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Stichworte zum Krisis-Seminar 22.-24.6.01

Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 01.07.2001
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1) Für mich wurden auf dem Krisis-Seminar theoretische Grenzen sichtbar, die mir bislang so klar nicht waren oder sich im Zuge der Krisis-Argumentation verändert haben. Deutlich ist: Krisis-Argumentation und Wertkritik sind nicht notwendig identisch.

(1.1) Krisis-Sem.-Stichworte, 16.07.2001, 10:49, Horst Ribbeck: Eine (monolitische) "Krisis-Argumentation" gibt's eigentlich nicht. Die Entdeckung von Grenzen 'ihrer' Theorie oder von Widersprüchlichkeiten in 'ihr' finde ich geradezu wünschenswert. -je eher desto besser-.

(1.1.1) Exit, 27.08.2004, 10:36, ano nym: Hier erscheint nun R.Kurz: http://www.exit-online.org/

(1.1.2) Für R.Kurz, 27.08.2004, 10:37, Ano nym: http://www.opentheory.org/2kr/text.phtml

Erster und für mich wichtigster Punkt: Primat der Form.

(2) Zitat (Norbert Trenkle mitgeschrieben): "Die Form versucht den Inhalt zuzurichten und ihn sich identisch zu machen." Das bedeutet, dass die Krisis-Argumenation nicht von der Inhalt-Form-Dialektik mit Primat auf dem Inhalt ausgeht, sondern Dialektik zugunsten einer einseitigen Formbestimmung aufgibt. Damit wird auf den Punkt gebracht, was besonders deutlich beim "Subjektbegriff" wird, aber möglicherweise grundsätzlich in der Krisis-Argumentation angelegt ist. Aus dem Kopf rekapituliere ich:

(2.1) Re: Erster und für mich wichtigster Punkt: Primat der Form., 08.07.2001, 21:59, Ulrich Leicht: Ist das Primat der Form nicht weniger der vermeintlich undialektischen Argumentation von "Krisis", sondern eher der Wirklichkeit kapitalistischer Vergesellschaftungsweise geschuldet, die Krisis - hier Trenkle - zu beschreiben und zu kritisieren versucht? Gleiches gilt meiner Meinung nach auch für die weiter unten kritisierte Argumentation von Ortlieb.

(2.1.1) Re: Erster und für mich wichtigster Punkt: Primat der Form., 14.07.2001, 19:22, Stefan Meretz: Du meinst also, die Wirklichkeit verhielte sich "undialektisch"? Wenn dem so ist, dann musst Du die Dialektik auf den Müllhaufen schmeissen - es aber bitte vorher begründen. IMHO bleibt dann dann aber nur noch bürgerlich-positivistischer Erkenntnisschrott übrig. Deswegen ziehe ich den umgekehrten Schluss draus: Wer so "undialektisch formlogisch" argumentiert, hat da ein paar Bugs in seiner Theorie. Ist erstmal nur eine Behauptung, die nachzuweisen wäre.

(2.1.1.1) Ist die "Form-Inhalt-Dialektik" überhaupt das Problem?, 15.07.2001, 08:42, Ulrich Leicht: 1. Meine ich das überhaupt nicht, 2. sprach ich von "vermeintlich" undialektisch und 3. bin ich mir gar nicht sicher, ob mit der möglicherweise ihrerseits undialektischen "Primat"-Setzung, dem Problem, um das es Trenkle vermutlich geht, überhaupt beizukommen ist. Wäre vielleicht zunächst zu klären, was Trenkle inhaltlich mit "Form" hier meinte? Mag sein, daß ich von "Dialektik" [der Disputier-und Unterredungs-Kunst der alten Griechen, "der inneren Widersprüchlichkeit in der Bewegung", "dem inneren Bewegungsgesetz in der Dingen und (mit Marx) in der gesellschaftlichen Wirklichkeit", von "Thesis - Antithesis - Synthesis", "Negation der Negation", geschweige denn von dem hier und bei Ortlieb angesprochenen Problem der "objektiven und subjektiven Dialektik" und ihres Zusammenhangs] nichts oder falsches verstehe. Brecht hat wohl einmal davor gewarnt, über Dialektik zu reden, weil es schnell undialektisch werden könne. Deswegen lasse ich es besser oder vertraue mit Marx (siehe 2.1.1.1.1) darauf, daß auch mir "die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft noch ... Dialektik einpauken (wird)".
Nur so viel wage ich 'mal zu sagen: Die gesellschaftliche Wirklichkeit (wie die Dinge in der Natur wohl auch) "verhält sich" (wie Du sagst) bzw. besteht aus einem vielfältigen komplexen Geflecht von "dialektischen" Beziehungen, Bewegungen, Verhältnisssen, in denen sich auch ein darin eingewobenes, verknüpftes Widerspruchspaar Form-Inhalt wiederfindet und bewegt.
Es geht glaube ich nicht um eine "Form-Inhalt-Dialektik" an sich. Es geht darum, "...jede gewordne Form im Flusse der Bewegung" (siehe 2.1.1.1.1) aufzuspüren, in seinem Entstehungszusammenhang, seinem historischen Werden einzufangen, um "(eine) genetischen Darstellung, des Begreifens des wirklichen Gestaltungsprozesses in seinen verschiedenen Phasen." (MEW 26.3., 491)
Unsere kapitalistische Wirklichkeit als negative Form von Vergesellschaftung zu beschreiben - vielleicht auch als eine, in der tendenziell die Form den Inhalt sich unterzuordnnen, zuzurichten versucht - hat in meinen Augen weder etwas mit "undialektischer Formlogie" zu tun, noch schließt es die positive Aufhebung dieser Wirklichkeit als Negation der Negation aus, und auch nicht, "im Flusse der Bewegung" Momente und Keimformen der nicht widerspruchsfreien Synthese neuer positiver Vergesellschaftung jernseits von Wert- und Warenförmigkeit zu finden, in der auch Inhalt und Form der Dinge sich in einer positiven Identität aufheben.
Ich denke, Krisis steht auch nicht dafür, einer "mystifizierten Form (von) Dialektik ..., die das Bestehende zu verklären (scheint)", anzuhängen, sondern einem weitgehend richtigen "Verständnis des Bestehenden (,das) zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist." (siehe 2.1.1.1.1)

(2.1.1.1.1) Exkurs: Marx zur "Dialektik", 15.07.2001, 08:55, Ulrich Leicht: Hier eine Textstelle aus dem Nachwort von Marx zur zweiten Auflage des 1. Bandes des "Kapital" vom 24. Januar 1873:
"(...) Indem der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend und, soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was andres hat er geschildert als die dialektische Methode?
Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoß sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun.
Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.
Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des »Kapital« ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als »toten Hund«. Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken. In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.
Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt - die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, obgleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung, selbst den Glückspilzen des neuen heiligen, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpauken. London, 24. Januar 1873
Karl Marx"
[Marx: Das Kapital: I. Band: Der Produktionsprozeß des Kapitals, S. 24. Digitale Bibliothek Spektrum Band 4: Marx: Das Kapital, S. 56-58 (vgl. MEW Bd. 23, S. 27/28)]

(2.1.1.1.1.1) Marx in der "Digitalen Bibliothek", 15.07.2001, 12:01, Ulrich Leicht: Hier ein kleiner Tip für Marxologen:
In der Digitalen Bibliothek gibt es inzwischen neben den "Ausgewählten Werken" auch die hier benutzte CD "Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politiischen Ökonomie" für nur 19.90 DM. Sehr nützlich, um schnell Dinge aufzuspüren und zu finden: gute Orientierung mit Seitenkonkordanz zur Studienausgabe, Möglichkeiten der Recherche, zum Markieren und Kommentieren, Kopieren, Zitieren und Drucken.

(2.1.1.1.2) Re: Ist die "Form-Inhalt-Dialektik" überhaupt das Problem?, 22.07.2001, 18:56, Stefan Meretz: Du meinst also, die Krisis-Argumentation bilde die Dialektik der wirklichen Bewegung (ja, "verhält sich" ist etwas flach) ab. Was ist dann der "Inhalt" der wirklichen Bewegung, dessen Formseite die "Wertvergesellschaftung" ist, die Krisis so trefflich systemlogisch herauspräpariert hat? (Ich nehme (3) zurück, das ist IMHO Quark, was ich da schrieb).

(2.2) Re: Erster und für mich wichtigster Punkt: Primat der Form., 16.07.2001, 10:56, Horst Ribbeck: N.Trenkle beschreibt doch nur das (bürgerliche) Diktat der Form über den Inhalt. Anders: Die Fesselung der Produktivkraft-Entwicklung durch die Produktionsverhältnisse ist doch eine Undialektik (Schwäche) des Kapitals!

(2.2.1) Re: Erster und für mich wichtigster Punkt: Primat der Form., 22.07.2001, 18:44, Stefan Meretz: Es ist keine Frage der "Verletzung" der "Dialektik" durch irgendwen, es geht hier auch nicht um Wertungen, und "Undialektik" gibt's nicht. Uli hat eine Super-Definition (nach Marx) gegeben: »Es geht darum, "...jede gewordne Form im Flusse der Bewegung" ... aufzuspüren, in seinem Entstehungszusammenhang, seinem historischen Werden einzufangen, um "(eine) genetische Darstellung, des Begreifens des wirklichen Gestaltungsprozesses in seinen verschiedenen Phasen." (MEW 26.3., 491)«. Aber auch das vermisse ich: Die bürgerlichen Formen werden "eigenlogisch" oder "systemlogisch" analysiert und nicht "genetisch" (=entwicklungslogisch). Die Genese versteht man immer nur als Werden des Inhalt-Form-Zusammenhangs - und nicht bloß der Form selbst.

(2.2.1.1) "Undialektik", 08.09.2001, 02:01, Bertrand Klimmek: Undialektik? - Klar gibts die. Das bürgerliche (dichotomische, positivistische) Denken ist Undialektik bar jeder Reflexion auf sich selbst. Und die realen bürgerlichen Formen - politisch-ökonomische - sind nicht zufällig Ausdruck dieses Denkens und reproduzieren es in den den Institutionen Unterworfenen (= allen) beständig. Wenn also das System selbst klemmt, ist das natürlich undialektisch verursacht und hat seinen Grund im Primat der versteinerten Form. Ich denke, daß dies ziemlich offensichtlich ist.
Auch wenn der folgende Vergleich (aus Gründen dessen, was Totalität zu nennen ist und was nicht) etwas hinkt, so ist doch festzustellen, daß die heute grotesk anmutenden Geistesgebäude des Mittelalters selbst durch den mechanistischen Positivismus der frühen Neuzeit aufgebrochen worden sind; aufgebrochen werden aber kann nur etwas, das per se keine Entwicklung mehr ermöglicht, sie aber provoziert.

(3) Wertbegriff: Inhalt ist hier die Schaffung der Wertsubstanz durch Arbeit, die abschmilzt und damit einen finalen immanenten Widerspruch erzeugt; Form ist die Wertvergesellschaftung, also die Weise, in der die Verwertung prozessiert. Die Inhalt-Form-Dialektik ist hier noch deutlich sichtbar.

(3.1) Wertform!, 22.07.2001, 18:58, Stefan Meretz: Quark! Form ist die Wertform. Vergesellschaftung ist eine andere Dimension.

(3.1.1) Re: Wertform!, 08.09.2001, 01:48, Bertrand Klimmek: Abgesehen davon, daß der Schlagabtausch von Herrn Leicht v.a. mit sich selbst (2.1)-(2.1.1.1.1.1) sehr erbaulich ist - die Tragweite einer exakten Bestimmung von Form/Inhalt, "Dialektik" u.ä. ist alles andere als trockene Scholastik, daran hängt ca. alles - und Meretz sich nun zu Modifikationen genötigt sieht, kann ich im hier kommentierten Absatz (3.1) nichts besonders Substanzielles sehen. Die Vergesellschaftung ist doch sowohl Motor als auch Erscheinungsform des berüchtigten Werts, des manifesten Fetischs.
Wo ist also die Bedeutungs-Nuance Deiner Revision? (Adorno lesen sollte hier weiterhelfen ...)

(4) Arbeitsbegriff: Hier schwindet der Inhalt schon zusehens, es wird sozusagen zwischen zwei verschiedenen Formen der abstrakten Arbeit unterschieden: "konkret-abstrakte" Arbeit und "abstrakt-abstrakte" Arbeit. Abgesehen wird hier tendenziell vom Stoffwechsel mit der Natur, den die Menschen in gesellschaftlicher Vermittlung betreiben (eine Seinsbestimmung, die die Krisis-Argumenation scheut).

(4.1) Das Fetischverhältnis von konkreter und abstrakter Arbeit in der Warengesellschaft, 08.07.2001, 23:00, Ulrich Leicht: In dem "ot"-Projekt "Fetisch Arbeit" ist die Problematik schon einmal genauer dargelegt und diskutiert worden. Hier als Ergänzung zwei Textstellen von Postone und Marx (zitiert nach Claus Peter Ortlieb: "Gesellschaftskritik als Erkenntniskritik. Anmerkungen zu der Frage, warum Kritik der Theorie bedarf und wo deren Grenzen liegen" - aus: Streifzüge 3/2000, S.8-13).

Postone: "Arbeit wird selbstvermittelnd ...": "In der Warengesellschaft sind die Vergegenständlichungen von jemandes Arbeit die Mittel, um Güter zu erwerben, die andere produziert haben; jemand arbeitet, um an andere Produkte zu gelangen. Sein Produkt dient dann einem anderen als ein Gut, als Gebrauchswert. In diesem Sinne wird ein Produkt zur Ware: Es ist gleichzeitig ein Gebrauchswert für den anderen und ein Tauschmittel für den Produzenten. Dies bedeutet, dass jemandes Arbeit eine doppelte Funktion hat: Auf der einen Seite ist sie eine besondere Arbeit, die bestimmte Güter für andere produziert, doch auf der anderen Seite dient die Arbeit, unabhängig von ihrem besonderen Inhalt, dem Produzenten als das Mittel, um die Produkte anderer zu erwerben. Arbeit wird, in anderen Worten, zu einem eigenen Mittel des Erwerbs von Gütern in der Warengesellschaft. Die Besonderheit der Arbeit der Produzenten wird von den Produkten getrennt, die sie durch ihre Arbeit erwerben. Es gibt keinerlei inneren Zusammenhang zwischen der besonderen Art der verausgabten Arbeit und der besonderen Art der Produkte, die mit dieser Arbeit erworben werden.
Das ist völlig anders als in Gesellschaften, in denen Warenproduktion und Tausch nicht vorherrschen, in denen die gesellschaftliche Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte durch eine große Mannigfaltigkeit von Sitten, traditionellen Bindungen, offener Machtausübung oder - als Denkmöglichkeit - bewussten Entscheidungen bestimmt ist. In nichtkapitalistischen Gesellschaften wird die Arbeit auf der Basis offenkundiger gesellschaftlicher Beziehungen verteilt. In einer Gesellschaft jedoch, die durch die universelle Gültigkeit der Warenform gekennzeichnet ist, erwirbt ein Einzelner die von anderen produzierten Güter nicht auf dem Wege offener gesellschaftlicher Beziehungen. Stattdessen ersetzt die Arbeit selbst - entweder direkt oder ausgedrückt durch ihre Produkte - diese Beziehungen, indem sie als ein "objektives" Mittel dient, mit dem die Produkte anderer erworben werden. Die Arbeit selbst an Stelle offener gesellschaftlicher Beziehungen konstituiert die gesellschaftliche Vermittlung. Damit tritt eine neue Form gegenseitiger Abhängigkeit auf: Niemand konsumiert, was er produziert, doch eigene Arbeit oder Arbeitsprodukte fungieren als notwendige Mittel, die Produkte anderer zu bekommen. Indem sie in dieser Weise als Mittel dienen, treten die Arbeit und ihre Produkte tatsächlich an die Stelle der manifesten gesellschaftlichen Beziehungen. In der Folge ist auch die Arbeit selbst nicht mehr durch offen erkennbare gesellschaftliche Beziehungen vermittelt, sondern durch sich selbst und ihre Vergegenständlichungen, sie wird selbstvermittelnd. Diese Form der gesellschaftlichen Vermittlung ist einzigartig: im Rahmen des Marx'schen Ansatzes ist sie ausreichend, die kapitalistische Gesellschaft von allen anderen existierenden Formen gesellschaftlichen Lebens zu unterscheiden, sodass diese im Vergleich zu jener als in ihren Merkmalen übereinstimmend gesehen werden können - sie können als "nichtkapitalistisch" betrachtet werden, worin auch immer sie sich sonst voneinander unterscheiden mögen."
(M. Postone: Time, labor, and social domination. A reinterpretation of Marx's critical theory, Cambridge 1996 S. 149/150, Übersetzung C.P.Ortlieb)

(4.2) Marx: "Dies nenne ich Fetischismus ...", 08.07.2001, 23:51, Ulrich Leicht: (Ortlieb leitet ein)In dieser Weise auf einem Schein beruhend, ist bürgerliches Denken von Anfang an mit einem "Geburtsfehler" behaftet, der es die eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse mystifizieren lässt:

"Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. ... Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist."
(MEW 23, S. 86-87)
"Davon erfasst ist nicht nur das Alltagsbewusstsein, sondern auch die bürgerliche Wissenschaft in ihrer höchst entwickelten Gestalt: "Die späte wissenschaftliche Entdeckung, daß die Arbeitsprodukte, soweit sie Werte, bloß sachliche Ausdrücke der in ihrer Produktion verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit. Was nur für diese besondre Produktionsform, die Warenproduktion, gültig ist, daß nämlich der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie nach jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der Warenproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß die wissenschaftliche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikalische Körperform fortbestehn läßt."
(MEW 23, S. 88)

(4.3) Stoffwechsel mit der Natur - conditio humana aber nicht gleich Arbeit, 10.07.2001, 05:03, Ulrich Leicht: Formulierungen und Argumentationen wie die folgende aus dem Editorial der "krisis" 18, die keine Ausnahme bilden, zeigen diese "Scheu vor Seinsbestimmungen" keineswegs:
"Zum einen erkennt die Wertkritik durchaus die Gültigkeit von unterschiedliche Gesellschaftsformen übergreifenden (Real-)Kategorien an, ohne sie freilich für unaufhebbar zu erklären: dazu gehören etwa die Begriffe des Fetischismus, der Herrschaft oder des Patriarchats. Zum anderen bestreiten wir nicht, dass es auch so etwas wie eine conditio humana gibt, so z.B. den Stoffwechselprozess mit der Natur. Damit sind aber auch Bezugspunkte gesetzt, von denen die begriffliche Argumentation ausgehen kann. Diese Bestimmungen wirken sicherlich meist dürr und blass. Der von Marx entlehnte Terminus 'Stoffwechselprozess mit der Natur' etwa kann als bloße Denkabstraktion schwerlich mit der empirischen Lebensfülle einer in mehrhundertjähriger geschichtlicher Entwicklung aufgeladenen Denk- und Realabstraktion wie der 'Arbeit' konkurrieren. Doch gerade dies verweist auf seine theoretische Berechtigung, insofern er nämlich der Gefahr falscher Ontologisierung spezifisch bürgerlicher Verhältnisse entgeht."

(4.4) Arbeitsbegriff, 16.07.2001, 11:03, Horst Ribbeck: Ich glaube nicht, daß nur die Abstraktheit der Arbeit „schlecht“, ihr Inhalt – bei Dir der gesellschaftliche Stoffwechsel des Menschen mit der Natur – aber „gut“ ist. Schön wär`s – die Arbeit brauchte nur ihrer Abstraktheit beraubt werden, und übrig bliebe allein der Stoffwechsel mit der Natur. Auch hier glaube ich, bedingen sich Form und Inhalt gegenseitig und können nur gemeinsam aufgehoben werden. Der Inhalt der (abstrakten) Arbeit – der Verwertung des Wertes ist doch der Wert selbst. Was konkret stattfindet, ist ein ungesellschaftlicher Stoffwechsel mit der Natur, der die Bedürfnisse der Menschen nur am Rande und eher als Last wahrnimmt und überhaupt nur dann, wenn sie zahlungsfähig sind. Nicht die „Krisis-Argumentation“, sondern der Kapitalismus in seinem Arbeitsbegriff sieht ab „vom Stoffwechsel mit der Natur, den die Menschen in gesellschaftlicher Vermittlung betreiben“. Eine Scheu vor dieser Seinsbestimmung sehe ich nicht. Im Gegenteil. Siehe hierzu: Manifest, Kap.5, Arbeit ist ein gesellschaftl. Zwangsprinzip.

(4.4.1) "... überhaupt nur dann, wenn sie zahlungsfähig sind.", 08.09.2001, 02:34, Bertrand Klimmek: Die Bürgerlichen - schließlich die, mit denen diskutierend man sich meist wiederfindet - führen ja nun an, daß Tausch- und Gebrauchswert, die der Dialektiker ja (zurecht) zu scheiden weiß, irgendwas miteinander zu tun haben müssen. Dies ist evident, denn irgendwo muß jede Nachfrage ein Bedürfnis ausdrücken, wenn auch nicht jedes Bedürfnis eine Nachfrage - letzteres wäre die bürgerliche Utopie der gerechten Tauschgesellschaft, die Hungernden aller Kontinente wissen davon ein Lied zu singen ... Wenn man also diesen Leuten gegenüber argumentiert, daß, wenn, wie sie sagen, Tausch- und Gebrauchswert [und damit Nachfrage und Bedürfnis] im großen und ganzen ineins fallen, man die Geldmaschine nicht mehr bräuchte - man könnte dann zur direkten Bedürfnisbefriedigung (vulgo: Kommunismus) übergehen - und "Eigentum" ohnehin nur die Funktion hat, Ungleichheit zu schaffen, ja dann sagen die aufgeklärteren unter den bürgerlichen Ideologen, das sei zwar bedauerlich, doch sei die Form einfach praktisch, man würde sich endloses Palavern sparen etc.
Was bleibt, ist die rhetorisch schwer vermittelbare qualitative Differenz zwischen Tausch- und Gebrauchswert. Wer, um überhaupt noch ernst genommen zu werden, darauf insistiert, daß auch eine an den Bedürfnissen orientierte Produktion "Produktion" ist, also dieser holzschnittartige "Stoffwechsel mit der Natur", bekommt (wahrscheinlich sogar zurecht) von radikalen Dialektikern um die Ohren gehauen, man würde einer romantischen Ontologisierung der bestehenden Formen das Wort reden und eine "Produktion an sich" postulieren ... So gefällt sich die nicht auf den Kopf gefallene ISF gar in der Behauptung, das Krisis-"Manifest gegen die Arbeit" propagiere eine rückwärtsgewandte Gemeinschaftsideologie. Verwirrung allerorten?

(5) Wissenschaftsbegriff: Theorie, Kritik und Wissenschaft - über deren Identität oder Unterschiede es sehr unterschiedliche Meinungen gab - wie sie aus der bürgerlichen Gesellschaft hervorging, werden nur unter dem Primat der Form betrachtet. Nur so kann es zu der Aussage von Claus-Peter Ortlieb kommen: "Die aus der Realabstraktion der bürgerlichen Gesellschaft hervorgegangene Form der Theorie, ... ist ihrem Gegenstand durchaus angemessen, wenn es sich dabei um die eigene Gesellschaft handelt." So weit, so gut, die Alternative sei: "Mit zu reflektieren ist aber die Verwurzelung auch der eigenen Denkform im Untersuchungsobjekt selbst, soll Gesellschaftstheorie ein kritisches Potenzial entwickeln..." - Ironischerweise soll also nicht die Theorieform kritisiert und ggf. aufgehoben werden, sondern nur die Einbettung der eigenen Denkform in die (bürgerliche) Theorieform. Warum: Die Subjekt-Objekt-Dichotomie, die konstitutiv von die bürgerliche Theorieform sei, könne man nun einmal auch nicht überwinden, sondern nur kritisch reflektieren. Dabei wird genau das, was kritisiert werden soll, universalisiert. Eine theoretische Aufhebung ist undenkbar (da sie identisch mit der Aufhebung der Warenform sei). Auf meine Fragen nach der Gegenstandsadäquatheit von Theorie oder der möglichen theoretischen Fassung von Subjekt-Subjekt-Relationen wurde nicht oder mit Unverständnis reagiert. Diese Fragen sind im bürgerlichen wie im reflektiert bürgerlichen Theorieraum der Krisis-Argumentation nicht enthalten (es sind im Kern Fragen nach dem Inhalt).

(5.1) 09.07.2001, 00:16, Ulrich Leicht: Ich möchte auf zwei Aufsätze von Ortlieb verweisen, die wohl auch Grundlage seiner Thesen zum Seminar waren:
1. (aus Krisis 21/22 "Bewußtlose Objektivität - Aspekte einer Kritik der mathematischen Naturwissenschaft"

(5.2) Ortlieb im Orginal - "Mehr als 'das Mögliche im Gegebenen aufzudecken' (Postone) kann Theorie nicht leisten", 09.07.2001, 12:53, Ulrich Leicht: (Dritter Versuch, weil 5.1 und 5.2 nicht fundktionierten)
Ich möchte auf zwei Aufsätze von Ortlieb verweisen, die wohl auch (besonders der 2.) Grundlage seiner Thesen zum Seminar waren:
1. "Bewusstlose Objektivität - Aspekte einer Kritik der mathematischen Naturwissenschaft" (aus "Krisis" 21/22, 1998)
2. "Gesellschaftskritik als Erkenntniskritik - Anmerkungen zu der Frage, warum Kritik der Theorie bedarf und wo deren Grenzen liegen" (aus "Streifzüge" 3/2000, S.8-13).
Vielleicht helfen sie, seine Argumentation deutlicher zu machen. Ich finde, daß sie die Möglichkeiten und Grenzen von Theorie richtig darstellen. Theorie (Anschaung) muß wie Kritik selbstaufhebend sein. Ich kann nicht erkennen, worin da eine Universalisierung des zu kritisierenden Bestehenden stecken soll.In dem Text heißt es unter anderem:

(...) "woher radikale Gesellschaftskritik ihre Urteile nimmt und worin sich "kritisches Denken" von "bürgerlichem Denken" unterscheidet. Davon handeln die folgenden, an Marx und die Marx-Interpretation von Moishe Postone anknüpfenden Ausführungen. Ihre schlichte Botschaft lautet: Alles Denken (ohne Ausnahme) ist in seinen Formen durch die Gesellschaft determiniert, in der es stattfindet. Sofern sie sich auf frühere oder fremde, z. B. mittelalterliche, indianische oder ostasiatische Kulturen bezieht, ist diese Erkenntnis in den Kulturwissenschaften heute eine Selbstverständlichkeit. Aus noch aufzuhellenden Gründen liegt es dem bürgerlichen Denken jedoch fern, sie auch auf die eigene Gesellschaft anzuwenden. Tut man das, so folgt: Unser Denken, ob kritisch oder nicht, ist in seinen Formen durch die Warengesellschaft bestimmt. Die Besonderheit kritischen Denkens besteht nun darin, dass dieser Umstand mitbedacht, das Denken also stets auf die Warengesellschaft und ihre spezifischen Kategorien (Ware, Wert und nach neueren Erkenntnissen Arbeit) in kritischer Weise rückbezogen ist." (...)"

(5.2.1) Erkenntnistheoretischer Rahmen, 09.07.2001, 14:39, Ulrich Leicht: "Unter allen gesellschaftlichen Fetischverhältnissen, die sich im Laufe der menschlichen Geschichte konstituieren konnten, ist das Kapitalverhältnis das einzige, das seine eigene Kritik hervorgebracht hat. Eine wie immer geartete "kritische Theorie" etwa des europäischen Mittelalters oder der alten chinesischen Gesellschaft gibt es nicht. Und auch die kritischen Auslassungen eines Platon oder Aristoteles an Entwicklungen ihrer Zeit wurden vom Standpunkt des Bestehenden aus formuliert, sie versuchten nur, eine bereits in Auflösung begriffene Gesellschaft im Namen eines vergangenen angeblich "Goldenen Zeitalters" zu bewahren. Kritik erfordert Distanz zu ihrem Objekt, Gesellschaftskritik daher Distanz des Einzelnen zu seiner Gesellschaft, wie sie erst die Warenform mit ihren versachlichten gesellschaftlichen Beziehungen hergestellt hat.
Kritische Gesellschaftstheorie hat die bürgerliche Gesellschaft zu ihrem Gegenstand, der zugleich ihren historischen Kontext und die Bedingung bildet, der sie ermöglicht. Sie ist insofern selbst Bestandteil ihres Untersuchungsobjekts. Die strikte Trennung von Subjekt und Objekt, wie sie etwa die Naturwissenschaften kennzeichnet, ist daher schon aus der Logik der Sache heraus nicht möglich. Das heißt aber auch, dass eine Gesellschaftstheorie, die kritisch sein will, selbstreflexiv sein muss. Eine Arbeitsteilung zwischen Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie kann es hier nicht geben.
Kritische Gesellschaftstheorie ist Kritik der bürgerlichen Gesellschaft mit deren eigenem Instrumentarium. Sie untersucht und erklärt die Realität, die Ideale und das Denken der kapitalistischen Gesellschaft und weist sie, damit aber zugleich sich selbst, als historisch spezifisch, an die besondere Gesellschaftsform gebunden aus. Der Standpunkt ihrer Kritik kann daher kein transhistorischer, ontologischer sein, ist doch Bestandteil ihrer Analyse gerade der Nachweis, dass es einen solchen Standpunkt, von wenigen biologischen Gegebenheiten einmal abgesehen, nicht gibt.
Es sind die immanenten Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft selbst, die radikale Kritik ermöglichen. Dabei geht es nicht einfach darum, die Realität dieser Gesellschaft mit ihren Idealen zu konfrontieren. Radikale, an die Wurzeln gehende Kritik weist vielmehr auch die bürgerlichen Ideale (etwa die von Freiheit und Gleichheit) als der Warenform verhaftet aus, von der sie gleichwohl notwendig negiert werden müssen.
Der widersprüchliche Doppelcharakter der kapitalistischen Basiskategorien treibt die Warengesellschaft seit ihren Anfängen in eine für diese Gesellschaftsform spezifische, blinde und über sie hinaus weisende historische Dynamik. Als ein Moment des "prozessierenden Widerspruchs", der das Kapital laut Marx ist, aber eben auch nur als solches, kann Gesellschaftskritik praktisch werden. Indem sie bestehende Verhältnisse nicht als naturgegeben hinnimmt, sondern als gesellschaftlich konstituierte und damit veränderbare kenntlich macht, indem sie den Kontext sozialer Bewegung analysiert und "das Mögliche im Gegebenen aufdeckt, kann sie helfen, gesellschaftliche Transformation bewusst zu gestalten".(M. Postone: Time, labor, and social domination. A reinterpretation of Marx's critical theory, Cambridge 1996, S.89)
Die im Folgenden getroffene Unterscheidung zwischen "bürgerlichem" und "kritischem" Denken bezieht sich auf die hier dargelegte Charakterisierung des letzteren. Sie bedeutet nicht, dass sich kritisches Denken außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft bewegt, eher im Gegenteil: Es geht um das Mitbedenken des eigenen Kontextes und damit des Bewusstseins auch der eigenen Begrenztheit (der des bürgerlichen Denkens sowieso). Kinder der bürgerlichen Gesellschaft sind wir alle, ob nun kritisch oder nicht."

(5.2.1.1) Aufhebungsperspektiven, 09.07.2001, 14:39, Ulrich Leicht: "Kritische Gesellschaftstheorie ist Theorie und Kritik der Warengesellschaft, eine Theorie (in diesem Sinne) einer postkapitalistischen Gesellschaft kann es nicht geben. Gesellschaftstheorie setzt den blind gesetzesförmigen, versachlichten und abstrakten Zusammenhang der gesellschaftlichen Beziehungen voraus, der doch gerade aufgehoben und durch bewusste Entscheidungen (und nicht durch neue Gesetzmäßigkeiten) ersetzt werden soll. Mehr als "das Mögliche im Gegebenen aufzudecken" (Postone) kann Theorie nicht leisten, der Rest ist eine Praxis, die mit der Warenform auch deren Kritik aufhebt. Wertkritik, wenn sie denn erfolgreich sein sollte, ist in diesem Sinne selbstaufhebend, denn "alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen." (MEW 25, S. 825) Dass sie auseinander fallen, ist eben ein Spezifikum der Warengesellschaft." (...)

"Um aufzudecken, was ohne die Restriktionen der Rentabilität möglich wäre, bedarf es des Sachverstands im Einzelfall und der schlichten theoretischen Einsicht, dass Betriebswir tschaft keine Naturwissenschaft, also die Gesetze des Marktes keine Naturgesetze sind.
Der Zweck derartiger Untersuchungen dürfte angesichts der realen gesellschaftlichen Situation zurzeit allerdings weniger in der Ausgestaltung der Aufhebung als im Nachweis ihrer Notwendigkeit liegen. Hier liegt deutlich der Schwerpunkt theoretischer Anstrengungen, er kann gar nicht in der Entwicklung positiver Utopien der neuen Gesellschaft liegen.
Davon betroffen ist das Verhältnis theoretischer Bemühungen zu Initiativen, die ihre eigenen Aktivitäten als praktische Schritte zur Aufhebung der Warenform verstehen. Für die Theorie sind sie interessant, weil sie einen Beitrag leisten, das "Mögliche im Bestehenden" auszuloten, kritische Gesellschaftstheorie kann sich aber auf derartige Initiativen nicht positiv beziehen, sie ist ihrer Natur nach negativ auf die bestehende Gesellschaft bezogen, könnte also allenfalls aufzeigen, in welcher Hinsicht die Warenform nach wie vor nicht aufgehoben ist. So etwas kann die persönlichen Beziehungen belasten, was sich nur durch ein klareres Verständnis der Rolle von Theorie vermeiden ließe.
Den Segen für nicht warenförmige Beziehungen kann Theorie nicht erteilen, das müssen die Beteiligten gegebenenfalls auch ohne sie schon selber tun. (vgl. die in ähnliche Richtung gehenden Überlegungen von F. Schandl: "Bewegungsversuche auf Glatteis. Zum Verhältnis von Theorie und Praxis", Streifzüge 2/2000, S. 8-12, in denen er für eine "konstruktive Distanz" zwischen Theorie und Praxis plädiert, zum Vorteil beider.)"

(5.3) Wissenschaftsbegriff, 16.07.2001, 11:07, Horst Ribbeck: Du zitierst P.Ortlieb: „MIT zu reflektieren ist aber die Verwurzelung auch der eigenen Denkform im Untersuchungsobjekt selbst,...“ Daraus kannst Du nicht ableiten, daß die Theorieform GARNICHT kritisiert und ggf. aufgehoben werden soll, sondern NUR die Einbettung der eigenen Denkform.... Ortlieb meint nur, daß NEBEN dem zu kritisierenden Objekt auch die eigene in ihm verwurzelte Denkform „mit zu reflektieren ist“. Der Wurm steckt also lediglich (aber immerhin) in Ortliebs (von Dir so verstandenen) Behauptung, eine theoretische Aufhebung der bürgerlichen Subjekt-Objekt-Dichotomie sei wegen ihrer Identität mit der Aufhebung der Warenform undenkbar. Das halte ich für falsch bzw. ich verstehe es nicht. Ich denke: Nur für das TOTAL warenförmige Denken eines TOTAL büegerlichen Subjekts ist die Aufhebung der Warenform eben auch TOTAL undenkbar. Mein (unser)"archimedischer Punkt" ist also jenes noch nicht bzw. schon nicht mehr warenförmige Denken.

(6) Subjektbegriff: Hier ist die Formdominanz der Argumentation besonders deutlich. Der Inhalt verschwindet völlig. Statt vom Mensch-Welt-Verhältnis, von dem aus nur man sich sinnvoll der spezifischen Erscheinungsform unter Wertvergesellschaftungbedingungen nähern könnte, startet die Argumentation von der gesetzten Abstraktion der Subjekt-Objekt-Dichotomie. Damit wird die Argumentation nun logisch zirkulär: Aus der Annahme der Subjekt-Objekt-Dichotomie wird die Subjekt-Objekt-Dichotomie abgeleitet (siehe Lohoff-Thesenpapier). Fritz meinte dann zwischendrin auch, das der Begriff "Subjekt" nicht zu Ende gesprochen sei, eigentlich müsse er "Subjektform" heißen. Subjekt=Subjektform, darin trifft er sich mit Roswitha Scholz. Eine marginale Differenz formulierte Norbert Trenkle, noch mit einer Ahnung, dass da mehr als nur die Subjektform ist: Im Subjekt gehe die "Ebene der Menschen" (Zitat, mitgeschrieben) nicht auf, diese sei aber nicht benennbar, sondern könne bestenfalls ein rein negativer Bezug durchscheinen, z.B. im Leiden der Individuen (nach dem Motto: der Mensch ist, was das Subjekt nicht ist). Hier hat Roswitha Scholz allerdings Norbert widersprochen, und entgegnet, dass auch das Leiden Teil der Subjektform sei (sozusagen ein Leiden daran, die Subjektform nicht auszufüllen - mithin keine kritische Potenz).

Inhaltliche Kritik: Subjektbegriff (Thesenpapier Ernst Lohoff "Subjekt der Emanzipation...")

(7) Die folgenden Stichpunkte sind Teil meiner vor dem Seminar bereits aufgeschriebenen Stichpunkte (leicht überarbeitet). Zusammen mit meiner Kritik am Primat der Form in der Krisis-Argumentation, sollten sie nun verständlicher sein.

(8) Lohoff universalisiert das, was er zu kritisieren vorgibt: Die Denkfigur des isolierten Einzelnen in dieser Gesellschaft, dessen Handeln als ausschließlich abhängige Größe des gesellschaftlichen Formzusammenhangs gesehen wird. Das Handeln des Einzelnen als bloßes Resultat von Bedingungen zu fassen, ist eine bürgerliche Denkfigur, wie sie tausendfach in der bürgerlichen Psychologie (und Soziologie) reproduziert wird. Und nun auch bei Krisis/Lohoff.

(9) Es werden generalisierende Aussagen darüber getroffen, was "das Subjekt" allgemein ausmacht:

(10) Reale beobachtbare Fetischformen im menschlichen Zusammenleben werden hier universalisiert und zur "Subjektform an sich" erhoben. Erscheinungen werden zum Wesen erklärt, Fetischformen werden ontologisiert. Das Denken der Subjektivität erfolgt - und auch das ist typisch für die bürgerliche Psychologie - vom Drittstandpunkt. Wer die Subjekte nur als Subjekte unter den Bedingungen des Objekts ansieht, kann auch nicht anders. Die eigentliche individuelle Ebene, der Standpunkt des Subjekts oder Individuums selbst, wird damit aber systematisch verfehlt, ja mehr noch: ausgeblendet: er existiert nicht.

(11) Damit wird schon begrifflich-theoretisch menschliches Handeln als Denken und Handeln in stets gegebenen Möglichkeiten ausgeblendet. In der Subjekt-Objekt-Dichotomie ist Wert- und Subjektkritik logisch ausgeschlossen. Da greift dann die Rede vom "nicht völlig aufgehen" der Totalität.

(12) In der Subjekt-Objekt-Dichotomie ist ein Denken des Zusammenhangs von Individuum und Gesellschaft als Vermittlungszusammenhang unfassbar. Beides existiert unvermittelt, wobei ersteres abhängige Größe von zweitem ist. Genauso unvermittelt erscheinen dann die "Auflösungen": "Erst der Wegfall des Distanzzwangs, der Abschied von der Dichotomie von Individuum und Gesellschaft, würde es den Einzelnen ermöglichen, sich reflexiv zu ihren sozialen Bezügen zu verhalten." Das ist in mehrfacher Hinsicht Unfug:

(12.1) 10.08.2001, 02:24, Petra Haarmann: Ich weiß nicht so genau, unter welcher "Nummer" ich mit meinem Beitrag einsteigen soll. Es handelt sich insoweit auch um einen Auschnitt aus meiner Korrespondenz mit Bernd (Peter Klein)zum Thema Recht und Wertkritik. Ich hoffe, Ihr übt Nachsicht sowohl wegen der Überlänge als auch wegen teilweisen "off topic"'s: So wie ich das sehe, hat Marx die Fragestellung verschoben und unter Beibehaltung eines Hegelschen Historischen Subjekts – also einer Subjekt-Objekt-Identität – das „automatische Subjekt“ als die abstrakt-entfremdete Form der gesellschaftlichen Beziehungen, begrifflich gefaßt in der Kategorie „Kapital“, identifiziert und benannt. Die Frage der Korrelation von Wahrnehmung bzw. Denken und „objektiver Realität“ als ontologische Verschiedenheiten, die zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen, wird damit hinfällig. Vielmehr handelt es sich – im Kapitalverhältnis - um durch gesellschaftliche Beziehungen und Verläufe herausgebildete Sphären, die vom Individuum durch tägliches Handeln im gesellschaftlichen Zusammenhang reproduziert werden und ihm/ihr nahelegen auch so zu „denken“. Es ist aber auch genau der gesellschaftliche Gesamtzusammenhang, der – obwohl und weil vom Individuum mitvollzogen - ihr/ihm grundsätzlich ermöglicht, eine „abgehobene“ Position hierzu einzunehmen, weil das Ganze weiterfunktioniert, auch wenn das Individuum selbst (gerade, vorübergehend, für längere Zeit, endgültig) nicht mitwirkt. Dieses Moment der Möglichkeitsbeziehung zu gesellschaftlichen Realität enthält eine für das gesellschaftliche Wesen Mensch spezifische Form von Bewußtsein/Subjektivität, indem sich das Individuum nämlich selbst als Ursprung seiner Handlungen erlebt, auch in Abhebung von anderen Menschen, gleichzeitig aber im Verhältnis Subjekt-Intersubjektivität eine Vorstellung davon hat, daß auch der andere Mensch als Zentrum seiner eigenen Absichten und Pläne handelt, - beide als Teilmoment der materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse. In der menschlichen Gesellschaft ist es also Charakteristikum der gesellschaftlichen Reproduktion sich als Individuum zur Realität verhalten zu können, Handlungsalternativen zu erkennen und auszuwählen, ganz andere Wege zum (konkreten) Ziel zu denken und Widersprüche zu verarbeiten, schlicht, weil ansonsten der gesellschaftliche Gesamtprozeß zusammenbräche und damit auch das Individuum nicht überleben könnte. Das hieße aber, daß es keinen Gegensatz zwischen Subjektivität und Gesellschaftlichkeit gibt, sondern diese Art von Bewußtsein (Subjektivität) die Art und Weise ist, wie sich die Individuen an der gesellschaftlichen Reproduktion der selbstständigen Systemerhaltung der Gesellschaft beteiligen. Die Vorgehensweise auf dem Krisis-Seminar, mitsamt der mehr oder weniger manifest werdenden Auflösung in Richtung Form hat mich auf diesem Hintergrund „irritiert“. So wie ich das verstehe, hat Marx tatsächlich eine einzelne strukturierende Kategorie als ursächlich gesetzt, nämlich Arbeit, diese jedoch nicht in der Hinsicht, als daß mit „Arbeit“ der konkrete „Stoffwechsel mit der Natur“ gefaßt ist, sondern insofern als zwei Dimensionen gesellschaftlichen Lebens, nämlich die Beziehungen zwischen den Gesellschaftsmitgliedern - einzelne Individuen - und die Beziehungen zwischen Gesellschaft - viele Individuen - und (1.) Natur durch ein einziges abstrakt-entfremdetes Vermittlungsprinzip (abstrakte/konkrete) „Arbeit“ sozusagen verschmolzen/verschränkt werden. Hierbei ist wichtig im Kopf zu behalten, daß das der individuelle Mensch als gesellschaftliches Wesen regelmäßig und notwendig vermittels des gesellschaftlichen Zusammenhangs seinen Stoffwechsel mit der Natur betreibt. D.h. Subjektivität-Objektivität sind in unserer Gesellschaftsform, anders als von der „herrschenden“ Meinung postuliert, nicht geschieden, sondern systemisch innerlich verknüpft, wenn auch widersprüchlich. D.h. aber auch weiter, daß ausgehend von der Gesellschaftlichkeit des Menschen und des daraus resultierenden gesellschaftlichen Umgangs mit der (1.) Natur, auch in anderen Gesellschaftsformen Vorstellungen über die (1.) Natur und Bedeutung der menschlichen Tätigkeiten nicht aus bloßem pragmatischem Tun resultieren, sondern ebenfalls Ergebnis des jeweiligen gesellschaftlichen/sozialen Zusammenhangs sind. Im Kapitalismus, wo es an einer Einbettung von Tätigkeit und dadurch hervorgebrachter Bedeutung von menschlichen Einzelaktivitäten in einen gesellschaftlichen/sozialen Vermittlungszusammenhang fehlt, und der gesellschaftliche Zusammenhang vielmehr selbst durch „Arbeit“ konstituiert bzw. vermittelt wird, existiert „Arbeit“ demzufolge in „säkularer“ Form als rein instrumentelles Handeln und führt dazu, daß Reproduktion und gesellschaftliche Beziehungen in eine einzige totale Sphäre gesellschaftlicher Objektivität zusammenfallen. Oder andersherum: Die Marxsche Entfremdungstheorie besagt, daß es sich beim Kapitalverhältnis um eine historisch spezifische Gesellschaftsform handelt, welche durch die Opposition zwischen einer abstrakt-universellen, objektiven, quasi gesetzmäßigen Dimension und einer „dinglichen“, konkreten Dimension auszeichnet, die durch bestimmte Formen gesellschaftlichen Handels entstanden ist, durch diese regelmäßig reproduziert wird und, im Gegenzug, das Handeln und Denken des Individuums im gesellschaftlichen Zusammenhang prägen. Marx sagt in der „Deutschen Ideologie“: „In der großen Industrie und Konkurrenz sind die sämtlichen Existenzbedingungen, Bedingtheiten, Einseitigkeiten der Individuen zusammengeschmolzen in die beiden einfachen Formen: Privateigentum (akkumulierte Arbeit) und Arbeit. Mit dem Gelde ist jede Verkehrsform und der Verkehr selbst für die Individuen zufällig gesetzt. Also liegt schon im Gelde, daß aller bisherige Verkehr nur Verkehr der Individuen unter bestimmten Bedingungen, nicht der Individuen als Individuen war.“ (Hinzufügung in d. Klammer d. Verfasserin.) Dies ist sicherlich eine treffende Beschreibung des Zustandes aus der Dritt- oder Draufsicht, eben der Mensch unter Bedingungen. Die andere Seite (siehe oben), die Schaffung der Bedingungen durch die Individuen fällt (in diesem Zitat) dabei aus. Die Krisis, so war jedenfalls mein Eindruck - Mißverständnis vorbehalten -, ließ es, zumindest auf dem Seminar, gutbürgerlich bei der Kontrollwissenschaft (wie werden denn die Menschen durch Bedingungen kontrolliert bzw. immer kontrollierbarer?) bewenden und stellte nicht die Frage danach, wie Menschen ihre Lebensbedingungen kontrollieren (können), obwohl letzteres Telos sein soll. Nur wenn man die Kontrolle der Menschheit über ihre Lebensbedingungen ohne Dazwischenkunft einer metaphypsischen Entität für eine Potenz dieser Spezies hält (Marx hat das übrigens getan), kann man sich der negatorischen Kritik zuwenden und sich jener „Verhältnisse“ annehmen, die das Individuum in seiner Individualität, damit in seiner Gesellschaftlichkeit und hierdurch insgesamt die Menschheit behindern. Aneignung samt der berühmten Aneignungs“bewegung“ respektive Aufhebung ist dann in der Tat „die Vollziehung der Vergangenheit“(Marx), die Vereinnahmung der bereits historisch geschaffenen Potenzen und Kräfte, insbesondere das Erkennen der bereits bestehenden gesamtgesellschaftlichen Kooperation, durch das Bewußtsein der Individuen hindurch, - die Subsumption des historisch gesellschaftlich - wenn auch abgesondert in Form des Kapitals - Geschaffenen unter die Gesellschaftlichkeit und die sie bildenden Individuen. Aufhebungstheorie ist damit nicht der Entwurf und die modellhafte Ausbildung einer zukünftigen – nachkapitalistischen - Gesellschaft und ihrer Verlaufsformen, sondern Theorie darüber, wie Mensch (je Individuum) Kontrolle = Handlungsfähigkeit erlangen und erweitern kann, um den abstrakt-entfremdeten Vermittlungszusammenhang seiner (aller) Vergesellschaftung zu überwinden. Die Fragen sind also in Bezug auf das reflektierende Bewußtsein zu stellen, z.B. der Widerspruch zwischen der „offensichtlich“ in zunehmenden Maße überflüssigen wert-produzierenden Arbeit und dem fast fanatischen Festhalten der Individuen daran, weil nämlich ausschließlich „Arbeit“ im Kapitalverhältnis für das Individuum den gesellschaftlichen Zusammenhang, dessen es notwendig bedarf, herstellt. Das Recht spielt in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht dabei eine enorm wichtige Rolle und zwar nicht nur im „Draufsichtverfahren“ , daß also die Warenmonaden ... usw. usf., sondern in seiner Vermittlungsfunktion ...

(12.1.1) Klasse!, 11.08.2001, 16:23, Stefan Meretz: Ich möchte mit diesem Kommentar nur meiner Begeisterung über deinen (langen) Text Ausdruck verleihen: Klasse! Liebe Leute, die ihr Petras Text noch nicht gelesen habt: Tut das, denn darin spannt sie die je individuelle und damit kollektive Problematik der Erhaltung/Erweiterung von Handlungsfähigkeit unter diesen Bedingungen sehr scharf auf. Oh, ihr Krisis-Theoretiker, schneidet euch dicke Scheiben davon ab;-)
BTW: Die Rolle des Rechts ist mir noch einmal sehr deutlich geworden beim Lesen des Aufsatzes "Was bleibt von Eugen Paschukanis' 'Allgemeine Rechtslehre und Marxismus'?" in den Streifzügen 2/2001. Dazu wünsche ich mir mal eine Veranstaltung.

(13) Implizit wird Gesellschaftstheorie (oder -kritik) in gleicher Form auf Individuen angewandt. Die Ebene der Gesellschaftstheorie und die Ebene der Individualtheorie sind auseinanderzuhalten. Die je eigenen kategorialen Grundlagen sind je spezifisch für den gegebenen Gegenstand auszuweisen. Weder darf von der individuellen Ebene (wo es meist sowieso bürgerlichen Theorieschrott gibt) auf die gesellschaftliche geschlossen werden - noch umgekehrt.

(14) Was hieße Aufhebung der Drittstandpunktlogik? Statt Individuen wie Objekte im naturwissenschaftlichen Modus von außen zu fassen, ist der theoretische Standpunkt des Individuums auszuarbeiten, mit dem es seine Lage selbst (u.U. im Zusammenschluss mit anderen Individuuen) analysieren kann. Die inhaltliche wissenschaftliche Alternative zum Drittstandpunkt ist der Standpunkt erster Person, je der Standpunkt des Individuums. Das ist in der Krisis-Argumentation undenkbar (mit der Wertkritik aber schon).

(15) Was hieße Überwindung der Unmittelbarkeitsverhaftetheit? Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ist als Vermittlungsverhältnis zu fassen - zunächst unabhängig von jeder gesellschaftlichen Form. Die Individuen reproduzieren sich vermittels der Teilhabe an den gesellschaftlichen Infrastrukturen und reproduzieren damit diese gleichzeitig mit. Da ihnen in der bürgerlichen Gesellschaft die Wertvergesellschaftung als sich totalisierende Realabstraktion entgegentritt, wird genau die reale gesellschaftliche Kooperation, in der sich die isolierten Einzelnen befinden, als unmittelbare Kooperation mystifiziert: Die gesellschaftliche Wirklichkeit erscheint als "zweite Natur", die unbeeinflußbar ist, während meine Reichweite sich nur auf mein unmittelbares Umfeld bezieht. Doch nicht die Vergesellschaftung ist das Problem, sondern die abstrakt-entfremdete Form, in der sie sich gegen die Individuen durchsetzt. Nicht die mystische Unmittelbarkeit ist die Alternative (als einfache Negation wie die Antidichotomie bei Lohoff), sondern die personal-konkrete Gestaltung der Vergesellschaftung in sozialen Zusammenhängen, die von Menschen in freien Vereinbarungen selbst bestimmt werden.

(16) In diesem Kontext hat es mich nicht verwundert, als auf die Frage nach einer "Aufhebungstheorie" eine brüske Ablehnung kam: Das könne es nicht geben. Damit ist Krisis 19 hinfällig - es ist nicht nur "nicht so einfach". Die Krisis-Argumentation holt sich selbst ein: Wer sich - egal wie kritisch-reflektierend - nur in den bürgerlichen Formkategorien bewegt, kann diese auch denkend nicht verlassen: Dafür wäre eine inhaltliche Kritik notwendig oder genauer: Eine Kritik, die die Inhalt-Form-Dialektik nicht nach der Formseite hin vereinseitigt.

(16.1) 18.07.2001, 16:27, karl ??: hi stefan, was genau bedeutet: "krisis 19 ist hinfällig". ? gruesse, karl.

(16.1.1) Hinfällig?, 22.07.2001, 19:03, Stefan Meretz: Krisis 19ff enthielten Überlegungen zur Aufhebung der warenproduzierenden Gesellschaft. Ich würde das "Ansätze einer Aufhebungstheorie" nennen. Ein solches Unterfangen wurde jetzt aber auch dem letzten Krisis-Seminar zurückgewiesen: Eine Aufhebungstheorie könne es nicht geben, da jede Theorie systemimmanent sei. Was es geben könne, sei Widerstand gegen das Bestehende. Sehr kurz gefasst.


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