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Der Kampf um die Warenform

Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 17.06.2007
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Wie Knappheit bei Universalgütern hergestellt wird

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[Vgl. dazu auch die thesenartige Zusammenfassung von Ernst Lohoffs »Der Wert des Wissens« (Lohoff 2007): »Universalgüter. Informationsgüter als genuin gesellschaftliche Güter«]

(2) In diesem Text geht es um eine aneignungstheoretische Untersuchung der gesellschaftlichen Produktion und Nutzung von Universalgütern. Vor die Diskussion der Frage, wie der Kampf um die Warenform bei Universalgütern ausgetragen wird, stelle ich eine phänographische Vorklärung[1] der in diesem Kontext verwendeten Begriffe. Dabei knüpfe ich an den Artikel von Ernst Lohoff »Der Wert des Wissens. Grundlagen einer Politischen Ökonomie des Informationskapitalismus« (Lohoff 2007, in diesem Heft) an.

(2.1) 21.06.2007, 10:21, Hans-Gert Gräbe: Werden Allgemein- oder Universalgüter angeeignet (im Sinn des hier gebrauchten engen Warenbegriffs) oder schlicht nur genutzt?

(2.1.1) Aneignung, 25.06.2007, 12:57, Stefan Meretz: Angeeignet -- im Sinne der hier diskutierten Aneignung der Ergebnisse allgemeiner Arbeit. Die individuelle Aneignung im Sinne des Lernens und Nutzens ist hier nicht mein Thema.

(2.1.2) 27.06.2007, 09:51, Hans-Gert Gräbe: Das habe ich nicht gemeint. Ein klassisches Gut muss ich kaufen (also mir aneignen in der hier gebrauchten Semantik), bevor ich es nutzen kann (z.B., um daraus mehr Geld zu machen). Wie ist das hier? Die Straße, auf der ich gehe, muss ich mir ja ganz offensichtlich nicht aneignen. Wenn ich durch den Warnow-Tunnel in Rostock fahre, dann muss ich zwar Maut bezahlen, aber deswegen eigne ich mir trotzdem nichts an, sondern beteilige mich nur an den Betriebskosten (im umfassenden Sinne, einschließlich eines - möglicherweise unverschämt hohen, so ist diese Gesellschaft nun einmal - Profits des Betreibers). Und freue mich, dass es einen Dummen gibt, der dieses Geschäftsrisiko auf sich genommen hat mit der (in diesem Fall sehr realen) Gefahr der Pleite.

(2.1.2.1) Aneignung, 02.07.2007, 16:29, Stefan Meretz: Ah ok. Da würde ich unterscheiden zwischen der Nutzung und der Herstellung. An Nutzer/in kann ich mir ein Universalgut (und Allgemeingut) nicht aneignen im gängigen Verständnis eines Eigentums- oder Besitzübergangs, denn es findet ja kein Tausch (Geld gegen Gut) statt. Auf der Seite der Herstellung findet eine "Aneignung durch Begründung von Eigenbesitz" statt, d.h. sie müssen über die "Sache die tatsächliche Herrschaft mit dem Willen auszuüben, sie als eigene zu besitzen" (Wikipedia). Angeeignet und privatisiert wird das Ergebnis allgemeiner Arbeit.

(2.1.2.2) 07.07.2007, 19:41, Hans-Gert Gräbe: Verstehe deine Antwort nicht. Mach es doch mal konkret: Der Betreiber des Warnow-Tunnels (Allgemeingut in deiner Terminologie, nehme ich mal an) muss den Tunnel ja nicht nur herstellen, sondern auch betreiben. Er muss also Kapital vorschießen als fixes Kapital (Tunnel bauen) und Zirkulationskapital (Tunnel betreiben). Dazu geht er selbst viele Geschäftsbeziehungen ein (Baufirmen, TÜV, Energielieferungen usw. usw.), die alle von ihm Geld wollen, was ja letztlich bedeutet (?), dass der Tunnel eine Wertsubstanz im klassischen marxistisch-ökonomischen Verständnis hat. Wenn ich durch den Tunnel fahre und Maut bezahle, dann fließt Geld, also auch eine Wertübertragung? Was ist daran (aus Sicht des "Verkäufers") anders als bei einem Ratenkauf? Hat ein Produkt, das nicht verkauft wird, einen Wert? Was ist, wenn das Produkt "halb" verkauft wurde (weil der Kreditschuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist und ich die Rückfallklausel gezogen habe - dann habe ich ja mein Produkt wieder "am Hals")? Und nun erklär mir das mal am Beispiel des Allgemeinguts "Warnowtunnel". Ist die Maut nicht auch eine Form von "Raten" (einziger Unterschied: nicht nur ein Geschäftspartner und kein Vertrag) mit genau derselben Konsequenz, dass ich den Tunnel nur zu 3/4 "verkaufen" konnte und leider nach 3 Jahren pleite bin. Und was ist bei Universalgütern anders, als dass es leider funktional schwierig ist, Kassenhäuschen aufzustellen?

(2.1.2.2.1) META: Richtig kommentieren, 08.07.2007, 10:10, Stefan Meretz: Könntest du bitte Antworten/Fragen auf einen Kommentar bitte direkt an den Kommentar hängen? Also auf "Kommentieren" an dem zu kommentierenden Kommentar klicken und nicht darüber? So wie du es jetzt machst, ist die Mail nicht lesbar (da der inhaltlich kommentierte Absatz nicht mitgeliefert wird, sondern der dadrüber), und auf der Webseite kann man das auf- und zuklappen der Kommentarebenen nicht mehr sinnvoll verwenden. Danke.

(3) Die Schwierigkeit beim Zugang zu diesem Thema liegt in der Überschneidung von vier Dimensionen bei der Produktion und Nutzung von Gütern, die häufig miteinander vermengt werden: die stoffliche Beschaffenheit, die Nutzungsweise, die gesellschaftliche Form und die Eigentumsform. Diese Dimensionen sollen im Folgenden einzeln dargestellt werden, um anschließend den Begriff des »Universalguts« näher zu spezifizieren und vom verwandten Begriff des »Allgemeinguts« abzugrenzen.

(4) Die Dimension der stofflichen Beschaffenheit fasst den Unterschied von stofflichen und nicht stofflichen Gütern. Stoffliche Güter besitzen eine physische Gestalt, ihre Gebrauchsfähigkeit drückt sich darin aus. Sie können folglich auch verbraucht oder vernichtet werden, was das Ende der gebrauchsfähigen physischen Gestalt zur Folge hat. Nicht stoffliche Güter besitzen keine physische Gestalt, sie brauchen gleichwohl einen physischen Träger bzw. bei Dienstleistungen einen Erbringer, um existieren zu können. Nicht stoffliche Güter können nicht verbraucht und nur dann vernichtet werden, wenn alle physischen Träger vernichtet sind. Dienstleistungen existieren ohnehin nur temporär im Akt der Erbringung, hier fallen Produktion und Konsumtion zusammen. Beispiele: Der Computer ist ein stoffliches Gut, ebenso die DVD; der Film auf dem stofflichen Träger DVD ist hingegen nicht stofflicher Beschaffenheit. Die Beratung per Hotline, um einen Fehler beim Abspielen des Films zu beheben, ist eine Dienstleistung.

(4.1) 21.06.2007, 10:23, Hans-Gert Gräbe: Der Verhältnischarakter innerhalb der menschlichen Gattung jenseits einer Verdinglichung ist im Use Case "Beratung" deutlich zu sehen. Legst du hier nicht ein dingliches Schema (im Sinne von (6)) an etwas an, was dieses längst abgeworfen hat?

(4.1.1) Verhältnischarakter?, 25.06.2007, 13:02, Stefan Meretz: Ich verstehe nicht, was du meinst -- kannst du es bitte erläutern?

(4.1.2) 27.06.2007, 09:52, Hans-Gert Gräbe: Im SW-Engineering unterscheidet man zwischen Produktdimension (= die projekthafte Dimension der Erstellung einer konkreten SW-Lösung) und Prozessdimension (= die dazu orthogonale Dimension, dass Projekte alle irgendwelche Dinge gemeinsam haben und demzufolge das "Fahren von Projekten" selbst Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung sein kann; Stichworte: CMM, ISO 15504, ISO 9000 etc.). Nun ist ein Topic unseres Lehrstuhls das "Service Engineering", wo versucht wird, die Begrifflichkeiten etc. aus dem SW-Engineering in diesen Bereich zu übertragen. Insbesondere geht es darum, zu verstehen, was ein "Dienstleistungsprodukt" ist. Da gibt es ganz prächtige Begriffskonstruktionen (wenn an der Stelle überhaupt nachgedacht wird), die du aber nur einmal anpusten musst und sie fallen um. Das Problem ist, dass hier noch deutlicher wird als im SW-Engineering, dass es kein "Produkt" (jenseits des Moments der Unterschrift unter das Pflichtenheft, also eines Vertragsschlusses) gibt, sondern die Erbringung der Dienstleistung selbst prozesshaft ist. Gegenstand des "Engineering" ist aber die Ausgestaltung dieser Prozessdimension sowohl für die konkrete Dienstleistung (als Teil des "Produkts") als auch für die einbettende Infrastruktur (die Potenz der Firma, diese Services zu erbringen; als Teil des "Prozesses"). Und wenn die Jungs das Wort "Prozess" oder "Produkt" in den Mund nehmen, dann frage ich nur regelmäßig, was sie denn damit meinen und erkläre ihnen dann genüsslich, dass sie sich gedanklich gerade auf der anderen Seite befinden. Was nicht besonders schwer ist, weil es realweltlich dort eben keine Grenze gibt.

(4.1.2.1) 02.07.2007, 16:38, Stefan Meretz: Verstehe. Dienstleistungen erwähne ich im Artikel nur einmal der Vollständigkeit halber, klammere sie aber im Weiteren aus. Über die Werthaltigkeit von Dienstleistungen gibt es eine ganz eigene Diskursgeschichte. Klar scheint mir jedenfalls, dass Dienstleistungen nicht aufgrund ihrer Nicht-Stofflichkeit und Identität von Produktion und Konsumtion grundsätzlich für wertunproduktiv erklärt werden dürfen. Dein "Dienstleistungsprodukt" scheint mir Ergebnis schlicht der Tatsache möglichst alles in eine im Zweifel vollziehbare Vertragsform zu gießen. Ich kenne die Debatte aus der "Kundensicht" beim Thema "Service Level Agreements", hier aus dem Wunsch des Kunden, die auftragsnehmende Firma ggf. zu knechten, wenn sie Kenngrößen nicht erreicht etc.

(4.1.2.2) 07.07.2007, 19:44, Hans-Gert Gräbe: "zu knechten, wenn sie die Kenngrößen nicht erreicht". Ich sage es anders: "..., wenn sie der übernommenen Verantwortung nicht gerecht wird." Das ist doch aber Teil eines sehr ausgefeilten Systems zu klären, wer hat welchen Anteil Schuld an einem misslungenen gemeinschaftlichen Vorhaben in einem arbeitsteiligen Kontext. Denn dort bilden gegenseitige Erwartungen, Versprechungen und Realitäten einen sehr subtilen Mix, der die gestrige Planung mit der morgigen Realität verbindet. Ist diese Frage also nicht in jeder arbeitsteilig organisierten Gesellschaft zu klären? Wie wird gesellschaftlich sonst deutlich, wer seinen Versprechungen wie nahe kommt? Können wir auf ein solches Moment verzichten? Bei einem klassischen Gut ist der "Zusammenstoß" ein punktueller, statischer und findet im Moment des Verkaufsakts statt. Aber bei Dienstleistungen? Wie agil sind die Fragen im Bereich "Dienstleistungen"? Drücken vertraglich vereinbarte Regelungen genau meine Erwartung aus? Stimmen die gestern vereinbarten vertraglichen Regelungen heute noch mit den Erwartungen überein oder haben sich dieselben inzwischen bei beiden Vertrag schließenden Seiten geändert? Haben sich im Dienstleistungsbereich hier nicht praktisch schon ganz andere Interaktionsformen herausgebildet? Was kann man daraus für "Universalgüter" lernen? Ist nicht selbst die Praxis dieser Gesellschaft schon viel weiter als du hier theoretisch einfängst?

(4.2) 02.07.2007, 22:00, Wolf Göhring: "Nicht stoffliche Güter können nicht verbraucht und nur dann vernichtet werden, wenn alle physischen Träger vernichtet sind."

Dann verstehe ich nicht, wieso man jene fast 6000 jahre alten schriftzeichen auf einigen tonscherben aus dem gebiet der unteren donau noch nicht entziffert hat. Es ist doch noch alles da: Traeger und das nicht stoffliche gut.

(4.2.1) 03.07.2007, 15:34, Stefan Meretz: Ertappt, das ist ein Sonderfall, den ich ausgeblendet habe. Hier sind die gesamtgesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen gewissermaßen "zerrissen", d.h. es gibt keine Verbindung mehr zu einzelnen "Zeicheninseln", so dass ihre Interpretation nicht mehr möglich ist. Das sollte heute nicht mehr passieren, aber wer weiss (vgl. Stanislaw Lem: Memoiren, gefunden in einer Badewanne).

(5) Bei der Dimension der Nutzungsweise geht es um den praktischen Vollzug der Nutzung des Guts und die Konsequenzen. Hierbei sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Ausschließbarkeit und Rivalität. Güter sind in der Nutzung dann ausschließbar (exklusiv), wenn der Zugriff auf die Güter unterbunden werden kann. Sie ist nicht ausschließbar (inklusiv), wenn der Zugriff potenziell allen möglich ist. Güter sind in der Nutzung rivalisierend (auch kurz: rival), wenn die Nutzung durch die einen die Nutzung für andere einschränkt oder verhindert. Sie sind nicht rival(isierend), wenn ihre Nutzung keine Nutzungseinschränkung für andere zur Folge hat. Beispiele: Das Brötchen ist im Konsum ausschließbar und rival. Ich kann solange vom Verzehr ausgeschlossen werden, bis ich es kaufe. Und wenn ich es verzehre, kann das niemand anderes mehr tun. Die Nutzung des ohmschen Gesetzes ist hingegen weder rival, noch kann ich davon ausgeschlossen werden. Bezahl-Fernsehen erscheint ohne Decoder nur als Rauschen auf dem Bildschirm, seine Nutzung ist also ausschließbar, jedoch nicht rival -- empfange ich das Programm, so beeinträchtigt das den Empfang durch andere nicht. Eine öffentliche Straße hingegen ist grundsätzlich für alle da, ihre Nutzung ist jedoch rival -- eine Tatsache, die sich im Stau besonders anschaulich Geltung verschafft.

(6) Die Dimension der gesellschaftlichen Form befasst sich mit dem Unterschied von Waren und Nicht-Waren und der Art der sozialen Beziehungen, die diese konstituieren. Waren sind Güter, die nicht für den eigenen Verbrauch, sondern für den Tausch zum Zwecke des Verkaufs hergestellt wurden.[2] Nicht-Waren sind solche Güter, die nicht getauscht, sondern nur weitergegeben, genommen oder selbst genutzt werden. Beispiele: Ein Brötchen ist eine Ware, wenn es nicht für den Eigenverbrauch, sondern für den Verkauf, also den Tausch gegen die allgemeine Ware »Geld« hergestellt wird. Backe ich mir selbst oder meinen Freunden Brötchen, dann sind sie keine Ware. Die damit verbunden sozialen Beziehungen sind sehr unterschiedlich. Im Fall der Ware stellt sich eine soziale Beziehung nur vermittelt über die Warendinge her, wodurch »das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen ... die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt« (Marx 1890, S. 86). Dies nannte Marx bekanntlich »den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden« (ebd., S. 87). Demgegenüber lassen sich die unfetischistischen sozialen Beziehungen im Falle von Nicht-Waren nicht begrifflich uniformieren, sind sie doch so vielfältig wie das Leben selbst.

(6.1) Etymologisches, 18.06.2007, 09:58, Franz Nahrada: Ware kommt von "Bewahren", also drückt noch der Name die polemische Stellung gegen den Verbrauch aus und auch zugleich die gesellschaftliche Anstrengung, die dafür erbracht werden muss. "Bewahren" heisst Lagern, Einfrieren, Abschliessen, Verteidigen. Die Ware ist also eine gesellschaftliche Formbestimmung die eine Trennung des Gegenstandes vom Bedürfnis ins Werk setzt, die keineswegs natürlich ist, wenn sie als selbständige Bestimmung auftritt. Bewahren muß man so manches - die Ware bewahrt Wert.

(6.2) 21.06.2007, 10:23, Hans-Gert Gräbe: Verhältnis - Singular oder Plural? Jedenfalls geht es (jedenfalls Marx an der ziterten Stelle) um Verhältnisse innerhalb der menschlichen Gattung, die sich in den Dingen nur spiegeln. Bei Leibniz spiegeln sich in jedem Ding immer alle Verhältnisse, wie Annette Schlemm noch mal schön herausgearbeitet hat. Werden bei Nichtwaren die Verhältnisse selbst wieder sichtbar(er)?

(6.2.1) Spiegeleien, 25.06.2007, 13:18, Stefan Meretz: Ja, in dem Sinne, dass nicht mehr alles über ein Prinzip reguliert wird ("Es muss sich rechnen"). -- IMHO ist es aber mit Bezug auf Marx nicht richtig davon zu sprechen, dass sich die "Verhältnisse in den Dingen nur spiegeln". Das ist schon Leibniz und entfernt jede kritische Absicht bei Marx. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es geht darum, dass die Dinge mit den Menschen umzuspringen, sobald sie als Waren produziert werden -- bildhaft formuliert. Die Dinge als Waren spiegeln sich also in den Verhältnissen, die sie konstituieren.

(6.2.2) 27.06.2007, 09:55, Hans-Gert Gräbe: Ein interessanter Gedanke, denn du wirst sicher nicht abstreiten, dass sich umgekehrt auch die Verhältnisse in den Dingen spiegeln. Damit treten natürlich Mehrfachspiegelungsphänomene auf und die Frage ist, welchen der vielen Spiegel wir uns genauer anschauen. Da gehen unsere Präferenzen offensichtlich auseinander, denn ich versuche mich - praxisphilosophisch wie Marx auch - an einer Analyse der Praxen und schaue lieber auf die Dinge, in denen sich die Verhältnisse spiegeln. Und sehe dann die deutlich anderen Spiegelungseigenschaften der Universalgüter, ohne das bisher Bedeutsame aus dem Auge zu verlieren: "Es muss sich auch rechnen" (mindestens noch eine Zeit lang). Wobei "sich rechnen" ein dinglicher Spiegel von Verhältnissen innerhalb der menschlichen Gattung ist, zu denen ich letztlich analytisch vorstoßen und deren Verhältnis zu anderen Verhältnissen (die offensichtlich bei Universalgütern an Bedeutung gewinnen, vielleicht sogar dominant werden) verstehen möchte.

(6.2.2.1) 02.07.2007, 16:42, Stefan Meretz: Da sind wir gar nicht so weit auseinander, wobei in der Tat meine Präferenz auf der sozialen Seite liegt verbunden mit der Frage, welche Verhältnisse wir wie konstituieren wollen, um eben auch jenen Fetischismus (die Dinge sind nicht nur passive Spiegel, sondern tanzen mit uns und konstituieren unsere Form der Sozialität) loszuwerden.

(6.2.2.1.1) Wer wen?, 02.07.2007, 23:57, Wolf Göhring: Meretz: "die Dinge sind nicht nur passive Spiegel, sondern tanzen mit uns und konstituieren unsere Form der Sozialität"

Marx: "Die waren koennen nicht selbst zu markte gehn und nicht sich selbst austauschen. ... Die waren sind dinge und daher widerstandslos gegen den menschen." (Kap I, MEW 23, s.99)

Ausser dass sich mein fahrrad mal auf glatter strasse verselbstaendigte oder mich meine jolle bei aufkommendem sturm ins wasser schmiss, haben mit mir noch keine dinge getanzt.

Und solange RFID-chips noch nicht jedermanns sache sind, die, am ohrlaeppchen getragen, persoenliche kenndaten ueber den markplatz tragen und selbst auf entsprechende suchanfragen reagieren, solange konstituieren dinge noch nicht die form unserer sozialitaet, zumindest nicht meine.

Der knackpunkt unserer kontroverse ist, dass du immer wieder die redeweise verwendest, dinge wuerden soziale verhaeltnisse konstituieren. Das liegt mir so fern, wie es nur geht!

(6.2.2.1.1.1) Re: Wer wen?, 03.07.2007, 15:50, Stefan Meretz: "Der knackpunkt unserer kontroverse ist, dass du immer wieder die redeweise verwendest, dinge wuerden soziale verhaeltnisse konstituieren. Das liegt mir so fern, wie es nur geht!" -- Du kannst mir glauben: Das geht mir genauso! Doch kann ich nicht umhin, diese IMHO zentrale Beobachtung von Marx, den er Fetischismus genannt hat, ernst zu nehmen: "Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Tätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützliche Weise verändert. Die Form des Holzes z.B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne." (MEW 23, S. 85) "Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist." (MEW 23, S. 86f) Den Produzenten "erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen." (MEW 23, S. 87) Aber was dich vielleicht stört, ist, dass die Aussage im Aktiv formuliert ist: Die Dinge tun etwas mit uns. Ja, das ist eine bildhafte Beschreibung: in Wirklichkeit tun wir es, wir beziehen uns auf andere durch Sachen, die uns in ihrer Logik dazu bringen, sie zu bewegen. Es ist also noch schrecklicher: Die Bewegung der Sachen ist nur der Schein - wir vollziehen den Fetischismus selbst und können innerhalb der Form nicht heraus.

(6.2.2.1.1.1.1) Re: Wer wen?, 18.07.2007, 22:08, Wolf Göhring: Den schein zum sein erklaeren: klamauk.

(6.2.2.1.1.1.1.1) Re: Wer wen?, 19.07.2007, 23:14, Stefan Meretz: Yepp, der Kapitalismus ist Klamauk, aber kein "erklärter" (=eingebildeter), sondern Real-Klamauk.

(7) Bei der Dimension der Eigentumsform geht es um die rechtliche Gestalt der Güter. Das Privateigentum ordnet eine Sache einer natürlichen oder juristischen Person zu. Gemeineigentum (früher auch: Allmende) ist heute in der Regel staatliches Eigentum und als solches frei zugänglich (öffentliche Güter). Sonderfälle sind nicht frei zugängliche staatlich verwaltete Privatgüter. Freie Güter schließlich sind nicht eigentümliche Güter ohne juristisch verankerte Zugangsbeschränkung. Beispiele: Die private Bäckerei befindet sich im Privateigentum, was allerdings praktisch keinen Unterschied zu einer Staatsbäckerei macht, denn die Kaufbrötchen sind Waren hier wie dort. Zu den freien Gütern zählt die sprichwörtliche »Luft zum Atmen« -- unabhängig von ihrer Verträglichkeit.

(7.1) 21.06.2007, 10:25, Hans-Gert Gräbe: Was ist hier der Verhältnischarakter innerhalb der menschlichen Gattung? Ist es nicht der Umstand, dass der "Eigentümer" die Verantwortung für die Reproduktion dieser Güter übernommen hat? Siehe (Ruben-98), der insbesondere die Rolle des Fernhandels dabei bis weit vor die kapitalistische Produktionsweise zurückverfolgt.

(7.1.1) 25.06.2007, 13:26, Stefan Meretz: Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich verstehe. Mir scheint auch, dass die Frage wegführt vom Thema. Versuch: Wenn Menschen produzieren, tun sie dies immer in gesellschaftlichen Verhältnissen. Der "Verhältnischarakter" ist also immer schon "da". Die Frage ist nur, welche Form er annimmt, und hier hat Marx mit der Erkenntnis, dass Güter als Waren produziert die sozialen Verhältnisse formen, einen fundamentalen Beitrag geleistet.

(7.1.1.1) 27.06.2007, 09:56, Hans-Gert Gräbe: Keineswegs. Wenn "Eigentum" (der Begriff als "Ding", nicht als Teil einer wie auch immer gearteten Theorie - darum geht es ja Marx in der Fetischdiskussion) Verhältnisse kodiert, welche sind das? "Verhältnischarakter" und "immer schon da" hilft mir da nicht weiter: Ich frage ja nicht "ob", sondern "welche" und (zunächst) nicht, "wo kommen sie her", sondern "wie reproduzieren sie sich genau".

(7.1.1.1.1) 02.07.2007, 16:50, Stefan Meretz: Keineswegs - was? Also "Eigentum" ist schon eine abgeleitete Form der eigentlich konstitutiven Vergesellschaftung über die Wertform. Das wird oft (m.E. auch von Sabine Nuss) nicht ins richtige Verhältnis gerückt. Ich betone das, weil daraus folgt, dass mit der Änderung der abgeleiteten Form, der Rechtsform, sich einiges, aber nichts wesentliches ändern, solange die basale Form der Vergesellschaftung über Wert & Co unangetastet bleiben. Du kennst das von mir. -- Gleichwohl kodiert Rechtsform selbstverständlich auch die Sozialform. Du fragst nun, welche das sind? Wie soll ich da antworten? Alle, die wir kennen? Lies "Copyright & Copyriot"?

(7.1.1.1.2) 07.07.2007, 19:45, Hans-Gert Gräbe: "Keineswegs" meint: Die Frage führt (m.E.) keineswegs von deinem Thema weg. Meine Frage war: Eigentum kodiert oder spiegelt sich oder was auch immer in welchen Verhältnissen (Plural und im Sinne von (6.2.1))? Ich fragte nicht nach "Formen".

(7.2) 21.06.2007, 10:26, Hans-Gert Gräbe: "Luft zum Atmen" muss (noch) nicht durch Anstrengung der menschlichen Gattung reproduziert werden, ist als Beispiel hier also fehl am Platze.

(7.2.1) Freies Gut, 25.06.2007, 13:30, Stefan Meretz: Da habe ich mich an der bürgerlichen Theorie orientiert: http://de.wikipedia.org/wiki/Ökonomisches_Gut -- bin ich reingefallen?

(7.2.2) 29.06.2007, 20:03, Hans-Gert Gräbe: Meinst du folgendes Zitat: "Ein Gut ist frei, wenn es im betreffenden Gebiet zur betrachteten Zeit in so großer Menge vorhanden ist, dass jeder Mensch so viele Einheiten des Guts konsumieren kann, wie er will ... Beispiele dafür sind Luft zum Atmen, Sand in der Wüste oder Salzwasser im Meer."? Ist das wirklich derselbe Güterbegriff, den du hier verwendest (du scheinst davon auszugehen)? Was ist die "Dimension der Eigentumsform" eines solchen Guts? Wird es angeeignet? Verweis auf meine Frage (2.1)

(7.2.2.1) 02.07.2007, 16:55, Stefan Meretz: Ein solches Gut kennt kein Eigentum, so ist "Freies Gut" definiert. Ob es angeignet wird? Hm, ist das Atmen eine Aneignung mit sofort folgender Enteignung (minus Verbrauch)?

(7.2.2.2) 07.07.2007, 19:56, Hans-Gert Gräbe: Für "Freie Güter" gibt es also nach deinem Verständnis keine "Dimension der Eigentumsform". Also für die Betrachtungen hier nicht relevant. Halte ich mal fest und hoffe, dich nun richtig verstanden zu haben.

(8) Hier ist nicht der Ort, alle möglichen Kombinationen durchzugehen. Hier soll begründet werden, dass Informations-, Wissens- und Kulturgüter mit dem üblicherweise verwendeten Begriff des Allgemeinguts nicht ausreichend erfasst sind. Sie besitzen Eigenschaften, die sie von anderen Allgemeingütern derart abheben, dass der eigenständige Begriff des »Universalguts« -- wie von Ernst Lohoff vorgeschlagen -- gerechtfertigt ist.

(9) Allgemeingüter und Universalgüter unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der stofflichen Dimension in Kombination mit ihrer Nutzungsweise. Allgemeingüter können sowohl stofflicher wie nicht stofflicher Natur sein. Sie sind entweder rivalisierend im Gebrauch (etwa: Wasser) oder nicht rivalisierend (etwa: Deich), jedoch stets nicht exklusiv in der Nutzung. Allgemeingüter können nicht Waren sein. Werden sie zu Waren, hören sie sofort auf Allgemeingüter zu sein. Öffentliche Güter sind staatlich erzeugte und unterhaltene Allgemeingüter. Sie können steuerfinanziert oder mit einer Gebühr belegt sein. Schließlich können Allgemeingüter freie Güter sein (etwa Luft). Universalgüter sind nicht stofflicher Natur, nicht exklusiv und nicht rivalisierend im Gebrauch. Sie können dennoch zum Bezahlgut werden. Dies ist dann möglich, wenn der Zugriff auf das eigentlich nicht exklusive Universalgut eingeschränkt oder verhindert wird -- etwa durch Drohung mit rechtlichen Sanktionen oder dem Universalgut äußerlich hinzugefügte technische Zugangsbeschränkungen. Das ist das weitere Thema dieses Textes.

(10) Wird der Gebrauch von stofflichen Allgemeingütern exklusiviert, dann werden daraus Privatgüter, also Güter im Privateigentum, die Waren sein können. Wird der Gebrauch von Universalgütern exklusiviert, dann bleibt deren Universalgut-Charakter zwar erhalten, sie verwandeln sich jedoch in privatisierte Universalgüter (vgl. Lohoff 2007). Während also das Adjektiv »allgemein« bei Allgemeingütern auf die nicht eingeschränkte Nutzung abzielt, beschreibt das Adjektiv »universell« bei Universalgütern die genuinen Eigenschaften des Gutes. Ihre Universalität ist auch nicht durch eine gesellschaftliche, rechtliche oder technische Form aufhebbar, allein der Zugang kann eingeschränkt werden. Ein privatisiertes Universalgut besitzt paradox anmutende Eigenschaften: Es kann nicht getauscht werden, da kein »Händewechsel« stattfindet, denn nach der Hingabe des Gutes bleibt es unverändert in der Verfügung des ursprünglichen Besitzers; die Verbreitung kann gleichwohl an monetäre Transaktionen gebunden werden, das Gut kann sich also in ein Bezahlgut verwandeln. Ein privatisiertes Universalgut besitzt mithin auch keinen Warencharakter, ist also streng genommen gar keine Ware, dennoch kann es »Warenform« annehmen.[3] Diese Paradoxien -- als gäbe es in der Warengesellschaft nicht schon genug -- sind bestens dafür angetan, den wirklichen Gesamtzusammenhang zu verschleiern, weil sie zu einseitigen und damit falschen Schlüssen verführen (ausführlicher dazu vgl. Lohoff ebd.).

(10.1) Händewechsel, 18.06.2007, 10:04, Franz Nahrada: Dieser Punkt ist äußerst wichtig. Von der Formanalyse her ist einsichtig, dass es sich nicht um einen Verkauf handelt, sondern um eine eigentliche vorbürgerliche Form der Übertragung: das Lehen. Proprietäre Software wird bekanntlich nur geliehen, lizensiert. Neu ist, dass die vorbürgerliche Form in einem bürgerlichen Rechtsrahmen mit Rechten und Pflichten des Verleihers daherkommt bzw. diese mühsam ausdementiert werden müssen (Verleiher haftet nicht für diese und jene Anwendbarkeit, Gebrauchswerthaftigkeit etc.)

(10.1.1) Re: Händewechsel, 18.06.2007, 23:33, Stefan Meretz: Guter Punkt, aber wichtig ist hierbei, dass keine (temporäre) Übertragung der Sache stattfindet, sondern man könnte sagen, dass die Nutzungserlaubnis "übertragen" wird, was ja auch real simuliert wird, wenn man im Karton ein "Zertifikat" findet. Wikipedia schreibt dazu: "Man versteht unter Lehen (ausleihen, Lehnrecht, lat. Feudum, Feodum, Beneficium) das ausgedehnteste Nutzungsrecht an einer fremden Sache, das sich auf eine Verleihung seitens des Eigentümers gründet, die zugleich zwischen diesem und dem Berechtigten das Verhältnis wechselseitiger Treue hervorruft." -- Wenn das nicht die Beziehung zwischen Owner (Lehnsherr) und User (Vasall) einer proprietären Software kennzeichnet, zumindest nach Wünschen der "Lehnsherrn"...

(11) Nach dieser phänographischen Vorklärung[4] nun zu den Aneignungskonflikten rund um die Universalgüter Wissen, Software[5] und Kultur. Die paradoxen Eigenschaften von privatisierten Universalgütern bringen Ambivalenzen in Produktion und Distribution hervor, die sowohl auf die immanenten Grenzen der Verwertungslogik verweisen wie auf alternative Handlungsmöglichkeiten jenseits der kapitalistischen Formen. Anders als die Propagandisten der Verwertung behaupten, bieten privatisierte Universalgüter keinen neuen Schub der Wertproduktion, denn aufgrund ihres waren- und wertlosen Charakters sind sie nur in der Lage »Informationsrenten«, also eine Umverteilung anderswo produzierter Wertmassen, zu generieren. Da der Kampf um die bloß äußerliche »Warenform« auf rechtlicher und technischer Ebene ausgetragen wird, eröffnet sich hier auch ein Zugang zur Frage alternativer Handlungsformen, die auf eine gesamtgesellschaftliche Vermittlung jenseits von Tausch, Markt, Wert und Staat verweisen.

(11.1) 21.06.2007, 10:27, Hans-Gert Gräbe: Du betrachtest (hier) ausschließlich die Verteilungsperspektive. Ist das "gesellschaftliche Verhältnis" auch für die Universal- oder Allgemeingüter (primär) ein Verteilungsverhältnis?

(11.1.1) 25.06.2007, 13:33, Stefan Meretz: Nein, ich schreibe hier von "Produktion und Distribution", und das meine ich auch.

(11.1.2) 27.06.2007, 09:58, Hans-Gert Gräbe: Musst du mir genauer erklären. Bei "... nun zu den Aneignungskonflikten ..." sehe ich (hier = in (11) und folgende) keine Produktionsperspektive, ja nicht einmal Distribution in einem theoretisch einigermaßen umfassenden Sinne. Mal abgesehen davon, dass ich das Wort "Distribution" in dem Zusammenhang nicht verstehe - wird hier was verteilt oder nimmt sich jeder, was er braucht? Letzteres natürlich mit allen Zielkonflikten, die dabei auftreten und die auch eine Freie Gesellschaft behandeln muss. In dieser Gesellschaft kriegts halt im Streitfall der, der am meisten zahlt. Ist hier nicht die Gesellschaft mit dem Kapitalismus längst durch die "Stirnerbresche" aus dem "Hegelhaus" raus? Verweis auf http://leipzig.softwiki.de/index.php/WAK.2007-06-21.

(11.1.2.1) 02.07.2007, 22:06, Stefan Meretz: Mir geht's um die Aneignung auf Seiten der Produktion (siehe meine Unterscheidung in 2.1.2.1.). -- Und obwohl gelesen verstehe ich die Stirnerbresche nicht: Ich dachte, das ist unabgegolten im Kommunismus und nicht erfüllt im Kapitalismus?

(12) Welchen Verlauf der Kampf um die Warenform bei Universalgütern nehmen wird, ist offen. Um hier eingriffsfähig zu werden, ist es notwendig, die Widersprüche im Feld sowohl hinsichtlich ihrer Allgemeingültigkeit wie ihrer Besonderheit zu begreifen. Das ist kein einfaches Unterfangen, da neben der bürgerlichen Ideologie als notwendige und auch formadäquate Widerspiegelung der immanenten Handlungsanforderungen an das Warensubjekt auch kritische Ansätze eben jene Ideologie unbewusst aufgreifen und theoretisch reproduzieren. Wie stets spielen dabei zentrale Leitbegriffe eine wichtige denk- und damit handlungsleitende Rolle. In diesem Aufsatz soll es dabei um den Begriff der Knappheit gehen. An ihm will ich exemplarisch zeigen, wie der Rückgriff auf bürgerliche Denk-Kategorien entgegen der Intention der Urheber auf Kosten des kritischen Gehalts ihrer Ansätze geht. Dabei steht die Auseinandersetzung mit den alternativen Denkangeboten am Anfang. Der Standpunkt meiner Kritik bleibt zunächst noch im Hintergrund und wird erst im zweiten Schritt expliziert.

(13) Die Demontage des Knappheitsbegriffs macht es möglich, den wenig geräuschvollen, aber eminent brisanten Kampf um die Warenform bei Universalgütern am Beispiel digitaler Universalgüter wie Software, Kultur- und Wissensprodukten darzustellen. Besonderes Augenmerk richte ich dabei auf das Digital Restrictions Management. Dies eröffnet -- so ist zu hoffen -- eine klarere Perspektive auf alternative Ansätze wie die weiter wachsenden freien Bewegungen im Bereich von Software, Kultur und Wissen.

(13.1) 21.06.2007, 10:27, Hans-Gert Gräbe: Ich fände es spannender, den Begriffswald mal auf einem größeren realen Projekt der Szene wie Eclipse oder Apache durchzudeklinieren, statt auf diesem Gegenstand, von dem Andy Müller-Maguhn schon vor Jahren gesagt hat "Das geht nicht, die haben es nur noch nicht begriffen." Die dauernden Prozesse der Neufassung der Eigentumsordnung, wie es Sabine Nuss fein herauspräpariert hat, sind unabhängig vom Erfolg oder Misserfolg von DRM und vollziehen sich (m.E.) gerade bei den erfolgreichen Projekten der "Szene".

Knappheit als Kategorie

(14) Der Begriff »Knappheit« ist eine Erfindung der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre. Sie geht so: Man nehme einen Alltagsbegriff, in diesem Fall das Wort »knapp« -- laut Wörterbuch bedeutet es »eng anschließend, kärglich, eben zureichend, nicht in vollem Maße«, irgendwie »zu wenig von etwas«. Dann setze man die Bedürfnisse der Menschen auf »unendlich« -- wollen wir nicht immer mehr von etwas? Drittens halte man fest, dass Güter nun einmal »endlich« sind -- es gibt von etwas immer nur abzähl- oder messbar viel. Nun rühre man um: Ein Endliches bezogen auf ein Unendliches ergibt unweigerlich »Knappheit«. Ist doch nicht schwer! Noch einmal bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia (2007a) rückversichert: »Volkswirtschaftlich ist ein Gut genau dann knapp, wenn bei einem Preis des Gutes von Null mehr nachgefragt werden würde als zur Verfügung steht. Knappheit ist damit als Ursache des Wirtschaftens zu betrachten.« Nun, mit dem Preis als weiterer Größe im Bunde, folgt zwingend, dass bei einer Nachfrage über das Maß der Verfügbarkeit hinaus es einen Preis größer Null geben muss, so dass »Wirtschaften« stattfinden kann, damit die Bedürfnisse befriedigt werden können -- wenigstens ansatzweise angesichts ihrer postulierten Unendlichkeit[6]. Da alle Zutaten angeblich zu allen Zeiten gültig und somit naturale Größen sind, findet »Wirtschaften« immer statt -- gestern, heute und auf ewig.

(15) Was geschieht nun, wenn es von einem Gut angesichts einer »Nachfrage« genug gibt? Ist dann alles bestens? Weit gefehlt, denn es findet ja nun kein »Wirtschaften« mehr statt, das gerade das produzieren soll, was wir über das Maß des Verfügbaren hinaus brauchen sollen, damit »Wirtschaften« stattfindet[7]. Damit jener Stillstand etwa angesichts von erreichter Bedürfnisbefriedigung nicht eintritt, damit also Bedürfnisbefriedigung nicht eintritt, auch nicht sektoral oder temporal trotz unter Umständen vorhandener Möglichkeiten, sprich: vorhandener Güter, müssen diese Güter »künstlich knapp« gemacht werden, am besten präventiv. »Künstliche Knappheit« ist somit sehr schlicht definiert als Situation, in der »der Produzent eines Produktes das Angebot unterhalb der Nachfrage hält« (Wikipedia 2007b). Das schließt ungesagt ein, dass Produkte als Angebot und Nachfrage zirkulieren, also Warenform annehmen.

(16) Soweit die Begriffe »Knappheit« und »künstliche Knappheit«. Wie können wir sie dekonstruieren? Es gibt mehrere Ansätze. In der Regel operieren Kritiken der Knappheit mit dem Begriff der Knappheit selbst. Die zugrunde liegende gesellschaftliche Regulationsform von Ware, Geld und Markt wird damit zunächst akzeptiert. Das ist auch vertretbar, wenn klar bleibt, dass sich die Kritik nur innerhalb der Logik der Warenform bewegt. Genau das geschieht jedoch häufig nicht.

(17) Bei der Untersuchung solcher Knappheitskritiken stellen sich zwei Probleme. Einerseits führt der unkritische, affirmative Gebrauch des Knappheitsbegriffes dazu, dass Bestandteile der bürgerlichen Vorstellungen in die eigene Argumentation Eingang finden. Andererseits blenden die Knappheitskritiken zumeist die Differenz von Waren und privatisierten Universalgütern in Warenform aus. Im Folgenden geht es zunächst um den folgenreichen Import, allein der Knappheitsbegriff als Leitkategorie kritischer Argumentationen wird infrage gestellt. Erst anschließend an die Kritik des gängigen Knappheitsbegriffs, die anhand nicht universeller »normaler Güter« entwickelt wird, behandle ich die zusätzliche Problematik der Güterform selbst. Diese Vorgehensweise werde ich am Beispiel zweier kritischer Ansätze durchführen, die sich explizit dem Thema der Knappheit widmen.

(18) Zum ersten Beispiel. Das Wiki »Freie Gesellschaft«[8] liefert folgende Definition von Knappheit (FG-Wiki 2007a): »Natürliche Knappheit liegt vor, wenn Güter nicht in ausreichendem Maße vorhanden oder produzierbar sind, aufgrund ,natürlicher' Faktoren wie der Abhängigkeit von endlichen Ressourcen oder nutzbarem Raum. Unterproduktion liegt vor, wenn Güter zwar in ausreichendem Maße hergestellt werden könnten, aber sich nicht genügend Menschen finden um dies tatsächlich zu tun. Künstliche Knappheit ist eine von Menschen hergestellte Verknappung an sich nicht knapper Dinge (etwa durch Kopierverbote und Kopierschutzmechanismen bei Software).« Im ersten Durchgang lesen sich die drei Bestimmungen vernünftig und kritisch. Beim genaueren Hinsehen offenbaren sich erhebliche Schwächen.

(19) Die Natürlichkeit der ersten Knappheitsform wird mit dem Bezug auf »endliche Ressourcen oder nutzbarem Raum«[9] begründet. Gleichzeitig wird die Natürlichkeit wieder dadurch aufgehoben, dass von Gütern die Rede ist, die nicht »in ausreichendem Maße« -- hier kommt implizit der Bedürfnisbezug ins Spiel -- »vorhanden oder produzierbar« sind. Augenfällig tritt der Widerspruch im Falle des Produzierens zutage. Produzieren bedeutet gerade nicht bloßes Vorfinden eines »Naturgegebenen«, sondern verweist auf den »Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur«, den Marx als »ewige Naturnotwendigkeit« (Marx 1890, S. 57) gesellschaftlicher Vermittlung festhielt[10]. Das »Natürliche« besteht also hier in der Tatsache, dass Menschen ihre Lebensbedingungen herstellen und nicht darin, dass sie der Natur schon Vorhandenes entnehmen -- wie der Verweis auf die endlichen Ressourcen nahelegt. Die Differenz zwischen Produzieren und bloßer Naturentnahme scheint auch in der Definition selber auf, werden doch jene »endlichen Ressourcen« nur unter Vorbehalt -- nämlich durch Kennzeichnung mit Anführungsstrichen -- als »natürlich« gekennzeichnet. Aber nicht erst die Klassifizierung der Produktion als Naturgegebenheit ist problematisch; schon die Interpretation des bloß Vorhandenen als scheinbar eindeutige Naturgegebenheit lässt sich näher besehen nicht halten.

(20) Auch das bloß Vorhandene ist nämlich kein »natürliches Gut« im Sinne eines bloß da-seienden von der menschlichen Produktion unberührten Dings. Die Produktion hat -- ob intentional oder nicht -- das »natürlich Vorhandene« in einer Weise umgestaltet, dass jener notwendige Stoffwechsel teilweise bedrohlich eingeschränkt oder lokal sogar gänzlich unmöglich geworden ist. Natur im Sinne einer gegenüber allem menschlichen Zutun präexistenten Rohform ist so gut wie gar nicht mehr vorhanden. Natur ist längst global produzierte Stoffwechsel- und also Lebensbedingung für jenes Produzieren. Damit produzieren Menschen nicht nur ihre Lebensbedingungen, sondern sie produzieren darüber hinaus gleichzeitig auch die Bedingungen für die Produktion der Lebensbedingungen. Dabei ist die Ausgestaltung des menschlich-naturnotwendigen Stoffwechsels keine überhistorische, formneutrale Angelegenheit, vielmehr handelt es sich bei den heute vorherrschenden destruktiven Formen der Reichtumsproduktion um die notwendige Verlaufsform der Verwertungslogik, die »zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter« (ebd., S. 530).

(20.1) 21.06.2007, 10:32, Hans-Gert Gräbe: Wieso Reichtums"produktion", wenn du die ganze Zeit ausschließlich über die Verteilungsaspekte gesprochen hast? Hier schiebst du unzulässig was rein, was nicht ausargumentiert ist. Schließlich bringt dieser "Reichtum" auch eine Menge von Annehmlichkeiten mit sich, selbst für Hartz-4-Bezieher. Und selbst Hartz-4 ist ja, gegenüber etwa brasilianischen Bedinungen, auch schon eine solche Annehmlichkeit, wenigstens als gesellschaftliches Verhältnis innerhalb des Teils der menschlichen Gattung, der unter die Jurisdiktion dieser "freiesten aller dGOen" fällt. Ich höre hier schon den Aufschrei - sorry, aber auch der provozierte Aufschrei gehört zu den Verhältnissen.

(20.1.1) 26.06.2007, 18:45, Stefan Meretz: In dem ganzen Text geht's mir um die Produktion. Ich kann nicht nachvollziehen, wie du da "Verteilung" reinliest.

(20.1.2) 28.06.2007, 09:45, Hans-Gert Gräbe: Was verstehst du hier unter "Reichtum"?

(20.1.2.1) 02.07.2007, 22:11, Stefan Meretz: "Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine 'ungeheure Warensammlung', die einzelne Ware als seine Elementarform." (MEW 23, S. 49).

(20.1.3) 07.07.2007, 19:57, Hans-Gert Gräbe: Ah ja, ich hatte auch schon einen anderen Reichtumsbegriff bei dir gelesen ( http://www.opentheory.org/info_kap_2 (40) und insbesondere (41)). Du identifizierst hier also "Reichtum" und eine seiner Formen? Gehört der Warnowtunnel zum "Reichtum"? In welchem Sinne ist er "Ware", da er doch so unverrückbar in der Landschaft steht, einmalig ist, und keiner ihn kaufen will (da er - derzeit - nicht mal als spekulatives Objekt taugt; man kann nur durchfahren und am Kassenhäuschen bezahlen)?

(21) Werden Lebensbedingungen der Menschen grundsätzlich als produziert begriffen, so ist durchaus eine gesellschaftliche Form vor- und herstellbar, die nicht destruktiv ist, sondern die Bedingungen für den Stoffwechsel und den Menschen im Prozess selbst erhält, also gute Voraussetzungen für die Produktion guter Lebensbedingungen sicherstellt. Will man diese Frage aufwerfen, dann kann man die Bedürfnisse jedoch nicht nur beiläufig und implizit ansprechen, sondern muss sie ins Zentrum rücken. Sobald man dies tut und »Produzieren« im umfassende Sinne als Herstellung der menschlich-gesellschaftlichen Lebensbedingungen im Verhältnis zu den historisch-spezifischen Bedürfnissen begreift, anstatt es an eine separate Sphäre namens Ökonomie als vor sich hinfunktionierende quasi-kybernetische »Maschine« zu delegieren, wird ein Begriff wie »natürliche Knappheit« obsolet[11]. Denn genau besehen setzt ein solcher Begriff die Sphärenspaltung -- wertbasierte bedürfnisentfremdete Ökonomie hier, wertabgespaltene bedürfnisbasierte Sphäre dort -- bereits voraus, indem er »Produktion« als das Eigentliche und »Bedürfnisse« als das Nachträgliche trennt, die erst in der Zirkulation im Tausch »Ware gegen Geld« zusammenkommen.

(21.1) 21.06.2007, 10:33, Hans-Gert Gräbe: "als produziert begriffen" - wieso kommt das bei dir so eigenartig subjektlos daher?

(22) Sind nicht aber tatsächlich Ressourcen »natürlich endlich«? Ist das Öl nicht »natürlich knapp«? Ist es nicht so, dass nicht jeder am Ufer eines Sees wohnen kann, weil dieses nun einmal eine endliche Länge hat? Solche und andere Fragen lassen sich nur vor dem Hintergrund einer bereits unterstellten Spaltung von Produktion und Zirkulation formulieren, sie sind -- wie Marx sie an anderer Stelle genannt hat -- »objektive Gedankenformen« (ebd., S. 90), ideologische Formen. Danach geht es scheinbar auf dem Markt darum, welche »Bedürfnisse« befriedigt werden können, für die »die Produktion« nur die Mittel bereitstellt. »Bedürfnisse« werden dabei partialisiert, denn sie müssen die Form des kaufkräftigen Bedarfs annehmen und nur in dieser Form und unter Absehung jeglicher Entstehungsbedingungen kann das jeweilige partielle »Bedürfnis« an die Befriedigungsmittel gelangen. Hier hat sich das Verhältnis von Bedürfnissen und Produktion verkehrt: Produktion ist nicht eine Form der Herstellung aller Lebensbedingungen zur Befriedigung von Bedürfnissen, sondern die Bedürfnisse sind dazu da, als partialisierter, geldförmiger Bedarf auf bereits Produziertes zu treffen, bei dem nicht nur über die Darreichungsform der durch Kauf zu erwerbenden Ware, sondern über extrem viele andere Bedürfnisse mitentschieden wird. Jeder Kauf ist nicht nur eine Entscheidung für ein Produkt. Ob der Käufer will oder nicht rechtfertigt der Kaufakt implizit gleichzeitig den Ressourcenverbrauch und die produktionsbegleitenden Zerstörungen, die letztlich auch von den Menschen ertragen werden müssen und -- global unterschiedlich verteilt -- die Reproduktionsbedingungen unterminieren. Auch wenn sich diese Konkurrenz der Bedürfnisse hinter unserem Rücken vollzieht, sind ihre absurden Resultate wohl bekannt und werden allseits beklagt.

(23) Die drei vorher genannten Fragen spiegeln genau die beschriebene Denkform wider und isolieren Bedürfnis und Produkt voneinander. Das Produkt ist bereits »da« und nun frage ich: Werden die Ressourcen reichen, wenn wir so weitermachen? Stoffwechsel bedeutet Umsatz von kohlenstoffbasierten Energieträgern: Wird »Peak-Oil« nicht demnächst schon überschritten? Die Menschen wollen nun einmal am Wasser wohnen: Sind die entsprechenden Grundstücke nicht längst vergeben? Es erscheint undenkbar, ja geradezu irrwitzig, Bedürfnisse und Produkte wieder in ein bewusstes gesamtgesellschaftliches Verhältnis zu setzen. Das würde bedeuten, gesellschaftlich danach zu fragen, für welche Bedürfnisse wir mit welchem Aufwand welche »Produktion« betreiben wollen, wie wir mit Begrenzungen umgehen, wie viel menschliche Energie wir für die Reparatur der Verheerungen kapitalistischer Produktion aufbringen wollen, welche Bedürfnisse wir heute, morgen oder erst übermorgen befriedigen wollen, unter Abwägung der Möglichkeiten der Herstellung der Befriedigungsmittel. Unter Bedingungen, unter denen solche Fragen als Verhältnis von Bedürfnissen und Möglichkeiten zu ihrer Befriedigung gesellschaftlich thematisierbar und umsetzbar wären, unter denen das Verhältnis wieder auf die Füße des Bedürfnisses gestellt wäre, gäbe es keine »Knappheit«. Denn Knappheit ist eine notwendige soziale Form der Warenproduktion, die ex post die zerrissene Beziehung der von den Bedürfnissen entkoppelten Produktion wieder mit nun ausschließlich geldbewährten Bedarfen auf dem Markt vermitteln muss. Dazu gleich mehr.

(23.1) 21.06.2007, 10:36, Hans-Gert Gräbe: Das ist ein klares Plädoyer dafür, die Perspektiven Produktion und Konsumtion als künstliche Trennung in diesem gesellschaftlichen Verhältnis zugunsten einer Produzenten-Koproduzenten-Perspektive aufzugeben, was sie ja bei B2B auf der sachlogischen Seite längst ist (SCM, CRM, ISO 9000 etc. etc.). Kommst du bzw. Lohoff nicht nur bis zur Produktions-Koproduktions-Perspektive? Ist da für dich überhaupt ein Unterschied?

(23.1.1) 26.06.2007, 18:53, Stefan Meretz: Mir geht es nicht um eine "Produzenten-Koproduzenten-Perspektive", weil das Normalität ist und keinen Deut die Verwertungslogik und damit Trennung von Bedürfnissen und Produktion überschreitet. Mir scheint, dass genau das für dich gar kein Problem darstellt.

(23.1.2) 28.06.2007, 09:45, Hans-Gert Gräbe: Du bist auf meine Frage nicht eingegangen. Ich fragte nach dem Unterschied "Produzent-Koproduzent" und "Produktion-Koproduktion".

(23.1.2.1) 02.07.2007, 22:14, Stefan Meretz: Die Frage verstehe ich nicht.

(23.2) 21.06.2007, 10:37, Hans-Gert Gräbe: Was ist der Zusammenhang zwischen Knappheit und dem "gesellschaftlichen Verhältnis"? Ist Knappheit in der hier thematisierten Form nicht eine spezielle Ausdrucksform von Konflikten, die aus der "Taktung" der "Produktion der Bedingungen für die Produktion der Lebensbedingungen" (du in (20)) herrühren? Und werden diese Kommunikationsprozesse nicht auch in einer Marktwirtschaft dauernd geführt? Wieso also Konjunktiv "würde"? Ist nicht gerade die Geldform ein erstes solches Kommunikationsmedium? Infantil natürlich in einem entwicklungslogischen Sinne - wird Zeit, dass das "gesellschaftliche Verhältnis" in die Pubertät kommt ....

(23.2.1) 26.06.2007, 18:59, Stefan Meretz: Deine Verharmlosung von Knappheit als Kommunikationsproblem und der Geldform als Kommunikationsmedium teile ich nicht. Daher auch der Konjunktiv: Eine bedürfnisgesteuerte Produktion jenseits der Knappheit als sozialer Form ist unter Verwertungsbedingungen nicht machbar.

(23.2.2) 28.06.2007, 09:46, Hans-Gert Gräbe: Auch hier: Du gehst nicht auf meine Frage ein (siehe erster Satz). Mit Blick auf (37.1.1) ziehe ich allerdings meine Frage zurück.

(24) Die adjektivische Kennzeichnung als »natürliche Knappheit« legt sein Gegenstück zwanglos nahe: Wenn Knappheit »natürlich« sein kann, dann wohl auch »künstlich«, und zwar, wenn es sich um eine »Verknappung an sich nicht knapper Dinge« (FG-Wiki 2007a) handelt. Es gibt also anscheinend »an sich« (natürlicherweise) reichliche (nicht knappe) und knappe (nicht reichliche) Dinge. Während bei der natürlichen Knappheit zuerst der Widerspruch zum Herstellungsakt ins Auge sprang, der eine behauptete genuine Natürlichkeit dementierte, so ist es hier gleichsam spiegelverkehrt die Abwesenheit der Produktion: Herstellung taucht hier nur auf als von Menschen hergestellte Verknappung, also als das Gegenteil von Herstellung, als Einschränkung von bereits Hergestelltem. Knappheit erscheint hier als Problem der Allokation, der Verteilung. Das ist wahr und falsch zugleich.

(25) Wahr ist, dass es unzählige Beispiele gibt, in denen der Zugriff auf vorhandene Güter durch Einsatz von Rechtsform, Gewalt und Arbeitskraft unterbunden wird. Die Wikipedia-Definition nennt als Beispiel Software; genauso gut ließen sich auch die Million Paar Turnschuhe anführen, die im November 2006 im Hamburger Hafen entdeckt und schließlich verbrannt wurden, weil die Herstellerfirma keinen Lizenzvertrag mit dem Markeninhaber abgeschlossen hatte und die deshalb medial als »Fälschung« bezeichnet wurden. Unwahr ist jedoch, dass es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt, der nur an einem Teil aller vorhandenen Güter exekutiert wird, wie es das Adjektiv »künstlich« nahelegt. Vernichtungsaktionen kommen nicht nur häufig vor, prinzipiell ist jede Knappheit künstlich, da Knappheit mitnichten ein ontologisches Faktum oder eine Begleiterscheinung von »Produktion« schlechthin ist und von der Nutzenseite der Güter her keinesfalls erforderlich wäre, sondern Eigenschaft der Warenproduktion als historisch-spezifischer Form der Produktion. Gleichzeitig ist damit insofern aber auch jede Knappheit natürlich, als Knappheit eine notwendige Wareneigenschaft ist, also der Natur der Warenproduktion entspricht, in der Bedürfnisse und Produkte erst ex post vermittelt werden. Knappheit ist kein den Waren äußerlich aufgeprägter Zusatz, kein bloßes Allokationsproblem, sondern genuiner Bestandteil der Produktion von Gütern als Waren.

(26) An dieser Stelle sei die zweite, bisher ausgeblendete Problemdimension ins Spiel gebracht, denn privatisierte Universalgüter stellen eine gewichtige »Anomalie« (Lohoff 2007) dar. Privatisierte Universalgüter sind äußerlich in Warenform gebrachte Güter, die gleichwohl ihren Universalcharakter nicht verlieren. Obgleich Bezahlgüter in Warenform sind es im engeren Sinne keine Waren. Diese Abspaltung der Form von der Substanz bildet den Kern der Anomalie, die privatisierte Universalgüter auszeichnet. Hier kann man mit einiger Berechtigung davon sprechen, dass den Gütern die Knappheit künstlich aufgeprägt wurde. Hier muss additiv hergestellt werden, was die Produktion nicht erbringt, weil Universalgüter keine Waren sein können. Diese äußerliche, additive Form sorgt zwar für Verkaufbarkeit, nicht jedoch für Werthaltigkeit: Universalgüter, ob in privatisierter oder freier Form, sind und bleiben ohne Wertsubstanz. Das bedeutet für ihren Verkauf, dass angeeignete Geldsummen anderswo produzierte Wertsubstanz umleiten. Die Konsequenzen dieser Form der »Informationsrenten-Ökonomie« können hier nicht diskutiert werden.

(26.1) Begriff "Universalgüter", 18.06.2007, 01:31, Maike Arft-Jacobi: Mir scheint, als würde so argumentiert: es gibt eine Art Güter, die von ihrem "So-sein" her die Warenform sprengen - als wären sie selbst nicht Gesellschaftsdinge, Verhältnisse. Eine Naturalisierung (10: "genuine Eigenschaften"), die beim Begriff der "Knappheit" kritisiert wird. Wenn man sie nicht naturalisiert: Vielleicht haben "Universalgüter" seit jeher schon eine wesentliche Funktion im Kapitalismus, und es sind eben neue "Universalgüter" dazu gekommen? Man könnte "Universalgut"/"konventionelles Gut" dann auffassen als dem Kapitalismus innewohnenden Gegensatz analog zu "Kapital/Arbeit". Was wäre aber dann heute anders als früher?

Die Eigenschaften, die "Universalgütern" als Unterscheidungskriterien zu "konventionellen Gütern" zugesprochen werden, erscheinen mir fragwürdig: nicht stoffliche Natur - daran, dass es "Nichtstoffliches" im Raum/Zeit-Kontinuum "gibt", muss man erst mal glauben; Beschränkungen entstehen durch Bindung an Trägermedien und Anwendung(szeit)en; dass "Universalgüter, einmal in die Welt gesetzt, die Menschheit für immer bereichern" (49) stimmt so nicht - Software, die nicht ständig aktualisiert wird, wird unbrauchbar / Musikdaten müssen entsprechend der akustischen Medien umcodiert werden / Wissen muss umcodiert werden entsprechend der aktuellen Sprache / Reproduktionskosten sind quantitativ geringer, aber nicht nichtvorhanden. Was bleibt als Wesentliches? Ist der Ansatz, danach phänomenologisch zu suchen, angemessen?

(26.1.1) So-sein / genuine Eigenschaften / Naturalisierung, 18.06.2007, 09:54, Stefan Meretz: Dieser Text beschäftigt sich nicht mit der Herleitung des Begriffes "Universalgut", deswegen kommt einiges zu kurz. Der Begriff Universalgut bezieht sich nicht primär auf seine (nicht)gegenständliche Form, sondern auf seine soziale Form. Gleichwohl liegt dem eine spezifische (nicht-stoffliche) Gestalt zugrunde. Man kann zwar sagen, dass alle Universalgüter nicht-stofflicher Art sind, aber nicht, dass alle nicht-stofflichen Güter Universalgüter sind. Entscheidend ist, dass Universalgüter durch allgemeine Arbeit entstehen.

(26.1.1.1) Re: So-sein / genuine Eigenschaften / Naturalisierung, 19.06.2007, 13:23, Wolf Göhring: Ist 'ne strasse universalgut?

(26.1.1.1.1) Re: So-sein / genuine Eigenschaften / Naturalisierung, 19.06.2007, 22:42, Stefan Meretz: Nein, ein Allgemeingut, denn sie ist stofflich, und ihre Nutzung ist rivalisierend. Vgl. dieses Bild zum Unterschied von Allgemeingut und Universalgut.

(26.1.1.2) 29.06.2007, 20:06, Hans-Gert Gräbe: Maike, genau diese Naturalisierung ist nach meiner Auffassung im Begriff "Universalgut" bzw. überhaupt im Begriff "Gut" kodiert. Deinen Ansatz kann man m.E. nur im Begriff der "infrastrukturellen Einbettung marktwirtschaftlicher Aktivitäten" adäquat fassen, siehe mein mawi-paper http://www.opentheory.org/mtb-mawi.

(26.1.2) Funktion von Universalgütern im Kapitalismus, 18.06.2007, 10:08, Stefan Meretz: Ja, Universalgüter haben seit jeher eine Funktion im Kapitalismus, und schon Marx spürt dem ahnungsvoll in den "Grundrissen" nach. Aber "wesentlich" wird diese Funktion erst mit der dritten industriellen Revolution, also -- sehr verkürzt gesagt -- mit der Trennung der algorithmischen Prozesslogik von der physischen Maschinengestalt (analoge Maschine => algorithmische Universalmaschine + Software + universelle Prozessmaschine) und der Anforderung, die nunmehr abgetrennte und nicht mehr gegenständliche Prozesslogik eigenständig zu entwickeln. -- Hm, das ist wohl arg kurz. Guck mal hier

(26.1.2.1) Re: Funktion von Universalgütern im Kapitalismus, 19.06.2007, 13:36, Wolf Göhring: Ich zitier:

"So treffen sich im begriff der turingmaschine und des algorithmus die rationalisierung des oekonomisch-sozialen lebens mit der formalisierung des denkens. Mit der formalisierung ist man bestrebt, die widerspruchsfreie gewissheit von gedankensystemen unabhaengig von den taeuschungen und tuecken des menschlichen verstandes zu gewinnen, freilich mit der konsequenz, sich damit von jeglichem bezug zur wirklichkeit zu loesen, den zusammenhang des zeichens mit dem bezeichneten aufzutrennen. Unter dem kapitalverhaeltnis haben sich mit der abstrakten verwertungslogik menschliche arbeitstaetigkeiten in 'sachliche verhaeltnisse der personen und gesellschaftliche verhaeltnisse der sachen' (Marx) verwandelt. Die sachlogik der verwertung ermoeglicht und erheischt die immer lueckenlosere anwendung der prinzipien der mechanisierung, um unabhaengig vom koennen und eigensinn der lebendigen arbeit effiziente rationalitaet der produktion zu erreichen, diesmal freilich mit der konsequenz, die vorgeschriebenen taetigkeiten jeglichen sinns zu berauben, den produzenten von seinem produkt und von sich selbst zu entfremden." (Peter Broedner: Der ueberlistete Odysseus. Ueber das zerruettete verhaeltnis von menschen und maschinen. S. 48)

Broedner hat sein ganzes buch dem scheitern der eigenstaendigen entwicklung der prozesslogik gewidmet. Von wegen "algorithmische universalmaschine" oder "universelle prozessmaschine". Der maschinenbauer Broedner verweist auf den zusammenhang zwischen Hilberts axiomatisierungsprogramm, tayloristischer arbeitszergliederung und dem konzept der Turingmaschine. Er verweist auf die theoretischen grenzen, die die theoreme von Post und Goedel lieferten, sowie auf die praktischen grenzen in der schnoeden materiellen produktion in den werkhallen des mittelstaendischen maschinenbaus, in denen es kraeftig nach oel und andern schmierstoffen riecht - eine prozesslogik der praktischen art.

(26.1.2.1.1) Re: Funktion von Universalgütern im Kapitalismus, 19.06.2007, 22:44, Stefan Meretz: Das ist mir alles bekannt. Was willst du sagen?

(26.1.2.1.1.1) Re: Funktion von Universalgütern im Kapitalismus, 20.06.2007, 07:22, Franz Nahrada: Schließe mich der Frage an. Tatsächlich ist nicht jede Arbeit durch einen Algorithmus beschreibbar (was nicht heißt das der Algorithmus die einzige geistige Form des Allgemeingutes wäre, es gibt Modelle, Muster etc!!!!) , doch die relativen Fortschritte in der Überwindung von Mühsal und Plackerei durch die Mechanisierung und weitergehend durch die Automatisierung von Produktionsprozessen zu verkennen ist ein starkes Stück. Es wären hier schon Argumente gefragt.

(26.1.2.1.1.1.1) Re: Funktion von Universalgütern im Kapitalismus, 20.06.2007, 08:54, Stefan Meretz: Eine der Illusionen bestand und besteht gerade darin, jede Arbeit einschließlich der Kreativität zu algorithmisieren (ich habe das anderswo mal "Algorithmisierung der Algorithmisierung" genannt). Erinnert sich noch jemand an die CIM-Ruinen? (CIM: computer integrated manufacturing) Das war sowas. -- Also ich meine "Algorithmisierung" nicht affirmativ, sondern beschreibe erstmal nur den Prozess. Die innere Entwicklungsschranke ist die Unmöglichkeit der Unterordnung der menschlichen Kreativität unter das Kapital, oder anders formuliert: Der Widerspruch zwischen Selbstentfaltung und (Selbst-) Verwertung. Hier ist nichts zu "Algorithmisieren".

(26.1.2.2) 29.06.2007, 20:07, Hans-Gert Gräbe: Siehe auch (Fuchs-Kittowski 2002): Unter der Überschrift "Wider die Doktrin der Identifizierung von Automat und Mensch" schreibt er retrospektiv: "Es war damals wie heute die Frage: Welche Stellung hat der Mensch im hochkomplexen Informationstechnologischen System? Unsere Antwort auf die Frage war immer: Der Mensch ist die einzig kreative Produktivkraft, er muß Subjekt der Entwicklung sein und bleiben. Daher ist das Konzept der Vollautomatisierung, nach dem der Mensch schrittweise aus dem Prozeß eliminiert werden soll, verfehlt!" - Eine weitere explizite Replik gegen eine "Anforderung, die nunmehr abgetrennte und gegenständliche Prozesslogik eigenständig zu entwickeln." http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/Texte/Fuchs-02.pdf Stefan und Franz, sind wir uns wenigstens darüber einig, dass es eine Perversion ist, über die auch Wolf mit Verweis auf Broedner schreibt? Wenn ja, wo genau in einer Theorie dieser Gesellschaft ist ihre theoretische Beschreibung anzusiedeln? Ist sie nicht bereits im Begriff "Universalgut" kodiert?

(26.1.2.2.1) Universalgut ist keine Perversion, 30.06.2007, 14:09, Franz Nahrada: Es ist eine Unterschiedlichkeit in der Tonart, die uns hier trennt. Die moralische Forderung aufzustellen dass "der Mensch" (ein ziemliches Abstraktum by the way) die einzig kreative Produktivkraft bleiben MUSS, klingt schon wie eine halbe Kapitulation vor dem Gespenst der Technokalypse. (Von dem wir immer noch gute Gründe haben anzunehmen dass es ein blosses Gespenst ist, im Gegensatz zur Diktatur des Werts, der tatsächlich die lebendigen Potenzen aus dem Produktionsprozess eliminiert. Dort und nur dort wäre in der Theorie der Gesellschaft auch die theoretische Berschreibung der Perversität anzusiedeln.)# Im Begriff des Universalgutes ist keineswegs die Vollautomatisierung kodifiziert, es referenziert schlicht auf das was früher mal unter dem Namen "Wissenschaft als unmittelbare Produktivkraft" bekannt war, was damals aber eher ideologischen Rechtfertigungszwecken diente und keineswegs eine so konzise Realität (Inklusive der unmittelbar gesellschaftlichen Natur des Denkraumes Internet) beschrieb wie dies heutzutage der Fall ist. Universalgüter zeichnen sich dadurch aus, dass sie immerzu und immer wieder in lebendigen Produktionsprozessen verwendet werden können, meinetwegen in Form der Halbautomatisierung.
Um jemanden zu zitieren der das schon vor einem Jahrzehnt unnachahmlich formuliert hat:

(26.1.2.2.1.1) Arbeit und Automation (U.S.), 30.06.2007, 14:24, Franz Nahrada: Die Geschichte menschlicher Arbeit ist von "Automatisierung" geprägt, in dem sehr weitgreifenden Sinne, daß man einmal gelungene Arbeitsvorbereitungen wieder nutzt. Das meint nicht nur das Rüsten von Werkzeug und Maschinen, sondern im kulturellen Verständnis gedankliche und "gestellige" Anstrengungen aller Art. Automaten sind dann die konzeptionellen Strukturen, die bisher erlangte bewährte Arbeitsvorbereitung allgemein verfügbar machen, die tradierbar,und weiterentwickelbar sind. Diese Auffassung ist ebenso einfach wie trafähig für die Einordnung schlichter Gegenstände, für konventionelle Planung bis bis zum Einsatz von Rechnern.
Nun kann man sagen, daß für unsere Wirtschaft weitgehend der Handel mit Kopien (Massenprodukten) des Automaten-Ausstoßes das primitive Leitbild ist. Man kann weiter prognostizieren,daß sich Automatisierung sehr langfristig gesamtgesellschaftlich komplett "amortisiert"; d.h. Die Kopien werden immer weniger wert und ihr Handel immer aggressiver. Das kennen wir,gegen den stetigen Wertverlust setzt man künstliche Differenzierungen, die i.ü. dem Sinn einer "Informationsgesellschaft" unter die Gürtellinie gehen. Aber wir müssen noch einen Faktor berücksichtigen: der Handel und der Wettbewerb mit "Kopien" und solchen Überdifferenzierungen führt zu einem geringeren Ausnutzungsgrad und zu Pseudo-Differenzierungen: kein vermeintlicher Nutznießer kann Produkte von (selbst funktionaler) solcher Komplexität mehr rational im Handlungssystem integrieren; und der erste Wettbewerber,der Features nur noch fürs Image einkonstruiert setzt die anderen unter Druck und so entsteht neben der äußerlichen Überdifferenzierung eine inhaltliche Entdifferenzierung. <
Die "Abwälzungskette" der Wirtschaft tritt in Aktion und wir tauschen letztlich nur noch die Images aus. Trittbrettfahrer tun ihr übriges, daraus entsteht dann eine scheinbare Alternative zum Kopienmarkt - nämlich ein ebenso morbider Dienstleistungsmarkt, auf dem einer nur noch von der (völlig qualifikationsunabhängigen) "Dummheit" bzw.Uninformiertheit der jeweils anderen lebt.
In diesem Teufelskreis gefangen ignorieren wir den voluminösen objektiven Bedarf an konzeptioneller Arbeit, der durch die Gestaltung der automatisierten Gesellschaft entsteht und ignorieren dabei gleich mit: den anreizbaren Bedarf an Entwicklungen, insbesondere systemisch inhaltlicher Qualitäten unserer Gebrauchsnutzentragenden Gegenstände und Strukturen. Man findet im trivialen Alltag in jedem Winkel ein Vielfaches an Entwicklungsbedarf im Vergleich zum stattgehabten. Und dies hat entschieden mehr mit Informationstechnik zu tun, als Multimedia Konsum oder Datenschieberei: Die abstrakte Anwendung - nicht der Verkauf von "SW-Aufklebern" und die damit verbundenen Dienstleistungen - verweist auf den Bedarf, die Modelle unserer Welt zu kultivieren; das haben wir schon immer getan, wo tatsächlich gearbeitet wird, und hier besteht von Beginn der kommerziellen Datenverarbeitung an, geradezu peinliches und absurdes Defizit.
Also: was uns die die Informationstechnik brächte, ist nicht prinzipiell neue Arbeit, es ist allerdings die Perfektionierung und Renovierung aller Arbeit, und eben dadurch, daß datentechnische Modelle diese Arbeit sehr viel sinnvoller und notwendig detaillierter und beständiger zu verrichten gestattet. Wenn wir nur halbsoviel in die Fähigkeit operational-logischen und modellbezogenen Arbeitens an unseren wirtschaftlichen Kontexten investierten wie in symptomorientierte Onlinedienste, dann hätten wir einen florierenden Markt der konzeptionellen (sprich Kopf-)Arbeit." (US) (Der "Markt", den Uli da beschreibt ist freilich einer in dem nicht die Wertgröße der Arbeitsprodukte entscheidet, sondern der bewußt gesellschaftlich antizipierte Nutzen)

(26.1.2.2.2) Verdrehungen, 02.07.2007, 22:49, Stefan Meretz: Die Frage, die Fuchs-Kittowski meint (hochmoralisch, wie sonst) stellen und gleich beantworten zu müssen, ist eine aus den Siebzigern, vielleicht noch Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Da scheint der Kollege stehen geblieben zu sein, und da gehört auch das Broedner-Zitat hin. Das Kapital hat die ganzen CI-Konzepte (computer integrated manufacturing etc.) längst abgehakt bzw. in einer Weise aktualisiert, dass von den alten Totalersetzungsphantasien nichts mehr übrig ist. Heute ist doch die Frage, wie der Mensch sich als ganze Person total der Verwertungslogik unterordnet, sie verinnerlicht und produktiv entäußern kann. Was damals vorlag war eine theoretische "Verdrehung" im Kopf der CIM-Protagonisten, worüber ich mich heute nicht mehr echauffieren kann. -- Ansonsten stimme ich hier Franz zu. Mit Universalgut hat das nicht zu tun, im Gegenteil: Universalgüter und die allgemeine Arbeit, die sie schafft, sind geradezu die Antipoden der bis ins kleinste runterformalisierten Totalautomaten.

(26.1.3) Universalgut vs. konventionelles Gut = Kapital vs. Arbeit, 18.06.2007, 10:20, Stefan Meretz: Der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist in der Tat dem Kapitalismus immanent. Meiner Meinung ist er jedoch nicht Quelle einer möglichen Überschreitung der kapitalistischen Form, weil sich seine widersprüchliche Bewegung allein auf dem Boden dieser Form vollzieht. Der Gedanke, ob nun Universalgut vs. Konventionalgut für einen ähnlichen Gegensatz stehen können, ist interessant. In dem Aufsatz beantworte ich das so: Universalgüter entstehen durch allgemeine Arbeit, die wertunproduktiv ist. Damit kann der Kapitalismus nicht umgehen, obwohl er gleichzeitig immer mehr Universalgüter als universelle Produktionsvoraussetzung für die (wertproduktive) Herstellung konventioneller Güter braucht. Dieser Gegensatz ist krisentheoretisch interessant, enthält aber "an sich" keine überschreitende Potenz. Erst wenn eine Produktionsweise auftritt, die auf der Herstellung von Universalgütern basiert (und das kann nur eine "wertfreie" sein), dann wird auch der Kapitalismus praktisch in Frage gestellt. Diese neue PW kommt jedoch nicht von alleine, sondern muss geschaffen werden. -- Auch sehr kurz gesagt.

(26.1.3.1) 29.06.2007, 20:09, Hans-Gert Gräbe: Warum meinst du einerseits, die Überschreitung der kapitalistischen Form nicht in Termini derselben erklären zu können (was mir plausibel ist), andererseits aber mit dem Begriff "wertunproduktiv" weiterzukommen. Er bezieht sich ja auch - wenigstens in deiner Lesart - zwar negatorisch, aber nur auf eine Begrifflichkeit dieser Gesellschaft? Auch das Adjektiv "wertfrei" einer anderen Gesellschaft ist ja nur ein negativer Bezug auf diese hier, oder?

(26.1.3.1.1) 02.07.2007, 22:28, Stefan Meretz: Mit dem etwas gestelzten Begriff "wertunproduktiv" kommt man nicht weiter, er enthält selbst nichts Überschreitendes -- habe ich aber auch geschrieben. Und "wertfrei" ist in der Tat nur ein Hilfsbegriff, der bloß negativ sagt, was nicht mehr sein soll, aber insofern noch völlig auf diese Gesellschaftsform bezogen ist. Was Aufhebung heissen kann, ist nicht mit einem Wort zu sagen, weil nicht nur das aus meiner Sicht zentrale gesellschaftliche Vermittlungsscharnier "Wert", sondern sehr viele weitere Formen und gegenständliche Inkarnationen (dein Spiegel in den Dingen!) des Kapitalismus zur Disposition stehen (was auch erst mal nur negativ formuliert ist).

(26.1.3.2) Re: Universalgut vs. konventionelles Gut = Kapital vs. Arbeit, 30.06.2007, 14:35, Franz Nahrada: Stefan Du kanst Dir denken dass ich das genau entgegengesetzt formulieren würde. Bei mir würde sich das so lesen: Die Arbeit ist sozusagen autonom geworden, weil durch die zunehmende Kommunizierbarkeit allgemeiner Arbeit oder die Zugänglichkeit der Universalgüter die despotische Vergesellschaftung durchs Kapital nicht mehr ohne Alternative ist, sondern die gesellschaftliche Dimension den unmittelbaren Produzenten viel leichter zugänglich ist. Die lange Ehe zwischen Kapital und Arbeit kann endlich geschieden werden. Aber für die Sache ist dieser Unterschied nahezu irrelevant.

(26.1.3.2.1) Re: Universalgut vs. konventionelles Gut = Kapital vs. Arbeit, 02.07.2007, 22:31, Stefan Meretz: Den Gegensatz sehe ich gar nicht so, sondern es ist gewissermaßen die andere Seite der gleichen Medaille. "Wer aber zahlt mir den Unterhalt nach der Scheidung", fragen sich jedoch natürlich viele (in Begriffen des Geldes), und das ist die Crux.

(26.1.3.2.1.1) Re: Universalgut vs. konventionelles Gut = Kapital vs. Arbeit, 03.07.2007, 11:00, Franz Nahrada: Stimme Dir zu. Die Frage ist blöd, weil der Ehemann bankrott ist und die kaputte Ehe darauf beruht, dass die Ehefrau systematisch abhängig gehalten wird. Es ist also ein Emanzipationsakt notwendig, in dem das "An Sich auf eigenen Füssen stehen können" auch zum Für Sich wird.
Soll heißen: alle Potentiale der autonomen Eigenarbeit haben sich in hohem Reifegrad herausgebildet, dezentrale und/oder distribuierte Produktion zur vollständigen Versorgung (in diesem Sinn meinetwegen "Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft" a la Fresin) ist weitgehend keine Utopie mehr. Linke wie die Krisis Gruppe die mit dem Begriff der Arbeit deren Abhängigkeit vom Kapital festschreiben wollen erfüllen - naja sagen wir mal: keine weitertreibende Funktion. Natürlich geht es nicht nur um Wiederaneignung, sondern auch um Selbstfindung, um Innovation, dafür ist das Scheidungsbild (auch ein Universalgut von U.S.) glaub ich recht passend....

(26.1.4) Nicht-Stoffliches in Raum und Zeit, 18.06.2007, 10:28, Stefan Meretz: Nicht-Stoffliches in Raum und Zeit als Solches gibt es nicht, aber das ist doch klar, oder? Auch die Pythagoras-Formel muss getragen werden, von irgendwem oder irgendwas. Aber die Tatsache, dass ein stofflicher Träger existieren muss, aber durch das Getragene keineswegs vorgegeben ist, welcher das sein muss, ist bedeutend. Es war eine Revolution, die Handwerkzeuge und das operative Wissen des Handwerkers "in" der Werkzeugmaschine zu vergegenständlichen. Und es war eine ebensolche Revolution, sowohl Sachlogik wie auch Zeitlogik (Werkzeuglogik und Wissen) wieder aus der Maschine "raus" zu holen und auf universelle Maschinen zu übertragen, wo sie nun eigenständig weiterentwickelt werden konnten. Natürlich gibt es dort auch immer wieder Beschränkungen. Diese sind jedoch gegenüber dem Sprung, der durch die Trennungen möglich wurde, marginal.

(26.1.5) Reproduktionskosten von Universalgütern, 18.06.2007, 10:53, Stefan Meretz: Du sprichst hiermit einen Punkt an, den Marx in Bezug auf die Produktion "moralischen Verschleiß" im Unterschied zum "technischen Verschleiß" genannt hat. Nun geht es bei deinen Beispielen nicht (nur) um die Produktion,aber dennoch kann man das Problem von hier aus ganz gut durchdenken: Weder Software, noch Musikdaten noch Wissen verschleißen "technisch", folglich gibt es auch keine technischen Reproduktionskosten. Was technisch verschleißt sind die Träger (gleich, ob digitale oder analoge), aber das ist hier nicht angesprochen. Es gibt jedoch so etwas wie "moralischen Verschleiß" von Software, Musik, Wissen, der jedoch unter unseren Bedingungen getrieben wird vom Verwertungszwang, der einen Weiterentwicklungszwang erzeugt. Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, in der dieser nicht existiert, dann könnten wir uns entscheiden, eine Weiterentwicklung zu beenden oder ebenso, eine Weiterentwicklung zu betreiben. Grundlage wären dann nicht mehr Verwertung und Profit, sondern -- vielfach vermittelt, etwa der Naturverbrauch abgewogen etc. -- unsere Bedürfnisse. Bei gestoppter Entwicklung würde Software auch im sozialen Sinne keinesfalls veralten. Allgemeiner gesagt: Das Veralten ist keine Spezifik des Gutes, sondern eine der sozialen Form. Das unterscheidet Universalgüter fundamental von konventionellen Gütern.

(26.1.6) Ansatz phänomenologisch?, 18.06.2007, 11:02, Stefan Meretz: Der Ansatz ist nicht phänomenologisch, sondern begrifflich -- zumindest ist das die Absicht. Der Artikel "Kampf um die Warenform" wendet eher an, was schon vorher begründet wurde, nämlich bei Lohoff 2007 (in Thesenform hier zusammengefasst). Kernthese ist: Universalgüter konstituieren eine besondere soziale Form, die im Kapitalismus sehr widersprüchliche Konsequenzen hat. Kernthese ist nicht: Universalgüter sind nicht-stofflicher Natur und deswegen anders als andere Güter (das stimmt schon phänomenologisch nicht).

(27) Neben der natürlichen vs. künstlichen Knappheit führen die Autorinnen und Autoren eine weitere Knappheitskategorie im FG-Wiki ein -- ist doch nicht der gesamte Argumentationsraum der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre abgedeckt. So wurde für den Fall des »Nachfrageüberhangs« (Nachfrage größer als Angebot) aufgrund fehlender Produktion der Begriff »Unterproduktion« gewählt. Denn ganz offensichtlich sei es doch so, dass bestimmte Dinge nicht hergestellt werden: »Es ist ... zumeist mangelnde Rentabilität -- und nicht Knappheit, d.h. Mangel an benötigten Ressourcen --, die dazu führt, dass Dinge nicht produziert werden, obwohl Bedarf für sie da wäre.«[12] (FG-Wiki 2007b) Die Unterproduktion aufgrund zu geringen Profits fällt hier deswegen in eine eigene Knappheitskategorie, weil der ursächliche Zusammenhang aller drei Aspekte nicht gesehen wird. Der Grund dafür ist der theoretische Nachvollzug der in der bürgerlichen Gesellschaft vorhandenen Trennung von Produktion und Bedürfnisbefriedigung. Die Behauptung, die Knappheitsform »Unterproduktion« würde auftreten, wenn der Profit nicht stimmt, unterstellt, dass bei ausreichendem Profit eigentlich keine Knappheit aufträte. Das ergibt auch Sinn, wenn hier nun die »künstliche Knappheit« einspringt, die dann »an sich nicht knappe Dinge« verknappt. Das jedoch mystifiziert die Knappheit zu einem der Ware generell äußerlichen Phänomen, wie sie bei privatisierten Universalgütern doch so offensichtlich zu beobachten ist: Die separierte Produktion ist zwar im Kapitalismus profitgetrieben, sie erscheint aber als eine an sich neutrale Angelegenheit. Erst in der Zirkulation scheint dem Produkt die Knappheit oktroyiert zu werden, erst hier scheint das Produkt Ware zu werden, und erst hier scheint der Profit zu entstehen. Diese Implikationen reproduzieren -- ich unterstelle: ungewollt -- jenen »Verteilungsmarxismus«, der doch eigentlich zu überwinden sei, denn anderenorts bezieht sich das FG-Wiki explizit positiv auf die Wertkritik (vgl. FG-Wiki 2007b).

(27.1) Produktion im Kapitalismus vs. Produktion in einer Freien Gesellschaft, 18.06.2007, 22:19, Christian Siefkes: Indem du hier einen anderen Artikel zitierst (den Kapitalismus-Artikel), unterstellst du, es dort ginge um Unterproduktion als spezifisch kapitalistisches Problem. Aber in den Knappheits-Artikeln ging es uns ja nicht nur um den Kapitalismus, sondern auch und v.a. darum, wie die Produktion außerhalb des K. (in einer "Freien Gesellschaft") organisiert werden kann. Un da ist es halt nun mal so, dass "natürliche Grenzen" (oder "natürliche Knappheit" - aus den jeweiligen Charakterisierungen geht ja durchaus hervor, dass wir mit diesen Begriffen dasselbe meinen) und Unterproduktion (ich möchte/brauche etwas, kann es aber nicht selber herstellen, und konnte bislang auch sonst niemand dazu bewegen es herzustellen) nach wie vor Probleme sein werden, auch wenn Rentabilität und rein "künstliche Knappheit" (a la Kopierschutz) dann keine Rolle mehr spielen würden.

(27.1.1) Re: Produktion im Kapitalismus vs. Produktion in einer Freien Gesellschaft, 19.06.2007, 22:52, Stefan Meretz: Wenn du im Knappheitsartikel auch die Freie Gesellschaft behandeln willst, in der es keine Knappheit als soziale Form (so wie ich das darlege) gibt, dann vermischt du hier Unvereinbares. Am besten, du nimmst einen neuen Anlauf und trennst Knappheit im Kapitalismus und meinetwegen Unterproduktion (unglücklicher Begriff, weil der von den Bedürfnissen abstrahiert) in der Freien Gesellschaft. Es geht um die soziale Form, um das Verhältnis von Bedürfnissen und Produktion, und unterscheiden sich fundamental.

(27.1.1.1) Re: Produktion im Kapitalismus vs. Produktion in einer Freien Gesellschaft, 20.06.2007, 06:59, Franz Nahrada: Das Absurde ist, dass die kapitalistische Produktionsweise nahezu jedem Bedürfnis, wenn es ein zahlungsfähiges ist, Befriedigung verspricht. Realiter negiert sie die nicht zahlungsfähigen Bedürfnisse. Es kann gesagt werden, dass es noch nie eine Produktionsweise gegeben hat die derartig viele Bedürfnisse negiert hat. Zum Teil auch deswegen, weil jeder Bezug zwischen dem System der Bedürfnisse und dem System der Arbeiten gekappt ist und nur das einzelne zahlungsfähige Bedürfnis zählt. Dadurch entstehen Disproportionalitäten die auch in einer anderen Gesellschaft nicht aufhebbar sind. "Teilchenbeschleuniger und Luxusyacht" sind Ikonen einer Produktionsweise, die zwar enorme Güter produzieren kann, aber auf die Masse der Bedürfnisse eben keine Rücksicht nimmt.
Der Begriff der Knappheit ist eine ebenso absurde ökonomische Kategorie wie die des Wachstums, weil er die prinzipielle Unfähigkeit des ökonomischen Systems zur Produktion eines ausreichenden Reichtums auf der einen Seite zur gesellschaftlichen Natureigenschaft erklärt, ebenso wie auf der anderen Seite den schrankenlosen Anspruch auf Vermehrung und Ausdehnung der Produktion.
Michel Bouwens hat vorgeschlagen, die Kritik des Kapitalismus in zwei Grundsätzen zusammenzufassen, und ich finde das Konzept sehr überlegenswert:
Auf der einen Seite erzeugt diese Produktionsweise die Illusion der Machbarkeit unendlicher Produktion und der Verfügbarkeit unendlicher Ressourcen, wo doch bekanntermassen die materielen Ressourcen endlich (und das heisst noch lange nicht knapp!) sind.
Auf der anderen Seite limitiert diese Produktionsweise das einzige Gut, das tatsächlich in unendlicher Menge vorhanden ist, nämlich die Kreativität und Imaginativität des menschlichen Geistes, und beschränkt damit die wichtigste Reichtumsquelle

(27.1.1.1.1) Re: Produktion im Kapitalismus vs. Produktion in einer Freien Gesellschaft, 20.06.2007, 08:56, Stefan Meretz: Ich finde die zwei Grundsätze zwar sehr allgemein, aber ganz geeignet - sozusagen "bündnisfähig". Wenn man das allerdings ausargumentiert, werden die jeweiligen Begründungen sehr unterschiedlich sein.

(28) Zum zweiten Beispiel. Sabine Nuss (Nuss 2006) verwendet die Begriffe natürliche und künstliche Knappheit in ähnlicher Weise wie die Autorinnen und Autoren des FG-Wiki. Allerdings erkennt und formuliert sie wesentlich schärfer den Zusammenhang von Eigentums- und Warenform[13] kapitalistischer Produktion: »Der spezifisch kapitalistische Aneignungsprozess hat ... zur Voraussetzung, dass Produkte, sofern sie Warenform annehmen sollen, ,knapp' sein müssen, das heißt, dass sie nur der zahlungsfähigen Nachfrage zugänglich sein dürfen.« (ebd., S. 205) Nuss konstatiert, dass »künstliche Verknappung ... bei allen Gütern erfolgen muss, wenn sie für den Warentausch produziert werden. Bürgerliches Eigentum ist die Erzeugung künstlicher Knappheit.« (ebd.). Doch damit hypostasiert sie den Begriff des »Künstlichen«, als ob erst eine generell zusätzlich zur Produktion durchzuführende Aktion -- die »Verknappung« eben -- aus Gütern Waren macht, als ob die Güter in der Produktion bloße Güter sind und nicht bereits als Waren erzeugt würden. Bei Nuss ist diese eigentümliche Trennung von Produktion und Zirkulation insofern verständlich, als sie sich theoretisch an Michael Heinrich orientiert und diese Interpretation des Verhältnisses von Zirkulation und Produktion dessen Ansatz insgesamt durchzieht.[14] Diese theoretische Nähe hat aber ihren Preis. Indem Nuss die Knappheitsproduktion generell zu einem der eigentlichen Produktion nachgeschalteten Prozess erklärt, missversteht sie ein spezielles Merkmal der Produktion privatisierter Universalgüter als allgemeine Wareneigenschaft. In Wirklichkeit handelt es sich aber gerade dabei um eine warengesellschaftliche Anomalie. Diese tritt gerade dort auf, wo die Warenform Nicht-Waren oktroyiert wird.

(28.1) Was heißt da "nachgeschaltet"?, 18.06.2007, 22:56, Christian Siefkes: Die geplante Zirkulation als Ware ist ja im Kapitalismus immer Voraussetzung für die Produktion von Waren. Eine Ware wird nur dann produziert, wenn der Produzent damit rechnet, sie profitabel absetzen zu können, was normalerweise Knappheit voraussetzt (was schon allen in hinreichendem Maße zur Verfügung steht, kann man schwerlich verkaufen). Das gilt für deine Universalgüter genau wie für alle anderen Waren: wenn Microsoft nicht davon ausgehen würde, mit Windows einen Profit zu machen, würde es Windows gar nicht erst produzieren. Insofern ist die mutmaßliche Knappheit bei der kapitalistischen Produktion von Universalgütern genauso notwendige Voraussetzung für die Produktion wie bei allen anderen Waren.

(28.1.1) Re: Was heißt da "nachgeschaltet"?, 19.06.2007, 22:55, Stefan Meretz: Das stimme ich dir zu. Jedoch entsteht in der Zirkulation weder der Wert (das sagt Sabine nicht), noch die Knappheit (das sagt sie).

(28.1.2) 21.06.2007, 10:39, Hans-Gert Gräbe: Mehr noch: Die Produktion ist - in einem arbeitsteilig organisierten Kontext - auch Folge der Zirkulation, weil ich mich natürlich in meiner eigenen Arbeit auf die Zuarbeiten der anderen verlassen muss. Das ist überhaupt nicht an die spezielle spätkapitalistische Form gebunden, sondern muss in jeder arbeitsteiligen, also in jeder zukünftigen Gesellschaft organisiert werden. (Ruben-98): Wie kann Marx über der Perspektive des Verkaufens die Perspektive des Kaufens übersehen?

(28.1.2.1) 26.06.2007, 19:07, Stefan Meretz: Die Zirkulation ist eine spezifische Form der Warenproduktion, muss also keinesfalls in "jeder arbeitsteiligen, also in jeder zukünftigen Gesellschaft organisiert werden". Diese wiederkehrende Ontologisierung historisch-spezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse verstellt dir systematisch den Blick: Eine Erscheinung zur Seinsweise erklärt, und schon ist sie raus aus dem Diskurs und der Kritik - mit der Folge der (gedanklichen) Perpetuierung des immer Gleichen.

(28.3) 21.06.2007, 10:41, Hans-Gert Gräbe: Worin also besteht die "warengesellschaftliche Anomalie"? Welche impliziten Annahmen stecken da drin, denn es kann ja keine Anomalie sein, dass sich autonome kooperative Produzenten arbeitsteilig organisieren und dabei Formen "produzieren", in denen dieses inhärent konfliktäre Feld prozessiert wird. (Auch) das ist ja die Warenform. Dass sich in diesem "Ding" (auch) die Machtverhältnisse der Gesellschaft spiegeln, ist eine Binsenweisheit, hilft allerdings bei der Analyse der kooperativen Potenzen der Warenform nicht weiter (wenn ihr diese überhaupt analysieren wollt und nicht nur über Utopien reden).

(28.3.1) 26.06.2007, 19:10, Stefan Meretz: Zur Anomalie vgl. Abs. 26.

(29) So wie Knappheit als Akt der Verknappung erscheint und somit »künstlich« ist, so erscheint die Endlichkeit bestimmter Güter bei Nuss als »natürlich«: »Natürlich gibt es Produkte, die ,von Natur aus' endlich sind, wie beispielsweise fossile Energieträger. Hier handelt es sich aber um eine natürliche Knappheit (also eine Knappheit auf der stofflichen Ebene), nicht um eine gesellschaftlich erzeugte (also um eine Knappheit auf der Ebene der gesellschaftlichen Formbestimmung).« (ebd., S. 206, Herv. im Original). Aus der Problematik der in naher Zukunft erreichten Schranken der Förderbarkeit bestimmter Ressourcen, die Ergebnis der spezifischen Produktionsweise sind und mithin auf der »Ebene der gesellschaftlichen Formbestimmung« zu verhandeln wären, schließt Nuss auf eine »natürliche Knappheit«. Aber mit einer schlichten »Verwechslung von Wesen und Erscheinung« kann das Problem nicht abgetan werden. Fragen wir also: Sind nicht wirklich die »Produkte ... endlich«? Die Produkte? Oder die Grundstoffe, die zu Produkten verarbeitet werden? Welche Produkte eigentlich, für welches Bedürfnis? Auch hier wird wieder so getan, als gäbe es »die Produktion« unter Abstraktion jeglicher Bedürfnisse. Der gesellschaftliche Schein der Trennung von Produktion und Bedürfnis wird hier als »natürliche Knappheit« mystifiziert: Dort ist Produktion, und so wie sie dort läuft, ist sie endlich, also knapp, zuerst das Öl -- das sieht doch jede/r! Von einer genauen »Formbestimmung« wird genau dort abgesehen, wo sie erforderlich wäre.

(29.1) 21.06.2007, 10:42, Hans-Gert Gräbe: Geht es hier um die Produktion der Lebensbedingungen oder die Produktion der Bedingungen der Produktion der Lebensbedingungen (deine Unterscheidung (20)) oder ist das (hier? oder überhaupt?) unwesentlich? Falls nein: Gibt es so was wie die Produktion der Bedingungen der Produktion der Bedingungen der Produktion der Lebensbedingungen? Usw.

(29.1.1) 26.06.2007, 19:15, Stefan Meretz: Hier geht es um die Kritik der Mystifikation der "natürlichen Knappheit" - unter den in Abs. 20 ausgeführten Differenzierungen.

(30) Aber auch auf der bloß »stofflichen Ebene« wird es nicht besser. Die Aussage, dass »Produkte ... endlich sind« ist zwar richtig, aber so allgemein wie nichtssagend. Es gilt für buchstäblich alle Stoffe -- über kurz oder lang. Die Frage ist jedoch, in welcher Weise die Menschheit ihren endlichen Aufenthalt auf der Erde angesichts der Endlichkeit ihrer stofflichen Beschaffenheit gesellschaftlich herstellt, in welcher Weise sie also gesellschaftlich das Verhältnis von Bedürfnissen und Produzierbarem organisiert. So gesehen ist alles »knapp«, womit sich jedoch vollends der Erkenntnisgehalt des Begriffs verflüchtigt.

(31) Unbesehen dieses Defizits -- letztlich, weil sie den Begriff Knappheit nicht antasten möchte -- kritisiert Nuss jedoch zurecht die unter den Kritiker/innen des »geistigen Eigentums« (wozu auch das FG-Wiki Projekt gehört) verbreitete schlichte Dichotomie von »stofflich = natürlich knapp« und »unstofflich = nicht knapp«: »Die kapitalistische Produktionsweise erzeugt mit der Annahme einer natürlichen Knappheit der Güter eine Denkform, welche Voraussetzung der bürgerlichen Eigentumstheorie ist und welche auch die Kritiker des geistigen Eigentums teilen, indem sie auf die Nicht-Knappheit des Immateriellen als Gegensatz zur Knappheit des Materiellen verweisen.« (ebd., S. 208) Zwar schränkt sie die Bindung des »Stofflichen« an die Knappheit ein und dekonstruiert diese als im Wesentlichen »gesellschaftliche Formbestimmung«, jedoch hält sie an der Dichotomie »natürlich knapp« vs. »künstlich knapp« letztlich fest. Das hindert sie daran, den Kern der Dichotomie stofflich/knapp vs. unstofflich/unknapp freizulegen: Als Waren hergestellte Güter sind knapp, unabhängig von ihrer stofflichen Beschaffenheit; bei den in die Warenhülle gepressten privatisierten Universalgütern ist jedoch die Knappheitsproduktion an Produktmodifikation (Kopierschutz) und juristische Zusatzmaßnahmen gebunden -- insofern sprechen die Kritiker/innen des »geistigen Eigentums« mit ihrer falschen Gegenüberstellung von »künstlicher« und »natürlicher Knappheit« also durchaus einen realen Unterschied an.

(32) Für eine begriffskritische Wendung des Problems »Knappheit« ist mehr theoretische Substanz erforderlich. Ernst Lohoff hat in einem früheren Aufsatz »Zur Dialektik von Mangel und Überfluss« (1998) bereits Grundsätzliches beigesteuert. Lohoff bringt die Paradoxie der »Identität von Mangel und Reichtum« (ebd., S. 58) folgendermaßen auf den Punkt: »Knappheit wird naturalisiert, indem sie konsequent zunächst mit Mangel, also unzureichender menschlicher Bedürfnisbefriedigung, durcheinandergeworfen wird und dieser wiederum mit der Endlichkeit aller Ressourcen. (...) ,Knappheit' resultiert weder aus der quantitativen Begrenztheit aller von Natur vorhandenen oder von Menschen erzeugten Dinge noch aus einem vorausgesetzten prinzipiellen Mangel an Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung; die ökonomische Setzung Knappheit erzeugt vielmehr ihrerseits erst systematisch jenen Mangel, der ihr Urgrund sein soll.« (ebd., S. 59) Die initiale »Setzung« als »Schaffung von absolutem Mangel« durch »ursprüngliche Expropriation« (ebd., S. 66) erfolgt im Prozess der historischen Durchsetzung des Kapitalverhältnisses und des Privateigentums: »Privateigentum fällt mit der Konstitution von Mangel zusammen, weil es für einen grundsätzlich exkludierenden Bezug auf alles steht, was zum gesellschaftlichen Reichtum zählen kann.« (ebd., S. 67f.)

(33) Um den Austausch von »Knappem« als universelles gesellschaftliches Prinzip zu etablieren, musste dafür gesorgt werden, dass »auch die Arbeitskraft zum ,knappen Gut' mutiert« (ebd., S. 73). Das war nur möglich, indem die Lebenszeit der Menschen aufgespalten wird in eine für einen fremden, abstrakten Zweck von der »eigentlichen Lebenszeit ,ab(ge)spart(e)'» (ebd.) und zu opfernde Zeit und einen Rest, der der Reproduktion der Opferzeit dient. Diese Mutation vom Menschen zum Arbeiter war Teil der »Urverbrechen der Warengesellschaft«, der »gewaltsame(n) Zerstörung aller knappheitsfreien Formen von Reichtumserzeugung« (ebd., S. 65f.). Denn: »Wären die (re)produktiven Tätigkeiten für diejenigen, die sie ausüben, unmittelbare Lebensäußerung und Lebensbedürfnis, so könnten sich die Erzeugnisse niemals als Ensemble knapper Güter vergegenständlichen.« (ebd., S. 73)

(33.1) 21.06.2007, 10:43, Hans-Gert Gräbe: Ist nicht selbst für eine "ungespaltene" Persönlichkeit Lebenszeit genuin knapp? Selbst für Robinson auf der Insel, wenn er "alles unter Kontrolle" haben möchte, also die Sache mit der Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen ernst nimmt. Da wird die Verzichtsperspektive evident. Ist aber nicht jede Entscheidung, eigene Zeit für dieses aufzuwenden, zugleich eine Entscheidung gegen jenes? Den letzten Satz verstehe ich in diesem Kontext schlicht gar nicht. Für mich folgt aus meiner Argumentation hier das glatte Gegenteil: Da die (re)produktiven Tätigkeiten für diejenigen, die sie ausübern, unmittelbare Lebensäußerung und Lebensbedürfnis sind, tragen die produzierten Dinge einen Teil dieses inneren Konflikts (zwischen meinen Bedürfnissen heute und morgen) und können sich gar nicht anders denn als Ensemble knapper Güter vergegenständlichen.

(33.1.1) 26.06.2007, 19:24, Stefan Meretz: Über eine Robinsonade, die die bürgerliche Ökonomie liebt, ist dir das nicht zugänglich.

(34) Der Terror des absoluten Mangels sowohl an Subsistenzmitteln wie opferfreier Lebenszeit, war auf Dauer für die Reproduktion des warengesellschaftlichen Systems als Ganzem dysfunktional, denn ähnlich wie bei der bloß formellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital in Formen der absoluten Mehrwertsteigerung durch Ausweitung des Arbeitstages, Kinderarbeit etc. waren die Grenzen bald erreicht. Die Systemkonstitution der Warengesellschaft war erst in dem Maße abgeschlossen, wie der Mangel nicht mehr nur äußerliches Prinzip, sondern integraler Bestandteil der Reproduktion der Verwertungslogik wurde. Folglich: »An die Stelle des absoluten tritt der sich selber perpetuierende relative Mangel. An die Stelle äußerlicher Gewalt tritt der verinnerlichte Zwang, die Knappheitslogik von sich aus mitzuexekutieren.« (ebd., S. 75) Mit dem »perpetuierten relativen Mangel« kommt die Knappheit auf ihren Begriff, die jene Paradoxie von Armut im Überfluss wieder und wieder erzeugt und vor der die meisten kritischen Kritiker/innen im changierenden Schein von »künstlicher versus natürlicher Knappheit« kapitulieren.

(35) Doch auch der »Reichtum an Knappheit« (ebd., S. 57) ist durch seine eigene Verknappung bedroht -- dies jedoch nicht wie bei Nuss als äußerliche Beschränkung, die der Kapitalismus ohnehin nicht akzeptieren würde, sondern als Resultat der eigenen Funktionslogik, die darin besteht, sich die abstrakte Arbeit als Substanz, die diesen Prozess überhaupt in Gang hält, unterm Hintern wegzurationalisieren. Die zunehmende Knappheit an Knappheit tritt jedoch nicht als Wiedergewinnung von geopferter Lebenszeit der Arbeitenden in Erscheinung, sondern als »Rückkehr vom relativen Mangel zum absoluten« (ebd., S. 81). Mitten in diesen Prozess hinein fällt nun der Bedeutungszuwachs jener Güterklasse, die es wieder richten soll, deren Knappheit jedoch nicht mehr an stoffliche Schranken zu binden ist. Beim Kampf um die Warenform unstofflicher Güter wie Wissen, Software und Kultur geht es unversehens und ungeahnt ums Ganze.

(35.1) Das ist wichtig, 20.06.2007, 07:15, Franz Nahrada: Vom Standpunkt der Verwertung des Kapitals ist es tatsächlich egal, ob diese Verwertung durch das Investment in eine Fabrik oder durch den Kauf eines Patentes erfolgt; in G-G' ist jeder Bezug auf die Natur der Reichtumsquelle ausgelöscht.
Der Zugriff des Kapitals auf Allgemeingüter ist extremer Ausdruck einer Verwertungskrise (zuviel Geschäft für weiteres lukratives Geschäft) und verschärft sie gleichzeitig , denn was auf der einen Seite für das Einzelkapital lukrativ erscheinen mag, ist für das Gesamtkapital eine Katastrophe. (Ausfall produktiver Ressourcen, Verhinderung von Produktion)
Der ständig prekarisierte und verminderte Zugriff auf Allgemeingüter ist wie ein Ohmscher Widerstand, eine Dauerbremse, die den gesellschaftlichen Produktivitätsfortschritt durch Informations- und Kommunikationstechnologien mehr als kompensiert. Umgekehrt ist es vermutlich genau diesen Fortschritten der Produktion und Logistik zu verdanken, dass die Katastrophe der Allgemeingüter als verstärkendes Element der finalen Krise noch nicht zu einem Zusammenbruch dieser Produktionsweise geführt hat. Die Betonung liegt auf "noch".

(36) Lohoff verwendete in seiner früheren Analyse einen deskriptiven Begriff von »Knappheit« und vermied dabei die Auseinandersetzung mit bürgerlichen Konzepten. Das FG-Wiki und Nuss blieben auf der Grundlage der bürgerlichen Knappheitskonzepte und versuchten immanent eine Kritik zu formulieren. Das Wiki-Projekt tappte dabei in die Falle der Isolierung der scheinneutralen »Produktion« von den -- in der bürgerlichen Gesellschaft auch real -- separierten »Bedürfnissen«, die ohnehin nur als »Bedarf« interessieren. Trotz ihrer Kritik an der unter den Kritiker/innen des »geistigen Eigentums« verbreiteten Dualität von stofflich = knapp/nicht stofflich = nicht knapp ist auch Nuss, die ebenfalls die Spezifik der privatisierten Universalgüter übergeht, davon nicht frei. Um hier weiterzukommen, ist es also erforderlich, die von Lohoff formulierte inhaltliche Kritik auf eine begriffliche Ebene zu heben und die »Knappheits«-Vorstellung selbst zu dekonstruieren und zu reformulieren.

Knappheit, Begrenzungen, Voraussetzungen

(37) Kritik und Reformulierung beginnen damit, dass wir uns den begrifflichen Kontext vergegenwärtigen: Es geht um die Art und Weise wie Menschen ihr Leben gewinnen. Menschen finden ihre Lebensbedingungen nicht bloß vor, sondern sie stellen sie aktiv her. Dies tun sie von vornherein in einem gesellschaftlichen Zusammenhang, und da die individuelle Existenz gesamtgesellschaftlich vermittelt ist, hat jede/r an der Herstellung und Nutzung der Lebensbedingungen teil. Diese Teilhabe muss durchschnittlich jene Beiträge erbringen, die für den Erhalt des gesellschaftlichen Zusammenhangs erforderlich sind, was jedoch nicht festlegt, ob, in welcher Weise und wann sich der konkrete einzelne Mensch an der Herstellung der notwendigen Beiträge beteiligt. Dieser Möglichkeitsraum[15] ist es, der grundsätzlich erlaubt, historisch spezifische Formen der gesellschaftlichen Vermittlung einzugehen, was jedoch nicht bedeutet, dass eine bestimmte gesellschaftliche Form historisch determiniert wäre. Gleichwohl gab und gibt es historisch unterschiedliche Voraussetzungen, die in der konkreten Situation zu unterschiedlichen Möglichkeitsräumen und damit Formen der gesellschaftlichen Vermittlung führten: Im Nachhinein können wir sie begründen, in der Vorausschau können wir sie nicht angeben.

(37.1) 21.06.2007, 10:45, Hans-Gert Gräbe: Wieso wird hier unvermittelt aus dem "gesellschaftlichen Verhältnis" ein "gesellschaftlicher Zusammenhang"?

(37.1.1) 26.06.2007, 19:32, Stefan Meretz: Das "gesellschaftliche Verhältnis" hast du hier reingetragen. Ich selbst verwende den Begriff "Verhältnis" im Text wesentlich konkreter (oder lasse Marx es ausdrücken wie in Abs. 6). Deswegen gibt es einen unvermittelten Übergang nur in deiner Art, den Text zu lesen.

(38) Die warengesellschaftliche Form der gesamtgesellschaftlichen Vermittlung ist eine historisch-spezifische. Sie erzeugt objektive Gedankenformen und setzt ihre basalen Kategorien als überhistorische: So wie jetzt ist es im Prinzip immer gewesen. Ihre immanenten Referenzen auf scheinontologische Gewissheiten verstärken diesen Schein: Wirtschaft ist immer gewesen, weil immer Knappheit war -- und umgekehrt. Um das zu durchbrechen, müssen wir uns klar machen, welche realen Verhältnisse die Begriffe widerspiegeln, mit denen wir diese Verhältnisse denkend reflektieren. Dies geht natürlich nicht von einem fiktiven Außenstandpunkt aus, und auch die Kritik der bestehenden bürgerlichen Gedankenformen ist Teil des Raumes der Denk- und Handlungsmöglichkeiten und damit durch ihren Gegenstand begrenzt. Diese Möglichkeit der Kritik darf nicht verschenkt werden, etwa um der besseren Verständlichkeit willen. Begreifendes Denken überschreitet das oberflächenverhaftete deutende Alltagsdenken[16], und das ist jedes Mal mit dem Aufbringen von Denkenergie verbunden. Es gibt keine deutende Abkürzung, und es gibt auch keinen »Denk-Level«, den man einmal erreicht automatisch dauerhaft inne hätte. Begreifen ist immer wieder anstrengend. Voraussetzung, aber keine Garantie, sind angemessene Denkmittel. Das sind solche Begreif-Begriffe, für die das Durchdringen des oberflächlichen Scheins konstitutiv ist. »Knappheit« ist nicht dadurch kritisch zu wenden, indem wir gegen sie sind, sondern nur, indem wir den Begriff dekonstruieren und reformulieren.

(39) Das Herstellen oder Produzieren des gesellschaftlichen Lebens ist im umfassenden Sinne zu verstehen. Hiermit ist also nicht ein Produzieren in einer abgetrennten gesellschaftlichen Sondersphäre, der sogenannten Ökonomie, gemeint, sondern alle Lebenstätigkeiten sind an der Erzeugung unserer Lebensbedingungen beteiligt. Alle. Damit ist klar, dass im engeren Sinne produzierende Tätigkeiten, also das Herstellen der Mittel zum Leben durch Stoffwechsel mit der umgebenden Natur -- seien es direkt Lebensmittel oder Mittel zur Herstellung von Lebensmitteln --, abhängig sind von den Bedürfnissen und den Möglichkeiten zur Herstellung der Lebens-/Mittel. Das Verhältnis dieser drei Aspekte: Bedürfnisse und Mittel zur Herstellung der Befriedigungsmittel durch Stoffwechsel mit der Natur spiegelt den historisch-spezifischen Stand der Produktivkraftentwicklung wider[17]. Dieses Verhältnis ist von vornherein als dynamisches und unabschließbares Verhältnis zu denken, in dem sich die drei Aspekte wechselseitig bedingen: Bedürfnisse können sich nur auf dem erreichten Stand der potenziell erreichbaren Befriedigungsmöglichkeiten entwickeln; die Entwicklung der Mittel zur Herstellung der Lebensmittel wiederum ist abhängig von Stand der gesellschaftlich kumulierten Erfahrung und Techniken; die Naturbedingungen verändern sich mit jedem »Akt des Stoffwechsels« usw. All diese Zusammenhänge implizieren immer eine Differenz zwischen Bedürfnissen und Befriedigungsmöglichkeiten, die jedoch keinesfalls die Form des Mangels oder gar der Knappheit annehmen muss.

(39.1) 21.06.2007, 10:46, Hans-Gert Gräbe: Das ist aber ein anderes Verhältnis als das "gesellschaftliche Verhältnis", auf welches du dich in Punkt (6) beziehst. Das eine (hier) bezieht die Natur mit ein, das andere (dort) ist ein Verhältnis innerhalb der menschlichen Gattung.

(39.1.1) 26.06.2007, 19:37, Stefan Meretz: Gut erkannt: In diesem Absatz abstrahiere ich von der gesellschaftlichen Form.

(39.2) 21.06.2007, 10:46, Hans-Gert Gräbe: Bedeutet "Differenz zwischen Bedürfnissen und Befriedigungsmöglichkeiten" für dich wenigstens immer Verzicht? Nämlich auf die Befriedigung eines Bedürfnisses mangels Möglichkeit? Deinen letzten Halbsatz verstehe ich dann nicht, es sei denn als kognitive Dissonanzreduktion.

(39.2.1) 26.06.2007, 19:43, Stefan Meretz: Die Differenz muss auch nicht die Form des "Verzichts" als individuelle Seite der sozialen Form "Knappheit" annehmen.

(40) Die Gleichsetzung der Inkongruenz von Bedürfnissen und Bedürfnismöglichkeiten mit Mangel oder Knappheit hat ein biologistisches Menschenbild zum Hintergrund, das von einem bloßen Reiz-Reaktions-Homunkulus ausgeht, bei dem jede Differenz als »Reiz« eine unmittelbare »Reaktion« auslöst -- ein Wunschbild der Werbung mit dem Kauf als intendierter »Reaktion«. Für den gesellschaftlichen Menschen ist jedoch spezifisch, dass er seine Lebensbedingungen nicht nur vermittels gesellschaftlicher Kooperation herstellt, sondern dies in verallgemeinerter Vorsorge tut -- soweit es jeweils die Bedingungen zulassen. Das Abgeschnittensein von den Möglichkeiten der Teilhabe an gesellschaftlicher Vorsorge unter Bedingungen der Warenproduktion erleben viele als ein Zurückgeworfensein in eine scheinbar überschaubare Unmittelbarkeit, in eine »ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit«. Hier werden Differenzen dann als Mangel erfahren, wenn der Zugang zur Schaffung allgemeiner Vorsorge abgeschnitten ist -- sei es, dass die »Vorsorge« nur in Form der Lohnarbeit stattfindet. Der Kapitalismus ist also nicht nur deswegen »unmenschlich«, weil er vielen Menschen vorhandenen Reichtum vorenthält, sondern weil er sie von den gesellschaftlichen Möglichkeiten zur Produktion des Reichtums und damit der vorsorgenden Verfügung über ihre Lebensbedingungen ausschließt.[18]

(41) Gesellschaftliche Vorsorge impliziert stets eine zeitliche Differenz zwischen den gehabten und gewünschten Befriedigungsmöglichkeiten. Ist der Zusammenhang zwischen individuellen Handlungen und den gesellschaftlichen Zielen real gegeben und kann dieser Zusammenhang auch eingesehen werden, ist er also transparent, so kann die Teilhabe an der gesellschaftlichen Vorsorge motiviert erfolgen. Ist dieser Zusammenhang nur gering vorhanden oder nicht einsehbar, weil die gesellschaftliche Vermittlung nicht kommunikativ, also von den Menschen, sondern durch die sachliche, knappheitsregulierte Verwertungslogik vollzogen wird, so erfolgt die Teilhabe an der gesellschaftlichen Vorsorge zunehmend unmotiviert und erzwungen. Der »verinnerlichte Zwang« (Lohoff 1998, s.o.) wird in gleichem Maße bestimmend für die Subjektform -- eine Form, die sich nicht nur destruktiv sondern zunehmend autodestruktiv äußert.

(42) Knappheit ist jene historisch besondere soziale Form, in der die Mehrheit der Menschen von den Mitteln zur Herstellung der Befriedigungsmittel -- Produktionsmitteln, aber auch von Infrastrukturen und gesellschaftlichen Organisationsformen -- ausgeschlossen sind und nur indirekt über den Verkauf ihrer Arbeitskraft an die Befriedigungsmittel gelangen können. Der Zweck des Einsatzes ihrer Lebensenergie als Arbeitskraft hat dabei nun nichts zu tun mit dem Zweck der Herstellung der Mittel zur Bedürfnisbefriedigung: Die Produzenten stellen die Produkte nicht »für sich« her und das Produkt gehört auch nicht »den Produzenten« und diese produzieren auch nicht für konkrete andere Menschen, sondern für den Verkauf der Güter, für deren Verwertung, für einen dritten Zweck. Diesen dritten Zweck können die als Waren hergestellten Produkte nur erfüllen, wenn sie die Form der Knappheit annehmen, wenn sie nicht dazu gemacht sind, gebraucht zu werden, sondern verkauft zu werden, und reale Brauchbarkeit und tatsächlicher Gebrauch nicht mehr interessieren. Ohne Knappheit keine Regulation in dieser Form: »Verwertung braucht Knappheit.« (Nuss/Heinrich 2002)

(43) Doch nicht alles was begrenzt ist, muss auch »knapp« sein. Augenscheinlich nimmt die Mehrzahl der gesellschaftlichen Begrenzungen nicht die Form der Knappheit an, weil sie nicht über die Warenform reguliert werden. Sie sind nur deshalb wenig sichtbar, weil sie in den wert-abgespaltenen Bereich der unmittelbaren Kooperation in persönlichen und familialen Strukturen fallen. Würden diese Beziehungen über Knappheit, also warenförmig, reguliert, wäre das der Exitus der Gesellschaft. Es ist auch deskriptiv widersinnig etwa Emotionen, Kreativität oder das Kloputzen in Begriffen von »Knappheit« zu verhandeln -- auch wenn es keine prinzipiellen Grenzen für die Diffusion der Warenform in alltägliche soziale Beziehungen gibt. Umgekehrt: Wer alle gesellschaftlichen Beziehungen nach dem Maß der Knappheit wahrnimmt oder sie unter dieses zu subsumieren sucht, für den ist das Leben ein totaler Markt, und jegliche Beziehung besitzt die Form des Tausches. Kurz: Wer das Verhältnis von Bedürfnissen und Befriedigungsmöglichkeiten in Begriffen der Knappheit denkt, für den ist alles nur Ökonomie.[19]

(44) Solange wir die konkreten Probleme nach den Gesetzen der Verwertungslogik glatt bügeln und ohne uns darüber Rechenschaft abzulegen die reale Abstraktion im Tausch auch noch begrifflich verdoppeln, eröffnet sich kein Zugang zu den emanzipativen Möglichkeiten. Das macht kategoriales Denkwerkzeug keineswegs überflüssig, allerdings ist es dabei zu vermeiden, die Realabstraktionen der Warengesellschaft über ihre Begriffe in emanzipatorisches Denken zu importieren. Wenn also etwas nicht ausreicht, begrenzt ist, fehlt oder gewünscht wird, dann ist eben dieses Gut von einem emanzipatorischen Standpunkt aus nicht »knapp«, sondern es reicht nicht aus, ist begrenzt, fehlt gar ganz oder wird dringend gewünscht -- jeweils in Bezug auf einen ganz unterschiedlichen Zweck. Hierbei geht es eben nicht um eine historisch-spezifische Regulationsform, die Knappheit, sondern schlicht um »Grenzen«, die in der einen oder anderen Weise erreicht sind und mit denen wir in unterschiedlicher Weise umgehen können. Für dieses Verhältnis wurde daher (im Oekonux-Projekt) der verallgemeinernde Begriff der Begrenzung vorgeschlagen.

(45) Der Begriff Begrenzung ist hinreichend allgemein und genau. Er schließt ein, dass etwas begrenzt ist wie auch, dass etwas begrenzt wird. Er umfasst die historisch-spezifische Form der Begrenzung mit Namen »Knappheit« und kann gerade in Abhebung zu nicht knappen aber begrenzten Sachverhalten die Knappheit als historisch besondere und gerade nicht allgemeine Form, mit Begrenzungen gesellschaftlich umzugehen, erkennen. Denn ganz allgemein gilt: Das gesellschaftliche Herstellen der Lebensbedingungen ist der kumulierend überwindende Umgang mit Begrenzungen. Oder besser: Das könnte so sein, denn die Schizophrenie der Knappheit besteht ja gerade darin, dass sie mit Begrenzungen umgeht, diese aber in paradoxer Weise gleichzeitig überwindet und perpetuiert.

(46) Jeder überwindende Umgang mit Begrenzungen, also jede Art der Herstellung gesellschaftlicher Lebensbedingungen, geht von bestimmten Voraussetzungen aus. Die stofflichen Bedingungen sind endlich, die Vorkommen sind begrenzt -- alle. Das ist keine »natürliche Knappheit«, der dann eine »unnatürliche«, eine »künstliche« gegenüberstünde, sondern es sind Voraussetzungen unseres Lebens. Dazu gehören unsere Kenntnisse und unsere Kreativität genauso wie bereits hergestellte Mittel zur Herstellung von Mitteln; die emotionale Aufgehobenheit wie die persönliche Herausforderung; unsere Genuss- wie Produktionsfähigkeit etc. Das, wovon wir ausgehen, ist Voraussetzung für das Folgende -- im umfassenden und unreduzierbaren Sinne.

(47) Mit diesem Dreiklang: Voraussetzungen, Begrenzungen und Knappheit[20] lässt sich das Feld der gesellschaftlichen Produktion der Lebensbedingungen begreifen. Und einzig unter Bedingungen der exkludierenden Warenproduktion ist der Begriff der Knappheit angemessen, um ihn abzuheben von den menschlich-gesellschaftlichen Potenzen jenseits der Warenform.

(48) Diese generalisierende Aussage gilt auch und gerade dann, wenn wir es mit Gütern zu tun haben, die aufgrund ihrer unstofflichen Beschaffenheit und nahezu aufwandslosen Duplizierbarkeit universellen Charakter haben. Zwar ist, wie sich zeigen wird, die Knappheit nur mehr additiv hinzugefügte bloße »Hülle«, die der Universalität des stofflosen Guts nichts anhaben kann. Doch es wäre verfehlt, daraus umgekehrt den Schluss zu ziehen, stofflichen Gütern wäre automatisch Knappheit eingebaut, woraus sich ableiten ließe, dass sie genauso zwanghaft Ware sein müssten. Eine »Assoziation freier Produzenten« (Marx) kann begrenzte Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung überwinden, indem sie gesellschaftlich neue Befriedigungsmittel herstellt. Das gilt gleichermaßen für die Produktion stofflicher wie nicht stofflicher Güter.

(49) Die Differenz zwischen nicht stofflichen Universalgütern und stofflichen Gütern bleibt auch jenseits der warengesellschaftlichen Zwangsform bestehen. So ist durchaus relevant, ob Verbrauchsgüter immer wieder hergestellt werden müssen oder ob Universalgüter, einmal in die Welt gesetzt, die Menschheit für immer bereichern. Allein die warengesellschaftliche Form zwingt den Privatproduzenten dazu, eine Kosten-Nutzen-Relation dergestalt zu kalkulieren, dass dem investierten Aufwand in möglichst kurzer Frist ein monetärer Ertrag folgt.

(50) Im nun folgenden eher empirischen Teil will ich am Beispiel privatisierter Universalgüter zeigen, welcher gesellschaftliche Aufwand an mehreren Fronten betrieben werden muss, um die Knappheit als Voraussetzung für die Warenform dem Universalgut zu applizieren. Anschließend gehe ich darauf ein, was an den Universalgütern Software, Wissen und Kultur allgemein und was besonders ist und welche Handlungsmöglichkeiten sich damit für emanzipatorische Bewegungen auftun.

Umkämpfte Warenform -- am Beispiel von DRM

(51) Das Digitale Rechte-Management (DRM), passender auch als Digital Restrictions Management bezeichnet, galt der Industrie lange Zeit als der Königsweg zur Durchsetzung der Warenform bei privatisierten Universalgütern. Doch mittlerweile bröckelt die Front.

(52) Mitte der 1990er Jahre begann der Content[21]- und Softwareindustrie langsam zu dämmern, dass die Eigenschaften der Nicht-Exklusion[22] und Nicht-Rivalität[23] von Informationsprodukten ihre Verwertbarkeit in dem Maße untergräbt, wie sich die Produkte zunehmend von spezifischen physischen Trägern (Disketten, CDs etc.) ablösen und durch Zugriff auf einen allgemeinen Träger, das Internet, nahezu frei verfügbar sind. Wissens- und Kulturprodukte in digitaler Form drohten zunehmend ihre Knappheitseigenschaft zu verlieren, die Voraussetzung für die Warenform ist. Dem sollte und soll in einem »Zangengriff« durch eine technologische und rechtsförmige Aufrüstung begegnet werden.

(53) Die technologische Aufrüstung zielt auf den Computer als Universalmaschine.[24] Mit dem technischen Aufbau des Computers ist nicht festgelegt, für welche Zwecke die Maschine eingesetzt wird. Erst die Software und die Daten machen aus der Universal- eine Spezialmaschine. Mit dem Internet als universellem Träger für universelle Informationsgüter und der Universalmaschine Computer[25] als individueller Nutzenmaschine der universellen Güter, treffen zwei Technologien aufeinander, die dem spezifischen universalen und wertlosen Charakter von Information angemessen sind, für das Kapital jedoch zum Verwertungsproblem werden. Während der Zugriff auf physische Güter durch geeignete Maßnahmen physisch unterbunden werden kann (Zäune, Wachschutz etc.), ist das bei »unphysischen« und zudem nicht rivalen Gütern schwer zu erreichen. Doch: »Die gleiche Technik, die den weltweiten Gebrauch von Netzen ermöglicht, wird auch die weltweite Kontrolle der Netze ermöglichen«, verkündete optimistisch der frühere GEMA-Vorsitzende (Kreile 1998).

(54) Ein Ansatz ist das sog. Trusted Computing: »Eine Hierarchie von Trusted Systems würden als eine Art Verkaufsautomaten für digitale Werke jeder Art fungieren, die die Werkstücke außerdem mit einer Liste erlaubter und verbotener Nutzungsmöglichkeiten ausstatten.« (Grassmuck 2002, S. 133) Anders als eine wörtliche Übersetzung nahelegt, geht es hierbei nicht um »Vertrauen in die Technik« sondern um die Frage, ob denn die Contentlieferanten dem Nutzer trauen können. Oder wie es Grassmuck ausdrückt: »DRM ist das in Technologie gegossene Misstrauen gegenüber den Nutzern.« (2006, S. 179) So haben sich auch hier schnell alternative Bezeichnungen eingeprägt, die deutlicher machen, worum es eigentlich geht: Treacherous Computing (betrügerischer Computereinsatz) bzw. Control Systems (Kontrollsysteme).

(55) DRM kombiniert ein verschlüsseltes Produkt mit einer speziellen virtuellen (Software-)Maschine, die allein in der Lage ist, das verschlüsselte Produkt »abzuspielen«. Viele DRM-Systeme existieren derzeit nur in dieser Softwareform, das eigentliche Ziel ist jedoch die Verknüpfung von DRM-Software mit DRM-Hardware. In einem DRM-Chip wird ein individueller Schlüssel hinterlegt, der von den Contentanbietern bei Nutzung eines Inhalts ausgelesen werden kann. Der Schlüssel identifiziert sicher den Nutzer bzw. die Nutzerin. Von einem Lizenzserver können nun, je nach individueller Auswahl, Nutzungscodes erworben werden, die die entsprechende Software beim Zugriff auf den digitalen Inhalt autorisiert und steuert. Verschlüsselte Daten können nun entschlüsselt werden. So wird gesichert, dass etwa ein heruntergeladenes Musikstück maximal zehn Mal abgespielt werden kann, eine Software nur bis zu einem Stichtag benutzbar ist, ein Film sich nur dreimal kopieren lässt oder der Ausdruck eines Bildes generell untersagt ist -- die Kombinationen sind unbegrenzt.[26] Bekannteste Beispiele sind der iPod der Firma Apple mit dem DRM-System FairPlay (sic!) und der Microsoft Windows Media Player, der mit den beiden Formaten WMA (Audio) und WMV (Video) auf den DRM-Einsatz im neuen »Windows-Vista« abgestimmt ist.[27] Zur Implementation der spezifischen vom Anbieter festgelegten Nutzungsgestalt eines digitales Guts wurde eine eigene Rights Expression Language (REL) entwickelt (vgl. dazu Grassmuck 2006, S. 177).

(56) Wenig beachtet wird zumeist, dass DRM derzeit vor allem über »Spezialmaschinen« verbreitet wird: Drucker, Handys, DVD-Player, Setop-Boxen, Spiele-Consolen, Digitalradios, Videorecorder etc. Sind die DRM-Anwendungsfälle zunächst nur begrenzt -- etwa die Überwachung des Regionalcodes bei DVD-Playern[28] oder die Verwendung der Originalkartuschen bei Druckern --, so ist langfristig der Aufbau einer umfassenden DRM-Infrastruktur das Ziel. Dabei soll diesmal nicht der peinliche Fehler begangen werden, der in den 1990er Jahren zum Aus des digitalen Audio-Tapes (DAT) führte: Da digitaler Inhalt und digitale Abspieltechnologie zusammenpassen müssen, sorgt nur eine perfekte Kombination der verschiedenen Einzeltechnologien für eine geschlossene Kette. Dabei sind oft eine Reihe von Patenten mit im Spiel, die ihrerseits den Einsatz der Technologie verteuern und für einzelne Anbieter einen Anreiz darstellen, einzelne Glieder der Kette einzusparen und damit auch noch extra zu werben (etwa die Nichtbeachtung des DVD-Regionalcodes durch einen DVD-Player). Ein »Ausbruch« einzelner Firmen aus der geschlossenen Kette zerstört jedoch die gesamte Anlage zur Verwertung. Das Kapital versucht also durchaus seine Gesamtinteressen hier gegen bornierte Einzelinteressen durchzusetzen und nimmt dafür gerne die Hilfe des Staates in Anspruch.

(57) Ohne rechtsförmige Aufrüstung[29] keine Durchsetzung der neuen Knappheitsformen. Grassmuck schreibt: »DRM ist als Selbsthilfe der Industrie gedacht. ... DRM versprach nun, dass die Unterhaltungsindustrie die Knappheit, die Voraussetzung für ihren Markt ist und die bislang das Gesetz sicherte, zukünftig würde selber herstellen können. Die Techniker haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass DRM nicht funktionieren kann, doch erst als nicht mehr zu leugnen war, dass jedes einzelne auf dem Markt eingeführte DRM-System innerhalb kürzester Zeit geknackt wird, mussten die Verwerter einsehen: die Antwort aus der Maschine, die technische Selbsthilfemaßnahme, die den Staat nicht braucht, ist ohne seine Gesetze und sein Gewaltmonopol wirkungslos.« (2006, S. 168) Das Umgehungsverbot für DRM-Mechanismen war daher die zentrale Forderung der Contentindustrie und fand 1996 schließlich in das WIPO[30]-Abkommen über Urheberrechte Eingang. Mit dem DMCA[31] überführten die USA 1998 die Bestimmungen in nationales Recht, die EU folgte 2001 mit einer entsprechenden Richtlinie. Deutschland hat die EU-Pflichtbestimmungen -- u.a. das Umgehungsverbot für DRM -- 2003 umgesetzt. Derzeit wird in einem »zweiten Korb« über die Kann-Bestimmungen der EU-Richtlinie verhandelt, und es sieht so aus, dass mit der »Privatkopie« ein entscheidender Baustein der traditionellen »Balance« zwischen Verwertern und Nutzern faktisch abgeschafft wird.[32]

(58) Die »Front« der Content- und Softwareindustrie wackelt jedoch bedenklich. Immer wieder gibt es Ausbrecher, die »ihre Kunden« nicht über Gebühr belästigen wollen. Zur Hardcore-Fraktion ist die Musik- und Filmindustrie zu zählen. Mit massiven Einschüchterungskampagnen[33] soll den Nutzerinnen und Nutzern ein schlechtes Gewissen eingeredet werden, auf dass sie zukünftig nur noch legale Musik und Filme erwerben. Parallel hält sich die Medienindustrie -- unterstützt durch Mittel der Filmförderungsanstalt FFA -- die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), eine virtuelle Rambo-Truppe, die mit unfeinen Methoden handfest zur Tat schreitet. Die GVU hat durch zwei Fälle größere Aufmerksamkeit erlangt. So finanzierte die GVU selbst den Betrieb von sog. Warez-Servern[34], um in die »Raubkopie-Szene« einzudringen. Im anderen Fall stellte die GVU Strafantrag gegen einen Handel mit angeblich gefälschten Film-DVDs und trat gleichzeitig als Pseudogutachter in eigener Sache auf.[35]

(59) Vorsichtiger agiert beispielsweise die Firma Microsoft. In einer beim Institut für Strategieentwicklung der Privatuniversität Witten/Herdecke beauftragten Untersuchung der »Digitalen Mentalität« (Microsoft-Studie 2004) werden die Bedrohungs- und Abschreckungsaktionen der Film- und Musikindustrie als wenig Erfolg versprechend abgelehnt, wenngleich sich Microsoft an der GVU beteiligt. Die Microsoft-Studie orientiert eher auf eine veränderte Kommunikationsstrategie. Das Problem sei das traditionelle Eigentumsverständnis der Nutzerinnen und Nutzer: »Im Falle der Urheberrechtsverletzung, die durch digitale Vervielfältigung begangen wird, bleibt ein intuitives Verständnis für das damit verbundene Unrecht aus, weil das Tatbestandsmerkmal der Wegnahme fehlt, das unseren historisch gewachsenen Vorstellungen von Diebstahl zu Grunde liegt.« (ebd., S. 4) Statt von Eigentum zu reden, sei es daher sinnvoller, die »Denkfigur des Verfügungsrechts« (ebd., S. 30) zu etablieren[36], um gesellschaftlich eine Kultur der »Digital Honesty« (ebd., S. 31) durchzusetzen: »Um die Wichtigkeit einer solchen Kultur des Umgangs mit geistigem Eigentum in der digitalen Welt zu vermitteln, ist es notwendig darauf hinzuweisen, dass Eigentum kein Privileg der Reichen ist, sondern eine ... Konzession der Gesellschaft, die Eigentümern Verfügungsrechte einräumt, die den Ausschluss aller anderen von diesen Verfügungsrechten implizieren und nur unter diesen Bedingungen den Handel -- als Transfer von Verfügungsrechten -- mit Eigentum ökonomisch möglich und lohnend machen.« (ebd., S. 32) Ganz in diesem Sinne hat Microsoft »ein Copyright-Unterrichtspaket geschnürt« -- inklusive Segnung durch die (damalige) Bildungsministerin --, um Lehrer darüber zu informieren, »wie man Jugendliche nachhaltig mit den Grundlagen des Urheberrechts vertraut machen kann«, denn diese zeigen »im Bezug auf illegale Kopien geschützter Inhalte kaum Unrechtsbewusstsein« (Internetadresse vgl. Microsoft-Studie 2004).

(60) Auch die Firma Apple, die in der Vergangenheit oft einen guten Riecher für neue Trends zeigte, orientiert sich neu. So kündigte Apple im Oktober 2006 an, zukünftig keine DRM-Chips mehr in ihre Computer einzubauen. Im Februar 2007 verkündete der Apple-Chef Steve Jobs, dass er bei den tragbaren iPod-Playern und dem zugehörigen iTunes Online-Musikshop gerne auf das eigene DRM FairPlay verzichten und stattdessen offene Standards ohne DRM einsetzen würde. Doch das erlaubten die »Big Four«, die großen Konzerne Universal Music, Sony BMG, Warner Music und EMI, nicht. Taktisch geschickt schiebt die DRM-Firma Apple den Musikkonzernen den schwarzen Peter zu. Gleichzeitig stellt Jobs die Sinnfrage: »Warum sollten die Big Four Apple und anderen erlauben, ihre Musik ohne Schutz durch DRM-Systeme zu verkaufen? Die einfachste Antwort ist, weil DRM es nicht geschafft hat, die Musik-Piraterie zu stoppen, und es wahrscheinlich auch nie schaffen wird.« (Jobs 2007) -- Und weil die übergroße Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzer DRM nicht akzeptiert.[37] Anfang April 2007 gab EMI als erster Konzern nach und lizensierte DRM-freie Musikstücke für Apples iTunes-Shop.

(61) Dennoch: »Es handelt sich um ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen jenen, die die Inhalte verkaufen wollen, und jenen, die sie immer wieder mit verschiedenen Mitteln aus der kontrollierten Zirkulation in die unkontrollierte Zirkulation hineingeben. Sicherheitstechnologien, wie Digital Rights Management Systeme, Kopierschutz ... können letztlich immer irgendwann ,gehackt' werden, Rechteverwerter werden trotz des Einsatzes von Schutztechnologien möglicherweise niemals allumfassend das Rennen gegen jene gewinnen, die das notwendige Know-how haben, solcherart Technologien zu knacken und es auch tun.« (Nuss 2006, S. 63) Das sogenannte »Darknet« -- das unkontrollierbare und sich permanent rekonfigurierende Geflecht von Peer-to-Peer-Netzen[38] -- sei das größte Hindernis eines funktionierenden DRM findet Microsoft in einer weiteren Studie heraus: »Es scheint keine technischen Hindernisse für ein weiteres Wachstum der Darknet-basierten Dateiaustausch-Technologien hinsichtlich Bequemlichkeit, Bandbreitennutzung und Effizienz zu geben. Die rechtliche Zukunft der Darknet-Technologien ist weniger sicher, jedoch glauben wir, dass wenigstens für einige Klassen von Nutzern und wahrscheinlich für die Bevölkerung im Ganzen effiziente Darknets existieren werden.« (Biddle et. al 2002, eigene Übersetzung) Das wiederum führe dazu, dass eigene Maßnahmen einer erhöhten DRM-Sicherheit für den normalen Nutzer (resp. Nutzerin) »abschreckend« und »weniger attraktiv« sind. Fazit: »Wenn man mit dem Darknet konkurrieren will, dann muss man es zu den Darknet-eigenen Konditionen tun: Das sind Bequemlichkeit und niedrige Kosten statt zusätzlicher Sicherheit.« (ebd.). Somit ist der relativ defensive Umgang von Microsoft mit DRM verständlich, zumal die Voraussagen der Expansion des Darknet eingetroffen sind: 60 Prozent des Internetverkehrs bestehen aus Dateiaustausch über Peer-to-Peer-Netzwerke. Der US-Musik- und Filmindustrie gelingt es zwar immer wieder, einzelne Netze zu bedrohen und juristisch unter Druck zu setzen, der Effekt ist jedoch gering, da »Filesharers« immer wieder auf andere Peer-to-Peer-Netzwerke ausweichen: »Das Katze-und-Maus-Spiel wird weitergehen.« (Parker 2005, eigene Übersetzung)

(62) Eine Bedrohung der Knappheitsvoraussetzung sowie generell aller Restriktionen im Internet in ganz anderer Qualität stellt das Freenet (Wikipedia 2007d) dar, ein »untypisches Darknet«, weil es potenziell das gesamte Netz umfassen kann. Das Freenet ist ein zensurresistentes und anonymes Peer-to-Peer-Netzwerk, das als Freie Software entwickelt wird. Es könnte die »offenen« und »bequemen« Peer-to-Peer Dateiaustausch-Netzwerke ablösen, etwa wenn dort der Verfolgungsdruck zu hoch wird.

(63) Nach Microsoft und Apple beginnt sich auch die rabiat auftretende Musik- und Filmindustrie neu zu orientieren. Neben der Fortführung der Repression unter Zuhilfenahme staatlicher Behörden, bastelt sie fieberhaft an neuen Strategien. Anfang 2007 denkt EMI, einer der »Big Four«, laut über den Ausstieg aus DRM nach. Parker sagte bereits 2005 voraus: »Es ist nur eine Frage der Zeit bis Hollywood akzeptiert, dass es kein ,Wundermittel' zur Bekämpfung der Peer-to-Peer-Piraterie gibt und dann anfängt, es zu umarmen.« Das bedeutet jedoch kein Ende der Maßnahmen gegen Peer-to-Peer-Netze. Vermutlich wird »Zuckerbrot und Peitsche« auf längere Zeit die Kombination der Wahl bleiben. Die Regierungen haben sich hierbei in vollem Umfang auf die Seite der Industrie geschlagen. Über die WTO-Verhandlungen mit Russland und China könnten wichtige »Raubkopie-Quellen« gestopft werden, so die Hoffnung.

(64) Eine »Umgehung« ganz anderer Art stellt die Freie Kulturbewegung dar, die sich am Vorbild der Freien Software orientiert.[39] Sie zielt nicht auf einen Kampf in der Sphäre der Warenzirkulation, sondern baut ihre eigene produktive Basis auf. Nicht um Produkte soll konkurriert, sondern die proprietäre Sphäre soll »aus-kooperiert« (Lovink 2006) werden. Klassisches Beispiel ist die kollektive Freie Enzyklopädie Wikipedia, die dabei ist, die traditionelle Encyclopædia Britannica »aus-zu-kooperieren«. Oder die Freie Software, die viele Bereiche der »Noosphere«[40] erfolgreich demonetarisiert hat, so dass sich kommerzielle Aktivitäten hier »nicht mehr rechnen«. Interessanterweise ist es die aufstrebende »Peripherie«, die das neue wertfreie Potenzial nutzt, denn selbstredend bedeutet »Entwertung« durch Freistellung im Kontext der Warenproduktion zunächst schlicht Kostenreduktion. Doch es ist ein Unterschied, ob in Indien Bundesstaaten durch Einführung von GNU/Linux Millionen einsparen oder ob IBM auf GNU/Linux setzt, um andere Produkte abzusetzen.[41] Bequemlichkeit und niedriger Preis könnten schließlich auch zum entscheidenden Argument für individuelle Computernutzer/innen werden, auf Freie Software ohne Belästigung durch DRM umzusteigen, zumal es inzwischen sehr gute und nutzer/innenfreundliche Linux-Distributionen und Anwendungen gibt.[42]

(65) Seit Einführung der Creative Commons (CC-) Lizenzen[43] erlebt die Freie Kulturbewegung einen enormen Aufschwung -- eine zweite Welle nach der Freien Software. Allein im Onlinebereich ergab die letzte Zählung (April 2007) 200 Millionen Referenzen auf die CC-Lizenzen. Eine Studie unter Künstlerinnen und Künstlern[44] ergab zwei Hauptgründe für die Verwendung der CC-Lizenzen: Das traditionelle Copyright sei zu komplex und zu teuer in der Anwendung, und mit den CC-Lizenzen ließen sich Netzwerkeffekte besser nutzen für die Vermarktung des eigenen kreativen Werks. Auch hier können wir den Effekt des »Entwertens-um-zu-verwerten« beobachten: »Netzwerkeffekt« ist nur ein anderes Wort für »aus-kooperieren«. Das Resultat erscheint paradox. Auf der Grundlage der Verwertungslogik verliert die Ware mit der Knappheit ihre Form, wird freigestellt und damit faktisch entwertet, um doch noch eine Art »sekundäres Einkommen« zu erzielen: aus Spenden und Werbeeinnahmen, Verkauf von Umfeldprodukten, Durchführung von Live-Events etc.[45]

(66) Rund um die CC-Lizenzen sind völlig neue Formen der Subsistenz entstanden. So wird in den Favelas Brasiliens täglich Musik produziert, die auf CDs gebrannt ausschließlich über den Straßenhandel vertrieben wird. Schätzungen gehen von 80 Neuveröffentlichungen pro Woche aus, während es BMG/Sony gerade einmal auf 15 Neuerscheinungen brasilianischer Interpreten bringt -- pro Jahr und erhältlich nur in »normalen« Geschäften. »Ausschalten der Vermittler« wird dies in der Community genannt, »aus-kooperieren« durch Aufbau von Peer-to-Peer-Netzwerken, die jene verselbstständigte Sphäre der »Ökonomie« nicht mehr benötigt, würde ich es bezeichnen. Dieser Prozess vollzieht sich noch innerhalb von Ware-Geld-Beziehungen und ist eindeutig auch ein Resultat massenhafter Prekarisierung. Aber genau vor dieser Frage stehen emanzipatorische Bewegungen: Was tun, wenn unsere Voraussagen zutreffen? Wenn vor unseren Augen zäh das zusammensinkt, von dem wir alle leben?

(67) Die brasilianische Regierung unterstützt den Entkopplungsprozess durch den Aufbau lokaler Kulturzentren (»Pontos de Cultura«). Dahinter steht eine ambivalente, aber durchaus realistische Einschätzung: »Der ,Job' ist eine sterbende ,Art' des Zwanzigsten Jahrhunderts. ... Es wird auch keine soziale Sicherheit mehr geben«, so Claudio Prado, Leiter der Abteilung für Digitale Kultur im brasilianischen Kulturministerium auf der Berliner Konferenz »Wizards of OS« im September 2006 (eigene Übersetzung). Krisenerscheinung und neue Formen lokaler Subsistenz und Autonomie jenseits »normaler Lohnarbeit« liegen eng beieinander. In Brasilien wie vielleicht in vielen Entwicklungsländern sind die Bedingungen für die Wiederentstehung lokaler Autonomie günstig: Die zunehmende Verfügbarkeit von Computern und Internetzugängen verbinden sich mit einer traditionellen Kultur des Teilens. Das Copyright war bis zur Verfügbarkeit der CC-Lizenzen nahezu unbekannt und kulturell unvereinbar mit der Lebensweise. Prado sprach daher von der Möglichkeit, »den Scheiß des 20. Jahrhunderts zu übergehen, um direkt vom 19. in das 21. Jahrhundert zu gelangen«.

(68) Diese wenigen Beispiele des Kampfes um Zirkulation und Produktion digitaler Güter veranschaulichen die Widersprüchlichkeit des Zerfallsprozesses der Warenproduktion zwischen Degression und neuen Möglichkeiten. Nicht stoffliche Güter unterscheiden sich dabei deutlich von stofflichen Gütern. Zwar können beide Warenform annehmen, doch während stoffliche Güter im Tausch den Besitzer wechseln, erreicht das Universalgut -- in privatisierter oder freier Form -- durch Distribution einen zusätzlichen Besitzer. Zwar erfordern beide den Einsatz von Arbeitskraft bei der Herstellung. Doch aufgrund der nahezu aufwandslosen Kopierbarkeit stehen Universalgüter -- Software, Wissen, Musik, Filme, Texte etc. -- im Gegensatz zu rivalen stofflichen Gütern nach ihrer Produktion potenziell der ganzen Menschheit zur Verfügung. Gemeinsam ist beiden wiederum, dass die Produktion -- bei stofflosen Gütern die Herstellung der Urkopie -- aufgrund der Verbilligung der Produktionsmittel in immer stärkerem Maße von den Menschen selbst durchgeführt werden kann. Noch vor 10 Jahren war es den »Musikproduzenten« in den Favelas Brasiliens nicht möglich, ihre CDs für den Straßenhandel selbst herzustellen. Ein weiteres Beispiel ist die »illegale Güterproduktion«. Dabei handelt es sich um Produkte, bei deren Herstellung gegen Urheber- und Markenrechte verstoßen wird. Das betrifft neben den hierzulande durchaus bekannten »unechten Konsumartikeln« auch Produktionsmittel. So waren in den Jahren 2004 und 2005 drei Viertel aller in Brasilien verkauften Computer »illegal zusammengestellt«.46 Erst ein Kreditprogramm der Lula-Regierung zum Kauf legaler Computer konnte in 2006 die Quote unter 50 Prozent drücken.

(69) Angesichts dieser Entwicklungen muten die Versuche der großen traditionellen Medienkonzerne wie Rückzugsgefechte an, denn die beschriebenen Entknappungs-, Entwertungs- und Aneignungsprozesse lassen sich nicht mehr eindämmen -- weder über den »privaten Weg« per DRM, noch über den staatlich-rechtlichen Weg per WIPO & Co, noch über eine Kombination von beidem. Die reale weil praktische Vergesellschaftung eines großen Teils des gesellschaftlichen Reichtums ist ein wesentlich günstigerer Ausgangspunkt für emanzipatorische Entwicklungen jenseits von Ware und Geld als das traditionelle politik- und staatsfixierte Delegieren der eigenen Handlungsmacht, das die hiesigen linken »Reformansätze« auszeichnet -- so verständlich sie angesichts der Krise des Sozialstaats auch sein mögen.

Konstitution -- theoretisch und praktisch

(70) Der Kapitalismus hat in seiner historisch-spezifischen Form der Produktivkraftentwicklung mit Internet und Computer eine universelle Technologie hervorgebracht, die den schon von Marx vorausgesagten Ablösungsprozess der genuin wertsubstanzlosen allgemeinen Arbeit von der wertproduktiven abstrakten unmittelbaren Arbeit in die stofflich adäquate Form bringt: »Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein«, sobald also die allgemeine Arbeit und die »freie Entwicklung der Individualität« die Grundlage der Reichtumsproduktion wird und dabei universelle Güter produziert, »bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen« (Marx 1857/58, S. 593). Dieses »Zusammenbrechen« ist jedoch kein schlagartiger Prozess, auch wenn es immer wieder Entladungen zur Regulation von Spannungsspitzen wie beim Crash der Dotcom-Blase geben wird. Es handelt sich eher um ein zähes Zusammensinken und globales Umgruppieren kapitalproduktiver Zentren, das uns noch eine Weile begleiten wird.

(71) Es gilt diesen Prozess zu begreifen und in ihm handlungsfähig zu bleiben und zu werden. Es gibt kein Land außerhalb, das nur neu zu besiedeln wäre. Es gibt genauso keine Möglichkeit, schlicht nur die »Macht zu ergreifen«, um die Welt zu heilen. Sondern es geht darum, in der alten Welt eine neue zu bauen, zu konstituieren. Dabei ist »Konstitution« ein schillernder Begriff -- genauso etwa wie »Aufbau einer Gegenvermittlung« oder andere »Platzhalter«. Konstitution ist zugleich ein theoretischer und praktischer Prozess. Konstitution ist theoretisch insoweit es permanent darum geht, die nahegelegten Denkformen bürgerlicher Vergesellschaftung zu dekonstruieren und eigene Denkformen zu schaffen, um die eigene Praxis kritisch zu reflektieren und Kriterien für eine warenkritische Praxis zu entwickeln. Konstitution ist praktisch insoweit es darum geht, Experimente durchzuführen, die einen Bruch oder zumindest eine Kritik der Warenform zum Inhalt haben -- trotz aller Ungewissheit und Widersprüchlichkeit. Dabei gibt es herausragende Beispiele und Orientierungspunkte in der Freien Software- und Freien Kulturbewegung. Der nach Software und Kultur logisch dritte Schritt wäre eine Freie Produktion des gesellschaftlichen Lebens im umfassenden Sinne. Dabei ginge es »ums Ganze«, denn dieser »Schritt« würde die Umwälzung der gesamten Lebensweise umfassen.

(72) Am Beispiel des Begriffs der Knappheit habe ich zu zeigen versucht, was theoretische Konstitution durch Dekonstruktion bürgerlicher Kategorien heißen kann. Im Fokus stand die Kritik der scheinbar offensichtlichen Differenz von »natürlicher« und »künstlicher« Knappheit. Aus diesem Dualismus wird geschlussfolgert, bei ersterer könne man nichts machen -- außer einen Mangel gerecht zu verteilen -- und gegen die zweite Form sei zu kämpfen, weil diese nicht sein müsste und nur aus Verwertungsgründen der Ware aufgezwungen werde. Diese Dualität scheint sich durch die Begrenztheit jeder stofflichen und somit »natürlich knappen« Produktion und die Unbegrenztheit der Produktion nicht stofflicher und also nur »künstlich zu verknappender« Güter zu bestätigen. Der Schein jedoch trügt: Jede Knappheit ist künstlich und natürlich zugleich. Künstlich ist sie, weil, entgegen der Behauptung, auf der stofflichen Ebene eine Zugriffsbeschränkung keinen genuinen Bezug hat, sondern allein der historischen Sonderform der Produktion eines Guts als Ware geschuldet ist; natürlich ist sie, weil die Ware genuin knapp ist und ohne Knappheitseigenschaft sofort die Warenform verliert.

(73) Die Denkfigur »künstliche vs. natürliche Knappheit« übernimmt unhinterfragt die charakteristische Spaltung »Ökonomie vs. Nicht-Ökonomie«, in der gesellschaftliche Bedürfnisse und die Produktion der Befriedigungsmittel getrennt sind und erst a posteriori auf dem Markt über Geld vermittelt werden. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Gut -- je nach Verfügbarkeit -- wahlweise als »natürlich knapp« oder »künstlich knapp«, weil die Produktion als separierte Sphäre eigenen Gesetzen gehorcht, die nichts mit den gesellschaftlichen Bedürfnissen zu tun haben. Wird hingegen diese Separation denkend aufgehoben, was eine Voraussetzung für die Überwindung der Warengesellschaft ist, dann wird klar: Gesellschaftliche Herstellung der Lebensbedingungen bedeutet immer den erweiternden Umgang mit Begrenzungen angesichts der jeweils historisch ausgebildeten Bedürfnisse. Ein Umgang, der von den jeweils vorliegenden Voraussetzungen ausgeht, um die Produktion der Befriedigungsmittel zu organisieren. In der Warenproduktion hat sich dieses Verhältnis verkehrt: Die Produktion bestimmt hier eigenlogisch, welche Güter knapp, also als Waren, hergestellt werden, um -- im günstigen Fall -- auf einen zahlungskräftigen Bedarf zu treffen. Nur in der Warenproduktion nehmen gesellschaftliche Begrenzungen die Form der Knappheit an.

(74) In der Diskussion über »normale« Waren und Knappheit sorgt das Auftreten einer neuen Güterklasse, der privatisierten Universalgüter, für Verwirrung. Bei diesen Gütern handelt es sich zwar nicht um Waren, aber dennoch um Bezahlgüter. Universalgüter entstehen durch allgemeine Arbeit, sei es in privater oder freier Form. Sie können nur gegeben, nicht aber getauscht werden. Davon macht auch die »preisbewährte Gabe« keine Ausnahme. Der »Verkauf« ist nur möglich, wenn Universalgüter in exklusiver privater Verfügung liegen. Was bei Waren zusammenfällt -- Warenform und Knappheit --, muss bei privatisierten Universalgütern künstlich additiv hergestellt werden. In der Rede von der »künstlichen Knappheit« scheint dieser Unterschied auf. Doch trotz nachträglicher Verknappung, trotz äußerlich aufgesetzter »Warenform«, werden aus privatisierten Universalgütern keine wirklichen Waren, denn diese ändert nichts an ihrem wertsubstanzlosen Charakter. Die Verkaufbarkeit entscheidet zwischen proprietärer und freier Form. Ein privatisiertes Universalgut muss der proprietären Form unterworfen sein, weil sonst die Nicht-Exklusivität und Nicht-Rivalität jede Verkaufsabsicht unterläuft. Proprietär kann ein Universalgut indes nur sein, wenn der Zugriff darauf technisch behindert und rechtlich sanktioniert wird. Wird die rechtliche Form durch eine entsprechende freie Individualverfügung unterlaufen (etwa eine freie Lizenz), so kann dem Universalgut auch äußerlich keine Warenform aufgezwungen werden. Das nutzen die Bewegungen Freier Güter (Software, Wissen, Kultur) aus: Freie Güter sind nicht nur wertlos, sondern auch warenformlos, weil sie als freie Universalgüter produziert werden: Die allgemeine Arbeit findet im freien Universalgut ihre adäquate Form.

(75) Das Abschlusszitat -- ursprünglich intendiert als Horrorgemälde -- sei einem bekannten Volkswirtschaftler gegönnt: »Ohne Knappheit gibt es keine wirtschaftlichen Probleme, keine Preise, Löhne, Zinsen, Mieten, nicht einmal Geld und weder Armut noch Reichtum, sondern die immerwährende Befriedigung und Sattheit: das Schlaraffenland.« (Häuser 1972) -- Wo kämen wird denn da hin?!

Literatur

(76) Biddle, Peter/England, Paul/Peinado, Marcus/Willman, Bryan (2002): The Darknet and the Future of Content Distribution, ACM Workshop on Digital Rights Management, November 18, 2002, Washington DC, www.bearcave. com/misl/misl_tech/msdrm/darknet.htm (25.04.2007).
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Anmerkungen

(77) [1] »In der Phänographie geht es ... um verdeutlichende Heraushebungen relevanter Züge des Gemeinten zu Zwecken der Verbesserung intersubjektiver Verständigung über das, wovon die Rede sein soll.« (Holzkamp 1973, S. 21) Demgegenüber können Definitionen als »möglichst präzise Bestimmungen des genus proximum und der differentia specifica zu Klassifikationszwecken« (ebd.) erst am Ende eines wissenschaftlichen Prozesses stehen.

(78) [2] Wie Lohoff (ebd.) darlegt, sind jedoch nicht alle Bezahlgüter auch Tauschgüter. Erwerbe ich das Recht eine Software zu nutzen, so gebe ich zwar mein Geld hin, besitze es anschließend folglich nicht mehr, und ich erhalte dafür auch die Software. Der Verkäufer hingegen ist in der komfortablen Lage, die Software keineswegs weggegeben und stattdessen nur mein Geld eingestrichen zu haben.

(79) [3] Ob Universalgüter als Nicht-Tauschgüter und damit Nicht-Waren trotzdem Warenform besitzen können -- quasi als »sinnliche Hülle ohne echte (Wert-)Substanz« -- ist zwischen Ernst Lohoff und mir nicht geklärt.

(80) [4] Eine Vorversion dieser »Vorklärung« wurde nach dem bei der Entwicklung von Internetstandards bekannten Verfahren der »Request for Comments« intensiv und strittig öffentlich diskutiert (Keimform-Blog 2007).

(81) [5] Einen Sonderfall stellt Individual-Software dar, die kein Universalgut ist, weil sie für einen singulären Zweck und Ort erstellt wurde, etwa zur Steuerung einer speziellen Maschine (vgl. dazu Lohoff 2007). Sofern es im Folgenden um Software geht, ist stets für die Distribution bestimmte Universal-Software gemeint.

(82) [6] Genau genommen geht es nur um geldbewährte Bedürfnisse, die Bedarfe genannt werden. Dass Bedarfe angesichts endlichen Geldes doch nur endlich sind, interessiert die Wirtschaftstheorie nicht weiter, denn es ist einzig Sache des Bedürfnisinhabers dieses kontinuierlich mit Geld zu bewähren.

(83) [7] In diesem Fall wird auch von »Marktversagen« gesprochen. Aus dem Marktversagen wird wiederum geschlossen, »dass die betreffenden Güter nicht produziert werden und Bedürfnisse somit unbefriedigt bleiben« (Goldhammer 2006, 82), was jedoch zuvor als Ursache des Marktversagens angegeben wurde.

(84) [8] www.freie-gesellschaft.de ist ein kollektives Projekt zur Frage der »Übertragbarkeit der Prinzipien Freier Software auf andere Lebensbereiche«.

(85) [9] Nutzbarer Raum ist eine endliche Ressource.

(86) [10] Die Problematik, dass Marx eine überhistorische Aussage mit dem historisch- und formspezifischen Begriff der Gebrauchswert schaffenden nützlichen Arbeit belegt, sei hier ausgeklammert.

(87) [11] Selbstverständlich gibt es »natürliche Grenzen«, die jedoch keinesfalls als »natürliche Knappheit« erscheinen müssen. Diese fundamentale Differenz wird später erläutert.

(88) [12] Das Wort »Bedarf« ist hier mit der Seite zum Stichwort »Bedürfnis« verlinkt, obwohl tatsächlich nur das zahlungsfähige Bedürfnis, also der Bedarf, eine Rolle spielt (vgl. auch Fußnote 1).

(89) [13] Allerdings hält sie das bürgerliche Eigentum für die basale Form, während die Vergesellschaftung über Ware und Wert für sie abgeleitete Formen sind (vgl. dazu Meretz 2007).

(90) [14] »Isoliert für sich betrachtet außerhalb des Austausches ist der Warenkörper nicht Ware, sondern bloßes Produkt.« (Heinrich 1999, S. 216) Vgl. dazu kritisch Trenkle (2000).

(91) [15] Es handelt sich um einen doppelten Möglichkeitsraum: Individuell ist die je eigene Beteiligung und gesellschaftlich ist die Form der Vermittlung nicht determiniert.

(92) [16] Zum Verhältnis von Deuten zu Begreifen in der bürgerlichen Gesellschaft vgl. auch Holzkamp (1983, S. 383ff.).

(93) [17] Die -- nicht nur beim Traditionsmarxismus -- häufig anzutreffende Reduktion der Produktivkraftentwicklung auf die dingliche »Mittelseite« ist völlig inadäquat.

(94) [18] Diese doppelte Exklusion erklärt auch, warum »Arbeit, Arbeit, Arbeit« nicht bloße Ideologie, sondern auch begründetes individuelles Wollen in der bürgerlichen Subjektform ist: Ein Wollen kann sich nur in den gegebenen Formen ausdrücken -- so »falsch« es auch sei.

(95) [19] Die Ökonomie als solche zu denunzieren, ist nicht ohne weiteres verständlich, bemühen sich viele Kritiker/innen doch um eine »solidarische Ökonomie«. Hier verhält es sich mit der Ökonomie wie mit der Knappheit: Das aufgeherrschte Denkdogma, dass die gesellschaftliche Herstellung der Befriedigungsmittel in der Sondersphäre namens »Ökonomie« erfolgt, ist genauso zu destruieren wie die Annahme, dass dies in Formen der Knappheit zu geschehen habe. -- Von hier aus können wir beginnen, über solidarische Lebensweisen nachzudenken.

(96) [20] In Meretz 2004 und folgenden Texten verwendete ich in Übernahme eines Vorschlags aus dem Oekonux-Projekt (www.oekonux.de/liste/ archive/msg03921.html) noch die Begriffe Vorkommen, Begrenztheit und Knappheit.

(97) [21] Content (englisch): Inhalt, Gehalt. Gemeint sind v.a. die Inhalte elektronischer Medien: Texte, Bilder, Musik, Filme.

(98) [22] Informationsprodukte besitzen keine intrinsische Eigenschaft, die den Ausschluss von der Nutzung herstellt.

(99) [23] Durch die Nutzung eines Informationsprodukts wird der Nutzen für andere nicht verringert.

(100) [24] Versuche, die »Knappheit« allein den Informationsgütern per »Kopierschutz« einzupflanzen, sind nahezu komplett gescheitert, da sie sich bloß im Medium des Codes bewegen und folglich stets in diesem »geknackt« wurden.

(101) [25] Genau genommen ist auch der individuell genutzte Computer Teil des weltweiten Netzes, in dem jede Aktion stets »kopieren« impliziert.

(102) [26] Lieblingskind der Contentindustrie ist die sog. »Superdistribution«, auch als »virales Marketing« bezeichnet. Danach sollen Nutzer Inhalte weitergeben, deren Empfänger dann für die Nutzung zahlen müssen (etwa pay-per-use und verwandte Formen). Der emphatische Impuls des »Teilens« wird so instrumentalisiert und zum Distributionskanal transformiert: »It pays to share«, etwa bei peerimpact.com, vergleichbar aber auch bei Amazon und iTunes.

(103) [27] Die beiden DRM-Technologien »Protected User Mode Audio« und »Protected Video Path« funktionieren ähnlich: »Vista« erzeugt eine eigene Prozessumgebung (»virtuelle Maschine«), die alle beteiligten Komponenten auf Zertifizierung und Integrität prüft. Im Falle einer irregulären Veränderung (»Manipulation«) werden die digitalen Ausgänge abgeschaltet.

(104) [28] Der Regionalcode begrenzt die Abspielbarkeit einer DVD auf einen bestimmten Teil der Erde, um eine bestimmte regionale »Verwertungskaskade« durchsetzen zu können. Insgesamt implementiert die DVD-Technik bis zu zehn verschiedene technische »Schutzmaßnahmen« (vgl. Grassmuck 2006, S. 170ff.).

(105) [29] Vgl. dazu ausführlich Nuss (2006, S. 67ff.).

(106) [30] WIPO: World Intellectual Property Organization, eine UN-Unterorganisation.

(107) [31] DMCA: Digital Millennium Copyright Act.

(108) [32] Die Privatkopie wird nicht verboten, es gibt »nur« kein Anrecht mehr auf Anfertigung einer privaten Digitalkopie. Mit dem Verbot der Umgehung von DRM-Techniken wird die Privatkopie faktisch ausgehebelt. Mittlerweise wurde auch die ursprünglich vorgesehene Bagatellklausel, nach der Verstöße durch private Endnutzer/innen straffrei bleiben sollten, gestrichen.

(109) [33] Musik: www.copykillsmusic.de, Film: www.hartabergerecht.de

(110) [34] »Warez« ist der Sammelbegriff für illegal verbreitete Software, aber auch Musik, Filme etc. (vgl. Bleich/Briegleb 2006).

(111) [35] Das Preisgefälle ausnutzend kaufte eine in Deutschland lebende Chinesin bei der chinesischen Amazon-Tochter jojo.com DVDs ein und verkaufte sie via eBay teurer weiter -- eine Art Importservice. Die GVU erfuhr von diesem Handel, erstattete Anzeige und lieferte ein windiges Gutachten, das zur Grundlage von Inhaftierung und Beschlagnahme wurde -- eine Art »'Public-Private-Partnership' zwischen den privaten Fahndern von Lobbygruppen und den staatlichen Strafverfolgern« (Bleich 2006). Nach öffentlichem Druck erklärte das Landgericht Kiel das Vorgehen der Staatsanwaltschaft für rechtswidrig.

(112) [36] Gleichwohl wird dennoch auch der Eigentumsbegriff ideologisch beackert. So hat Microsoft, wiederum flankiert durch die Regierung, den Wettbewerb »Die Idee. Zum Schutz des geistigen Eigentums.« aufgelegt. Erstes Thema: »Aufklärungsarbeit«. Online: www. microsoft.com/germany/aktionen/dieidee/default.mspx

(113) [37] Eine Umfrage der Financial Times im Februar 2007 nach dem Jobs-Statement zeigte ein klares Bild: 98 Prozent waren der Meinung, die Musikkonzerne sollten auf DRM verzichten, nur 2 Prozent waren bereit, DRM zu akzeptieren. Online: www.ft.com/drm

(114) [38] Ein Peer-to-Peer-Netz ist ein dezentrales Netzwerk von Computern, in dem jeder Dienste bereitstellen (Server) und Dienste nutzen (Client) kann. Vgl. dazu auch Wikipedia 2007c.

(115) [39] Das große »F« im Adjektiv »Frei« verweist auf die »vier Freiheiten« der Freien Software, die für den Bereich digitaler Kulturgüter adaptiert wurden: die freie Nutzung zu jedem Zweck, der freie Zugang zu den Quellen, die freie Kopie und Weitergabe sowie die Möglichkeit zum Remix und Verbreitung der abgeleiteten Stücke (vgl. freedomdefined.org).

(116) [40] Noosphere ist ein Begriff von Eric Raymond, einem prominenten Entwickler und Interpreten Freier Software. Die Noosphere ist der virtuelle Raum möglicher Anwendungen, der von Entwicklerinnen und Entwicklern mit ihren Anwendungen »besiedelt« wird -- in Analogie zur Theorie der Aneignung von Land durch Arbeit nach John Locke (vgl. Raymond 2001, S. 65ff.).

(117) [41] Auf der Konferenz »Wizards of OS« im September 2006 berichtete Atul Chitnis (Bangalore, Indien) davon, dass die Entwicklungsländer wesentlich stärker Freie Software nutzen als selbst dazu beizutragen. Allerdings sei das Bild dadurch verzerrt, dass wegen des Brain-Drain viele Beiträge nicht aus den Heimatländern, sondern aus den Ländern kämen, wohin sie wegen der Arbeit gegangen wären.

(118) [42] Ein Beispiel ist die südafrikanische Distribution »Ubuntu«. Das Wort »Ubuntu« kommt aus den Sprachen der Zulu und der Xhosa und heißt sinngemäß übersetzt: »Ich bin -- weil ihr seid«. Online: www.ubuntu.com

(119) [43] Creative Commons Lizenzen regeln den »Freiheitsgrad« bei der Nutzung von Inhalten. Die Nutzungsbedingungen lassen sich individuell »konfigurieren« (Pflicht zur Urhebernennung, nicht kommerziell etc.) und sind sehr einfach in der Anwendung. Online: creativecommons.org

(120) [44] »UK Artists, Copyright and Creative Commons« (The Arts Council England und OpenBusiness.cc), online: netzpolitik.org/2006/report-uk-artists-copyright-and-creative-commons / (25.04.2007).

(121) [45] Der Betreiber des Portals freier Musik jamendo.com, Laurent Kratz, prognostizierte auf der Konferenz »Wizards of OS« im September 2006, dass auf lange Sicht alle Musik »frei« sein werde und die Einkünfte nur noch über Live-Auftritte zu erzielen seien.

(122) [46] Dabei überschneiden sich das Zusammenstellen neuer Computer und das Wiederherstellen gebrauchter Computer. Der Fokus sozialer Projekte bei der »Wiederherstellung« liegt dabei auf der »Wiederaneignung von Technologie für die soziale Transformation«, vgl. z.B. metareciclagem.org


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