein Konflikt tatsächlich bis zu seinem Ende ausgetragen wird und eine echte Konfliktlösung nicht durch unangemessen vorzeitig durchgedrückte Lösungen vereitelt wird.

(172) Selbstredend muß eine emanzipatorische Konfliktlösungsstrategie partizipativ sein. Nur wenn alle, die von einem Konflikt betroffen sind, die Möglichkeit haben sich zum Thema zu äußern, ist sichergestellt, daß ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden können.

(173) Die Erfahrung zeigt, daß sich unter den genannten Bedingungen eine Konfliktlösungskultur ausbildet, die sowohl dem Kollektiv als auch dem Individuum gerecht wird und dies von den Beteiligten auch wahrgenommen wird. Eine solche Kultur ermöglicht letztlich Konsens, bei dem keinE Beteiligte mehr Einspruch gegen die letztendlich gefundene Lösung erheben muß. Konsens ist sicher von allen bekannten Konfliktlösungsformen die emanzipatorischste und muß somit ein Ziel einer emanzipatorischen Vision sein.

(174) Nun gibt es natürlich auch bei der Entwicklung Freier Software Konfliktmöglichkeiten. Zuweilen gibt es recht unterschiedliche Richtungen, in die sich ein gegebenes Projekt weiterentwickeln kann und natürlich ist es immer möglich, daß die an einem Projekt Tätigen unterschiedliche Ansichten über den "richtigen" Weg haben. Da in den meisten Fällen die EntwicklerInnen freiwillig in einem Projekt tätig sind, kann eine Konfliktlösungsform, die auf irgendeiner Form von Zwang basiert, mittelfristig nicht funktionieren - die EntwicklerInnen würden das Projekt einfach verlassen anstatt sich weiter dem Zwang auszusetzen.

(175) Freie-Software-Projekte müssen also Strategien gefunden haben, die einerseits die weitere Entwicklung des Projekts ermöglichen und andererseits die in dem Projekt Tätigen zumindest nicht so verärgern, daß sie sich abwenden. In den meisten Freie-Software-Projekten bilden sich Strukturen heraus, die sich um den Fortbestand des Projektes kümmern. Die Art der Struktur ist dabei sehr unterschiedlich. So gibt es von der EntwicklerInnengemeinschaft demokratisch gewählte Gruppen genauso wie Rotationssysteme, aber auch sich historisch etabliert habenden Core-Teams oder auch einzelne Personen. Allen gemeinsam ist aber, daß sie die Maintainerschaft für das Freie-Software-Projekt übernehmen, d.h. also genau die beschriebenen Konfliktlösungsformen anwenden.

(176) Da die Tätigkeit in Freie-Software-Projekten in der Regel durch Selbstentfaltung und nicht durch entfremdete Interessen bestimmt ist, ist eine lösungsorientierte Herangehensweise an einen Konflikt naheliegend. Da i.a. die EntwicklerInnengemeinschaft selbst über die Konflikte innerhalb des Projekts entscheidet, ist die maximal mögliche Kompetenz automatisch vertreten.

(177) Aufgrund der offenliegenden Quellen ist eine Ergebnisoffenheit allein dadurch gegeben, daß alle auf der existierenden Grundlage eigene Wege ausprobieren können. Im Extremfall können auf diese Weise sogenannte Code-Forks entstehen, bei denen sich Teile der EntwicklerInnengemeinschaft vom Rest abtrennen und fürderhin auf der bis dahin gemeinsam entwickelten Basis aufsetzend unterschiedliche Ziele anstreben. Der Erfolg der angewandten Konfliktlösungsformen zeigt sich übrigens darin, daß solche Code-Forks ausgesprochen selten vorkommen und oft auch nach einer Phase der Parallelentwicklung wieder zusammenfließen. Unter Konkurrenzbedingungen werden Code-Forks dagegen provoziert, wie an den gescheiterten Versuchen der OSF (Open Software Foundation) der Schaffung eines vereinheitlichten Unix studiert werden kann: Proprietäre Erweiterungen verurteilten diese an sich lobenswerte Initiative zum Scheitern.

(178) Nun ist über das Internet Gewaltausübung, wie wir es z.B. von staatlichen Repressionsorganen kennen, von vorneherein nicht möglich. Gewalt kann sich in einem Freie-Software-Projekt im wesentlichen durch persönliche Beleidigungen oder aber das Verwehren des Zugangs zu bestimmten Ressourcen bestehen (z.B. die Mailing-Liste der EntwicklerInnen). Zu den Quellen als zentraler Ressource kann aber aufgrund der Copyleft-Lizenzen der Zugang nicht verwehrt werden. Eine funktionierende Maintainerschaft wird diese oder andere Gewaltmittel aber nur in Fällen einsetzen, in denen andere Mittel versagt haben. Die Maintainerschaft muß immer damit rechnen, daß einerseits die von der Gewalt betroffenen EntwicklerInnen sich vom Projekt abwenden, andererseits werden damit auch Beispiele gegeben, die auch die Motivation anderer EntwicklerInnen negativ beeinflussen kann, so daß auch die von ihnen eingebrachte Leistung sich vermindert.

(179) Wie ganz allgemein Partizipation in Freie-Software-Projekten eine große Rolle spielt, leben die Konfliktlösungsformen geradezu von der Partizipation der Beteiligten. Erst wenn die Möglichkeit von Beteiligten besteht, ihre je spezifische Sichtweise und ggf. auch Lösungsvorschläge einzubringen, ist gewährleistet, daß deren Bedürfnisse sich in einer Lösung eines Konflikts wiederfinden können. Eine gute Maintainerschaft besteht darin, den während einer Diskussion des Konflikts sich abzeichnenden Konsens zu kristallisieren und damit seine Umsetzung einzuleiten. In den meisten Freie-Software-Projekten schließt diese Partizipation in gewisser Weise auch die NutzerInnen der Software ein, die sich nicht direkt an der Entwicklung beteiligen: Von ihnen entdeckte Fehler werden oft schnell behoben und deren Wünsche an eine bestimmte Software spielen bei der Weiterentwicklung eine mehr oder weniger große Rolle.

(180) Nach all diesen Betrachtungen zu emanzipatorischen Konfliktlösungsformen soll nicht unerwähnt bleiben, daß Ansätze dazu auch unter Geldbedingungen mehr und mehr versucht werden. Dies verweist darauf, daß die Produktivkraftentwicklung allgemein dahin geht, daß die Kreativität der MitarbeiterInnen eine wichtige Ressource bildet. Und diese Kreativität ist am besten unter emanzipatorischen Bedingungen zu bekommen. Allerdings bilden die Geldbedingungen immanente Grenzen, die nicht überschritten werden können. Diese Grenzen fallen erst mit Formen jenseits von Geld, Tausch und anderen strukturellen Zwangsbedingungen.

(181) Wir können also auch in der Frage der Konfliktlösung uns die in der Freien Software gewachsenen Strukturen anschauen und als Modell für emanzipatorische Modelle verwenden. Für kleinere Konflikte klappt das vermutlich auch ganz gut, jedoch gibt es vermutlich einige Unterschiede zu gesamtgesellschaftlichen Großproblemen wie sie z.B. in der Bereitstellung großräumiger Infrastruktur (Straßen, Wasserversorgung, etc.) auftreten. Unterschiede zwischen den in der Freien Software entwickelten Ansätzen zu gesamtgesellschaftlichen Großproblemen könnten darin bestehen, daß die von einer Konfliktlösung Betroffenen und die jeweiligen ExpertInnen für das Sachgebiet weiter auseinanderfallen als dies bei der Freien Software der Fall ist. Gleichzeitig sind die ExpertInnen in der Freien Software auch in aller Regel diejenigen, die eine gefundene Lösung ausführen müssen. Auch dies ist bei gesamtgesellschaftlichen Konfliktlösungen eher selten der Fall. Hier muß überlegt werden, wie emanzipatorische Konfliktlösungsformen aussehen und vor allem real implementiert werden können.

2.3. Universelle Entwicklung der Individuen

(182) In einer Gesellschaftsformation, die auf den Prinzipien der Entwicklung Freier Software beruht, ist die universelle Entwicklung auf drei Ebenen prinzipiell sichergestellt.

2.3.1. Individualisierbare Produkte

(183) Produkte, die aus entfremdeten Zwecken wie dem Gelderwerb hergestellt wurden, verfolgen in erster Linie diesen entfremdeten Zweck. Es liegt in der Natur der Sache, daß seitens des Produzenten kein primäres Interesse daran besteht, den Nutzen des Produkts zu maximieren. Allseits bekannt sind beispielsweise Produkte, bei denen eine Reparatur unnötig erschwert wird - z.B. indem sie nicht beschädigungsfrei zu öffnen sind. Im Rahmen entfremdeter Produktion handelt es sich um eine logische Konsequenz, denn die Produktqualität muß ja gerade nur so hoch sein, daß die Verkaufbarkeit gewährleistet ist. Reparierbarkeit oder auch nur ein niedriger Ressourcenverbrauch bei der Herstellung spielen für die Verkaufbarkeit aber eine äußerst untergeordnete Rolle.

(184) Bei Produkten, die auf der Grundlage von Selbstentfaltung hergestellt werden, ist der Nutzen des Produkts oft ein wichtiges Ziel der Produktion. Dieser Nutzen hat dabei durchaus unterschiedliche Dimensionen. Ressourcenverbrauch während der Nutzung eines Produkts kann ebenso eine Dimension sein wie z.B. einfache Handhabung.

(185) Als ein wichtiger Nutzen eines Produkts kann die Konfigurierbarkeit angesehen werden. Konfigurierbarkeit bedeutet, daß ich das Produkt an je meinen konkreten Zweck anpassen kann. Bei Software finden wir diese Konfigurierbarkeit u.a. in Form von Präferenzeinstellungen. Aber auch bei materiellen Produkten kann Konfigurierbarkeit den potentiellen Nutzen steigern. Als aktuelles Beispiel mögen die unterschiedlichen Klingelsignale dienen, mit denen Handys ausgestattet wereden können und mit deren Hilfe das Signal des eigenen Handys leicht zu identifizieren ist. Optimal sind Produkte, die mit einer einfach zu benutzenden Basiskonfiguration ausgeliefert werden, die aber reichhaltige Konfigurationsmöglichkeiten für die NutzerInnen bieten, die diese benutzen wollen.

(186) Da durch konfigurierbare Produkte Handlungsmöglichkeiten von Individuen erweitert werden, wird die universelle Entwicklung eines Individuums durch Freie Produkte, die diesen Nutzen besser unterstützen, begünstigt.

2.3.2. Automatisierung und Selbstentfaltung

(187) Doch nicht nur den Produkten ist ihr Herstellungszweck eingeschrieben. Auch den Produktionsmitteln ist ihre vorgesehene Verwendung in entfremdeter Produktion teilweise überdeutlich anzumerken. Überall dort, wo Menschen ihre Potentiale nicht nutzen, sondern nur als Verlängerung der Maschine tätig werden können, ist es offensichtlich, daß Menschen nur mit (strukturellem) Zwang wie Entlohnung dazu gebracht werden können, sich in einem Dasein als Maschinenfortsatz selbst fremd zu werden. Dies gilt umso mehr, wenn solche Arbeit nicht direkt eigenen Zwecken dient und somit eine individuell einsehbare Notwendigkeit darstellt, sondern auch die Zwecke der Produktion von anderen gesetzt werden.

(188) Nun haben wir heute aufgrund der technischen Seite der Produktivkraftentwicklung eine Phase erreicht, wo Maschinen immer weniger Menschen zum Ausgleich ihrer eigenen Unzulänglichkeit benötigen. Standen noch in der letzten Generation Unmengen von ArbeiterInnen an Fließbändern um stupidste Arbeit zu verrichten, so werden diese stupiden Tätigkeiten heute nicht selten von Industrierobotern übernommen. Diese Entwicklung ist im Grunde genommen als riesiger emanzipatorischer Fortschritt zu werten, da Menschen unter emanzipatorischem Blickwinkel grundsätzlich zu schade für Tätigkeiten sind, die von Maschinen übernommen werden können. Leider haben sich die Produktionsverhältnisse weder der der technologischen noch der sozialen Seite der Produktivkraftentwicklung angepaßt, so daß ihr emanzipatorisches Potential sich heute als Destruktivkraft in Form von Arbeitslosigkeit niederschlägt.

(189) In einer Gesellschaftsformation, die wesentlich auf Selbstentfaltung der Individuen beruht, könnte dieser emanzipatorische Schatz nicht nur endlich gehoben werden, vielmehr bildet er die Grundlage für einen permanenten Ausbau dieses Potentials. Während in einer auf Arbeit beruhenden Vergesellschaftungsform die Vernichtung von Arbeitspotential bei Strafe ihres Untergangs nicht im Interesse der Arbeitsseite sein kann, wäre in einer auf Selbstentfaltung beruhenden Gesellschaftsformation das Interesse aller an einer möglichst weitgehenden Automatisierung gegeben. Die Menschen könnten also immer mehr von lästigen und unangenehmen Notwendigkeiten beFreit werden.

(190) Die Maschinen, die dies ermöglichen, bieten gleichzeitig ein erhebliches Kreativitätspotential. Die Flexibilität einer hochmodernen Produktionsmaschine macht erst dann Sinn, wenn sie kreativ genutzt wird. Die technischen Freiheitsgrade, die z.B. ein Roboterarm haben kann, übersetzen sich in gewisser Weise direkt in die Freiheitsgrade der Menschen, die etwas mit ihm anfangen möchten.

(191) Dieses Kreativitätspotential ist aber nichts anderes als die Basis bestimmter Formen individueller Selbstentfaltung und damit der universellen Entwicklung des Individuums.

2.3.3. Selbstgesetzte Ziele

(192) Nicht zuletzt wird das individuelle Handeln nicht länger durch entfremdete Vorgaben bestimmt. Vielmehr ist jedes Handeln in einer auf Selbstentfaltung beruhenden Gesellschaftsformation auf je eigene Zwecke gerichtet. Diese Zwecke werden dabei letztlich immer vom Individuum selbst gesteckt. Eine universelle Entwicklung der Individuen könnte keine bessere Grundlage haben als diese.

(193) Nehmen wir in den Blick, daß die universelle Selbstentfaltung der Individuen unabdingbare Voraussetzung dafür ist, daß diese sich maximal in einem gesamtgesellschaftlichen Rahmen einbringen können, so stellen wir fest, daß für eine emanzipatorische Vision die Selbstentfaltung der Individuen nicht nur ideologisch eine unhintergehbare Voraussetzung ist, sondern auch im direkten Interesse der Gesamtgesellschaft liegt.

2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft

(194) Wenn wir bei Freien-Software-Projekten von einem Herrschaftsmodell sprechen, dann ist festzustellen, daß die Machtmittel der Herrschenden, die i.a. mit den MaintainerInnen zusammenfallen, äußerst gering sind. Das gemeinsame Werk steht als Quellen qua Lizenz allen Interessierten zur Verfügung, so daß davon niemensch ausgeschlossen werden kann. Lediglich innerhalb der Kommunikationsstrukturen eines Projekts kann mit Mitteln wie Ausschluß aus Mailing-Listen Macht ausgeübt werden. Die oben ausgeführten Interessenlagen der MaintainerInnen verhindern dabei tendenziell einen Mißbrauch der Machtmittel, da die Mitglieder eines Projekts in der Regel auf freiwilliger Grundlage teilnehmen und somit jederzeit das Projekt verlassen können. Da die MaintainerIn i.a. die Aufgabe der Maintainerschaft ebenfalls als Teil ihrer persönlichen Selbstentfaltung betrachtet, hat auch die MaintainerIn selbst einen Schaden daraus, wenn viele TeilnehmerInnen das Projekt verlassen, da der Gegenstand ihrer eigenen Selbstentfaltung dadurch verschwindet.

(194.1) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 16.08.2002, 10:40, Stefan Meretz: Ich halte den Begriff "Herrschaft" für unangebracht. Statt "Herrschaftsmodell" würde ich von "Organisationsmodell" sprechen. Die Ausführungen sind ok, aber der Begriff ist qualitativ mit dem "Herrschen auf Kosten Anderer" verbunden, und genau das ist Selbstentfaltung nicht. Selbstentfaltung und Herrschaft schliessen sich aus.

(194.1.1) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 17.08.2002, 11:45, Stefan Merten: Hier hast du einen sehr eingschränkten Begriff von Herrschaft. "Organisationsmodell" trifft insbesondere überhaupt nicht den repräsentativen Anteil von Herrschaft. Dein Bild ist hier sehr Informatik-geprägtes, wo es nur um Organisation geht, die Menschen als soziale Wesen aber außen vor bleiben. Den teile ich nicht und habe das auch unter den Begriffsdefinitionen aufgedröselt.

So, das war jetzt die mit persönlichen Zuschreibungen und schnellen Kategorisierungen gespickte Variante. Ich hoffe, mein stilistisches Problem mit einigen Beiträgen wird klarer, wenn ich nochmal eine Variante bringe, die nur inhaltlich argumentiert.

Nun, ich habe ja einen Herrschaftsbegriff extra bei den Begriffsklärungen eingeführt. Auf diesen beziehe ich mich auch durchgehend und er geht m.E. über "Organisationsmodell" weit hinaus. Nach diesem Begriff von Herrschaft schließen sich Selbstentfaltung und Herrschaft m.E. überhaupt nicht aus - vielmehr ist kollektive Selbstentfaltung ohne Herrschaft in diesem Sinne geradezu kaum denkbar. Leider ist die Diskussion auf der Liste hier noch nicht so weit wie ich es mir wünschen würde. Vor allem auch, weil ich nicht dazu komme :-( :-( . Aber meine Gedanken in dieser Richtung haben sich auch so weiterentwickelt - leider zwar unreflektiert, aber da fühle ich mich wesentlich besser als bei "Entfremdung".

(194.1.1.1) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 18.08.2002, 11:53, Stefan Meretz: Da du den "Beherrschungsanteil" von Herrschaft nicht loswirst, bringt dich dein weiter Begriff nicht weiter, sondern in eine Falle. Kollektive Selbstentfaltung im Sinne der kollektiven, je individuellen Selbstentfaltung ist nur ohne Herrschaft (den weiten Begriff mal genommen) denkbar. Ich bin unschlüssig, ob nicht auch Repräsentation (nämlich eindeuig im Sinne von Stellvertretung) fehl am Platze ist. Wenn es dir auf Repräsentation ankommt, dann sprich auch bitte davon. Das "bitte" meine ich hier wirklich flehendlich (so schrecklich fände ich den Fehler sonst).

(194.1.1.1.1) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 19.08.2002, 18:17, Stefan Merten: Das teile ich nicht. Da braucht es sicher Diskussion, aber ich muß den Text letztlich vertreten können und das ist zumindest heute meine Meinung.

(194.1.1.1.1.1) Repräsentation als Herrschaft, 20.08.2002, 14:11, Stefan Meretz: Das ist richtig, du musst ihn vertreten können. Wenn du das also drinlässt, dann möchte ich bitte im Zusammenhang mit diesem Text nirgendwo entwähnt werden. Das überschreitet bei mir eine Schmerzschwelle. Das halte ich für megagrottenfalsch, für übelstes bürgerliches Zeug:-(( Das wäre die Stelle für einen Fork:-) (um es mal produktiv zu wenden...)

(194.1.1.1.1.1.1) Re: Repräsentation als Herrschaft, 20.08.2002, 16:38, Stefan Merten: Das bedauere ich sehr :-( . Ja, vielleicht hat die Oekonux-Liste aufgehört, produktiv zu sein. Na ja, konnte ja nicht ewig so gehen.

(194.1.1.2) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 18.08.2002, 11:58, Stefan Meretz: Nur zur Klarstellung: Ich habe keinen eingeschränkten Begriff von Herrschaft, ich kann auch deinen weiten Begriff nehmen. Es kommt nichts anderes raus. Was du aber echt nicht tun kannst, ist den Beherrschungsaspekt (den du mit einem Fremdwort freundlicher Domination nennst) von den Repräsentationsaspekt abzutrennen. Ich ziehe es vor, möglichst wenig den Begriff "Herrschaft" zu verwenden, weil er eher nichts zusätzlich Klärendes aussagt, sondern sich leicht als Nebelwolke verselbstständigt. Die Parole "Gegen Herrschaft, für Herrschaftsfreiheit" ist völlig indifferent.

(194.1.1.2.1) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 19.08.2002, 18:26, Stefan Merten: Das hätte ich bis vor einiger Zeit ähnlich gesehen. Mittlerweile habe ich da aber eine Menge mehr verstanden - siehe die entsprechenden Auszüge auf der Oekonux-Liste. Schade, daß die scheinbar an allen vorbeigerauscht sind :-( .

(194.1.1.2.1.1) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 20.08.2002, 14:13, Stefan Meretz: Es ist in der Tat an mir vorbeigerauscht: Ich fand es nicht auch nur irgendwie erhellend, sondern eben nur ideologisch. Mein Fehler.

(194.1.1.2.1.1.1) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 20.08.2002, 16:36, Stefan Merten: Leider war dies bisher das einzige Gegen"argument": Es sei ideologisch. Inhaltlich hat aber niemensch wirklich auf der Liste argumentiert. Sorry, aber nach meiner Wahrnehmung ist dieses Gegen"argument" selbst höchst ideologisch motiviert.

(194.1.1.3) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 18.08.2002, 12:01, Stefan Meretz: Im übrigen kann ich deine Kritik am Organisationsbegriff der Informatik teilen;-)

(194.2) Re: 2.4. Universelle Entwicklung der Gesellschaft, 16.08.2002, 10:45, Stefan Meretz: Das "Organisationsmodell" kann man begrifflich sehr gut "Prinzip der Selbstorganisation" fassen.

(195) Das Beispiel der Freien Software führt uns vor, wie das Interesse der Herrschenden an der individuellen Selbstentfaltung der Beherrschten Machtmißbrauch strukturell verhindert. Dies schließt zwar Machtmißbrauch nicht grundsätzlich aus, schafft aber die Möglichkeit, daß sich die Mißbrauchssituation nicht verfestigt, sondern sich die Beherrschten neue Herrschende suchen. Im Fall der Freien Software werden solche Vorgänge als Code-Fork bezeichnet, bei dem der vormals gemeinsam entwickelte Code mehr oder weniger unabhängig voneinander in verschiedenen Folgeprojekten weiterentwickelt wird. Die auffallend niedrige Anzahl von Code-Forks, die noch dazu nicht selten nach einer Weile wieder verschwinden, deutet an, wie wirkungsvoll das Herrschaftsmodell Freier Software Machtmißbrauch verhindert.

(196) ToDo: Repräsentativer Herrschaftsanteil bei Freier Software

(197) Daß MaintainerInnen überhaupt als solche anerkannt werden und sie in Ausübung ihrer Funktionen i.a. akzeptiert werden, verweist darauf, daß es Bedingungen geben muß, unter denen Herrschaftsfunktionen als legitim, ja als nützlich betrachtet werden. Solche Einsicht in die Sinnhaftigkeit von Herrschaftsfunktionen erleichtert ihre Umsetzung und vermindert die Notwendigkeit dominativen Eingreifens erheblich. Im günstigen Fall kann sogar jedes Mitglied einer Sozialeinheit Herrschaftsfunktionen übernehmen.

(197.1) 18.08.2002, 12:04, Stefan Meretz: /Herrschaft/Repräsentation/s - please!!

(198) Einsicht wächst aus dem je individuellen konkreten Erleben der Sinnhaftigkeit der Ausübung der Herrschaftsfunktionen, wenn aus der Ausübung für das Individuum konkret erfahrbarer Nutzen erwächst. In einem Freie-Software-Projekt ist es beispielsweise vorstellbar, daß nach einer langen, zähen Diskussion ohne klares Ergebnis die MaintainerIn eine Entscheidung trifft. Diese Entscheidung schneidet damit - zumindest für den Moment - zwar bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten des Projekts ab, eröffnet dem Gesamtprojekt aber eine neue Perspektive, die letztlich auch den Beteiligten weiterhilft, deren Alternative von einer Entscheidung nicht berücksichtigt wurde. Solche Entscheidungen werden i.a. akzeptiert, auch wenn sie einen gewissen dominativen Charakter haben.

(199) Einsicht in die Sinnhaftigkeit von Herrschaftsfunktionen wird außerdem durch Vertrauen auf die Prinzipien der Sozialeinheit begünstigt. Solches Vertrauen wächst mit der Erfahrung der Verläßlichkeit dieser Prinzipien. Im Interesse der Sozialeinheit ausgeführte regelmäßige Herrschaftsfunktionen können eine solche Verläßlichkeit demonstrieren. Im Falle eines Freien-Software-Projekts stellt sich ein solches Vertrauen dann ein, wenn die MaintainerIn über einen längeren Zeitraum hinweg nachvollziehbar im Sinne des Gesamtprojekts wirkt. Ist ein solches Vertrauen erreicht, so kann ein individuelles Mitglied auch darauf vertrauen, daß seine Interessen im Kontext des Gesamtprojekts ausreichend gewürdigt werden und eine mehr oder weniger gewaltsame Durchsetzung der individuellen Interessen wird unnötig, ja sogar kontraproduktiv.

(200) Was in einer solchen gesellschaftlichen Formation, die auf der allseitigen Selbstentfaltung beruht, aus dem Konzept des Staates wird, ist heute kaum abzuschätzen. Seine administrativen Anteile, die sich mit der Verwaltung von Infrastruktur befassen, müssen im Prinzip lediglich nach Selbstentfaltungsprinzipien umgemodelt werden. Die dominativen Anteile von Staat könnten dagegen nach dem eben Erwähnten voraussichtlich weitgehend abgebaut werden.

(201) ToDo: Bemerkungen zu Demokratie vs. Partizipation irgendwo einbauen

(202) ToDo: Kollektive Selbstentfaltung als Voraussetzung der individuellen Selbstentfaltung

3. Was tun?

(203) ToDo: Entsprechenden Abschnitt in der Kladde nachsehen

(204) Nachdem nun einiges zu den Bedingungen einer emanzipatorischen Gesellschaftsformation gesagt wurde, die sich auf der Höhe der Produktivkraftentwicklung befindet und die in ihr enthaltenen emanzipatorischen Aspekte aufgreift und weiterführt, stellt sich die Frage, welches konkrete Handeln, welche Politik hier und heute eine solche Vision befördern könnte. Einige Anstöße dazu sollten zum Schluß dieses Textes gegeben werden.

3.1. Studien weiterführen

(205) Die in diesem Text oft nur angerissenen Untersuchungen, die sich vor allem auf das Phänomen Freie Software als konkretes Beispiel beziehen, müssen weitergeführt und auf andere Bereiche ausgedehnt werden. In Bezug auf Freie Software wäre es wünschenswert empirische Untersuchungen anzustellen, die noch deutlichere Aussagen über den Charakter dieses Phänomens machen.

(206) Wenn es tatsächlich so ist, daß heute - wie von Marx schon vorausgesagt - die Produktivkraftentwicklung die Produktionsverhältnisse zu sprengen beginnt und wenn tatsächlich - wie in diesem Text analysiert - Freie Software als eine Keimform einer solchen, über den Kapitalismus hinausweisenden Gesellschaftsformation gelten kann, dann ist zu vermuten, daß auch in anderen Bereichen moderner Vergesellschaftungsformen vergleichbare Entwicklungen stattfinden. Diese müßten entdeckt und analysiert werden. Eine eingehende Untersuchung verschiedenster Phänomene ist mit dem in diesem Text ausgebreiteten erkenntnisleitenden Interesse zu untersuchen und einzuschätzen. Gleichzeitig könnte eine solche Analyse helfen, Denkbegrenzungen zu überwinden, die in dem Inhalt der Keimform - Freie Software - begründet liegen könnten.

(207) Entscheidende Voraussetzung jeder solchen Keimform ist dabei, daß die tendenzielle Abschaffung von (entfremdeter) Arbeit, Geld und Tausch, ohne die eine emanzipatorische Vision heute schlechterdings nicht mehr denkbar ist, tief in der Keimform verankert ist. Auch andere strukturelle oder direkte Zwangsmittel sollten in jeder Keimform nur von marginaler Bedeutung sein. Im Vordergrund müßte vielmehr, die Freiwilligkeit, die Selbstentfaltung der Beteiligten stehen, die wie beschrieben die Voraussetzung der Selbstentfaltung aller ist genauso wie die Selbstentfaltung aller die Grundlage der Selbstentfaltung der Einzelnen bildet.

3.2. Freie Projekte fördern

(208) Einige Ideen, wie politisches Eingreifen ganz konkret die erkannten Tendenzen begünstigen und verstärken kann, sollen hier angedeutet werden.

3.2.1. Eigenes Handeln beFreien

(209) Es muß versucht werden, das Handeln politisch Organisationen kann nach den Prinzipien der Entwicklung Freier Software umzugestalten. Dies sollte nicht allzu schwierig sein, da politische Organisationen im Kern ebenfalls Informationsgüter erstellen. Dazu gehört Transparenz auf allen Ebenen, die eine Beteiligung von Mitgliedern aber auch Außenstehenden möglichst breit zuläßt. Eine emanzipatorische Konfliktlösungskultur auf allen Ebenen einer politischen Organisation sollte selbstverständlich praktiziert werden.

(209.1) Re: 3.2.1. Eigenes Handeln beFreien, 16.08.2002, 10:48, Stefan Meretz: Hier würde ich noch die wirklich individuelle Möglichkeit des Verbreitens eigener Inhalte nur noch unter Copyleft (z.B. GFDL) nennen. Das kann wirklich jede/r sofort tun.

(209.1.1) Re: 3.2.1. Eigenes Handeln beFreien, 17.08.2002, 11:28, Stefan Merten: Füge ich hinzu.

3.2.2. Förderung bestehender Projekte

(210) Um ihre Verbreitung zu steigern und damit gleichzeitig ihren Geist zu verbreiten, sollten Freie Projekte aller Art eingesetzt werden. Dies fällt insbesondere dort leicht, wo diese Projekte Qualitäten liefern, die sich von der kommerziellen Alternative abhebt - allen voran GNU/Linux. Ein weiterer Vorteil sind natürlich z.B. im Bereich Freier Software entfallende Lizenzkosten.

(211) Da Freie Projekte nicht im luftleeren Raum schweben, sondern bis auf weiteres in die Geldgesellschaft eingebettet sind, kann Freien Projekten geholfen werden, indem Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird. Neben Technik kann dies z.B. auch darin bestehen, real-weltliche Treffen wie Konferenzen zu fördern.

(212) Nicht zuletzt können politische Organisationen zur Tätigkeit in Freien Projekten auffordern.

3.2.3. Aufbau neuer Freier Projekte

(213) In weiteren Ausbaustufen einer Strategie zur Unterstützung Freier Projekte könnte versucht werden, die Infrastruktur verfügbar zu machen, die für die Verwirklichung insbesondere solcher Projekte notwendig ist, die auf materielle Produktion zielen. Denkbar wäre es, modernste Produktionsmaschinen wie Fabber oder Industrieroboter wohnortbezogen verfügbar zu machen, so daß Menschen sich die Gegenstände ihres Bedarfs lokal herstellen können. Dazu müßte sich jeweils eine Gruppe bilden, die einerseits die Pflege einer solchen Produktionsstätte, andererseits die Unterstützung der Nachbarschaft als ihre Selbstentfaltung begreifen. Die Informationsgüter, die zur Herstellung notwendig sind, wären dann Produkte Freier Projekte im Internet.

(214) Es wäre zu prüfen inwieweit aufgegebene Produktionsmittel aus der Konkursmasse der Geldgesellschaft für Freie Projekte nutzbar zu machen sind. Ein zentrales Problem dürfte regelmäßig deren Orientierung auf Verwertung sein. Vielleicht sind aber vereinzelt kreative Lösungen möglich.

3.3. Politische Handlungsmöglichkeiten

(215) Neben der direkten Förderung Freier Projekte kann politisches Handeln darin bestehen, die Rahmenbedingungen für Freie Projekte zu verbessern.

3.3.1. Eigentum an Informationsgütern abschaffen

(216) Das Eigentum an Informationsgütern, das in den letzten Jahren einen ungeheuren Aufschwung erlebt, muß bekämpft werden. Patente, Copyright und ähnliches dienen mehr oder weniger ausschließlich entfremdeten Zwecken und stellen auf jeden Fall eine Enteignung der Öffentlichkeit dar. Ganz konkret stellen Software-Patente eine erhebliche Gefahr für Freie Software allgemein dar. Sie müssen in Europa unbedingt verhindert werden.

(217) Eine mögliche Forderung wäre, daß alle mit öffentlichen Mitteln geförderten Informationsgüter grundsätzlich allen Frei zur Verfügung stehen müssen.

3.3.2. Output-neutrale Entlohnung für Informationsgüterproduktion

(218) Für die momentanen Entlohnungssysteme, die nicht unerheblich auf den Verwertungsrechten an geistigem Eigentum beruhen, müßten Alternativen gefunden werden, die die ProduzentInnen von Informationsgütern von dem Verwertungszwang befreien. Damit wäre gleichzeitig sichergestellt, daß die ProduzentInnen sich ganz auf die Inhalte ihrer Tätigkeit konzentrieren könnten und sich nicht mit dem entfremdetem Gelderwerb befassen müßten.

(219) Dies würde insbesondere im Wissenschaftsbetrieb, bei dem der allgemeine Zwang zur Verwertung immer stärkere Schäden in den wissenschaftlichen Projekten nach sich zieht, eine erhebliche Veränderung der gesamten Landschaft zur Folge haben und es wäre damit zu rechnen, daß die wissenschaftlichen Leistungen sich verbessern. Eine verbesserte Technologie, die im obigen Sinne weitere emanzipatorische Potentiale beinhaltet, könnte eine Folge solcher Entwicklung sein.

3.3.3. Grundsicherung für alle, die es wollen

(220) Jenseits einer bezahlten Arbeit könnte eine Grundsicherung für alle Freiräume schaffen, in denen Freie Tätigkeit wächst und zur selbstverständlichen gesellschaftlichen Größe wird. Weitere Freie Informationsprodukte könnten dadurch Realität werden und selbst Freie materielle Produkte würden eher in den Bereich des Möglichen rücken, wenn Menschen in Selbstentfaltung ihren Bedürfnissen nach nützlichem Tun nachgehen könnten.

(221) In unserer heutigen Gesellschaftsform müßte allerdings dafür gesorgt werden, daß ein Leben auf Grundsicherungsbasis und die darin vorkommende Freie Tätigkeit allgemeine Wertschätzung genießen. Die damit einhergehende völlige oder teilweise Erwerbsarbeitslosigkeit dürfte von den Menschen nicht mehr als Verlust sondern als ein Gewinn an Lebensqualität gewertet werden.

(222) Dazu ist es notwendig, daß sich Menschen in Grundsicherung zusammenschließen und offensiv in die Öffentlichkeit gehen. Ein Verweis auf die u.U. sogar gesellschaftlich nützliche Freie Tätigkeit könnte dabei auch solche überzeugen, die ansonsten eher von Schmarotzertum sprechen würden. Solche Bewegungen sind zu unterstützen.

(222.1) 16.08.2002, 10:32, Stefan Meretz: Wie soll man sich "in Grundsicherung" zusammenschliesen?? Sollte es "in Gruppen" heissen?

(222.2) 17.08.2002, 11:27, Stefan Merten: s/in Grundsicherung/in Grundsicherung zu Gruppen/

3.3.4. Ideologisches Umsteuern

(223) Soll eine positive Gesellschaftsformation jenseits des Geldes überhaupt möglich sein, so müssen neben den konkret-praktischen Problemen die ideologischen Barrieren in den Köpfen der Menschen beseitigt werden. Plakative Forderungen der Arbeitsgesellschaft wie "Arbeit! Arbeit! Arbeit!" müssen menschenfreundlichen Losungen wie "Leben! Leben! Leben!" weichen. Die positiven Potentiale von steigendem Automatisierungsgrad müssen hervorgehoben werden: "Nieder mit der Plackerei!".

(224) Mit den hier vorgestellten Ansätzen zu einer emanzipatorischen Vision sollte es dabei leicht sein, in eine Offensive zu gehen. Immerhin umfaßt der Begriff der Selbstentfaltung per Definition die Realisierung der Interessen der Individuen, so daß ihnen nichts aufgezwungen werden muß, sondern eine umfassende BeFreiung in Aussicht gestellt werden kann. Die bereits existierenden Freien Projekte können als täglich sichtbare und vielen nützliche Beispiele dazu dienen, das Vertrauen in ein solches Umdenken zu erhöhen.

(224.1) 16.08.2002, 10:37, Stefan Meretz: IMHO ist an dem Ganzen gar nichts "leicht". Wenn du das aber trotzdem so betonst, dann stellst du indirekt diejenigen als ein bißchen blöde dar, die es immer noch nicht "leicht" finden, es nicht "klar" sehen, nicht in die Offensive gehen etc. Aus stilistischen Gründen würde ich diese Floskeln rausnehmen.

(224.2) 17.08.2002, 11:25, Stefan Merten: s/leicht/möglich/ Außerdem habe ich noch an drei weiteren Stellen "einfach", "leicht" und "klar" geändert. War aber nicht mehr an vielen Stellen.

(225) Nicht zuletzt ist ein solches ideologisches Umsteuern unabdingbar für eine langfristig angelegte emanzipatorische Entwicklungsstrategie: Eine emanzipatorische Vision kann nur Wirklichkeit werden, wenn die Menschen diese aus ihrer konkreten Bedürfnisstruktur heraus wünschen. Eine BeFreiung des Denkens ist dafür unabdingbar.


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